(Rom) Die Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz Avvenire erklärt in einem Artikel die Gründe, warum Papst Johannes XXIII. auch ohne Wunder heiliggesprochen wird. Die überraschende Ankündigung der ungewöhnlichen Heiligsprechung löste zahlreiche Fragen aus. Der Artikel ist ein Versuch, darauf zu antworten.
Am 5. Juli hatte Papst Franziskus nach der Anerkennung eines zweiten Wunders auf die Fürsprache von Papst Johannes Paul II. das Dekret für dessen Heiligsprechung unterzeichnet. Gleichzeitig unterzeichnete er auch das Dekret für die Heiligsprechung von Johannes XXIII., obwohl für diesen noch kein zweites Wunder anerkannt wurde. Diese Außerkraftsetzung der strengen Verfahrensregeln für eine Heiligsprechung in der katholischen Kirche sorgt für Aufsehen. Der Avvenire schreibt, die zuständige Heiligsprechungskongregation habe den ungewöhnlichen Schritt mehrheitlich gutgeheißen und eine Heiligsprechung pro gratia empfohlen.
Yves Congar: Kardinal Suenens will Johannes XXIII. per Akklamation der Konzilsaula heiligsprechen
Im September 1964 schrieb der progressive Konzilstheologe Yves Congar inmitten des Konzils in sein Tagebuch, daß der belgische Kardinal Leon Joseph Suenens, einer der Konzilsmacher, seine Rede zum Schema De Ecclesia, aus der die Konstitution Lumen gentium hervorgehen sollte, mit der Forderung abschließen wolle, Papst Johannes XXIII. per Akklamation der Konzilsaula heiligzusprechen. „Ein Ziel, das sofort zu erreichen ist“, gab sich Congar zuversichtlich.
Eine Variante des „Santo subito“ lange vor dieser Forderung, die nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. erhoben wurde?
Die Idee Suenens sei, so der Avvenire, von vielen Konzilsvätern und einer Vielzahl von Gläubigen geteilt worden.
Papst Franziskus habe sich die Begründung der zuständigen Kongregation für eine Heiligsprechung des Konzilspapstes in direttissima auch ohne das sonst vorgeschriebene Wunder zu eigen gemacht.
Avvenire: „Es gibt Präzedenzfälle“
Laut geltendem Kirchenrecht kann eine Heiligsprechung erst nach der Anerkennung eines Wunders erfolgen, das auf die Fürsprache des Seligen zurückgeführt wird. Eine Bestimmung, die sowohl für Märtyrer als auch für nach einem ordentlichen Verfahren seliggesprochene Glaubenszeugen gilt. Allerdings, so der Avvenire, sei es nicht eine „absolute Neuheit“, daß eine Heiligsprechung auch aufgrund „anderer Elemente und Begründungen“ erfolge, „die ein wissenschaftlich und theologisch belegtes Wunder ersetzen können“. Es handle sich daher, so die Zeitung der Bischöfe, weder um eine „Abkürzung noch um eine Vereinfachung oder eine willkürliche Entscheidung“. Es handle sich vielmehr um eine „wohlüberlegte Ausnahme“, für die es „Präzedenzfälle“ gebe.
In der jüngeren Geschichte, so der Avvenire, habe es eine Ausnahme bei der Heiligsprechung der chinesischen Märtyrer gegeben. Der heilige Augustin Zhao Rong und seine 119 Gefährten wurden im Heiligen Jahr 2000 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen. Ihr Gedenktag ist der 9. Juli. Nach ordentlichen Verfahren wurden sie in unterschiedlichen Momenten und Gruppen seliggesprochen. Ihre Heiligsprechungsverfahren wurden mit dem Dekret „De signis“ von Johannes Paul II. zusammengelegt und damit von der Notwendigkeit dispensiert, daß für jeden einzelnen der 120 Märtyrer die Anerkennung eines Wunders für die Heiligsprechung notwendig war. Der Papst fügte sie direkt in die Gruppe ein, die er am 1. Oktober 2000 als Heilige proklamierte. Die Gründe, die zu dieser Entscheidung führten, waren „eine unbestrittene und wachsende fama signorum“, also ein Ruf der Zeichen und Wunder, die den Märtyrern nach ihrer Seligsprechung zugeschrieben wurde. Vor allem aber ging es auch um die Anerkennung des „besonderen Einflusses, den das Gedenken an sie für die Bewahrung des Glaubens unter extremen und schwierigsten Bedingungen hatte.“
Zwei Hauptgründe: 1.) Liturgischer Kult bereits weltweit verbreitet
Die Hauptgründe für die Ausnahme-Heiligsprechung Johannes XXIII. sind laut Avvenire zwei: „Der Erste betrifft die außergewöhnliche Ausbreitung des liturgischen Kultes, die dem Seligen bereits zuteil wird, da er nach vorherigem Ansuchen vom Heiligen Stuhl weltweit bereits verschiedenen Diözesen von Asien bis Amerika gewährt wurde. Die Eintragung des liturgischen Gedenktages von Johannes XXIII. in die diözesanen Kalender ähnelt bereits jener eines kanonisierten Heiligen.
Diesem Kult entspricht auch ein wachsender Ruf von Zeichen und Wundern, der im Volk Gottes die Erinnerung an den gutmütigen Papst begleitet. Seit dem Tag seiner Seligsprechung am 3. September 2000 langten beim Postulator aus der ganzen Welt zahlreiche Dankeshinweise für erhaltene Gnaden ein, die durch die Fürsprache des Seligen erreicht wurden und häufig von ärztlichen Attesten begleitet sind. Ungefähr 20 Fälle sind besonders interessant.“
2.) Das Konzil hat Johannes XXIII. bereits per Akklamation heiligesprochen
Der zweite „wichtige Grund“ sei gerade der „Wunsch der Konzilsväter“, die gleich nach dem Tod Roncallis „die Hoffnung einer sofortigen Heiligsprechung äußerten, ja sogar als Akt des Konzils anregten. Kein Heiligsprechungskandidat kann derzeit so etwas Außergewöhnliches für sich in Anspruch nehmen: ein bereits in der Weltkirche verbreiteter liturgischer Kult und eine Kanonisierungsforderung per Akklamation eines Konzils. Das sind die Hauptgründe, weshalb Papst Franziskus es für angemessen erachtet hat, die Heiligsprechung des seligen Johannes XXIII. fortzusetzen.“
Geschichtsklitterung: Heiligsprechung durch das Konzil nur imaginär
Der Haken an der Sache: Es handelt sich dabei um eine Geschichtsklitterung. Kardinal Suenens sprach tatsächlich im September 1964 in seiner Rede zu De Ecclesia auch über Heiligsprechungen. Er tat dies jedoch ganz allgemein, indem er mit drei Punkten eine Reform der Heiligsprechungsverfahren forderte, vor allem deren Beschleunigung, damit die Heiliggesprochenen, solange die Erinnerung an sie in der Bevölkerung noch wach sei, Vorbildwirkung entfalten könnten. Den Namen von Papst Roncalli erwähnt er nicht. Papst Paul VI. kam auf die Rede Suenens in einer Privataudienz zurück, die er dem belgischen Kardinal bald darauf gewährte. Dabei kritisierte er dessen Forderung, die Heiligssprechungsverfahren nur wegen der aktuellen Vorbildwirkung zu beschleunigen. Auch er erwähnt Johannes XXIII. nicht.
Im Grunde gab es damals nur „Gerüchte über eine angeblich unmittelbar bevorstehende Heiligsprechung durch das Konzil, die aber nur Gerede blieben“, wie selbst der progressive Papa-Roncalli-Verehrer Enrico Galavotti 2000 anläßlich der Seligsprechung des Konzilspapstes schrieb.
Die vom Avvenire behauptete Kanonisierung Johannes XXIII. durch das Konzil höchstselbigst ist mehr imaginärer Art.
Die Tageszeitung fügt noch hinzu, daß es 50 Jahre nach dem Tod von Johannes XXIII. „möglich war, seine Gestalt“ den Emotionen und kirchenpolitischen Manövern zu entziehen, und sein Leben und Wirken bis in sein Innerstes zu durchleuchten. „Das hat zu einer sicheren und tiefen Kenntnis des Reichtums seiner Schriften und seines Werks geführt und auf leuchtende Weise seine Heiligkeit aufragen lassen.“
Die Begründung wirkt mehr wie ein Rechtfertigungsversuch, der nicht recht zu überzeugen vermag. Denn wozu wären dann die Regeln des ordentlichen Heiligsprechungsverfahrens notwendig. Der „Ruf der Heiligkeit“ wird selbstredend bei jedem „Kandidaten“ angenommen.
Wievielen Diözesen wurde eine Sondererlaubnis erteilt, den seligen Papst in den diözesanen Kalender aufzunehmen? Wenn die bereits vorhandene breite Verehrung ein so triftiger Grund für die Außerkraftsetzung des ordentlichen Verfahrens wäre, hätte sie wahrscheinlich eher Johannes Paul II. zugute kommen müssen, der aber einem ordentlichen Verfahren unterzogen wurde.
Stallgeruch eines kirchenpolitischen Manövers – Heiligsprechung Johannes XXIII. oder des Konzils?
Die in Wirklichkeit nie erfolgte Heiligsprechung per Akklamation durch das Konzil für den das Konzil einberufenden und während des Konzils verstorbenen Papst hat den Stallgeruch eines kirchenpolitischen Aktes und kommt als Argument einem völligen Bruch mit der kirchlichen Tradition und allen Normen gleich.
Es bleibt trotz gegenteiliger Beteuerung der Beigeschmack eines kirchenpolitischen Manövers, mit dem 50 Jahre nach dem Konzil mit Papst Johannes XXIII. auch das Zweite Vatikanische Konzil „heiliggesprochen“ werden soll. Zumindest scheint ein rundes Jubiläum wichtiger zu sein, als die im Laufe von Jahrhunderten gewachsenen, aus gutem Grund strengen kirchenrechtlichen Normen für ein Heiligsprechungsverfahren.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Missa Gregoriana
Darf man fragen, wo eine liturgische Verehrung von Johannes XXIII. wirklich gegeben war? Und um welche Wunder auf seine angebliche Fürsprache hin es sich gehandelt hat?
Man muß sich der Schlußfolgerung des Autors anschließen: Die Aktion riecht nach einer (gewaltsamen) Heiligsprechung des Konzils bei völliger Umgehung der Untersuchung der Realität.
Im übrigen wären die Opfer der vatikanischen Ostpolitik unter Johannes XXIII. und seinem Sekretär und Nachfolger Montini heiligzusprechen.
Recht und Gesetz? Offensichtlich überflüssig, wie uns der jetzige Papst zeigt. Jedenfalls könnte man seine Botschaft so interpretieren.
Die Art, wie man in neuester Zeit „heilig“ sprechen will, ohne allfällige Einwände gegen eine mögliche Heiligkeit , den heroischen Tugendgrad, die wirkliche Verehrung, Wunder usw. überzeugend zu prüfen oder die Zeugnisse dafür abzuwarten, führt sicher nicht zu einer höheren Wertschätzung der Heiligkeit und der so geschaffenen „Heiligen“! Im Gegenteil, es drängt sich der Eindruck auf, dass mehr irdische als übernatürliche Beweggründe ausschlaggebend in solchen „Verfahren“ sind.
Es entsteht der Eindruck, dass bei diesen neuen „Überprüfungen“ der „Heiligkeit“ sowieso nicht genau hingeschaut wird, dass das Ziel sowieso schon feststeht, und dass sogar dann, wenn überhaupt nichts dafür spricht und man nicht einmal annäherungsweise ein „Wunder“ hingebogen werden kann, die „Heiligkeit“ dann eben dekretiert wird. Glaubwürdigkeit wird man so kaum erreichen – was sollen Gläubige (aber auch Ungläubige!) sich dabei denken?
Gerade in einem so zentral religiösen Gebiet müsste doch in der Kurie ein neuer Geist der Disziplin und der Durchschaubarkeit Einzug halten, wo man doch angeblich so sehr Reformen fordert! Hier wäre der Ruf nach objektivierender Einfachheit und Zurückhaltung geboten, statt dessen wird der perfekte Eindruck vatikanischer Klüngel- und Willkürwirtschaft geboren und vertieft!
Sehr gute Analyse!