Fatima und die Schmerzensmutter

Der Weg vom Moment des größten Leidens zum ewigen Triumph


Maria, Schmerzensmutter wegen unserer Sünden und jenen unserer Zeit, ist auch die Mutter des Triumphs.
Maria, Schmerzensmutter wegen unserer Sünden und jenen unserer Zeit, ist auch die Mutter des Triumphs.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Zu den Titeln, die die kirch­li­che Tra­di­ti­on der hei­li­gen Jung­frau Maria zuschreibt, gehört auch der der Schmer­zens­mut­ter. Mari­as gan­zes Leben war ein stän­di­ger Schmerz, der in der Pas­si­on ihres gött­li­chen Soh­nes gip­fel­te, die nach dem hei­li­gen Tho­mas von Aquin „der größ­te aller Schmer­zen“ war (Sum­ma Theo­lo­giae, III, q. 46, a. 6).

Die Ver­eh­rung der Schmer­zens­mut­ter ent­springt, noch vor der Theo­lo­gie, dem sen­sus fidei der ein­fa­chen Gläu­bi­gen bei der Betrach­tung der aller­se­lig­sten Maria auf dem Kal­va­ri­en­berg, als sie ihren Sohn und sich selbst aus frei­en Stücken dem Vater als Opfer dar­brach­te. Es gibt zwei lit­ur­gi­sche Feste, die an die­se Ver­eh­rung erin­nern: das Fest der Sie­ben Schmer­zen am Pas­si­ons­frei­tag und das Fest der Schmer­zens­mut­ter am 15. September.

Die Schmer­zens­mut­ter ist zusam­men mit der Mut­ter­got­tes vom Berg Kar­mel in der Bot­schaft von Fati­ma prä­sent. Am 13. Sep­tem­ber 1917 sag­te die Got­tes­mut­ter zu den drei Hir­ten­kin­dern: „Betet wei­ter den Rosen­kranz, um das Ende des Krie­ges zu errei­chen. Im Okto­ber wer­den auch Unser Herr, Unse­re Schmer­zens­mut­ter und Unse­re Lie­be Frau vom Kar­mel, der hei­li­ge Josef mit dem Jesus­kind kom­men, um die Welt zu seg­nen“. Am 13. Okto­ber 1917, wäh­rend die Men­schen­men­ge in der Cova da Iria das Son­nen­wun­der erleb­te, erschie­nen vor den Augen der Seher drei Bil­der, von denen das erste die freu­di­gen Geheim­nis­se des Rosen­kran­zes, dann die schmerz­haf­ten und schließ­lich die glor­rei­chen sym­bo­li­sier­te. Nur Lucia sah die drei Bil­der; Fran­cis­co und Jac­in­ta sahen nur das erste Bild.

Zuerst erschien der hei­li­ge Josef mit dem Jesus­kind und der Rosen­kranz­ma­don­na neben der Son­ne. Es war die Hei­li­ge Fami­lie. Dann folg­te die Visi­on der Schmer­zens­mut­ter und des schmerz­ge­plag­ten Herrn auf dem Weg zum Kal­va­ri­en­berg. Unser Herr mach­te ein Kreuz­zei­chen, um das Volk zu seg­nen. Schließ­lich erschien die Mut­ter­got­tes vom Berg Kar­mel in einer glor­rei­chen Visi­on, gekrönt zur Köni­gin des Him­mels und der Erde, und hielt das Jesus­kind in ihren Armen.

Die Schmer­zens­mut­ter ist die­je­ni­ge, die in der Stun­de der Pas­si­on lei­det, die Frau vom Berg Kar­mel ist die­je­ni­ge, die in der Stun­de der Auf­er­ste­hung tri­um­phiert. In der dra­ma­ti­schen Situa­ti­on, die die Welt heu­te erlebt, soll die Mut­ter­got­tes vor allem als Schmer­zens­mut­ter ver­ehrt wer­den, in der Erwar­tung, daß sie frü­her oder spä­ter als Mut­ter­got­tes vom Berg Kar­mel ver­ehrt wird, in der Stun­de des Tri­um­phes ihres Unbe­fleck­ten Herzens.

Die Haupt­ur­sa­che für die Schmer­zen der Mut­ter­got­tes sind die Sün­den der Welt, die Gott der Herr­lich­keit berau­ben und so vie­le See­len ins ewi­ge Elend füh­ren. Des­halb zeigt die Got­tes­mut­ter den Kin­dern von Fati­ma den Schrecken der Höl­le und ver­traut ihnen eine Heils­bot­schaft für die Kir­che und die gan­ze Mensch­heit an. Und des­halb erin­nert sich Lucia dar­an, daß „vor der Hand­flä­che der rech­ten Hand der Jung­frau ein Herz zu sehen war, das von Dor­nen umge­ben war, die in ihm zu stecken schie­nen. Wir ver­stan­den, daß dies das Unbe­fleck­te Herz Mari­ens war, das über die Sün­den der Mensch­heit empört war und Wie­der­gut­ma­chung verlangte“.

Nach Fati­ma offen­bar­te die Got­tes­mut­ter ihren Schmerz in Syra­kus, wo sie 1953 wein­te. Der damals amtie­ren­de Papst Pius XII. kom­men­tier­te das Ereig­nis wie folgt:

„Zwei­fel­los ist Maria im Him­mel ewig glück­lich und lei­det weder Leid noch Trau­rig­keit; aber sie bleibt dafür nicht unemp­find­lich, ja sie hegt immer Lie­be und Mit­leid für das unglück­li­che Men­schen­ge­schlecht, dem sie als Mut­ter gege­ben wur­de, wenn sie trau­rig und wei­nend am Fuße des Kreu­zes ver­harrt, an das der Sohn geschla­gen wur­de. Wer­den die Men­schen die geheim­nis­vol­le Spra­che die­ser Trä­nen ver­ste­hen? Oh, die Trä­nen Mari­as! Es waren auf Gol­ga­tha Trä­nen des Mit­leids mit ihrem Jesus und der Trau­rig­keit über die Sün­den der Welt. Weint sie immer noch um die erneu­er­ten Wun­den am mysti­schen Leib Jesu? Oder weint sie um so vie­le Kin­der, in denen Irr­tum und Schuld das Leben der Gna­de aus­ge­löscht haben und die die gött­li­che Maje­stät schwer belei­di­gen? Oder sind es Trä­nen der Erwar­tung für die aus­blei­ben­de Rück­kehr ande­rer sei­ner Kin­der, die einst gläu­big waren und nun durch fal­sche Trug­bil­der in die Rei­hen der Fein­de Got­tes gezo­gen wer­den?“ (Anspra­che vom 17. Okto­ber 1954).

In wel­chem Sin­ne, so könn­te man fra­gen, weint die Got­tes­mut­ter, die im Him­mel ist, wo sie ewig glück­lich ist, noch? Um die­ses Geheim­nis zu ver­ste­hen, müs­sen wir dar­an den­ken, daß Gott die Din­ge, die in der Zeit ver­ge­hen, im Licht der Ewig­keit sieht. Für Ihn gibt es kei­ne Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart oder Zukunft, son­dern nur den Augen­blick der Ewig­keit, der eine ewi­ge Gegen­wart ist. Wir wur­den nicht in dem Moment der Geschich­te gebo­ren, als die Pas­si­on statt­fand. Wir exi­stier­ten nicht, aber Gott kann­te uns in der gan­zen Kon­kret­heit unse­rer Rea­li­tät, denn in Got­tes Wis­sen gibt es kein Mor­gen, son­dern alles – die Ver­gan­gen­heit, die Gegen­wart und die Zukunft – ist voll­kom­men gegen­wär­tig. Die­ses Wis­sen, das Gott hat­te, teil­te er auch mit der Got­tes­mut­ter. Unser Herr litt auf dem Kal­va­ri­en­berg nicht nur für die Sün­den sei­ner Zeit, son­dern auch für unse­re Sün­den und die unse­rer Zeit, und die Got­tes­mut­ter, die, obwohl sie nur ein Geschöpf war, am gött­li­chen Licht teil­hat­te, litt auch für unse­re Sün­den von heu­te. Sie war Zeit­ge­nos­sin unse­rer Sün­den, und in die­sem Sin­ne kön­nen wir sagen, daß sie immer noch lei­det, auch wenn sie jetzt unend­lich glück­lich ist. Aber die­ses Heu­te und die­ses Gestern gibt es nicht für die­je­ni­gen, die wie sie in der Ewig­keit leben, d. h. in einem gegen­wär­ti­gen Augen­blick, der außer­halb der Zeit liegt.

Wir hin­ge­gen, die blo­ßen Geschöp­fe, leben nicht in der Ewig­keit, son­dern sind in den Fluß der Zeit und der Geschich­te ein­ge­taucht, und wir füh­ren alles auf eine Ver­gan­gen­heit zurück, die nicht mehr exi­stiert, und auf eine Zukunft, die noch nicht ist. Aber jeder Augen­blick, der in der Zeit ver­geht, stirbt in der Zeit, aber in sei­nem Ver­dienst oder Unwert ist er im Buch des ewi­gen Lebens ein­ge­schrie­ben. Und in die­sem Augen­blick, der in der Zeit liegt, in der wir hic et nunc, hier und jetzt, leben, kön­nen wir unse­rer­seits an der Freu­de und dem Leid Jesu und Mari­as teil­neh­men. Das Wis­sen um die Pas­si­on über­steigt Raum und Zeit, wie die Fei­er der Mes­se, die die rea­le, unblu­ti­ge Wie­der­ho­lung des hei­li­gen Opfers von Kal­va­ria ist.

Indem wir die Pas­si­on betrach­ten, die vor zwei­tau­send Jah­ren statt­fand, kön­nen wir sie uns gegen­wär­tig machen, und wir machen sie uns umso gegen­wär­ti­ger, je mehr wir sie uns zu eigen machen, indem wir uns in die Schmer­zen Jesu und Mari­as hin­ein­ver­set­zen, die nicht nur die auf Kal­va­ria erlit­te­nen sind, son­dern auch die unse­rer Zeit. Oder bes­ser gesagt, auf Kal­va­ria haben Jesus und Maria für den Abfall unse­rer Zeit gelit­ten und dafür gebe­tet, daß auf die­sen Abfall ein uner­meß­li­cher Tri­umph fol­gen möge, der für sie bereits gegen­wär­tig ist, wäh­rend er für uns, die wir in die Zeit ein­ge­taucht sind, in der Zukunft liegt. Die Bot­schaft von Fati­ma offen­bart uns die­se Zukunft, und des­halb ist sie so eng mit unse­rem geist­li­chen Leben ver­bun­den. Das Unbe­fleck­te Herz Mari­ens ist ein trau­ern­des Herz, ein Herz, das vom Schwert des Schmer­zes durch­bohrt ist, aber es ist ein Herz, das tri­um­phie­ren wird.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Mater Dolo­ro­sa von Car­lo Dol­ci (1616–1686)/Wikicommons

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1 Kommentar

  1. „Wer­den die Men­schen die geheim­nis­vol­le Spra­che die­ser Trä­nen ver­ste­hen?“ so die Fra­ge von Papst Pius XII. bezüg­lich Syrakus.
    Mark Fel­lows fragt in „Fati­ma in Twilight“, ob – bei allem Respekt – der Papst selbst die Trä­nen ver­stan­den hat. Denn nach Fel­lows kam im Jahr 1952 ein Knick in die Fati­ma-Poli­tik des Pap­stes. Obwohl er einen Jesui­ten zu Sr. Lucia schick­te (damals noch die ech­te) und bestens im Bil­de gewe­sen sein muß, hat er die Ruß­land-Wei­he nicht auf­trags­ge­mäß durch­ge­führt und die Süh­ne­sams­ta­ge nicht promulgiert.
    Mark Fel­lows sagt etwas poin­tiert, daß, wenn Pius XII. für die Ret­tung der Kir­che so viel getan hät­te wie für die Ret­tung der Juden, die Kir­che heu­te (2003, als „Fati­ma in Twilight“ erschien) viel bes­ser dastünde.
    1950 wur­de Papst Pius vier­mal des Son­nen­wun­ders gewür­digt. Lei­der ver­ebb­te dann, wie gesagt, ab 1952 sein Ein­satz im Sin­ne der Fati­ma­bot­schaft. Syra­kus, von der Kir­che als Wun­der aner­kannt und immens popu­lär, war sicher ein Warn­ruf auch und beson­ders für die Hier­ar­chie. Wie man sieht, wur­de die­se Bot­schaft nicht aus­rei­chend ernstgenommen.

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