Vergifteter Schlagabtausch zwischen zwei Kardinälen

Kardinal Pell, der freigesprochen wurde, und Kardinal Becciu, der vor Gericht steht


Kardinal Pell und Kardinal Becciu lieferten sich vor Weihnachten einen giftigen Schlagabtausch. Was steckt dahinter?
Kardinal Pell und Kardinal Becciu lieferten sich vor Weihnachten einen giftigen Schlagabtausch. Was steckt dahinter?

(Rom) Das Jahr 2021 ende­te mit einem hef­ti­gen Schlag­ab­tausch zwi­schen den Kar­di­nä­len Ange­lo Becciu und Geor­ge Pell. Der Austra­li­er Pell, der bis 2017 Prä­fekt des vati­ka­ni­schen Wirt­schafts­se­kre­ta­ri­ats war, ehe er das Opfer des viel­leicht größ­ten anti­kirch­li­chen Justiz­skan­dals wur­de, äußer­te in meh­re­ren Inter­views schwer­wie­gen­de Ver­däch­ti­gun­gen gegen sei­nen Mit­bru­der im Kar­di­nals­rang, den Sar­den Becciu. Die­ser war bis 2018 Sub­sti­tut des vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­ats und dann bis 2020 Prä­fekt der Hei­lig­spre­chungs­kon­gre­ga­ti­on. Wegen sei­ner Ver­wick­lung in einen ande­ren, mög­li­cher­wei­se zusam­men­hän­gen­den Skan­dal erklär­te Becciu Ende 2020 den Ver­zicht auf sei­ne Rech­te, aber nicht auf sei­ne Wür­de als Kar­di­nal. Wäh­rend Medi­en nicht ohne Genuß den Schlag­ab­tausch berich­ten, gilt es die Wahr­heits­fra­ge zu klä­ren, wie dies im Fall Pell gelun­gen ist.

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Als Kar­di­nal Pell im April 2019 in Austra­li­en frei­ge­spro­chen wur­de, hat­te er mehr als ein Jahr unschul­dig im Gefäng­nis geses­sen. Damals äußer­te sein Rechts­an­walt schwe­re Vor­wür­fe in Rich­tung Vati­kan. Der Ver­dacht hat­te bereits 2017 die Run­de gemacht: Das in Austra­li­en zu Unrecht gegen Kar­di­nal Pell betrie­be­ne Straf­ver­fah­ren könn­te vom Vati­kan aus­ge­gan­gen sein. Von Krei­sen, die den austra­li­schen Finanz­auf­se­her los­wer­den woll­ten, um ihre zwei­fel­haf­ten Geschäf­te fort­set­zen zu kön­nen oder um deren Auf­deckung zu vertuschen?

Beccius offener Brief, der Pell verärgerte

Kar­di­nal Becciu fühlt sich von den Ver­däch­ti­gun­gen jeden­falls betrof­fen und ver­faß­te am 23. Dezem­ber einen offe­nen Brief. Dar­in for­der­te er Pell auf, ihn „nicht län­ger in den öffent­li­chen Dis­kurs ein­zu­be­zie­hen“ und ihm den Respekt zukom­men zu las­sen, „der einem Bru­der – einem Mann – gebührt, der sich in einem har­ten Kampf befin­det, den ich vor allem als Christ, dann erst als Ange­klag­ter, ohne zu zögern, als einen Kampf der Wahr­heit und der Gerech­tig­keit bezeich­ne“.

Kar­di­nal Pell reagier­te ver­är­gert und ließ durch sei­nen Spre­cher mit­tei­len, daß er „unge­dul­dig“ dar­auf war­te, daß Becciu „vie­le Fra­gen beantwortet“.

Die Haupt­fra­ge, auf die der austra­li­sche Kar­di­nal von sei­nem Mit­bru­der eine Ant­wort wünscht, wie­der­hol­te er in einem sei­ner jüng­sten Inter­views am 16. Dezem­ber mit dem Natio­nal Catho­lic Regi­ster: Was steckt hin­ter der Über­wei­sung von 2,23 Mil­lio­nen Dol­lar aus dem Vati­kan nach Austra­li­en, als Becciu Sub­sti­tut im Staats­se­kre­ta­ri­at war und in Austra­li­en das Straf­ver­fah­ren gegen Pell in Gang kam?

Kar­di­nal Pell, den Papst Fran­zis­kus wäh­rend des Straf­ver­fah­rens fal­len­ließ, erklär­te zuletzt am 17. Dezem­ber in der ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung Il Foglio, er schlie­ße nicht aus, daß es einen Zusam­men­hang zwi­schen dem unge­rech­ten Straf­ver­fah­ren gegen ihn in sei­ner Hei­mat und den Wider­stän­den gebe, auf die er wäh­rend sei­ner Amts­zeit als Prä­fekt des Wirt­schafts­se­kre­ta­ri­ats in der Römi­schen Kurie gesto­ßen sei. Die­sen Ver­dacht hat­te Pell bereits in sei­nem ersten Inter­view nach der Frei­las­sung geäu­ßert, das Andrew Bolt für Sky mit ihm führte. 

Becci­us Sturz und die Ein­lei­tung eines Straf­ver­fah­rens gegen die­sen, wegen des Lon­do­ner Immo­bi­li­en­skan­dals, schei­nen die­se Über­zeu­gung in Pell noch ver­stärkt zu haben. Es wird sogar ange­nom­men, daß der Skan­dal um Kar­di­nal Becciu, kei­ne sechs Mona­te nach Pells Frei­spruch, auch durch des­sen Aus­sa­gen los­ge­bro­chen ist.

Beccius tiefer Fall

Am 24. Sep­tem­ber 2020 wur­de Becciu von Papst Fran­zis­kus emp­fan­gen. Laut offi­zi­el­ler Sprach­re­ge­lung nahm Fran­zis­kus bei die­ser Gele­gen­heit das Rück­tritts­ge­such Becci­us als Prä­fekt der Hei­lig­spre­chungs­kon­gre­ga­ti­on an und sei­nen Ver­zicht auf die Rech­te als Kar­di­nal zur Kennt­nis. Weni­ge Tage spä­ter ließ Kar­di­nal Pell in einer Erklä­rung sei­ne Genug­tu­ung über Becci­us Sturz erken­nen. In den ver­gan­ge­nen Mona­ten wie­der­hol­te Pell sei­ne Anschul­di­gun­gen mehr­fach, als befürch­te er, die vati­ka­ni­schen Ermitt­lungs­be­hör­den könn­ten die Sache nicht mit genü­gend Nach­druck ver­fol­gen. Er beton­te auch, Papst Fran­zis­kus füh­le sich von Becciu hin­ter­gan­gen und wol­le der Sache bis auf den Grund gehen. Doch im Gegen­satz zu Pell ließ Fran­zis­kus Becciu bis­her nicht ganz fal­len.

Pells Vor­wür­fe fan­den im Herbst 2020 inter­na­tio­na­le Beach­tung, als die austra­li­sche Finanz­auf­sichts­be­hör­de Aus­trac auf die Anfra­ge der austra­li­schen Sena­to­rin Con­cet­ta Fier­ra­van­ti-Wells erklär­te, daß in den sechs Jah­ren, in denen Becciu Sub­sti­tut des Staats­se­kre­ta­ri­ats war, unglaub­li­che 2,3 Mil­li­ar­den Dol­lar aus dem Vati­kan nach Austra­li­en über­wie­sen wor­den sei­en. Die Zahl war in der Tat zu unglaub­lich, um wahr zu sein, wes­halb sich die Aus­trac eini­ge Tage spä­ter kor­ri­gier­te und die Gesamt­sum­me mit 9,5 Mil­lio­nen Dol­lar bezif­fer­te. Zugleich teil­te die Behör­de mit, „bis­her kein kri­mi­nel­les Ver­hal­ten im Zusam­men­hang mit Zah­lun­gen des Vati­kans an Austra­li­en fest­ge­stellt“ zu haben. Der Medi­en­wir­bel war damit aber bereits ange­rich­tet. Seit­her sieht sich Becciu als Opfer unge­recht­fer­tig­ter Anschul­di­gun­gen. Das ändert aller­dings nichts dar­an, daß Licht in das Dun­kel zu brin­gen ist. Das betrifft die Immo­bi­li­en­ge­schäf­te Becci­us in Lon­don, aber auch den von Pell geäu­ßer­ten Ver­dacht, daß Geld aus dem Vati­kan zu sei­nem Nach­teil nach Austra­li­en geflos­sen sein könn­te, „um die Anklä­ger im Pädo­phi­lie­pro­zeß zu kaufen“.

Kar­di­nal Pell ver­langt kon­kret Aus­kunft von Becciu über die Zah­lung von ins­ge­samt 2,23 Mil­lio­nen Dol­lar, die 2017/​2018 erfolg­te. Das Geld soll auf ein Kon­to der Com­pu­ter­si­cher­heits­fir­ma Neu­star in Mel­bourne geflos­sen sein. Der Vati­kan teil­te in einer Erklä­rung vom 13. Janu­ar 2021 zu den Gesamt­über­wei­sun­gen der Jah­re 2011 bis 2018 mit, daß es sich dabei um „ver­trag­li­che Ver­pflich­tun­gen“ han­del­te. Kon­kret auf die genann­ten zwei Über­wei­sun­gen ging er nicht ein. Kar­di­nal Becciu ließ wis­sen, daß er auf die Fra­ge Pells ant­wor­ten wer­de, aber nicht gegen­über den Medi­en, son­dern zu gege­be­ner Zeit vor Gericht.

Das neue Buch zum Fall Pell

Das neue Buch: Anklage gegen Pell stand von Anfang an auf tönernen Füßen

Am ver­gan­ge­nen 30. Novem­ber kam in Austra­li­en das Buch von Gerard Hen­der­son „Car­di­nal Pell, the Media Pile-On & Coll­ec­ti­ve Guilt“ (Kar­di­nal Pell, der Medi­en­an­sturm und kol­lek­ti­ve Schuld­ge­füh­le) in den Buch­han­del. Der Autor zeigt auf, auf welch töner­nen Füßen von Anfang an die Ankla­ge gegen Pell stand. Die wirk­li­che „Ankla­ge“ gegen den Pur­pur­trä­ger, so Hen­der­son, sei von den Medi­en gekom­men, die mit der Macht ihrer Mei­nungs­ma­schi­ne­rie aus dem Kar­di­nal ein „Mon­ster“ gemacht hat­ten, das bei Pro­zeß­be­ginn bereits vor­ver­ur­teilt war. Auf der Grund­la­ge der Fak­ten scheint es gera­de­zu unglaub­lich, daß Pell über­haupt in erster Instanz ver­ur­teilt wer­den konn­te. Der Weg durch die drei Gerichts­in­stan­zen, von der ersten Ver­ur­tei­lung bis zum völ­li­gen Frei­spruch, sei ein Rück­zugs­ge­fecht der Justiz gewe­sen, um sich die­sem öffent­lich erzeug­ten Druck, dem die erste Instanz erlag, schritt­wei­se zu ent­zie­hen. Am Ende stand der Frei­spruch. Hen­der­son zeigt auf, wel­che nega­ti­ve Rol­le die Medi­en in dem Straf­ver­fah­ren mit Ver­däch­ti­gun­gen spiel­ten, ohne Bewei­se vorzulegen.

Nun ist es Kar­di­nal Becciu in sei­nem offe­nen Brief, mit dem er Kar­di­nal Pell auf­for­der­te, die öffent­li­chen Anschul­di­gun­gen gegen ihn ein­zu­stel­len, der an die­se Erfah­rung erin­nert, an „die Schmer­zen einer unge­rech­ten Ankla­ge und die Qua­len, die ein Unschul­di­ger wäh­rend eines Pro­zes­ses erdul­den muß“.

Becci­us Ver­ant­wor­tung haben die vati­ka­ni­schen Rich­ter zu klä­ren. Das betrifft zunächst sei­ne Ver­wick­lung in den Kauf von Lon­do­ner Luxus­im­mo­bi­li­en, aber auch eine mög­li­che Ein­fluß­nah­me auf das austra­li­sche Straf­ver­fah­ren gegen Pell. Ernst­zu­neh­men ist Becci­us Mah­nung aber dahin­ge­hend, daß auch in sei­nem Fall nicht Anschul­di­gun­gen ohne kon­kre­te Bewei­se als Tat­sa­chen behaup­tet wer­den soll­ten, nur weil man weiß, daß Medi­en nur zu ger­ne auf einen Zug auf­sprin­gen, der die Schlag­zei­le „Skan­dal im Vati­kan“ ver­spricht. Die­ser Vor­wurf trifft die Medi­en, nicht Kar­di­nal Pell, der ein legi­ti­mes Inter­es­se hat, Klar­heit zu bekom­men. Den­noch kann nicht über­se­hen wer­den, daß auch die Bericht­erstat­tung über Kar­di­nal Becciu im Herbst 2020 etwas von dem hat­te, was die Medi­en­kam­pa­gne gegen Kar­di­nal Pell in den Jah­ren 2016 bis 2019 geprägt hatte.

Sei­ne Haft­zeit leg­te Kar­di­nal Pell in einem Gefäng­nis­ta­ge­buch nie­der, des­sen erster Band „Unschul­dig ange­klagt und ver­ur­teilt“ im ver­gan­ge­nen Früh­jahr auch in deut­scher Aus­ga­be erschie­nen ist.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/​Youtube (Screen­shot)

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