(Rom) Kardinal Matteo Maria Zuppi ist Berichten zufolge bei Franziskus in Ungnade gefallen und wird nicht mehr als Vorsitzender der italienischen Bischöfe in Betracht gezogen. Dabei galt er noch vor kurzem als „Papabile“ und möglicher Nachfolger von Papst Franziskus. Der Grund dafür, daß ein progressiver Purpurträger die Gunst von Franziskus verlieren könnte, ist kaum zu erraten.
Gestern veröffentlichte der Corriere della Sera, Italiens bedeutendste Tageszeitung, ein Interview mit Papst Franziskus, das zu einigen Themen ein wenig den Blick auf die Hintergründe freigibt. Ein Thema betrifft die innerkirchlichen Verhältnisse in Italien und das nächste Konklave.
Vordergründig geht es um den nächsten Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz. Dessen Auswahl erfolgt anders als bei allen anderen Bischofskonferenzen, denn Mitglied der Italienischen Bischofskonferenz ist auch der Bischof von Rom. Da es undenkbar ist, daß der Papst unter dem Vorsitz eines mit Mehrheit, aber vielleicht nicht von ihm gewählten Bischofs stehen muß, ist der Bischof von Rom automatisch auch Vorsitzender der Bischofskonferenz. Dem Papst ist es aber nicht möglich, die Verpflichtungen eines Vorsitzenden wahrzunehmen, weshalb er einen anderen Bischof als seinen Vertreter zum Vorsitzenden ernennt. Ebenso kommt dem Papst die Ernennung des Generalsekretärs der Bischofskonferenz zu.
Franziskus hatte 2013 als Vorsitzenden den noch von Benedikt XVI. ernannten Kardinal Angelo Bagnasco übernommen. Sobald dessen Mandat zu Ende war, ernannte Franziskus 2017 seinen eigenen Vertrauensmann: Erzbischof Gualtiero Bassetti von Perugia. Diesen hatte er bereits 2014 zum Kardinal kreiert, um die Kirche in Italien wissen zu lassen, wem seine Gunst gehört. Zugleich ließ er Inhaber bedeutenderer Bischofsstühle, die traditionell mit der Kardinalswürde verbunden waren, unberücksichtigt.
Nun vollendete Kardinal Bassetti Anfang April sein 80. Lebensjahr. Er ist damit nicht mehr Papstwähler. Mit seiner Emeritierung wird jeden Moment gerechnet. Das fünfjährige Mandat als Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz läuft mit dem 24. Mai aus.
Als ein möglicher Nachfolger wurde wiederholt Kardinal Matteo Maria Zuppi genannt, der Erzbischof von Bologna und ranghöchster Kirchenmann der Gemeinschaft von Sant’Egidio ist.
Was aber sagte Franziskus gestern in dem Interview des Corriere della Sera?
„… die nächste Versammlung wird den neuen Präsidenten der Italienischen Bischofskonferenz wählen müssen, und ich versuche, jemanden zu finden, der einen guten Wechsel herbeiführen will. Ich bevorzuge, daß es ein Kardinal ist, jemand mit Autorität. Und der die Möglichkeit hat, den Sekretär auszuwählen, jemand, der sagen kann: Ich möchte mit dieser Person zusammenarbeiten.“
Damit scheiden eine Reihe von zuletzt genannten Kandidaten aus, weil sie keine Kardinäle sind. Doch auch Zuppi, der Kardinal ist und der bisher die Gunst von Franziskus genoß, hätte derzeit keine Chance mehr, Vorsitzender der Bischofskonferenz zu werden.
Was aber ist geschehen, daß ein progressiver Kardinal bei Franziskus in Ungnade fällt?
Kardinal Zuppi büßte die päpstliche Gunst ein wegen der Art und Weise, mit der von ihm das Motu proprio Traditionis custodes angewandt wurde. Mit diesem Motu proprio beseitigte Papst Franziskus die Freiheiten, die Benedikt XVI. dem überlieferten Ritus gewährt hatte.
In Italien ist seit dem Motu proprio Ecclesia Dei von 1988 jene Gruppe von Bischöfen tonangebend, die gegenüber der Tradition und dem überlieferten Ritus eine ablehnende Haltung einnehmen. Diese aktive Minderheit, die von einer gleichgültigen Mehrheit gedeckt ist, wirkte nach der Wahl von Papst Franziskus jahrelang auf eine Rückgängigmachung des Motu proprio Summorum Pontificum von Benedikt XVI. hin. Mit dem am 16. Juli 2021 von Papst Franziskus erlassenen Motu proprio Traditionis custodes hatten sie ihr Ziel erreicht.
Traditionsfeindliche Bischöfe beseitigten in den vergangenen zehn Monaten die Spuren der Tradition im neurituellen Klerus. Kardinal Zuppi, als Purpurträger und als Erzbischof von Bologna einer der führenden Kirchenmänner des Landes, entschied sich für eine mildere Auslegung. Er erlaubte weiterhin die Feier der überlieferten Messe mit der Einschränkung, daß keine Pfarrkirche ständiger Meßort sein dürfe. Radikalere Kreise hinterbrachten Zuppis Haltung Papst Franziskus, und taten es auf provokante Weise.
Andrea Gagliarducci (CNA) gehörte zu jenen, die Zuppi als Bassetti-Nachfolger nannten. Gestern bezog Gagliarducci in einem CNA-Artikel einen Satz von Papst Franziskus im Corriere-della-Sera-Interview auf die Wahl des Vorsitzenden der Bischofskonferenz:
„Während andere Bischöfe die Anordnungen des Papstes buchstabengenau anwandten, nahm der 66-jährige Kardinal eine versöhnlichere Haltung ein. In Santa Marta, der päpstlichen Residenz, wird geflüstert, daß Papst Franziskus Gerüchte zu Ohren gekommen seien, Zuppi handle im Hinblick auf ein künftiges Konklave. Dies dürfte die Sympathie des Papstes für den Erzbischof von Bologna, der eng mit der einflußreichen Gemeinschaft von Sant’Egidio verbunden ist, verringert haben.“
Im Klartext: Kardinal Zuppi fiel offenbar in Ungnade, weil er die engen Möglichkeiten gewährte, die Traditionis custodes bietet, während eine Reihe von Bischöfen weltweit das Motu proprio auf eigene Initiative noch drakonischer umsetzten, als darin geschrieben steht. Eine solche Eigeninitiative bergoglianischer Bischöfe, die „verstehen“, was Franziskus wünscht, weiß der argentinische Papst durchaus zu schätzen.
Die Gemeinschaft von Sant’Egidio ist dafür bekannt, strategisch zu denken und durchaus Interesse an Führungspositionen zu haben. Ob es Kardinal Zuppi aber noch gelingen kann, bis zur Entscheidung die Gunst des Papstes wiederzuerlangen?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia (Screenshot)