Benedikt und Franziskus: Wer ist Papst?

Versuch einer Antwort auf offene Fragen zum Amtsverzicht von Benedikt XVI.


Es kann nur einen geben. Wer ist der Papst der heiligen Kirche? Benedikt XVI. oder Franziskus?
Es kann nur einen geben. Wer ist der Papst der heiligen Kirche? Benedikt XVI. oder Franziskus?

Zum Rück­tritt von Bene­dikt XVI. gibt es immer noch zahl­rei­che Fra­gen. Cor­ri­spon­den­za Roma­na unter­nimmt den Ver­such, den Stand der Din­ge zu doku­men­tie­ren und eine Ant­wort zu geben:

Anzei­ge

Bene­dikt XVI. hat bei der Ankün­di­gung sei­nes Rück­tritts am 11. Febru­ar 2013 erklärt, daß er auf das Amt des Pon­ti­fi­kats, nicht aber auf das petri­ni­sche munus (Amt) ver­zich­tet. Bene­dikt nann­te sich dann auch „eme­ri­tier­ter Papst“, trug wei­ter­hin das wei­ße Gewand, das den Sta­tus des Pap­stes kenn­zeich­net, und erteil­te den apo­sto­li­schen Segen. Da es aber in der katho­li­schen Kir­che nur einen Papst geben kann und nicht zwei, haben dann nicht die­je­ni­gen recht, die behaup­ten, der recht­mä­ßi­ge Papst sei immer noch Bene­dikt und nicht Franziskus?

Die Fra­ge ergibt sich aus der Anoma­lie des Ver­zichts von Bene­dikt XVI. auf das Papst­tum, zu dem Cor­ri­spon­den­za Roma­na wie­der­holt Stel­lung genom­men hat. Der Kano­nist aus dem Jesui­ten­or­den Gian­fran­co Ghir­lan­da, ehe­ma­li­ger Rek­tor der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na und heu­te Kom­mis­sar der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta, wider­leg­te am 2. März 2013, zehn Tage vor der Wahl von Papst Fran­zis­kus, in einem lan­gen, argu­men­ta­ti­ven Essay in der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca die Ratz­in­ger­sche Figur des „Papst eme­ri­tus“, und erklär­te, daß „jener, der nicht durch den Tod aus dem Papst­amt aus­schei­det, obwohl er offen­sicht­lich Bischof bleibt, inso­fern nicht mehr Papst ist, als er alle pri­ma­tia­le Gewalt1 ver­liert, weil sie ihm nicht durch die Bischofs­wei­he, son­dern unmit­tel­bar von Chri­stus durch die Annah­me der recht­mä­ßi­gen Wahl zuge­fal­len ist“. Die all­ge­mei­ne Leh­re der Kir­che hat immer zwi­schen Wei­he­ge­walt und Juris­dik­ti­ons­ge­walt unter­schie­den. Erste­re wird durch die Sakra­men­te emp­fan­gen, letz­te­re durch die gött­li­che Sen­dung, im Fal­le des Pap­stes, oder durch die kano­ni­sche Sen­dung, im Fal­le der Bischö­fe und Prie­ster. Das Papst­tum ist kein „Super­sa­kra­ment“, son­dern die ober­ste Regie­rung der Kir­che, die auf der Macht der Juris­dik­ti­on beruht.

Im Blog des Vati­ka­ni­sten San­dro Magi­ster stell­te Prof. Rober­to de Mat­tei am 15. Sep­tem­ber 2014 fest, daß unter den kon­ser­va­tiv aus­ge­rich­te­ten Katho­li­ken eini­ge begon­nen hat­ten, den „eme­ri­tier­ten Papst“ Bene­dikt XVI. dem „amtie­ren­den Papst“ Fran­zis­kus gegen­über­zu­stel­len, und bemerk­te, daß sich die­se Posi­ti­on von der sedis­va­kan­ti­sti­schen unter­schei­det, jedoch durch die­sel­be theo­lo­gi­sche Schwä­che gekenn­zeich­net ist. 

Denn „wenn der Papst per defi­ni­tio­nem der­je­ni­ge ist, der die Kir­che regiert, dann ver­zich­tet er durch sei­nen Ver­zicht auf die Regie­rung auf das Papst­tum. Das Papst­tum ist kein geist­li­cher oder sakra­men­ta­ler Zustand, son­dern ein ‚Amt‘, d. h. eine Insti­tu­ti­on. (.…) Der Papst ist der­je­ni­ge, der die höch­ste Juris­dik­ti­ons­ge­walt, die ‚ple­ni­tu­do pote­sta­tis‘, hat, denn er regiert die Kir­che. Des­halb ist der Nach­fol­ger von Petrus zunächst Papst und dann Bischof von Rom. Er ist Bischof von Rom als Papst und nicht Papst als Bischof von Rom“.

Bene­dikt XVI. hat sei­nen Rück­tritt, aus wel­chen Grün­den auch immer, auf eine gül­ti­ge, aber zwei­deu­ti­ge Art und Wei­se voll­zo­gen, die bei den Gläu­bi­gen gro­ße Ver­wir­rung stif­tet. Am 15. Janu­ar 2020 schrieb Prof. de Mat­tei über Bene­dikt XVI.:

„Mit der Wah­rung des Papst­ti­tels als eme­ri­tier­ter Bischof scheint er zu glau­ben, daß der Auf­stieg zum Pon­ti­fi­kat dem Erwähl­ten einen unaus­lösch­li­chen Cha­rak­ter ver­leiht, gleich dem des Prie­sters. In Wirk­lich­keit gibt es nur drei sakra­men­ta­le Wei­he­gra­de des Prie­ster­tums: Dia­ko­nat, Pres­by­te­rat und Epi­sko­pat. Das Pon­ti­fi­kat gehört zu einer ande­ren Hier­ar­chie der Kir­che, jener der Juris­dik­ti­on oder der Lei­tungs­ge­walt, deren Spit­ze es bil­det. Bei sei­ner Wahl erhält der Papst das Amt der höch­sten Juris­dik­ti­on, aber kein unaus­lösch­li­ches Sakra­ment. Das Prie­ster­tum geht auch mit dem Tod nicht ver­lo­ren, weil es in æter­num exi­stiert. Statt des­sen kann das Pon­ti­fi­kat nicht nur mit dem Tod ‚ver­lo­ren­ge­hen‘, son­dern auch im Fal­le eines frei­wil­li­gen Ver­zichts oder einer offen­sicht­li­chen und noto­ri­schen Häre­sie. Wenn er auf das Papst­amt ver­zich­tet, hört der Papst auf, einer zu sein: Er hat kein Recht, ein wei­ßes Gewand zu tra­gen oder einen apo­sto­li­schen Segen zu ertei­len. Aus kano­ni­scher Sicht ist er nicht ein­mal mehr Kar­di­nal, son­dern wird wie­der zum ein­fa­chen Bischof.“

In einem wich­ti­gen Auf­satz von ihm mit dem Titel „Ren­un­tia­tio Papae. Eini­ge histo­risch-kano­ni­sche Über­le­gun­gen“  (in Archi­vio Giurid­ico, 3−4 (2016), S. 655−674) hat Kar­di­nal Wal­ter Brand­mül­ler bekräf­tigt, daß einer und nur einer der Papst ist und daß sei­ne Macht untrenn­bar mit sei­ner Ein­zig­keit ver­bun­den ist:

„Die Sub­stanz des Papst­tums ist durch die Hei­li­ge Schrift und die authen­ti­sche Tra­di­ti­on so klar defi­niert, daß kein Papst befugt sein kann, sein Amt neu zu definieren.“

Wenn Bene­dikt XVI. glau­ben soll­te, wirk­lich Papst zu sein, und zwar gleich­zei­tig mit Fran­zis­kus, wür­de er die Glau­bens­wahr­heit, daß es nur einen Stell­ver­tre­ter Chri­sti gibt, leug­nen und müß­te als Häre­ti­ker betrach­tet oder der Häre­sie ver­däch­tigt wer­den. Prof. Enri­co Maria Radael­li argu­men­tiert in sei­nem Buch „Al cuo­re di Ratz­in­ger“ (Im Her­zen von Ratz­in­ger), daß die Abdan­kung von Papst Bene­dikt ungül­tig und nich­tig ist, eben weil sie auf der Grund­la­ge einer häre­ti­schen, hege­lia­ni­schen Dok­trin ver­faßt wur­de. Doch Prof. de Mat­tei ant­wor­te­te auf die­se The­se im Juli 2020:

„Wäre bewie­sen, daß Bene­dikt XVI. wirk­lich die Absicht hat­te, das Pon­ti­fi­kat zu tei­len und damit die Ver­fas­sung der Kir­che zu ändern, wäre er der Häre­sie ver­fal­len. Und da die­ses häre­ti­sche Ver­ständ­nis des Papst­tums dann natür­lich sei­ner Wahl vor­aus­ge­gan­gen wäre, müß­te auch die Wahl von Bene­dikt aus dem­sel­ben Grund für ungül­tig gehal­ten wer­den, aus dem sein Rück­tritt für ungül­tig gehal­ten wird. Er wäre dann in kei­nem Fall Papst. Dies sind jedoch abstrak­te Dis­kur­se, weil nur Gott die Absich­ten beur­teilt, wäh­rend sich das kano­ni­sche Recht dar­auf beschränkt, das äuße­re Ver­hal­ten der Getauf­ten zu bewer­ten. In einem berühm­ten Grund­satz des Römi­schen Rechts, an den sowohl Kar­di­nal Wal­ter Brand­mül­ler als auch Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke erin­nert haben, heißt es:  De inter­nis non iudi­cat prae­tor, ein Rich­ter beur­teilt kei­ne inne­ren Din­ge. Ande­rer­seits besagt Canon 1526,1 des neu­en Kodex des Kir­chen­rechts: Onus pro­ban­di incum­bit ei qui asse­rit (Die Beweis­last liegt bei dem­je­ni­gen, der etwas behaup­tet). Es gibt einen Unter­schied zwi­schen Indiz und Beweis. Das Indiz deu­tet auf die Mög­lich­keit einer Tat­sa­che hin, der Beweis schafft Gewiß­heit. Aga­tha Chri­sties Regel, daß drei Indi­zi­en ein Beweis sind, gilt für die Lite­ra­tur, nicht aber für die staat­li­chen oder kirch­li­chen Gerich­te.
Zudem: Wenn Bene­dikt XVI. der recht­mä­ßi­ge Papst ist, was wür­de dann pas­sie­ren, wenn er eines Tages ster­ben oder Papst Fran­zis­kus vor ihm ster­ben wür­de? Da vie­le der der­zei­ti­gen Kar­di­nä­le von Papst Fran­zis­kus kre­iert wur­den und kei­ner der Papst-Wäh­ler ihn als einen Gegen­papst betrach­tet, wäre die apo­sto­li­sche Suk­zes­si­on unter­bro­chen, was die Sicht­bar­keit der Kir­che beein­träch­ti­gen wür­de. Das Para­dox ist, daß die juri­sti­sche Sophi­stik bemüht wird, um die Ungül­tig­keit von Bene­dikts Rück­tritt zu bewei­sen, dann aber außer­ka­no­ni­sche Lösun­gen zum Ein­satz gelan­gen soll­ten, um das Pro­blem der Nach­fol­ge von Bene­dikt oder Fran­zis­kus zu lösen. Die The­se des fran­zis­ka­ni­schen Visio­närs Jean de Roque­taillade (Johan­nes von Rupe­scis­sa: 1310–1365), wonach am Ende der Zeit ein „Engels­papst“ an der Spit­ze einer unsicht­ba­ren Kir­che erschei­nen wür­de, ist ein Mythos, der von vie­len Pseu­do­pro­phe­ten ver­brei­tet, aber von der Kir­che nie aner­kannt wur­de. Ist das der Weg, den ein Teil der kon­ser­va­ti­ven Welt ein­schla­gen will? Da erscheint es doch logi­scher, anzu­neh­men, daß die Kar­di­nä­le, die sich im Kon­kla­ve ver­sam­meln, um nach dem Tod oder dem Amts­ver­zicht von Papst Fran­zis­kus einen neu­en Papst zu wäh­len, vom Hei­li­gen Geist unter­stützt wer­den. Es stimmt zwar, daß die Kar­di­nä­le den gött­li­chen Ein­fluß ableh­nen könn­ten, indem sie einen schlech­te­ren Papst als Fran­zis­kus wäh­len. Eben­so wahr ist aber, daß die Vor­se­hung uner­war­te­te Über­ra­schun­gen bereit­hal­ten könnte.“

Fazit: Das Wesen des Papst­tums liegt nicht im munus, wie bei den Bischö­fen, son­dern in der Aus­übung der Regie­rung, das heißt im Mini­ste­ri­um, das kein unaus­lösch­li­ches Sakra­ment, son­dern eine Juris­dik­ti­ons­ge­walt ist, die ver­lo­ren­ge­hen oder auf­ge­ge­ben wer­den kann. Das Papst­tum ist kein geist­li­cher oder sakra­men­ta­ler Zustand, son­dern ein „Amt“, oder genau­er gesagt eine Insti­tu­ti­on. Wer auf das Mini­ste­ri­um, d. h. die Regie­rung, ver­zich­tet, ver­liert das Papst­tum. Und dies war Bene­dikt XVI. ganz  klar, der in sei­ner Decla­ra­tio vom 13. Febru­ar 2013 ein­deu­tig feststellte:

„[Decla­ro] con­cla­ve ad eli­gen­dum novum Summum Pon­ti­fi­cem (…) con­vo­can­dum esse“ („Ich erklä­re, daß ein Kon­kla­ve ein­be­ru­fen wer­den muß, um einen neu­en Papst zu wählen“). 

Bene­dikt XVI. hat­te nicht die Absicht, den päpst­li­chen Sta­tus für sich selbst zu behal­ten und die Regie­rung einem amtie­ren­den Papst anzu­ver­trau­en, son­dern eröff­ne­te for­mell die sede vacan­te (und nicht  sede impe­di­ta) und ord­ne­te die Wahl eines neu­en Pap­stes an. Die­ser Papst wur­de unter dem Namen Fran­zis­kus gewählt und ist von der Welt­kir­che als sol­cher aner­kannt wor­den. Es  mag gefal­len oder nicht, aber er ist der recht­mä­ßi­ge Papst. Wenn Bene­dikt XVI. sich wei­ter­hin als Papst aus­gibt, Weiß trägt und den Apo­sto­li­schen Segen erteilt, macht er einen Feh­ler und stif­tet Ver­wir­rung unter den Gläu­bi­gen, aber er bean­sprucht sicher nicht die päpst­li­che Legi­ti­mi­tät, auf die er am 13. Febru­ar 2013 ver­zich­tet hat. Kein gegen­tei­li­ges Wort oder gegen­tei­li­ge Geste von ihm war bis­her stär­ker als die fei­er­li­che Decla­ra­tio, mit der er sein Pon­ti­fi­kat been­de­te.  Die­je­ni­gen, die etwas ande­res behaup­ten, wer­den von per­sön­li­chen Gefüh­len oder Res­sen­ti­ments ver­schie­de­ner Art bewegt, wer­den aber nicht von theo­lo­gi­schen oder kir­chen­recht­li­chen Grün­den gestützt, den ein­zi­gen, die in Kri­sen­zei­ten wie den jet­zi­gen zählen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


[1] Die höch­ste und uni­ver­sa­le Gewalt des Pap­stes, die ihm durch die von Chri­stus ein­ge­setz­ten Pri­mats­rech­te des Petrus unter den Apo­steln zukommt.

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