Alchemie/​Hermetik, Engel und die Freimaurerei

Die Gnosis des Logenbruders Wilmshurst


Walter Lesley Wilmshurst, führender Denker der regulären Freimaurerei, dessen Schriften die Unvereinbarkeit von katholischer Kirche und Freimaurerloge belegen.
Walter Lesley Wilmshurst, führender Denker der regulären Freimaurerei, dessen Schriften die Unvereinbarkeit von katholischer Kirche und Freimaurerloge belegen.

von Pater Pao­lo M. Siano*

Anzei­ge

In der ver­gan­ge­nen Fol­ge habe ich mich mit der „Eso­te­ri­schen Schu­le“ in der eng­li­schen regu­lä­ren Frei­mau­re­rei (Ver­ei­nig­te Groß­lo­ge von Eng­land – UGLE) befaßt, d. h. mit dem Lehr­gang („Schu­le“), der von regu­lä­ren Frei­mau­rer­mei­stern durch­ge­führt wird, die die frei­mau­re­ri­schen Riten und Sym­bo­le im Lich­te der Gno­sis und Eso­te­rik (Alche­mie, Her­me­tik, Kab­ba­la …) inter­pre­tie­ren. Ich wie­der­ho­le, daß die oben erwähn­te „mysti­sche“ (d. h. eso­te­ri­sche, gno­sti­sche) Inter­pre­ta­ti­on der „Eso­te­ri­schen Schu­le“ weder her­bei­ge­re­det noch mar­gi­nal ist, son­dern getreu und genau der ritu­el­len und sym­bo­li­schen Struk­tur der regu­lä­ren Frei­mau­re­rei eng­li­schen Ursprungs entspricht.

Letz­tes Mal habe ich im Anschluß an die Stu­die des bri­ti­schen Frei­mau­rers Antho­ny R. Bak­er (ver­öf­fent­licht in AQC 119, 2006, S. 40–105) die Gestalt und das Den­ken des bedeu­tend­sten Ver­tre­ters der „Eso­te­ri­schen Schu­le“, Wal­ter Les­lie Wilmshurst (1867–1939), vor­ge­stellt. Wilmshurst (WLW) wur­de 1889 als Frei­mau­rer­lehr­ling in die Ver­ei­nig­te Groß­lo­ge von Eng­land auf­ge­nom­men, 1890 zum Frei­mau­rer­mei­ster „erhöht“ („rai­sed“) 1891 in den „Roy­al Arch“ der Groß­lo­ge „erho­ben“ („exal­ted“); Mit­glied des Her­me­tic Order of the Gol­den Dawn (ein Orden der kab­ba­li­sti­schen und her­me­ti­schen Magie); Grün­der der Loge Living Stones No. 4957 in Leeds, deren Stuhl­mei­ster er 1927–1930 und 1937/​1938 war; 1923/​1924 war er Mit­glied der Maso­nic Stu­dy Socie­ty, deren Vor­sit­zen­der er 1937 wur­de; er war auch Mit­glied des Dor­mer Maso­nic Stu­dy Cir­cle.

Ich wer­de nun eini­ge sei­ner Schrif­ten, die ich per­sön­lich recher­chiert und kon­sul­tiert habe, zusam­men­fas­send darstellen.

1. Alchemie, Hermetik

Im Jahr 1850 ver­öf­fent­lich­te der Lon­do­ner Ver­le­ger Tre­law­ney Sau­n­ders ein anony­mes Buch mit dem Titel „A Sug­ge­sti­ve Enquiry into the Her­me­tic Mystery and Alche­my…“. Die Autorin ist Mary Anne South (1817–1910), eine jun­ge Eng­län­de­rin, die die Stu­di­en ihres Vaters Tho­mas South über Alche­mie, Her­me­tik und jüdi­sche Kab­ba­la auf des­sen Wunsch hin ver­öf­fent­lich­te. Hier sind eini­ge Kon­zep­te aus Miss Souths Buch:

  • Der wah­re Gegen­stand der Alche­mie ist der Mensch, die Erkennt­nis des Selbst und der Natur (…). Alche­mie ist Theur­gie, inne­re Rege­ne­ra­ti­on, Iden­ti­fi­ka­ti­on des Selbst mit dem Licht, Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Göt­tern und dem Gött­li­chen (vgl. S. 153f, 171). Die Alche­mi­sten haben ihre eige­ne Frei­mau­re­rei gegrün­det (vgl. S. 256). Der Zweck und die Voll­kom­men­heit der Magie ist die Ver­ei­ni­gung oder Ver­mäh­lung der Ele­men­te (vgl. S. 288). Der alte Dra­che der Alchemie/​Hermetik, d. h. der phi­lo­so­phi­sche Mer­kur, ver­eint alle Gegen­sät­ze: Er ist jung und alt, männ­lich und weib­lich, Leben und Tod, Licht und Dun­kel­heit (vgl. S. 379f). Die Frei­mau­rer müs­sen ein gei­sti­ges Gebäu­de des Lichts bau­en (vgl. S. 460). Die Erlö­sung ist die alche­mi­sti­sche Trans­mu­ta­ti­on des Adep­ten in sei­ne ursprüng­li­che Form (vgl. S. 464). Das Ziel der Alche­mie ist die Ver­ei­ni­gung mit Gott, die Teil­ha­be an den gött­li­chen Kräf­ten (vgl. S. 493f). Zum bibli­schen Bericht über die Erb­sün­de: Die Schlan­ge [der Teu­fel] und der Same der Frau [Chri­stus] sind zwei not­wen­di­ge Prin­zi­pi­en, zwei Natu­ren, die zur Har­mo­nie, zur Ein­heit wer­den müs­sen (vgl. S. 501). Der Neu­pla­to­nis­mus, die Her­me­tik, die jüdi­sche Kab­ba­la und ande­re Tra­di­tio­nen stim­men in der­sel­ben gött­li­chen Tra­di­ti­on über­ein („in the same divi­ne tra­di­ti­on“, S. 527).

1859 hei­ra­te­te Mary Anne den Pfar­rer Alban Tho­mas Atwood und wur­de so zu Mrs. Atwood. Einer­seits unter­stütz­te Mary Anne ihren angli­ka­ni­schen Ehe­mann im Pfarr­le­ben, auch mit kari­ta­ti­ven Wer­ken, ande­rer­seits setz­te sie die eso­te­ri­schen Stu­di­en ihres Vaters fort und zähl­te Lou­is-Clau­de de Saint-Mar­tin (1743–1803) zu ihren Lieb­lings­au­toren, einen fran­zö­si­schen Frei­mau­rer der Elus Coëns (Aus­er­wähl­ten Cohens) und spä­ter des Rec­ti­fi­ed Scot­tish Rite (Rek­ti­fi­zier­ten Schot­ti­schen Ritus) und „Vater“ des Mar­ti­nis­mus (einer chri­sto­so­phi­schen magi­schen Bewegung).

Ori­gi­nal­aus­ga­be noch ohne Nen­nung der Autorin

1918, etwa zehn Jah­re nach dem Tod von Frau Atwood, ver­öf­fent­lich­ten zwei Ver­le­ger, Wil­liam Tait aus Bel­fast und J. M. Wat­kins aus Lon­don, eine neue Aus­ga­be von „A Sug­ge­sti­ve Enquiry into the Her­me­tic Mystery…“ mit drei inter­es­san­ten Neue­run­gen: Erst­mals wird der Name der Autorin genannt, es sind neue Schrif­ten von ihr ent­hal­ten und außer­dem eine umfang­rei­che Ein­lei­tung („Intro­duc­tion“: S. 1–64), datiert auf Febru­ar 1918, von Wal­ter Les­lie Wilmshurst (WLW)!

Im Jahr 1918 war WLW seit etwa 29 Jah­ren Frei­mau­rer und seit etwa 28 Jah­ren Frei­mau­rer­mei­ster. WLW ist ein Ver­fech­ter, ein „Gläu­bi­ger“, der Alche­mie und der Her­me­tik. In die­ser Ein­füh­rung erklärt WLW, daß die Her­me­tik oder ihr Syn­onym, die Alche­mie, die Wis­sen­schaft der Rege­ne­ra­ti­on der mensch­li­chen See­le sei, eine Wis­sen­schaft, die den Men­schen in den Zustand der ursprüng­li­chen Voll­kom­men­heit vor sei­nem Fall in die Welt der Mate­rie und der Sin­ne zurück­ver­set­zen kön­ne. Die Alche­mie hebe das per­sön­li­che Bewußt­sein des Adep­ten auf den Punkt der Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Uni­ver­sel­len Geist. Die Alche­mie erwecke das gött­li­che Prin­zip im Men­schen (vgl. S. 26f). Die­se Wis­sen­schaft der Rege­ne­ra­ti­on sei von den Myste­ri­en­schu­len des heid­ni­schen Alter­tums und dann auch im Chri­sten­tum der ersten bei­den Jahr­hun­der­te gehü­tet wor­den, um dann von der kirch­li­chen Hier­ar­chie und der dog­ma­ti­schen Theo­lo­gie ver­bo­ten zu wer­den (vgl. S. 29). Die her­me­ti­sche Wis­sen­schaft ermög­li­che dem Adep­ten den Kon­takt mit der Kraft des Uni­ver­sums, d. h. dem Urlicht des bibli­schen „Fiat Lux“, der Ersten Mate­rie der Alche­mi­sten, dem En Sof der Kab­ba­li­sten (vgl. S. 32f). Das Chri­sten­tum sei Her­me­tik, aber dif­fu­se und ver­dünn­te Her­me­tik (vgl. S. 53f)… Die Alche­mie ver­wand­le den Men­schen vom Fleisch­li­chen ins Gött­li­che (vgl. S. 60).

2. Die Eingeweihten: „Engel“ des Wissens und des Lichts (Luzifer?)

Im Juni 1918 schreibt WLW den Arti­kel „ ‚Sons of God‘ and ‚Sons of Men‘ “, der in der August­aus­ga­be 1918 der Lon­do­ner Zeit­schrift The See­ker (S. 81–102) ver­öf­fent­licht wird, deren Mit­her­aus­ge­ber WLW ist. WLW spricht von den „Got­tes­söh­nen“ und den „Men­schen­söh­nen“. Die erste­ren sind eine unsterb­li­che Ras­se, die letz­te­ren sind intel­li­gen­te Tie­re. Die „Got­tes­söh­ne“ för­dern die „inne­re Reli­gi­on oder die Leh­re der Gno­sis“, des­halb wer­den sie von den „Men­schen­söh­nen“ ver­folgt… Die Got­tes­söh­ne kön­nen die Welt rege­ne­rie­ren, sie sind die von Gott aus­er­wähl­ten Grund­stei­ne, sie sind die Engel oder Erz­engel, die sich opfern, indem sie sich auf der Erde inkar­nie­ren, um den „Men­schen­söh­nen“ zu hel­fen, sich zu erhe­ben, um so in das „Was­ser­mann­zeit­al­ter“ („the Aqua­ri­an Age“) ein­zu­tre­ten. Die „Kin­der Got­tes“ oder Engel sind die För­de­rer der Was­ser­mann-Reli­gi­on („the apost­les of the Aqua­ri­an Reli­gi­on of know­ledge“)

Im Text und Den­ken von Wilmshurst ist logi­scher­wei­se das gno­sti­sche Kon­zept der Engel impli­ziert, die Trä­ger des Wis­sens sind, also des Lichts (Luzi­fer…), die in die Mate­rie hin­ab­stei­gen („sich selbst inkar­nie­ren“), um dann wie­der­auf­zu­stei­gen, indem sie die in Ein­ge­weih­te ver­wan­del­ten Men­schen­söh­ne mit sich neh­men. Der Frei­mau­rer und Gno­sti­ker Wal­ter Les­lie Wilmshurst weist die­se Kon­zep­te in sei­nen Schrif­ten über die Frei­mau­re­rei nicht zurück, im Gegen­teil: Die Gno­sis ist der Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis der eso­te­ri­schen und mysti­schen Dimen­si­on der Freimaurerei.

3. Die Bedeutung der Freimaurerei: der „mystische Tod“, die Engel…

Im Janu­ar 1939 ver­öf­fent­lich­ten die Ver­la­ge Rider & Co. und Per­cy Lund, Hum­phries & Co. in Lon­don die 8. Auf­la­ge von Wal­ter Les­lie Wilmshursts Buch „The Mea­ning of Mason­ry“ (1. Auf­la­ge: 1922), der im Juli 1939 stirbt. Sein Buch wur­de von der eng­li­schen okkul­ten Zeit­schrift The Occult Review und der ame­ri­ka­ni­schen Frei­mau­rer­zeit­schrift The New Age Maga­zi­ne des Ober­sten Rates des 33. Gra­des des Schot­ti­schen Ritus in Washing­ton D.C., USA, gelobt.

Ich fas­se eini­ge wich­ti­ge Kon­zep­te aus dem Buch von Wal­ter Les­lie Wilmshurst (WLW) zusammen.

Die frei­mau­re­ri­sche Ein­wei­hung bedeu­tet, sich von der äuße­ren Welt zur wah­ren Wirk­lich­keit zu bekeh­ren, die wah­ren Geheim­nis­se in den Tie­fen unse­res Wesens, im Zen­trum unse­rer See­le, zu ent­decken. Mit der Ein­wei­hung gibt man die vor­ge­faß­ten Mei­nun­gen und Vor­ur­tei­le der pro­fa­nen Welt auf, man lernt sich selbst ken­nen (vgl. S. 11f). Die Frei­mau­re­rei stammt von den alten Myste­ri­en ab (vgl. S. 17), so wie das Chri­sten­tum, die hebräi­sche Kab­ba­la, die Alche­mie und die Rosen­kreu­zer von den alten Myste­ri­en abstam­men (vgl. S. 23f).

Die frei­mau­re­ri­sche Ein­wei­hung in den ersten Grad des Ange­nom­me­nen Lehr­lings („Ente­red App­ren­ti­ce“) stellt eine Neu­ge­burt dar, den Über­gang von der Dun­kel­heit zum Licht, und ent­spricht der Rei­ni­gung, der Tau­fe … (vgl. S. 29, 35). WLW glaubt an die Prä­exi­stenz der See­len; die Schür­ze des Lehr­lings stellt den neu­en Kör­per dar, den die See­le aus einer frü­he­ren Exi­stenz annimmt (vgl. S. 30f).

Der zwei­te Grad des Gesel­len steht für die Erleuch­tung und die Ent­deckung des Gött­li­chen im Inne­ren, dar­ge­stellt durch das Hexa­gramm und den Buch­sta­ben G im Tem­pel; Gott ist imma­nent, er ist in uns (vgl. S. 37–39).

Der drit­te Grad der Frei­mau­rer, der Mei­ster, mit der Legen­de von Hiram ist der Grad des Todes, nicht des phy­si­schen Todes, son­dern des mysti­schen Todes („mysti­cal death“) oder des sym­bo­li­schen Todes („figu­ra­ti­ve death“: sagt das Ritu­al des drit­ten Gra­des der Mei­ster), d. h. des Todes des Selbst und der Wie­der­ge­burt und Ver­ei­ni­gung mit dem Gött­li­chen (vgl. S. 41–45). Das Ritu­al spricht von dem Zen­trum, von dem sich ein Frei­mau­rer­mei­ster nicht ent­fer­nen kann: Es ist das Gött­li­che, das im Zen­trum von uns selbst steht (vgl. S. 49). Der mysti­sche Tod ermög­licht es dem Frei­mau­rer, wie­der mit sei­ner inne­ren Gött­lich­keit in Berüh­rung zu kom­men, an der All­wis­sen­heit teil­zu­ha­ben und mit dem Gött­li­chen zusam­men­zu­ar­bei­ten (vgl. S. 126, 129–132).

Jeder Stuhl­mei­ster der Loge reprä­sen­tiert den Grand Initia­tor (den gro­ßen Ein­wei­hen­den, vgl. S. 52f).

Die Frei­mau­re­rei lehrt durch ihre Riten (Ein­wei­hung, Über­tritt, Erhe­bung…), Sym­bo­le und Alle­go­rien (Tem­pel Salo­mons, Legen­de von Hiram…) den Sün­den­fall und sei­ne Wie­der­her­stel­lung. Die Frei­mau­re­rei arbei­tet an der Wie­der­her­stel­lung des Men­schen und sei­ner laten­ten gei­sti­gen Kräf­te, die mit dem Sün­den­fall ver­lo­ren­gin­gen (vgl. S. 60–72). Hiram im Grab­mal ist die Weis­heit, das Gött­li­che, tief im Innern jedes Ein­ge­weih­ten. Indem die Frei­mau­re­rei Hiram, den Mei­ster, erhebt, hilft sie dem Ein­ge­weih­ten, das Gött­li­che in sich selbst zu ent­decken (vgl. S. 73–75).

Die bei­den Säu­len der Vor­hal­le des Tem­pels bzw. der Loge stel­len die Ver­ei­ni­gung der Gegen­sät­ze dar: Gut und Böse, Licht und Dun­kel­heit, Posi­tiv und Nega­tiv, Aktiv und Pas­siv, Mann und Frau, Tag und Nacht… Bei­de Gegen­sät­ze sind not­wen­dig für ein per­fek­tes Gleich­ge­wicht, eine per­fek­te Ver­ei­ni­gung und Har­mo­nie (vgl. S. 80).

WLW setzt den Groß­mei­ster der Ver­ei­nig­ten Groß­lo­ge von Eng­land mit dem Gro­ßen Bau­mei­ster des Uni­ver­sums (G.A.O.T.U.) und sei­ne Groß­lo­gen­be­am­ten mit den Engeln, die dem G.A.O.T.U. die­nen, gleich (vgl. S. 83) [Groß­mei­ster der regu­lä­ren Welt­frei­mau­re­rei ist stets ein Mit­glied des eng­li­schen Königs­hau­ses, damals Prinz Arthur Her­zog von Con­n­aught and Stra­thearn, ein Sohn von Köni­gin Vic­to­ria und Bru­der des damals regie­ren­den Königs Georg VII., Anm. GN]. Die See­len stei­gen auf die Erde her­ab, ver­rich­ten Logen­ar­beit und stei­gen dann nach dem Tod zur Ober­lo­ge auf (vgl. S. 83).

Die sie­ben Logen­be­am­ten reprä­sen­tie­ren die sie­ben Fähig­kei­ten des mensch­li­chen Bewußt­seins… Der Ehr­wür­di­ge Mei­ster, der erste der sie­ben, reprä­sen­tiert den Geist, das gött­li­che Prin­zip im Men­schen (vgl. S. 105f).

The Holy Roy­al Arch of Jeru­sa­lem („Der Hei­li­ge König­li­che Bogen von Jeru­sa­lem“) ist die Voll­endung des drit­ten Gra­des der Frei­mau­rer der Groß­lo­ge von Eng­land und stel­le den Auf­stieg dar, die Ver­schmel­zung des Ein­ge­weih­ten mit dem gött­li­chen Bewußt­sein, das Wis­sen, wie Gott weiß (vgl. S. 140f), die Ver­schmel­zung und Iden­ti­tät mit dem himm­li­schen Licht (vgl. S. 154).

Wilmshurst erklärt, daß die könig­li­che Kunst, d. h. die Frei­mau­re­rei, die rege­ne­ra­ti­ve Wis­sen­schaft („hea­ven­ly sci­ence“, „that rege­ne­ra­ti­ve method“) sei, die die gefal­le­ne Mensch­heit von den Engeln oder gei­sti­gen Wäch­tern („ange­lic guar­di­ans“) gelehrt wer­de (vgl. S. 174f).

Wilmshurst erklärt auch, daß die Frei­mau­rer durch ihre Far­ben (blau, die Far­be der „Craft Free­ma­son­ry“; rot, die Far­be des „Roy­al Arch“) und ihre ritu­el­len Gewän­der die Engel der himm­li­schen Hier­ar­chie reprä­sen­tie­ren (vgl. S. 203).

Er prä­sen­tiert zudem die Frei­mau­re­rei, die die Leh­re und die Metho­de der alten Myste­ri­en fort­füh­re, als die Insti­tu­ti­on, die im Ver­gleich zur Kir­che viel treu­er zu Chri­stus und dem Evan­ge­li­um sei (vgl. S. 207–212).

Frei­mau­rer­sym­bol an einem Gebäu­de in Lis­sa­bon, das auch bei der poli­ti­schen Lin­ken Ver­wen­dung fand

4. Die freimaurerische Einweihung

Das Buch „The Maso­nic Initia­ti­on“ (Erst­aus­ga­be, Lon­don 1924) von WLW, ist eine Fort­set­zung von „The Mea­ning of Mason­ry“. Ich zitie­re die Aus­ga­be von 1957, von der ich nur eini­ge Begrif­fe anführe.

Laut Wilmshurst ist die wah­re Ein­wei­hung die Erwei­te­rung des Bewußt­seins von der mensch­li­chen zur gött­li­chen Ebe­ne (vgl. S. 19). WLW setzt die drei Gra­de (Lehr­ling, Gesel­le, Mei­ster) der Craft Free­ma­son­ry mit den drei Stu­fen des spi­ri­tu­el­len Lebens gleich: Rei­ni­gung, Erleuch­tung, Ver­ei­ni­gung. Der 1. Grad der Frei­mau­re­rei impli­zie­re die Rei­ni­gung von der eige­nen Pro­fa­ni­tät; der 2. Grad impli­zie­re die Kon­trol­le der eige­nen inne­ren Welt (Geist, Gedan­ken, intel­lek­tu­el­le und psy­chi­sche Fähig­kei­ten); der 3. Grad impli­zie­re die Auf­ga­be des eige­nen Wil­lens und der eige­nen Per­sön­lich­keit, das Ein­tau­chen oder Ver­schmel­zen mit dem gött­li­chen uni­ver­sel­len Wil­len („mer­ged in the divi­ne Uni­ver­sal Will“, „figu­ra­ti­ve death“ (vgl. S. 19f).

WLW macht deut­lich, daß der Mensch, d. h. der Ein­ge­weih­te, in den engel­haf­ten und dann in den gött­li­chen Zustand auf­stei­gen kön­ne (vgl. S. 25f). Die Ein­wei­hung, über die die Frei­mau­re­rei wacht und die bereits in den alten Myste­ri­en prak­ti­ziert wor­den sei, kön­ne die­se Ent­wick­lung des Men­schen beschleu­ni­gen (vgl. S. 27–29).

Die frei­mau­re­ri­sche Ein­wei­hung zie­le auf die bewuß­te Ver­ei­ni­gung des Indi­vi­du­ums mit dem uni­ver­sel­len gött­li­chen Geist; die­se Ver­ei­ni­gung wer­de durch die Ver­bin­dung des Qua­drats mit dem Zir­kel sym­bo­li­siert (vgl. S. 54).

WLW ver­bin­det Hiram Abi­ff mit „Her­mes“, Her­mes Tris­me­gi­stus (vgl. S. 100).

WLW erklärt, daß die Ober­groß­lo­ge („The Grand Lodge Abo­ve“), auf die im frei­mau­re­ri­schen Ritu­al Bezug genom­men wird, nicht ein­fach die Sum­me der ver­stor­be­nen Frei­mau­rer meint, son­dern eine jen­sei­ti­ge, höhe­re frei­mau­re­ri­sche Hier­ar­chie, die die Ursa­che der frei­mau­re­ri­schen Ord­nung hier in der sicht­ba­ren Welt sei und mit der die wah­ren Frei­mau­rer zusam­men­ar­bei­ten (vgl. S. 125f). WLW glaubt an eine unsicht­ba­re, himm­li­sche Groß­lo­ge, die vom Ober­sten Mei­ster und Initia­tor gelei­tet wird und deren Amts­trä­ger Brü­der und Engel („holy angels“) der leben­den Frei­mau­rer auf Erden sind (vgl. S. 131).

WLW wie­der­holt, daß die Frei­mau­re­rei schon vor ihrer offi­zi­el­len Geburt im Jahr 1717 eine mysti­sche und okkul­ti­sti­sche Essenz hat­te: alte Myste­ri­en, her­me­ti­sche Tra­di­ti­on, hebräi­sche Kab­ba­la, Alche­mie, Rosen­kreu­zer, Gno­sis (vgl. S. 183–187)… Sie ist die gehei­me Gno­sis („the secret Gno­sis“: S. 187).

WLW hält Jesus für einen Ober­sten Groß­mei­ster und den Apo­stel Johan­nes für einen gro­ßen Ein­ge­weih­ten (vgl. S. 187). WLW erwähnt den gei­sti­gen Kon­takt („spi­ri­tu­al cont­act“) zwi­schen der Ober­sten Groß­lo­ge und den Logen hier auf Erden (vgl. S. 188).

WLW lobt die Autorin von „A Sug­ge­sti­ve Inquiry into the Her­me­tic Mystery“ (d. h. Mary Anne Atwood) und den Frei­mau­rer John Yar­ker (vgl. S. 195), der gleich­zei­tig regu­lä­rer Frei­mau­rer der Ver­ei­nig­ten Groß­lo­ge von Eng­land war, in Ver­bin­dung mit der Lon­do­ner Loge Qua­tu­or Coro­na­ti No. 2076 stand und Mit­glied ver­schie­de­ner „Rand“-Frei­mau­rer­or­den war, die sich dem Okkul­tis­mus widmeten.

Dar­über hin­aus preist WLW auch die Autorin der Bücher „Isis Unvei­led“ und „The Secret Doc­tri­ne“ (vgl. S. 213), näm­lich Hele­na Petrov­na Blava­ts­ky (Dne­pr im Zaren­reich, heu­te Ukrai­ne 1831 – Lon­don 1891), Grün­de­rin der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft, als Exper­tin in frei­mau­re­ri­schen Fragen.

WLW defi­niert die Frei­mau­re­rei als die Ein­gangs­tür („por­tal of ent­rance“, vgl. S. 220).

Ich öff­ne eine Klam­mer: In „The Secret Doc­tri­ne. Vol. II, Anthro­po­ge­ne­sis“ (Lon­don-New York-Madras, 1888) erklärt Blava­ts­ky, daß Satan auch „Luzi­fer“ ist, der Licht- und Lebens­brin­ger („the bright angel of Light, the Light and Life-brin­ger“, S. 111). Luzi­fer ist der Geist der intel­lek­tu­el­len Erleuch­tung und der Frei­heit des Den­kens („thus Lucifer—the spi­rit of Intellec­tu­al Enligh­ten­ment and Free­dom of Thought“: S. 162), Luzi­fer ist sowohl der Logos als auch Satan („for Luci­fer is the Logos in his hig­hest, and the ‚Adver­sa­ry‘ in his lowest aspect“: S. 162). Die Schlan­ge der Gene­sis ist „der wah­re Schöp­fer und Wohl­tä­ter, der Vater der gei­sti­gen Mensch­heit“, „der hell strah­len­de Luzi­fer“ („the real crea­tor and bene­fac­tor, the Father of Spi­ri­tu­al man­kind“, „bright radi­ant Luci­fer“ (vgl. S. 243). Luzi­fer ist gött­li­ches und irdi­sches Licht, der Hei­li­ge Geist und Satan („Luci­fer is divi­ne and ter­re­stri­al light, the ‚Holy Ghost‘ and ‚Satan‘, at one and the same time“, S. 513). Außer­dem sagt Blava­ts­ky, daß der Teu­fel oder der Rote Dra­che („Satan, or the Red Fiery Dra­gon“) und Luzi­fer in uns ist („and Luci­fer, or Light-Bea­rer, is in us“), als unser Geist, unser Ver­su­cher und Erlö­ser: „it is our Mind, our temp­ter and Rede­emer, our intel­li­gent libera­tor and Saviour from pure ani­ma­lism“ (S. 513).

5. Der Weg nach Osten: Mysti­sche Ver­ei­ni­gung mit der Dai­mon-Engel-höhe­ren Seele

The Way to the East“ (J. M. Wat­kins, Lon­don 1934), das letz­te Buch des Frei­mau­rers Wal­ter Les­lie Wilmshurst, ist eine Samm­lung von Initiationsgedichten.

In der Ein­lei­tung defi­niert WLW die Frei­mau­re­rei als eine „könig­li­che Kunst“ und eine „mysti­sche Wis­sen­schaft“ („a ‚Roy­al Art’ and a ‚Mystic Sci­ence’“), die die alte Gno­sis („the world-old Gno­sis“: vgl. S. ix) fort­führt. Mit dem drit­ten Grad des Frei­mau­rer­mei­sters kann der mysti­sche Tod („mysti­cal death“) und die Ver­ei­ni­gung mit dem uni­ver­sel­len gött­li­chen Wil­len („uni­fi­ed with the Uni­ver­sal Divi­ne Will“: vgl. S. xii) erfolgen.

In dem Gedicht „DAIMON“ (S. 57–60) spricht WLW von sei­nem Schutz­en­gel oder Dämon als einer Prä­senz, die sei­ne Ner­ven, sein Gehirn, sein Blut durch­dringt… Sein „Dai­mon“ ist ein Strahl von Got­tes Heer­schar („A ray from God’s immor­tal host“); die Weis­heit des „Dai­mon“ trennt nicht das Böse und das Gute, die Gott als Part­ner zusam­men­ge­fügt hat („Evil and good, as God-joi­n­ed mates, /​ His wis­dom never sepa­ra­tes“, S. 57). WLW steht in Kon­takt mit sei­nem „Dai­mon“, spricht mit ihm, bit­tet ihn um Hil­fe und erhält eine Ant­wort (vgl. S. 58).

WLW nennt sei­nen „Dai­mon“: Über­see­le, Engel („Dai­mon, Over­soul, Angel“, S. 59). WLW stellt sich selbst als die Braut, den Mond, und sei­nen „Dai­mon“ als Bräu­ti­gam, die Son­ne, vor (vgl. S. 60). Gemein­sam sind sie eins („our mar­ria­ge-tide“, S. 60).

In einem ande­ren Gedicht lobt WLW den Dich­ter Wil­liam Bla­ke (S. 65): „Mit Chri­stus und Pla­ton warst du befreun­det, /​ Ein Ret­ter der See­le aus der Eitel­keit; /​ In der Schu­le der Weis­heit ein Absol­vent /​ Und Dok­tor des gött­li­chen Wahn­sinns“ („With Christ and Pla­to you were mate, /​ A saviour of the soul from vani­ty; /​ In Wisdom’s School a gra­dua­te /​ And Doc­tor of Divi­ne Insa­ni­ty“, S. 65).

Es ist gut zu wis­sen, daß Wil­liam Bla­ke (1757–1827) in sei­nem Werk „The Mar­ria­ge of Hea­ven and Hell“ den Teu­fel als die für das Gute not­wen­di­ge Ener­gie pries [vgl. Anto­nio D’A­lon­zo: Il sen­so del­la visio­ne nella poe­sia erme­ti­ca di Wil­liam Bla­ke, in: Hiram, Rivi­sta del Gran­de Ori­en­te d’I­ta­lia, N° 4/​2002, Rom, S. 73–77, 81f]. Kurz­um, auch dank der Schrif­ten des Frei­mau­rers und Stuhl­mei­sters („Wor­shipful Brot­her“) Wal­ter Les­lie Wilmshurst wird die Unver­ein­bar­keit zwi­schen dem katho­li­schen Dog­ma und der eso­te­ri­schen und „mysti­schen“ Dimen­si­on der regu­lä­ren Frei­mau­re­rei sehr deut­lich, einer Dimen­si­on, die nicht von einer „hin­zu­ge­füg­ten“ oder „erzwun­ge­nen“ oder „rand­stän­di­gen“ Inter­pre­ta­ti­on der frei­mau­re­ri­schen Sym­bo­le und Ritua­le abhängt, son­dern das eigent­li­che Wesen der genann­ten regu­lä­ren Frei­mau­re­rei ist und zum Aus­druck bringt.

*Pater Pao­lo Maria Sia­no gehört dem Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta (FFI) an; der pro­mo­vier­te Kir­chen­hi­sto­ri­ker gilt als einer der besten katho­li­schen Ken­ner der Frei­mau­re­rei, der er meh­re­re Stan­dard­wer­ke und zahl­rei­che Auf­sät­ze gewid­met hat. In sei­ner jüng­sten Ver­öf­fent­li­chung geht es ihm dar­um, den Nach­weis zu erbrin­gen, daß die Frei­mau­re­rei von Anfang an eso­te­ri­sche und gno­sti­sche Ele­men­te ent­hielt, die bis heu­te ihre Unver­ein­bar­keit mit der kirch­li­chen Glau­bens­leh­re begründen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​MiL

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