(Moskau) Die russische Regierung begrüßt die diplomatischen Bemühungen des Heiligen Stuhls um den Frieden in der Ukraine. Im vierten Kriegsmonat erfolgte erstmals eine Erklärung dazu durch Alexej Paramonow vom russischen Außenministerium. Darauf reagierte der katholische Erzbischof von Moskau, der sich vorsichtig positiv dazu äußerte.
Paramonow, Leiter der Europa-Abteilung des russischen Außenamtes, sagte der staatlichen russischen Presseagentur Ria Novosti:
„Der Vatikan hat wiederholt seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, jede erdenkliche Unterstützung zu leisten, um die Feindseligkeiten zu beenden und Frieden in der Ukraine zu schaffen, und bestätigt diese Aussagen in der Praxis. Wir unterstützen einen aufrichtigen und vertrauensvollen Dialog über eine Reihe von Themen, vor allem über die humanitäre Lage in der Ukraine.“
Franziskus hatte gleich nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine den russischen Botschafter beim Heiligen Stuhl aufgesucht. Ein direktes Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin war bisher nicht möglich. Einen entsprechenden Wunsch ließ Franziskus Mitte März in Moskau deponieren. Eine Antwort steht bisher aber aus.
Die diplomatischen Anstrengungen wurden von Franziskus seit Mai verstärkt. Während er hochrangige persönliche Vertreter in die Ukraine entsendet, werden parallel diplomatische Fühler nach Moskau ausgestreckt. Ziel ist es, die beiden Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Ende März schien es kurzzeitig, daß bei den damals stattfindenden ukrainisch-russischen Gesprächen in Istanbul erste Schritte zu einer Lösung gefunden werden konnten. Als sich die US-Regierung von Joe Biden aber dagegen aussprach, zog sich die Regierung Selenskyj in Kiew zurück und verweigert sich seither weiteren Verhandlungen.
Der weitaus größte Teil der Toten, Verwundeten und Zerstörungen in der Ukraine sind seit dem Abbruch dieser Verhandlungen zu beklagen.
Am 2. Juni traf der Apostolische Nuntius, Erzbischof Giovanni d’Aniello, mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill zusammen, am 3. Juni wurde der Nuntius von Papst Franziskus empfangen. Bei dieser Gelegenheit erteilte Franziskus seine Anweisungen für weitere Initiativen an den Nuntius sowie an Erzbischof Pezzi, den Vorsitzenden der Russischen Bischofskonferenz.
Nicht Parteigänger, sondern Friedensvermittler
Papst Franziskus ergriff bisher nicht Partei im Konflikt. Er läßt keinen Zweifel, der betroffenen Bevölkerung in der Ukraine nahe zu sein, doch auf politischer Ebene verweigert er sich dem auf ihn ausgeübten Druck. Aus Moskau kommen im vierten Kriegsmonat erstmals öffentliche Signale, daß diese Haltung aufmerksam registriert wird.
Paramonow fügte gestern hinzu, daß „alle Initiativen des Heiligen Stuhls und von Papst Franziskus für den Frieden in Europa großen Respekt erwecken und unter bestimmten Umständen gefragt sein können“, aber gleichzeitig habe er das Gefühl, daß „wir es in der Ukraine mit Menschen zu tun haben, die keine Autorität kennen“:
„Mehr als einmal haben wir gesehen, mit welcher Leichtigkeit und welchem Zynismus die neuen ukrainischen Eliten in ihrem Streben nach Machterhalt und sofortigem Profit ihre Versprechen und Verpflichtungen brechen, gefährliche Provokationen durchführen und die Sicherheit der ukrainischen und russischen Bürger opfern.“
Die Stellungnahme Paramonows kann wegen der in der EU verhängten Zensur nicht verlinkt werden.
Die Reaktion des katholischen Erzbischofs von Moskau
Kurz nach der Erklärung des zuständigen Leiters der Europa-Abteilung im russischen Außenministerium erfolgte eine Stellungnahme von Msgr. Paolo Pezzi, dem römisch-katholischen Erzbischof von Moskau und Vorsitzenden der Russischen Bischofskonferenz. Erzbischof Pezzi nahm Paramonows Erklärung grundsätzlich positiv zur Kenntnis, vor allem die Bereitschaft, eine Reihe von Fragen zu besprechen, insbesondere humanitäre:
„Zunächst einmal halte ich sie für sehr wichtig. Ich würde sagen, das ist ein sehr positives Zeichen, ein Zeichen für Offenheit, ein Zeichen für eine gewisse Bereitschaft.“
Weiters sagte der Vorsitzende der Russischen Bischofskonferenz:
„Zweifellos denke ich, daß die demütige, klare und vertrauenswürdige Position von Papst Franziskus in den Händen Gottes diese – nennen wir es beim Namen – Öffnung der Herzen beeinflußt hat. Ich glaube, daß dies die konkrete Rolle der Kirche ist: sich nie zu verschließen, immer wieder neu anzufangen, an die Tür unserer Herzen zu klopfen, die oft zu früh verhärtet und daher verschlossen sind.“
Auf die Frage, wie der Heilige Stuhl konkret helfen kann, wenn die Prozesse anscheinend nicht verhandelbar sind, antwortete Erzbischof Pezzi gegenüber der italienischen Presseagentur SIR:
„Die Prozesse waren in Wirklichkeit nie abgeschlossen. Das Herz des Menschen kann nicht endgültig verschlossen werden. Es gibt immer diese seltsame Offenheit, die wir ersticken können, das ist wahr, aber sie bleibt immer bestehen. Ich glaube, daß Verhandlungen dort beginnen können, wo wir uns dieser Offenheit bewußt werden, daß nicht alles vorbei ist, daß nicht alles zerstört ist.“
Zu den Kampfhandlungen in der Ukraine sagte der Erzbischof, daß „diese Situation einen wachsenden Schmerz und eine wachsende Unsicherheit“ bedeute.
Aus diesem Grund sei „es wichtig, sich die Position zu eigen zu machen, an die uns der heilige Paulus am Sonntag erinnert hat, um sicher zu sein, daß nicht nur Momente des Friedens Anlässe für das Wachstum des Volkes Gottes sind, sondern auch Momente des Leidens und des Krieges verwandelt werden können, wenn wir an Gott glauben und wenn wir diese Hoffnung haben, die durch die Gabe des Geistes nicht enttäuscht wird. Dann können wir jede zerstörerische Handlung überwinden und sie in einen Wiederaufbau verwandeln.“
Franziskus selbst erklärte in einem heute von der italienischen Tageszeitung La Stampa veröffentlichten Interview, daß „der Dritte Weltkrieg erklärt wurde“, in dem es aber „nicht Gute und Schlechte“ gebe. Die Ukrainer seien „ein heroisches Volk“. Welche Seite in diesem „Dritten Weltkrieg“ welche Rolle einnimmt, dazu nahm Franziskus nicht Stellung, was sehr großen Spielraum für Spekulationen läßt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: SIR