(Rom) Papst Johannes Paul I. wird seliggesprochen. Er regierte nur 33 Tage. Das war in dem für viele schon ziemlich fernen Jahr 1978. Die 70er Jahre hatten einen radikalen Mentalitätswechsel gebracht. Eine Veränderung erlebte seither auch das kanonische Verfahren der Heilig- und Seligsprechungsprozesse.
Die Kirche erlebte nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil atemberaubende Umbrüche und einen für unmöglich gehaltenen Niedergang, die von vielen Klerikern begeistert mitgetragen wurden. Alles, was sie damit erhofft hatten, blieb allerdings aus.
Die Nachricht von der Seligsprechung Albino Lucianis, des ehemaligen Patriarchen von Venedig, wird manche erfreuen, die sich noch an ihn erinnern können. Mich auch. Prinzipiell. Er war ja der Papst des Lächelns. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich war noch ein Kind. In die Geschichte ging er ein, weil er der erste Papst war, der einen Doppelnamen wählte. Und wie sich nach seinem frühen Tod herausstellte, sollte er nach einem halben Jahrtausend vorerst auch der letzte Italiener auf dem Stuhl Petri sein.
Wie immer, wenn jemand jung stirbt, ranken sich um das Ableben schnell allerlei Geschichten. Der Tod von Johannes Paul I. wurde zum Mordkomplott umgeschrieben. Diese Variante verkaufte sich an den Ladentischen wohl am besten. Tatsächlich starb er an einem akuten Herzversagen.
Das vatikanische Presseamt gab gestern die Anerkennung eines Wunders bekannt. Das ist die unabdingbare – ich korrigiere mich –, fast unabdingbare Voraussetzung für eine Seligsprechung. Unter Papst Franziskus, der die Kategorie der „politischen Heiligen“ einführte, gibt es, sagen wir es einmal so, auch Ausnahmen.
Papst Franziskus ermächtigte Kardinal Marcello Semeraro, den Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, das entsprechende Dekret zu verkünden:
„Das Wunder, das der Fürsprache des Ehrwürdigen Dieners Gottes Johannes Paul I. (Albino Luciani), Papst, zugeschrieben wird; geboren am 17. Oktober 1912 in Forno di Canale (heute Canale d’Agordo, Italien) und gestorben am 28. September 1978 im Apostolischen Palast (Staat der Vatikanstadt).“
Das anerkannte Wunder betrifft die damals elf Jahre alte Candela Giarda aus Argentinien. Damals wurde das Jahr 2011 geschrieben. Als Candela an schwerer Enzephalopathie litt, wurde sie rund 500 Kilometer mit dem Krankenwagen von ihrer Heimat bei Paranà zur Fundación Favaloro nach Buenos Aires gebracht. Auf dieser Reise zwischen Leben und Tod wurde sie von ihrer Mutter, einem Arzt und einer Krankenschwester begleitet.
„Cande führte ein normales Leben, bis sie 10 Jahre alt war, als sie krank wurde. Es begann mit Kopfschmerzen. Innerhalb einer Woche begann sich ihr Zustand zu verschlechtern, bis sie erbrechen mußte und Fieber hatte. Es ging ihr immer schlechter, bis ich sie am 27. März 2011 im Morgengrauen in das Kinderkrankenhaus Paraná brachte“, erzählt ihre Mutter Roxana. Wenige Stunden später wurde sie intubiert und lag im Koma. Die therapeutischen Ansätze brachten keine Hilfe. Die Mutter war zuvor zu den verschiedenen Krankenhäusern, in Sanatorien und in Arztpraxen, „gepilgert“, aber niemand wußte zu sagen, was ihre Tochter hatte. Candela wurde rund um die Uhr überwacht. Von ihr wurden Elektroenzephalogramme, Magnetresonanztomographien und Computertomographien erstellt.
Auch in der Fundación Favaloro, einem der renommiertesten Krankenhäuser Argentiniens, konnte man keine genaue Diagnose stellen. Jahre später gelangten Spezialisten zu dem Schluß, daß es sich bei der Pathologie um FIRES (ein epileptisches Syndrom mit fieberhafter Infektion) handelte, eine seltene Krankheit, die einen von einer Million Menschen betrifft und fast immer tödlich endet.
„Seit wir in Favaloro ankamen, ging es Cande schlechter statt besser. Die Lebenserwartung war null. Sie sagten mir sogar, ich solle mit ihr nach Paraná zurückkehren, damit sie zu Hause sterben könne“, erinnert sich die Mutter noch immer schockiert, sodaß es ihr die Tränen in die Augen treibt. Die Spezialisten sagten ihr, selbst wenn das Mädchen überleben sollte, würde sie im Wachkoma bleiben.
Die dunkelste Nacht ist die des 22. Juli 2011. Der behandelnde Arzt umarmt die Mutter mit den Worten: „Wir können nichts mehr für sie tun. Cande stirbt heute Nacht“. In diesem Moment drängte es Roxana in die Kirche Nuestra Señora de la Rabida, die sich nur wenige Meter von der Klinik entfernt befindet. Dort hatte sie bereits in den Tagen zuvor gebetet und Pater José Dabusti kennengelernt, der ihr in diesen dramatischen Tagen beistand. Nun bedurfte vor allem ihre Tochter des letzten Beistandes.
„An diesem Abend ging ich hinein und bat P. Dabusti, meine Tochter zu besuchen. Als er sich Candes Bett näherte, betete er und sagte mir, ich solle meine Hände auf sie legen und sie Papst Johannes Paul I. anvertrauen.“
Obwohl sie nichts über diesen Papst wußte, vertraute Roxana dem, was der Priester ihr vorschlug, und klammerte sich, ohne zu zögern, daran, da sie wußte, daß dies der letzte Ausweg war. Sie stand allein am Fußende des Bettes ihrer Tochter und wartete darauf, daß die Stunden vergingen.
Der Tod kam aber nicht zu Candela. Einige Stunden nach der Anrufung von Johannes Paul I. begann sich der Zustand des Mädchens vielmehr zu bessern. Ärzte, Krankenschwestern und Gesundheitspersonal konnten nicht glauben, was geschah. Es ging nun alles sehr schnell. Sie begann ihre vitalen Fähigkeiten wiederzuerlangen, konnte die Intensivstation und schließlich auch das Krankenhaus verlassen. Für alle war klar, es konnte nur ein Wunder geschehen sein. „Wunder existieren, und ich habe es bei Cande gesehen“, sagt die Mutter heute.
Candela ist heute 21 Jahre alt, über ihre hübsches Gesicht gleitet ein fröhliches Lächeln. Sie hat an der Universität soeben ihren ersten Abschluß erworben und interessiert sich für die Imkerei. Ihre Hunde Fausto und Peter sind ihre treuen Begleiter. Obwohl die junge Frau ihre Heilung der Fürsprache von Johannes Paul I. zuschreibt, kann sie sich an diesen Moment in ihrem Leben nicht erinnern. Vorbei sind Medikamente, Therapien und Rehabilitation: Candela nimmt keine Medikamente. Sie hat diese dramatische Phase ihres Lebens überwunden.
Pater José schrieb Papst Franziskus einen Brief, in dem er ihm erzählte, was passiert war. Den Brief ließ er durch seinen Bruder überbringen, der nach Rom reiste. Einige Zeit später kam ein Bischof in seine Pfarrei und ersuchte ihn, alles möglichst detailliert und mit Unterlagen einzureichen. Damit begann die langwierige Prüfung des Falles, die sich einige Jahre hinzog und Teil des kanonischen Prozesses für die Seligsprechung von Johannes Paul I. wurde.
Mit der Seligsprechung von Johannes Paul I. werden vier Päpste, die in Folge, von 1958–2005, fast ein halbes Jahrhundert regierten, zu den Altären erhoben sein. Man muß weit in der Geschichte der Päpste und der Kirche zurückgehen, um Vergleichbares zu finden. Erst in den ersten Jahrhunderten, in der frühchristlichen Zeit, wird man fündig. Im fünften Jahrhundert, von Coelestin I., der 422 gewählt wurde, bis Felix III., der 492 starb, regierten in direkter Folge für zusammen 70 Jahre sechs Päpste, die alle heiliggesprochen wurden.
Vom ersten bis ins vierte Jahrhundert wurden alle Päpste heiliggesprochen. Das änderte sich abrupt, als bald nach der Konstantinischen Wende auf Julius I., der von 337 bis 352 regierte, Liberius auf den Papstthron folgte. Er ging im arianischen Streit faktisch als Häretiker in die Kirchengeschichte ein. Mit ihm ging die ununterbrochene Linie heiliger Päpste zu Ende.
Es folgten im vierten und fünften Jahrhundert noch zwei längere Phasen, in denen die Kirche von Oberhäuptern regiert wurde, die zu den Altären erhoben wurden. Ab dem 9. Jahrhundert wurde die Heilig- oder Seligsprechung eines Papstes zur Ausnahme. Zwischen Coelestin V. (1294) und Johannes XXIII. (1958–1963) zählt die Kirche in 650 Jahren 69 Päpste. Vier davon werden als Selige, zwei als Heilige verehrt. Das bedeutet nicht, daß es in diesen Jahrhunderten an Heiligkeit fehlte, vielmehr, daß sich, unabhängig von der persönlichen Heiligkeit der einzelnen Kandidaten, der Zugang und die Art der kanonischen Prozesse in den vergangenen 50 Jahren verändert hat.
Nachdenklich stimmt die Diskrepanz zwischen der laut den kanonischen Prozessen seit frühchristlicher Zeit intensivsten Heiligkeit auf dem Stuhl Petri und einer beispiellosen Kirchenkrise. Oder geht es primär um die „Heiligsprechung“ des Zweiten Vatikanischen Konzils?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Infobae (Screenshot)