
(Canberra) Seit Freitag der vergangenen Woche ermittelt die Polizei des Staates Victoria wegen des Anfangsverdachts von „Geldzahlungen“ aus dem Vatikan an Empfänger in Australien zur Beeinflussung des Gerichtsverfahrens gegen Kardinal George Pell.
Die Finanzaufsichtsbehörde Austrac übermittelte der Polizei die Unterlagen zu Geldüberweisungen vom Vatikan nach Australien „in einem bestimmten Zeitraum“. Die Behörde war von der Polizei um entsprechende Auskunft ersucht worden. Die Datenübermittlung erfolgte kommentarlos, wie ein Polizeisprecher gegenüber der Presseagentur EFE betonte. Weitergehende Ermittlungen fänden derzeit nicht statt.
Auch die australische Bundespolizei bestätigte Ermittlungen in derselben Sache. Damit reagieren die Polizeiorgane von Australien auf Hinweise, der italienische Kardinal Angelo Becciu habe 700.000 Euro an Empfänger in Australien überwiesen, damit der australische Kardinal George Pell wegen sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger angeklagt und vor Gericht gestellt wird. Die Tageszeitung Guardian Australia berichtete vor wenigen Tagen, daß sogar zwei Millionen Australische Dollar (1,4 Millionen US-Dollar) geflossen seien, um ein Gerichtsverfahren gegen Kardinal Pell zu erreichen. Die Zahlungen erfolgten Anfang 2017 und Mitte 2018. 2017 wurde gegen Kardinal Pell ermittelt und eine vernichtende Medienkampagne gegen ihn entfacht, die einer Vorverurteilung gleichkam. Im Herbst 2018 fand die entscheidende Phase im Prozeß erster Instanz statt, der im Dezember mit einer Verurteilung zu sechs Jahren Gefängnis endete
Kardinal Becciu war damals Kurienerzbischof und Substitut des vatikanischen Staatssekretariats. Damit stand er nach Papst Franziskus und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin an dritter Stelle in der Hierarchie des Heiligen Stuhls. Pells Rechtsbeistand sprach von einem „Komplott“ gegen seinen Mandaten und verlangte Ermittlungen in der Sache.
Ende September war von einem Wochenmagazin enthüllt worden, daß die vatikanische Staatsanwaltschaft wegen verdächtiger Finanzoperationen in dreistelliger Millionenhöhe gegen Kardinal Becciu ermittelt. Die Ermittlungen sind seit Herbst 2019 im Gange und mußten von Papst Franziskus genehmigt werden, da die vatikanische Justiz ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht gegen einen Kardinal vorgehen darf. Erst nach den Enthüllungen enthob Franziskus Becciu aller Ämter, beließ ihm aber die Kardinalswürde. Was seither Fragen darüber aufwirft, was die verwendete Formel genau bedeute.
In den Akten der vatikanischen Staatsanwälte finden sich neben den Immobiliengeschäften in London, die Auslöser der Ermittlungen waren, weitere verdächtige Transaktionen, darunter auch jene nach Australien. Bereits sehr früh, als Kardinal Pell in Australien vor Gericht gestellt wurde, gab es in Rom Gerüchte, daß der australische Purpurträger, der bis Juni 2017 als Präfekt das neuerrichtete Wirtschaftssekretariat leitete, einigen Personen im Vatikan zu nahe getreten war und diese deshalb wünschten, daß er „aus dem Verkehr gezogen wird“. Das gelang durch die Anklage wegen sexuellen Mißbrauchs durch die australische Justiz aufgrund der Aussage eines möglicherweise gekauften Anklägers. Kardinal Pell verbrachte mehr als ein Jahr im Gefängnis, bis er im vergangenen April vom Obersten Gerichtshof freigesprochen wurde.
Der Kardinal kehrte, kurz nachdem der Finanzskandal geplatzt war, nach Rom zurück. Mehr als drei Jahre war er durch den Prozeß in Australien daran gehindert worden. Unter den neuen Umständen empfing ihn schließlich auch Papst Franziskus in Privataudienz – ein halbes Jahr nach dem Freispruch. Eine sichtbare Rehabilitierung durch Wiedereinsetzung in seine Ämter oder ein neues Amt erfolgte bisher aber nicht. Dabei ist Ozeanien seit 2017 nicht mehr im Kardinalsrat vertreten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL