
von Pater Paolo M. Siano*
2. Die unausgesprochene Unvereinbarkeit
Im ersten Teil habe ich gezeigt, daß der Dialog von 1968–1972 zwischen Klerikern wie Msgr. de Toth, Kardinal König, Kardinal Šeper (Präfekt der Glaubenskongregation) und Vertretern der deutschsprachigen Freimaurerei (Vereinigte Großlogen von Deutschland, Schweizerische Grossloge Alpina, Großloge von Österreich) nicht imstande oder nicht willens war, die Gründe für die grundlegende Unvereinbarkeit zwischen der katholischen Kirche und der „regulären“ Freimaurerei zu erkennen und aufzudecken. Dieses schwerwiegende Versäumnis begünstigte die Zugehörigkeit vieler Katholiken, darunter auch Priester, zur Freimaurerei in jener Zeit. Aber gerade die freimaurerische Literatur, die den freimaurerischen Meistern vorbehalten ist, zeigt die Unvereinbarkeit von Kirche und Freimaurerei. Ich stelle hier nur einen Teil der unveröffentlichten Ergebnisse meiner Untersuchungen vor.
2.1. Aus den Schriften von Theodor Vogel, Franz Carl Endres, August Horneffer
1949 wurde in Frankfurt am Main die Vereinigte Großloge von Deutschland gegründet, die 1958 ihren heutigen Namen Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (GLAFuAMvD) annahm. Im Jahr 1958 schlossen sich die GLAFuAMvD und die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland (GLLFvD) zu den Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD) zusammen, denen 1970 drei weitere deutsche Großlogen beitraten.
Theodor Vogel (1901–1977), „Patriarch“ der deutschen Freimaurerei nach dem Zweiten Weltkrieg, war seit 1926 Freimaurer, beteiligte sich 1949 an der Gründung der Vereinigten Großloge von Deutschland, die er bis 1958 leitete (dann wurde sie zur GLAFuAMvD), und war dann von 1958 bis 1959 Großmeister der VGLvD. Vogel gehörte dem Yorker Ritus an, dessen „Großpriester“ er 1956 ist. Im Jahr 1960 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Loge Zur Weißen Lilie in der Obödienz der VGLvD. 1947 wird Vogel in den Alten und Angenommenen Schottischen Ritus eingeweiht und 1949, als Großmeister, sofort zum 33. Grad zugelassen (vgl. Compendium Masonicum. Paulus Ehmke: Leben und Wirken für eine eigenständige Geisteshaltung der Freimaurer, Eigenverlag der Perfektionsloge „Paulus Ehmke“ i. O. Hannover, o. J. [1993], S. 18f).
Vogel lobte das Buch „Das Geheimnis des Freimaurers“ von Franz Carl Endres, selbst Freimaurer (vgl. Theodor Vogel: Begegnungen und Weggefährten, Bauhütten Verlag, Hamburg 1976, S. 36). Vogel zitiert darin einen Satz von Endres (1878–1954), wonach in jedem von uns Faust (prometheischer Mensch, Magier) und der Teufel Mephisto steckt:
„Ein jeder von uns ist ein Faust und ein jeder von uns hat den Mephisto in sich selbst“ (S. 36).
Ich habe eine Neuauflage des Buches von Endres: „Das Geheimnis des Freimaurers“ (Edition Geheimnis Wissen, Graz 2019), konsultiert, aus dem Esoterik und Pantheismus hervorgehen. Endres erklärt, daß die Freimaurerei ein Geheimnis hütet, das uns mit dem Kosmos verbindet, und daß aus dem Geheimnis oder Mysterium des Lebens Magie und Religionen hervorgehen (vgl. S. 14). Die Freimaurerei ist die Tochter der ältesten Esoterik, und schon in den alten eleusinischen Mysterien ist das große Geheimnis der Freimaurerei dargestellt, nämlich daß Leben und Tod keine Gegensätze sind, sondern Pole eines ununterbrochenen Kreislaufs (vgl. S. 15). Die Antike war dem Kosmischen und Göttlichen näher als wir (vgl. S. 16). Endres lehnt die kirchliche Jenseits-Lehre ab (vgl. S. 98); es gibt keinen Teufel und keine Hölle (vgl. S. 204). Das menschliche Denken ist Teil des Körpers, der zu Asche wird; wir sind Teil der Natur (vgl. S. 205). Gut und Böse sind nur unsere Konzepte (vgl. S. 206).
Theodor Vogel lobt auch den Freimaurer August Horneffer (vgl. Theodor Vogel, Begegnungen und Weggefährten, a. a. O., S. 88–91).
August Horneffer (1874–1955) erklärt in seinem Buch „Die Aufnahmehandlung“, das 1976 im Bauhütten Verlag, Hamburg, neu aufgelegt wurde, daß die freimaurerische Einweihung Tod-Wiedergeburt ist und die Freimaurerei mit den alten heidnischen Mysterien verbunden ist (vgl. S. 20–25). Bei der freimaurerischen Einweihung erfährt der Kandidat eine innere „Verwandlung“ (S. 36). Freimaurer erleben „die Anwesenheit einer höheren Macht“ (S. 40). Horneffer stellt fest, daß der Tapis (Arbeitsteppich der Loge) heilig ist, er stellt einen heiligen Ort dar, und die Freimaurer sind beeinflußt vom alten Glauben, daß ein Zeichen oder Bild ein mächtiges magisches Medium ist (vgl. S. 54f). Der Logenmeister repräsentiert die Gottheit, die die Welt lenkt (vgl. S. 58). Um die freimaurerische Symbolik der Triade Logenmeister – Sonne – Mond zu erklären, bezieht sich Horneffer auf die Lehren der Rosenkreuzer, der Alchemie und der jüdischen Kabbala (vgl. S. 59f). Horneffer weist ausdrücklich auf die Verbindung zwischen Freimaurerei und Magie hin (vgl. S. 64).
Wie konnte Großmeister Vogel die Versöhnung mit der Kirche und die Aufhebung von can. 2335 des Codex Iuris Canonici fordern, wenn er und seine deutsche Freimaurerei (GLAFuAMvD und VGLvD) die oben genannten Ideen hochhielten, die in freimaurerischen Kreisen noch immer geschätzt werden?
2.2. Der Lehrling und der Freimaurer-Meister = Luzifer und Luzifers Abstammung
Im Jahre 1960 wurde in Würzburg eine besondere Loge gegründet, die Loge „Zur Weißen Lilie“ Nr. 871 unter dem Gehorsam der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD). Sie ist eine Wanderloge, hat keinen festen Standort, trifft sich als Gast bei anderen Logen oder Orienten und setzt sich aus Freimaurern aus verschiedenen Logen und Großlogen zusammen.
Diese Loge besteht noch heute und ist im Gegensatz zu anderen Logen unmittelbares Mitglied der VGLvD, d. h. sie gehört keiner der fünf Großlogen der VGLvD an, sondern ist direkt den VGLvD angeschlossen, was ihr die „weltweite Anerkennung als reguläre Freimaurerloge“ einbringt.
Zumindest in den 1960er- und 1970er-Jahren gab diese Loge die Zeitschrift die weisse lilie heraus. Im Titel des Magazins wird „lilie“ mit einem kleinen „l“ anstelle eines Großbuchstabens geschrieben.
In dem Artikel „Weder beschuht noch unbeschuht. Versuch einer Deutung“, veröffentlicht in der weissen lilie, Heft Nr. 40, Juli 1968 (vgl. S. 1046–1059), stellt der Freimaurer Br. Roland Berthold (aus Berlin) fest, daß Hiram (das Vorbild jedes Freimaurermeisters) dem Geschlecht von Tubalkain angehört (vgl. S. 1049); „Tubalkain“ ist das Paßwort des 1. Freimaurergrades, und somit ist Tubalkain der Patron des Freimaurerlehrlings (vgl. S. 1051). Berthold lobt Kain und Luzifer in den höchsten Tönen: Kain-Tubalkain-Hiram gehören zum Geschlecht Luzifers und Luzifer ist der Lichtträger, der der Menschheit göttliches Wissen vermittelt (vgl. S. 1054). Bruder Berthold stellt zudem klar, daß die freimaurerische Initiation (Einweihung) den Tod des Kandidaten für das Geschlecht Adams bedeutet und somit seine Wiedergeburt für das Geschlecht Luzifers und Kains, das Geschlecht des Lichtträgers:
„Die freimaurerische Aufnahme ist auch ganz bewußt das Absterben des Sohnes Adams, der Zugehörigkeit zum Geschlecht des Todes, und die Wiedergeburt in das Geschlecht Luzifers und Kains, in das wahrhaft göttliche Geschlecht der Lichtträger“ (S. 1055).

Berthold identifiziert die Freimaurer und sich selbst mit Luzifer-Prometheus-Kain:
„Wir sind vom Olymp geworfen worden wie Hephaistos, aus dem Himmel gestürzt worden wie Luzifer, verbannt worden wie Kain, in den Mutterschoß der Dunklen Kammer, weil wir uns erhoben haben aus der Verbannung des Todes Zugehörigkeit, weil wir tätig wurden, gehandelt haben, Licht suchten. […] Die Metalle symbolisieren das Erdgebundene, Erdhafte, das wir im Mutterschoß der Dunklen Kammer zurücklassen, bevor wir dann den Weg Hephaistos‘, Luzifers, Tubalkains zurückgehen, vom Westen in den Osten, hinkend und wie ein Betrunkener unsicher mit verbundenen Augen. Erst im Osten der Loge verlieren wir das spezifisch Luziferische, sind wir wieder eins geworden mit dem Urbild des unmittelbaren Lichtes“ (S. 1056).
In der weissen lilie Nr. 47, Oktober 1969, stellt Roland Berthold in dem Artikel „Vom heiligen Raum“ (S. 1435–1444) erneut fest, daß die Loge ein heiliger Raum ist, in dem sich das Heilige, Transzendente manifestiert (vgl. S. 1435f); die Freimaurerei ist ein Lichtkult (vgl. S. 1438); in bestimmten rituellen Handlungen findet ein „mystischer Tod“ (S. 1440) statt.
Berthold erklärt, daß „der Meister vom Stuhl“ durch Logenrituale einen heiligen Raum schafft (vgl. 1442) und ein Lichtbringer ist (S. 1442) wie „Horus, Tubalkain, Luzifer“ (S. 1442).
Alte freimaurerische Katechismen besagen, daß sich die Loge bis zum Mittelpunkt der Erde erstreckt, dem Ort der Wiedergeburt, an dem – den freimaurerischen Legenden zufolge – Hiram auf Kain trifft (vgl. S. 1442–1444). Aus der Dunkelheit, aus den Eingeweiden der Erde, kommt das Licht (vgl. ebd.).
2.3. Aus den Ritualen der GLAFuAMvD (1971/1972)
In den Jahren 1971/1972 veröffentlichte der Bauhütten Verlag in Hamburg drei kleine Bände mit Kommentaren zu den 3 freimaurerischen Graden der GLAFuAMvD. Die Unvereinbarkeit von Kirche und Freimaurerei geht auch aus diesen drei kleinen Bänden hervor.
In der Ritualkunde I der GLAFuAM (Bauhütten Verlag, Hamburg 1971) heißt es über den 1. freimaurerischen Lehrlingsgrad, daß die Loge eine heilige Umgebung ist („in den sakralen Bereich“, S. 25). Die freimaurerische Einweihung ist unauslöschlich und verwandelt den Eingeweihten, der damit für immer an die Freimaurerei gebunden ist (vgl. S. 45). Im 1. Grad des Lehrlings, in der Reflexionskammer, die den Schoß der Erde darstellt, findet Tod-Wiedergeburt des Kandidaten statt (vgl. S. 47f). Deshalb steigt der Kandidat symbolisch in die Eingeweide der Erde hinab (vgl. S. 52). Der Freimaurerlehrling wird mit „Tubalkain“, dem Nachkommen der Kainiten, identifiziert, dem Schlüsselwort des ersten Grades der Freimaurerei (vgl. S. 79f). In bezug auf die beiden Säulen des Portikus der Freimaurerloge lernt der Eingeweihte, daß Licht und Dunkelheit, Leben und Tod nur dem Anschein nach unversöhnliche Gegensätze sind, in Wahrheit/Wirklichkeit aber Teile eines großen Ganzen (vgl. S. 87).
In der Ritualkunde II der GLAFuAM (Bauhütten Verlag, Hamburg 1971) erscheint um den 2. Grad herum der Flammende Stern, ein magisches, pythagoreisches, kabbalistisches Symbol (Symbol des „Adam Kadmon“; vgl. S. 60f).
In der Ritualkunde III der GLAFuAM (Bauhütten Verlag, Hamburg 1972) erfahren wir, daß die Einweihung in den 3. Grad des Freimaurermeisters die Pforten des Todes durchschreiten und das universelle Bewußtsein der Macht des Ewigen, der unveränderlichen Gesetzmäßigkeit des Makrokosmos, erlangen läßt. Das Handbuch der Freimaurer lehrt, daß der Geist des Menschen ein Teil des unendlichen Geistes ist (vgl. S. 40f), d. h. des göttlichen Geistes (vgl. S. 66).
2.4. Aus dem Handbuch des Schweizer Freimaurers Gottlieb Imhof (SGLA 1970)
1970 veröffentlichte die Schweizerische Grossloge Alpina (SGLA) die dritte Auflage (herausgegeben von Freimaurer Br. Hans-Peter Löw) des Buches von Br. Gottlieb Imhof: Kleine Werklehre der Freimaurerei. I. Das Buch des Lehrlings.
Das Gesamtwerk des Schweizer Freimaurers Imhof (eine Trilogie über die drei freimaurerischen Grade) wurde mindestens seit den 1960er Jahren in der Zeitschrift der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD), Die Bruderschaft, veröffentlicht (Nr. 1/1960, S. 28f; Nr. 3/1960, S. 97f; Nr. 5/1961, S. 187f). Gottlieb Imhof, Meister der SGLA, starb am 28. Februar 1960 (vgl. Die Bruderschaft, Nr. 4/1960, S. 132).
In der 1970 erschienenen Ausgabe des ersten Bandes über den Lehrlingsgrad finden sich zwei Vorworte von Br. Imhof: Das erste ist von 1955, das zweite von 1959.
Bereits im ersten Band finden wir sehr deutliche Elemente der Unvereinbarkeit zwischen Kirche und Freimaurerei. Ich werde mich auf einige wenige beschränken.
Imhof erklärt, daß die alten Mysterien und die Freimaurerei in der Lehre vom Wechselspiel der Gegensätze, der Ambivalenz allen Seins, im Sein ist Dualismus übereinstimmen, d. h. Gut und Böse, Ordnung und Chaos, Licht und Dunkelheit, Himmel und Hölle:
„Im wesentlichen haben wir es immer mit der Wechselwirkung gegensätzlicher Prinzipien zu tun, wie Gut und Böse, Kosmos und Chaos, Licht und Finsternis, Himmel und Hölle, die unter verschiedensten Aspekten auftreten. Aber ihr Urgrund, die Ambivalenz allen Seins, der Dualismus, der die Innen- wie die Außenwelt spaltet, ist stets derselbe“ (Br.·. Gottlieb Imhof: Kleine Werklehre der Freimaurerei. I. Das Buch des Lehrlings, Verlag der Schweiz. Grossloge Alpina, Bern 1970, S. 19).
Im Abschnitt „Vom Zauber der Zahlen“ (S. 133–138) erläutert Imhof die Magie der Zahlen in der Freimaurerei. Die Zahl 1 steht für die Einheit, das All-Eine, dargestellt durch den Ouroboros, d. h. die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, das Symbol für die höchste Einheit, den Urgrund alles Seins“ (S. 134). Imhof fügt hinzu, daß die Einheit auch Gut und Böse, Gott und Luzifer umfaßt:
„Die Verfolgung dieses Gedankens mußte zur Gottesidee führen, zur Erkenntnis, daß hinter aller Vielheit eine letzte Einheit existiert, eine Einheit, die auch gut und böse, Gott und Luzifer in das unaussprechliche Eine zusammenfaßt“ (S. 134).
Imhof erklärt, daß die Zahl 2, die durch die beiden freimaurerischen Säulen dargestellt wird, für die Dualität oder Polarität steht: „Es sind die beiden Spannungszentren Gott–Welt, Gott–Mensch, Gott–Teufel, Himmel–Erde, Himmel–Hölle, Gutes–Böses, Licht–Finsternis, These–Antithese, Seligkeit–Verdammnis, Frömmigkeit–Sünde usw.“ (S. 135).
Und die Dualität wird „in der Synthese“ aufgelöst (S. 135), also in der Zahl 3, dem Symbol der Göttlichkeit (vgl. S. 135f).
Im zweiten Band über den 2. Grad des Gesellen erklärt Imhof, daß der fünfzackige Flammenstern, der in der Loge des 2. Grades erscheint, die Polarität im Höchsten darstellt:
„Himmel und Hölle, Gott und Luzifer, werden von einer einzigen universellen Kraft umspannt. Es sind die beiden Pole allen Seins, die sich hier offenbaren“ (Br. Gottlieb Imhof: Kleine Werklehre der Freimaurerei. II. Das Buch des Gesellen, Kommissionsverlag Aschmann & Scheller, Zürich 1966, S. 38).
Diese freimaurerische Gnosis oder Mysteriums-Philosophie lehrt also, daß Luzifer in Gott ist, ein Teil von Gott ist… Alle Gegensätze müssen versöhnt werden, weil sie in sich selbst bereits Teil eines Ganzen, einer Einheit sind… Ich denke, das ist die esoterische und gnostische Grundlage des freimaurerischen Strebens nach Versöhnung zwischen Kirche und Freimaurerei.
3. Schlußfolgerung
Angesichts der ausschließlich freimaurerischen Dokumentation, die ich hier berichtet habe, ist der Dialog zwischen Kirche und Freimaurerei in den Jahren 1968–1972, der von Anfang an offensichtlich freimaurerfreundlich geprägt war, sehr verwunderlich und wirft ernste Fragen auf.
Kleriker wie Msgr. de Toth, Kardinal König und Kardinal Franjo Šeper haben sich nicht von der traditionellen Zurückhaltung der Kirche von Rom gegenüber der Freimaurerei leiten lassen. Wie von einem fortschrittlichen Optimismus geblendet, unternahmen sie von Anfang an eine plüschige, entschieden pro-freimaurerische Aktion, ohne zu zögern und mit einer fast freimaurerischen Verschwiegenheit.
Seit 1968/1970 ist man sich im Vatikan und in der Freimaurerei bereits sicher, daß im neuen Codex des Kirchenrechts (1983) der can. 2335, der verpflichtend für Katholiken, die in die Freimaurerei eingeweiht wurden, die Exkommunikation latae sententiae vorsah, nicht mehr vorkommen würde.
Haben die Kleriker, die den Dialog mit der Freimaurerei in den Jahren 1968–1972 förderten, „interne“ freimaurerische Dokumente gesucht, erhalten und geprüft? Oder vertrauten sie einfach den Zusicherungen ihrer freimaurerischen Gesprächspartner (Vogel usw.)?
Gehörte einer dieser Kleriker (z. B. de Toth) der Freimaurerei an?
Kurz gesagt, ich erkenne in diesem Dialog von 1968–1972 schwerwiegende Versäumnisse auf kirchlicher Seite, die Schatten auf die kirchliche Urteilskraft einiger ehemaliger Konzilsväter oder Periti werfen, die auf der einen Seite so versöhnlich mit der Freimaurerei (und mit fortschrittlichen Theologen) waren, aber auf der anderen Seite verächtlich oder unnachgiebig gegenüber „konservativen“ Klerikern, Ordensleuten und Laien.
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Wikicommons/MiL
Es ist nichts neues, dass die Freimaurer auf die Maurer zurückgehen, die im Mittelalter der katholischen Kirche die großen Kathedralen gebaut haben. Nun gibt es zwei Widersprüche. Einmal den zwischen den Freimaurern und der Kirche. Und dann zwischen den Freimaurern des Mittelalters und den heutigen Freimaurern. Die Logengeschichten weisen schon im 17. Jahrhundert Lücken auf. Schon zu dieser Zeit muss sich etwas verändert haben.
Das Wesen der Maurer ist das Bauen. Man schaue sich deshalb Gebäude der Gegenwart und des Mittelalters an. Die alten Bauten unterstützen das Streben des Menschen zu Gott wie es die Kirche in der Eucharistie darstellt. Insofern ist die Liturgie auf der gleichen Ebene zu sehen wie die freimaurerischen Rituale. Nur eben einmal am Bauwerk orientiert (Loge) und in der Kirche an der Kommunion mit Gott orientiert.
Der Blick auf Architektur der Gegenwart gibt einen völlig anderen Eindruck. Es steht nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt mit seinem Streben zu Gott. Was im Mittelpunkt steht, ist das Streben des Menschen aus seiner Unzulänglichkeit herauszukommen ohne auf Gott zu bauen. Praktisch gibt es Einkaufstempel, in denen jeder die Orientierung verliert. Gebäude, die einen beim Betreten gefühlskalt freiwerden lassen. Wohl fühlen sich darin diejenigen, die am weitesten von Gott entfernt sind.
Wenn die neuere Architektur alte Formen benutzt, werden diese entweder entstellt oder durch falsche Attribute gestört. Ein falsches Attribut ist zu erkennen an alten restaurierten Gebäuden, die eine zusätzliche Dachetage aufgesetzt bekommen. Dadurch verliert das Gebäude seine alte Atmosphäre. Der Reichstag in Berlin mit der Glaskuppel wäre ein Beispiel. Entstellte Formen sind daran zu erkennen, dass sie nicht eine Abbildung natürlicher Formen sind. Verdreht, in die Länge gezogen, gestaucht, scharf auslaufend, unstimmige Proportionen usw. Beispiel wäre das Londoner ArcelorMittal Orbit mit dem Olympiastadion.
Es drängt sich der Vergleich zu Naturrecht (von Gott) und positivem Recht (vom Menschen) auf. Falsche Form und falsche Attribute sind dann der Natur widersprüchlich, somit gegen Gott.
In der Schöpfungsgeschichte erschafft Gott und dann heißt es jeweils „Gott sah, dass es gut war“. Die Thora belehrt uns über die Makellosigkeit der Schöpfung. Die Formen der Schöpfung sind makellos, perfekt. Alles hat seinen rechten Platz.
Erstaunlich ist die Rolle, welche der kroatische Kardinal Seper in diesem hier beschriebenen Dialog zwischen Kirche und Freimaurerei gespielt hat. Diesen ernannte 1965 Papst Paul VI. zum Kardinalpriester. Drei Jahre später ernannte er 1968 Franjo Šeper als Nachfolger von Kardinal Ottaviani zum Präfekten der Glaubenskongregation. Er blieb es bis 1981. Vor dem Hinterrund seiner Kontakte mit den Freimaurern ist zu beachten, dass in seine Amtszeit auch 1979 der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis (Missio canonica) des der freimaurischen Lehre eher nahestehenden Theologen Hans Küng fiel.1981 berief Johannes Paul II zum Nachfolger von Seper zum Präfekten der Glaubenskonkregation.