
(Rom) Am Abend des Ersten Adventssonntags erhielt Kardinal Angelo Becciu einen Telefonanruf – von Papst Franziskus.
Am 24. September war Kardinal Angelo Becciu, damals Präfekt der Heiligsprechungskongregation und Päpstlicher Sonderdelegat beim Souveränen Malteserorden, nach einer entsprechenden Aufforderung durch Papst Franziskus von seinen Ämtern zurückgetreten. Zudem gab das vatikanische Presseamt am selben Tag bekannt, daß er auch auf die mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte verzichtet habe. Entgegen ersten Medienbehauptungen liegt aber bis heute kein Verzicht auf die Kardinalswürde vor. Ein solcher wurde von Franziskus auch nicht verlangt, wie die ungewöhnliche Formulierung des damaligen Tagesbulletins zeigte.
In der Liste der Papstwähler wird Becciu nicht mehr geführt, zumindest derzeit. Da das Kirchenrecht einen solchen Verzicht auf die Rechte nicht kennt, handelt es sich um eine einseitige Erklärung von Kardinal Beccciu. Ob Franziskus ihm im Vieraugengespräch ein entsprechendes Wort abgenommen hat, ist nicht bekannt. Ob Becciu nach dem Tod oder Rücktritt von Franziskus an einem eventuellen Konklave teilnehmen wird, hängt von ihm ab. Verwehren könnte es ihm niemand. Laut seinen jüngsten, kämpferischen Aussagen zu den gegen ihn laufenden Ermittlungen, scheint er in seinem Verzicht mehr eine vorübergehende Situation zu sehen, bis die Rechtsfragen geklärt sind.
Seit jenem 24. September gab es jedenfalls keinen direkten Kontakt mehr zwischen Papst Franziskus und dem Kardinal. Am Sonntag abend änderte sich das schlagartig, wie die Huffington Post gestern berichtete. Papst Franziskus griff überraschend zum Telefonhörer und rief Kardinal Becciu an. Dieser fühlt sich nun „bestärkt“ und gab die Nachricht sogleich an die Medien weiter. Der Telefonanruf habe ihn zu Hause erreicht, so der sardische Purpurträger. Der Papst sucht wieder den Kontakt zur einstigen Nummer drei des Vatikans. Becciu berichtete über den Inhalt des Gesprächs:
„Die Gedanken des Heiligen Vaters sind ganz andere als jene der Journalisten.“
Womit der einstige Substitut des Kardinalstaatssekretärs anzudeuten scheint, daß die Medienberichterstattung über sein Verhältnis zum Papst nicht den Tatsachen entspreche. Tatsächlich hatte sich Becciu nach jener Audienz vom 24. September fassungslos gezeigt. Er schien die Welt nicht mehr zu verstehen und habe zu Franziskus gesagt: „Wie können Sie mir das antun“. Noch wenige Tage später klagte er dem Corriere della Sera, daß ihn Franziskus „wie einen Pädophilen“ behandelt habe.
Der Kontext des Telefonanrufs scheint den Kardinal nun aber zu bestätigen. Unmittelbar bevor es in Beccius Haus klingelte, hatte Papst Franziskus am vergangenen Wochenende dreizehn neue Kardinäle kreiert. Neun von ihnen sind Papstwähler in einem eventuellen Konklave. Am Sonntag zelebrierte er mit den anwesenden neuen Purpurträgern im Petersdom den Ersten Adventsonntag. Dabei ermahnte er die neuen Kardinäle mit ihrer Würde keinen Mißbrauch zu treiben. War das eine direkte Anspielung auf Becciu und dessen Art der Geschäftsgebarung, wie manche meinten? Oder war es doch vielmehr eine Kritik an Theodore McCarrick, dem Franziskus im Sommer 2018 wegen des homosexuellen Doppellebens und sexuellen Mißbrauchs die Kardinalswürde entzogen hatte.
Franziskus scheint mit seinem abendlichen Gestus vielmehr bekräftigt zu haben, daß Becciu nach wie vor Mitglied des Kardinalskollegiums ist und der Papst das auch so anerkennt. Da Becciu erklärt hatte, auf die mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte zu verzichten, nahm er auch nicht an dem mit der Kardinalserhebung verbundenen Konsistorium teil. Diese Abwesenheit war für Franziskus offenbar Grund genug, Becciu anzurufen. Folgt man Beccius Darstellung, wollte Franziskus ihm versichern, mit dem Tadel nicht ihn gemeint zu haben.
Die linksliberale Huffington Post formuliert daher vorsichtig, was die Stellung des sardischen Würdenträgers anbelangt, und schreibt, daß Kardinal Becciu „laut derzeitigem Stand der Dinge nicht an einem künftigen Konklave teilnehmen könnte“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)