(Warschau) In den ersten beiden Jahren der Corona-Pseudopandemie, 2020 und 2021, ist der Meßbesuch rapide eingebrochen. Das gilt auch für Polen, wie die jüngsten Zahlen belegen. Der Besuch der Sonntagsmesse brach von 37 Prozent auf 28 Prozent ein. Dies gab das Statistische Institut der katholischen Kirche in Polen (ISKK) bekannt. In einem zweiten Teil beschäftigt sich Andreas Becker mit aktuellen politischen Entwicklungen in Polen.
Die Größenordnung der Meßbesucher in Polen entspricht immer noch dem Zehnfachen der Situation in der Bundesrepublik Deutschland, dennoch ist ein Negativtrend zu erkennen. Der Rückgang betrifft jeden vierten polnischen Meßbesuch. Ein Minus von 25 Prozent ist keine Zahl, mit der man einfach zur Tagesordnung übergehen könnte. Während der kommunistischen Diktatur in den 80er Jahren lag der Meßbesuch noch bei über 50 Prozent.
Beim ISKK verweist man zwar auf die restriktiven Corona-Maßnahmen, versucht aber pflichtschuldig zu relativieren. Man habe 2020 keine Zahlen erhoben, weshalb ein Vergleich zum Jahr 2021 schwierig sei. Solche Zahlen liegen allerdings aus anderen Ländern vor, unter anderem aus der Bundesrepublik Deutschland. Die Bilanz ist verheerend. Das gilt auch für Polen. Auszusprechen wagt das aber kaum jemand, da Corona ein großes Tabu-Thema ist. Zahlreiche Enthüllungen haben offengelegt, daß Corona weniger eine pandemische Krankheit war und die Regierungen „verantwortungsvoll“ gehandelt haben, sondern daß es weit mehr ein gigantischer Betrugsskandal auf verschiedenen Ebenen war. Doch jene, die dabei an verantwortlicher Stelle bewußt oder unbewußt mitgespielt haben, hüten sich davor, das einzugestehen.
In Polen zeigen sich die Folgen des kirchlichen Umgangs mit den Corona-Maßnahmen wie im deutschen Sprachraum. Die kirchliche Hierarchie untersagte unkontrolliert und unhinterfragt sämtliche Gottesdienste. Die Menschen registrierten aufmerksam, daß selbst die Oberhirten der Meinung waren, daß die heilige Messe nicht der Mittelpunkt des Lebens sei. Die Angst vor einer ominösen Krankheit war wichtiger. Und nicht wenige zogen die Konsequenz daraus. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß diese Entwicklung bereits im März 2020 absehbar war, als die Bischöfe ohne Widerspruch von Papst Franziskus eine ganze Reihe von Verboten aussprachen.
Die selbstgemachten Fehler der Oberhirten spricht man auch beim ISKK nicht gerne an und redet lieber über „soziokulturelle Faktoren“, die auch in Polen zu Veränderungen in der Gesellschaft führten.
Teile der polnischen Kirche geben sich zweckoptimistisch und sprechen davon, daß es in den kommenden Jahren sicher wieder einen „Aufschwung“ geben werde. Man wird sehen. Im benachbarten deutschen Westen ist davon jedenfalls nichts zu bemerken.
Tatsache ist, daß es die „soziokulturellen Faktoren“ natürlich gibt. Dabei sollte vielleicht darüber nachgedacht werden, ob die Corona-Politik nicht auch auf eine solche Einflußnahme zurückging – die Dinge also vielleicht gar nicht so weit auseinanderliegen.
Die soziokulturellen Faktoren sind in erster Linie Einflußnahme von außen. Es handelt sich um Entwicklungen, die nicht von der Kirche ausgehen, an denen sie aber teilweise mitwirkt oder ihnen wenig Widerstand entgegensetzt. Aus dem Westen drängt der „American way of Life“ gleich doppelt in das Land, einmal gestützt von Milliardärsstiftungen wie jener von George Soros, der eine präzise gesellschaftspolitische Agenda verfolgt (Zertrümmerung der natürlichen und staatstragenden Ordnung durch Abtreibung, Gender-Ideologie, Homosexualität, Migration), die mit dem Christentum nicht vereinbar ist. Zum anderen durch die jüngste Versuchung der politischen Klasse in Warschau, sich nicht über Brüssel, sondern direkt an Washington anzulehnen. Damit wird das Land zu einem verlängerten Arm der US-Weltmachtpolitik – auch im Schlechten. Die Folgen dieser neuen Entwicklung sind noch nicht abzusehen. Die Ortskirche stützt diese politische Entwicklung.
An dieser Stelle könnten die Ausführungen abgebrochen werden. Aus aktuellem Anlaß soll aber noch ein Exkurs von Andreas Becker folgen, um zu verstehen, was mit der „neuen Entwicklung“ gemeint ist.
Polen, die Ukraine und die Intermarium-Idee
Von Andreas Becker
Der Krieg in der Ukraine verunsichert Polen. Das ist verständlich. Im Land ist Rußland ein historisch rotes Tuch. Nicht nur die Erinnerung an die Sowjetherrschaft von 1945 bis 1989 ist noch lebendig. Auch die polnischen Teilungen sind im kollektiven Bewußtsein fest verankert, insbesondere jene von 1795, mit der Polen ganz von der Landkarte getilgt wurde. Das russische Zarenreich hatte nach dem Wiener Kongreß mehr als 80 Prozent der Fläche des polnischen Staates geschluckt, wie er bis 1772 bestanden hatte (Österreich hatte sich zehn Prozent einverleibt und Preußen ungefähr sechs Prozent, die zur Hälfte von Deutschen bewohnt war). In Polen ist man davon überzeugt, daß der seit 1700 bestehende „russische Drang nach Westen“ noch immer gültige russische Staatsdoktrin ist.
Rußland ist der eine Aspekt im Osten. Der andere ist eine EU im Westen, in der eine linke Mehrheit sehr unfreundlich und arrogant gegenüber dem nicht-linken Polen auftritt. Polen befand sich dadurch einige Jahre in einer defensiven Position. Der Ukraine-Krieg hat die Möglichkeit geboten, das Heft umzudrehen. Das geschah, indem sich Warschau unter Umgehung der EU direkt an die Seite Washingtons stellte. Auch die seltsamen finanziellen Wiedergutmachungsforderungen, die Warschau jüngst Berlin wieder vor die Füße knallte, sind als Retourkutsche zu sehen.
Es gibt polnische Kreise, die in Washington darauf hinarbeiten, daß Polen im NATO-Bündnis die geostrategische Rolle Deutschlands übernimmt. Der US-Militärstützpunkt Ramstein ist der wichtigste Dreh- und Angelpunkt der offiziellen und auch der verdeckten US-Militäroperationen außerhalb des amerikanischen Doppelkontinents. Geht es nach einigen polnischen Geostrategen, soll das künftige Ramstein in Polen liegen. Die Überlegungen inkludieren dabei als durchaus nicht unerwünschten Nebeneffekt den beschleunigten Abstieg Deutschlands bei gleichzeitigem Aufstieg Polens.
Die Regierung Biden wirbt bei der im Ukraine-Konflikt wesentlich handzahmeren und entschlosseneren polnischen Regierung mit gezielten Lockrufen, deren Hauptstichwort „Intermarium“ („Zwischenmeerraum“) heißt. Die USA haben bereits mit Obamas zweiter Amtszeit 2013 (und Bidens als dessen Vizepräsident) mit Blick auf einen bevorstehenden militärischen Konflikt mit Rußland begonnen, alte noch immer wirkmächtige polnische Vorstellungen und Träume von einstiger Größe zu reaktivieren.
Das Intermarium-Projekt, das in der Zwischenkriegszeit eine herausragende Rolle in Polen spielte, wurde nicht in Polen wieder ausgegraben, sondern in Washington. Es bezieht sich auf eine kurze Zeit in der polnisch-litauischen Geschichte um 1400, als dieser Doppelstaat von der Ostsee fast bis zum Schwarzen Meer reichte. Wobei nie eine wirkliche Kontrolle über die heute ukrainischen Schwarzmeergebiete ausgeübt wurde. Die Idee wurde nach 1919 aber um geopolitische und wirtschaftliche Aspekte entsprechend erweitert. Damals wurden polnische Landkarten herumgereicht, auf den die Grenzen Polens hundert Kilometer vor Moskau und kurz vor Berlin eingezeichnet waren. Mit der Oder-Neiße-Linie war man 1945 mit Hilfe der alliierten Siegermächte Richtung Westen sehr erfolgreich. Nach Osten hingegen nicht.
Die heutige Intermarium-Idee sieht immerhin die Ausweitung der polnischen Machtsphäre unter Einschluß von gleich drei fremden Hauptstädten vor: von Wilna, Minsk und Kiew. Litauen und der Großteil von Weißrußland und der Ukraine sind dabei fest im Blick. Wobei für die Frage, wie diese Gebiete mit Polen verbunden werden sollten, verschiedene Stufen für denkbar gelten. Wenn das nun jemand im deutschen Sprachraum für Hirngespinste halten sollte, unterliegt er einem Denkfehler. Die polnische Nation, eine stolze Nation, wurde durch Fremdherrschaft gedemütigt. Das spielt ebenso eine wichtige Rolle wie die Tatsache, daß Polen durch die Jahrhunderte ein Sendungsbewußtsein gegenüber dem Osten empfand.
Die USA interessieren diese polnischen Befindlichkeiten nur insofern, als sie den gerade tagesaktuellen US-Interessen nützlich sein können. Das ist derzeit für die Frontbildung gegen Rußland der Fall. Die US-amerikanische Intermarium-Idee meint eine zweite Kampflinie gegen Rußland, die vom Baltikum bis Bulgarien reichen soll mit Polen als Schwerpunkt.
Das Dilemma hat auch damit zu tun, daß eine deutsch-polnische Aussöhnung nicht so wirklich glückte. In Polen weiß man, daß durch die Westverschiebung der polnischen Grenze nach 1945 riesige Landflächen geraubt und Millionen Deutsche vertrieben wurden. In einem katholischen Land wie Polen ist ein solches Unrecht nicht so einfach sang- und klanglos wegzustecken. Zur Beruhigung des Gewissens trug nur bedingt bei, daß sich die Vertreibung vorwiegend gegen deutsche Protestanten richtete.
Über die Grenzverschiebung wäre man sich durch die deutsche Selbstpreisgabe seit Anfang der 70er Jahre sogar noch einig geworden. Schließlich verzichtete die Bundesrepublik Deutschland 1990 auch auf das sowjetisch verwaltete Nordostpreußen. Seit Anfang der 90er Jahre sind die ehemaligen deutschen Ostgebiete im Kartenmaterial der Schulbücher nicht mehr eingetragen.
Doch dann glaubte Berlin, wo man sich als Führungsmacht in der EU sieht und ja auch ist, gegenüber anderen Staaten als links-woke Gouvernante auftreten zu müssen. Die Berliner und Brüsseler Abtreibungsagenda und die nicht minder ideologisch motivierte Einmischung in innere Angelegenheiten wie die Besetzung von Richterposten vergifteten das Klima zwischen Warschau und Berlin (Brüssel) wieder rapide und nachhaltig.
Berlin will dabei nicht wahrhaben, daß eine starke EU und ein starker Euro nicht im Interesse der USA sind und beide europäischen Projekte daher von Washington von Anfang an torpediert wurden (siehe Brexit). Mit der Sprengung von Nord Stream 1+2 ist das sogar wörtlich zur Realität geworden.
Ob es also danach noch eine EU geben wird oder vielleicht eine andere EU, kann derzeit niemand sagen.
Rundherum finden in Polen mit massiven westlichen Finanzzuschüssen harte gesellschaftspolitische Kämpfe statt, die mehr an jene in den USA als an Westeuropa erinnern. Es gibt kaum eine Information über Polen, die in westeuropäischen Medien Verbreitung findet, in denen dieser politische Grabenkampf nicht mit linkem Zungenschlag gegen die derzeitige polnische Staatsführung und mit ihr immer auch gegen die Kirche in Polen hörbar wäre.
Auch das hat sich durch den Ukrainekrieg vorerst deutlich geändert. Nun wird Polen gebraucht, weshalb sich – wie auf Knopfdruck – eine freundlichere Sprachregelung gefunden hat, ohne die wirklichen Hintergründe und Zusammenhänge aufzuzeigen.
In Polen weiß auch der letzte Intermarium-Verfechter, daß mit der EU für Polen kein Quadratmeter Land gewonnen werden kann, doch mit den USA im Rücken könnte das, an der EU vorbei, gelingen. In diese Richtung gehen zumindest Überlegungen, die einige in Polen hegen. Man hofft auf den günstigen Moment, wie er gleich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von Marschall Józef Piłsudski genützt wurde. Durch schnelle Kriege gegen fünf Nachbarstaaten konnte sich das eben erst wiedererstandene Polen in alle Richtungen hin massiv vergrößern.
Die Kirche hätte im Augenblick vor allem und mit kräftiger Stimme zum Frieden zu mahnen, doch verhält sich Polens Hierarchie auffallend leise, ohne selbst ein eigenes Konzept zur Hand zu haben. So bleibt zu hoffen und zu beten, denn Frieden will errungen werden. Er wird von Gott geschenkt. Während ein Funke oft genügt, um die Lunte zum Brennen zu bringen.
Text: Giuseppe Nardi und Andreas Becker
Bild: Wikicommons/MiL