Mit einem offiziellen Kommuniqué reagierte die Generalleitung der Petrusbruderschaft als erste Ecclesia-Dei-Gemeinschaft auf das Motu proprio Traditionis custodes von Papst Franziskus, mit dem dieser einen Vernichtungsfeldzug gegen den überlieferten Ritus und die Gemeinschaften und Gläubigengruppen der Tradition eröffnet hat. Das Motu proprio wurde vom Heiligen Stuhl am 16. Juli veröffentlicht und sofort in Kraft gesetzt.
Die 1988 im Zuge des Motu proprio Ecclesia Dei kanonisch errichtete Petrusbruderschaft ist die älteste und größte der Ecclesia-Dei-Gemeinschaften. Sie bringt im Kommuniqué ihre „Verwunderung“ über das von Franziskus erlassene Gesetz zum Ausdruck und zeigt sich „zutiefst betrübt“ über die Motive, mit denen das Kirchenoberhaupt seinen Schritt begründet. Vor allem weist sie die darin gegen die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften summarisch vorgebrachte Kritik zurück und findet es „erstaunlich“, daß die „vielen Früchte“, die sich durch die Meßorte des überlieferten Ritus zeigen, von Franziskus „nicht erwähnt“ werden – geschweige denn gewürdigt, möchte man hinzufügen.
In diesem Zusammenhang spricht der bekannte traditionsverbundene Historiker Prof. Roberto de Mattei in seiner Reaktion auf Traditionis custodes von „ideologischen“ Prämissen, die das Denken von Franziskus und seine Kritik an der Tradition leiten. Nach acht Jahren Erfahrung mit dieser päpstlichen Haltung könnte auch von ideologisch motivierten Scheuklappen gesprochen werden, die man sich in Santa Marta aufgesetzt hat.
Die Petrusbruderschaft verweist in ihrer Stellungnahme auch auf die „vielen jungen Menschen“, die durch den überlieferten Ritus zum Glauben zurückgekehrt sind oder ihn gefunden haben. Die verheerende Wirkung des Motu proprio Traditionis custodes in diesen Segmenten der Gläubigen wird im Kommuniqué der Petrusbruderschaft nicht weiter ausgeführt, man kann sie sich allerdings unschwer ausmalen. Eine tragende katholische Sozialisation kann heute nicht mehr selbstverständlich vorausgesetzt werden. Sie dürfte vielmehr die Ausnahme sein. Für die Konvertiten und jene, die zwar getauft sind, aber erst zum Glauben gefunden haben, ist Traditionis custodes ein Schlag in die Magengrube.
In der Kernaussage des Kommuniqués bekräftigt die Petrusbruderschaft:
„dass wir unseren Konstitutionen und unserem Charisma treu bleiben und den Gläubigen weiterhin dienen wollen, wie wir es seit unserer Gründung getan haben“.
Zugleich versichert sie den Papst und die Bischöfe der „unerschütterlichen Treue“. Was das angesichts der päpstlichen Entschlossenheit bedeutet, die Tradition, die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften und den überlieferten Ritus zu zerschlagen, muß sich erst zeigen.
Auf die „unerschütterliche Treue“ zum Papst berufen sich auch die Bischöfe, die in diesen Tagen bereits Dekrete erlassen, mit denen sie den überlieferten Ritus verbieten. Diese Dekrete bedeuten, daß die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften die Bistümer räumen müssen, falls sie dort tätig sind, jedenfalls diese Gebiete für sie zum Sperrgebiet werden. Diese Bischöfe können, im Gegensatz zu den Priestern der Tradition, für sich sogar in Anspruch nehmen, den päpstlichen Willen zu erfüllen.
Mit voller Wucht aufbrechender Widerspruch
Grundsätzlich tritt der Widerspruch, an der die kirchliche Entwicklung seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und seiner unmittelbaren Nachkonzilszeit krankt, mit aller Heftigkeit wieder auf und scheint jenen recht zu geben, die eine Koexistenz der widersprüchlichen Positionen für unmöglich halten. Diese Diskussion entbrannte schon unter Papst Benedikt XVI. an der Frage, ob es genügt, der „Hermeneutik des Bruchs“ eine „Hermeneutik der Tradition“ entgegenzusetzen. Offensichtlich genügt es nicht, wie Traditionis custodes nun zeigt. In seinem Begleitbrief zum Motu proprio an die Bischöfe schreibt Franziskus über die Liturgiereform des Novus Ordo Missae nämlich:
„Es ist also zu bedenken, daß der Römische Ritus, der im Laufe der Jahrhunderte mehrfach den Bedürfnissen der Zeit angepaßt wurde, nicht nur bewahrt, sondern ‚in treuem Gehorsam gegenüber der Tradition‘ erneuert wurde.“
Daraus leitet Franziskus seine radikal ablehnende Haltung gegen den überlieferten Ritus und dessen Verfechter ab, die er jener ideologischen Verblendung bezichtigt, die Ausdruck seiner eigenen Befangenheit scheint.
Dessen ungeachtet halten Franziskus und die ihm nun in der Zerschlagung der Tradition folgenden Bischöfe die apostolische Autorität in der Hand. Die „unerschütterliche Treue“, welche die Petrusbruderschaft erklärt, verlangt daher nach einer argumentativen Ergänzung, wenn die Absichtsbekundung, an den eigenen Konstitutionen und dem eigenen Charisma festzuhalten, nicht ins Leere gehen soll. Die kommende Zeit ist nicht mehr von einem sich steigernden Wohlwollen geprägt, auf das man während der Pontifikate von Johannes Paul II. und mehr noch von Benedikt XVI. hoffen durfte.
Die Argumente zur Begründung der eigenen Position, die unter diesen Päpsten – ersterer gewährte 1988 das Motu proprio Ecclesia Dei, zweiterer 2007 das Motu proprio Summorum Pontificum – ausreichend waren, genügen nicht mehr.
Die Ablehnung der Tradition, besser gesagt, die vorrangige und in ihrer Intensität exklusive Abneigung gegen die Tradition, die Franziskus und sein Umfeld hegen – gegenüber der modernistischen Subversion läßt Franziskus ja kein vergleichbares Verhalten erkennen –, lag seit dem 13. März 2013 in der Luft. Wenn der Schlag erst jetzt ausgeführt wurde, dann offenbar allein deshalb, weil Franziskus sich genötigt sah, solange abzuwarten, bis er zur Überzeugung gelangen konnte, daß Benedikt XVI. zu keiner ernsthaften Gegenmaßnahme mehr imstande sein würde.
Lange ging im päpstlichen Hofstaat die Sorge um, Benedikt XVI. könnte an die Spitze einer Gegenbewegung treten oder gestellt werden, wie es vor allem in den USA und Italien einige Kreise dachten und auch sagten. Damit wäre mit einem Schlag offen gewesen, wer rechtmäßiger Papst und wer Gegenpapst ist. Franziskus selbst, wie er 2016 andeutete, scheint die Gefahr gesehen zu haben, daß ihm leichter letztere Etikette umgehängt werden hätte können. Franziskus, der Benedikt XVI. zuletzt im November 2020 einen Kurzbesuch abstattete, scheint sich inzwischen davon überzeugt zu haben, ob zu Recht oder zu Unrecht, daß diese Option seinen Kritikern und vor allem Benedikts XVI. motu proprio nicht mehr offensteht.
Ecclesia-Dei-Gemeinschaften stehen vor einer unbekannten Situation
Die Petrusbruderschaft und alle Ecclesia-Dei-Gemeinschaften, die auf der Grundlage des gleichnamigen Motu proprio von 1988 entstanden sind, stehen vor einer ganz neuen Situation. Es kann kein Zweifel bestehen, daß Franziskus ihre Zerschlagung will. Das ergibt sich bereits aus der Tatsache, daß er nicht nur Summorum Pontificum, sondern auch Ecclesia Dei am vergangenen Freitag zur Unkenntlichkeit entstellte. Damit, so das Signal, entzog er den Ecclesia-Dei-Gemeinschaften ihre Existenzgrundlage. Es entspricht seinem Führungsstil, dabei keine direkten Maßnahmen zu setzen. Er erwartet aber zugleich, daß jene, die ihm bereitwillig folgen, dies tun. Aus dem Begleitschreiben geht die Intention, tabula rasa zu machen, offener hervor als aus dem Dekret selbst – falls dies überhaupt noch möglich ist. Im Art. 8 von Traditionis custodes legt Franziskus fest:
„Die Bestimmungen, Instruktionen, Zugeständnisse und Gebräuche, die nicht mit dem übereinstimmen, was vom vorliegenden Motu Proprio bestimmt ist, sind aufgehoben.“
Im Begleitbrief sagt er strikt und uneingeschränkt, also ohne jede Unterscheidung, die ihm so wichtig ist:
„Um die Einheit des Leibes Christi zu verteidigen, sehe ich mich gezwungen, die von meinen Vorgängern gewährte Berechtigung [den überlieferten Ritus zu zelebrieren] zu widerrufen.“
Das richtet sich, da jeder anderslautende Hinweis, jede Einschränkung der Aussage oder Ausnahme fehlt, auch gegen das Motu proprio Ecclesia Dei, das den Priestern der Ecclesia-Dei-Gemeinschaften die Zelebration im überlieferten Ritus erlaubte. Franziskus hat am 16. Juli allem und allen der Tradition, die in der vollen Einheit mit Rom stehen, die Rechtsgrundlagen entzogen.
Das Begleitschreiben an die Bischöfe, das Franziskus dem Motu proprio zur Seite stellte, enthüllt somit weit deutlicher die päpstliche Absicht, gegen die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften vorzugehen, etwa wenn er schreibt:
„Wer mit Andacht nach der vorherigen liturgischen Form zelebrieren möchte, wird unschwer in dem nach dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuerten Missale Romanum alle Elemente des Römischen Ritus finden, insbesondere den Römischen Kanon, der eines der charakteristischsten Elemente ist.“
Und dann auch, wenn er den Bischöfen zwei Grundsätze nennt, nach denen sie gegen den überlieferten Ritus vorgehen sollen, was sich in erster Linie gegen die Priester richtet, die im überlieferten Ritus zelebrieren, ohne die es keine Meßorte und keine Gruppen von Gläubigen geben kann:
„(…) einerseits für das Wohl derer zu sorgen, die in der früheren Zelebrationsform verwurzelt sind und Zeit brauchen, um zum Römischen Ritus zurückzukehren, der von den Heiligen Paul VI. und Johannes Paul II. verkündet wurde“.
Die Umerziehung der Ecclesia-Dei-Priester
Laut der Absicht von Franziskus sollen die traditionstreuen Priester erkennen, daß im Novus Ordo Missae „alle Elemente des Römischen Ritus zu finden“ seien, weshalb das Festhalten am überlieferten Ritus eine ideologische Verengung sei, welche die Einheit der Kirche gefährde. Gegen diese Bedrohung sehe er sich genötigt, entschieden vorzugehen und werde das auch tun. Mit den traditionstreuen Priestern solle man zwar Geduld üben, so Franziskus, da sie „Zeit brauchen“, doch erwartet und verlangt er von ihnen, daß sie „zum Römischen Ritus zurückkehren“, zum Novus Ordo Missae, dem „einzigen Ausdruck der lex orandi“ der Kirche, neben dem es laut Franziskus keinen anderen Ausdruck gebe und auch keinen anderen zu geben habe.
Jeder Priester, Franziskus differenziert nicht, der bisher im überlieferten Ritus zelebrierte, muß – nimmt man sein Dekret und sein Schreiben ernst – um eine Bestätigung der Erlaubnis ansuchen, denn alle bisherigen Genehmigungen wurden von ihm rundweg aufgehoben. Man wird sehen, wie der Heilige Stuhl diese Frage im Umgang mit den Priestern der Ecclesia-Dei-Gemeinschaften handhaben wird.
Die Stürme gegen die Tradition ziehen nicht erst auf, sie sind bereits losgebrochen. Franziskus, der (linke) „Politiker auf dem Papstthron“, hat ihr ohne Not den Krieg erklärt.
Über Ecclesia Dei hinausdenken
Die Petrusbruderschaft und alle anderen Ecclesia-Dei-Gemeinschaften müssen über Summorum Pontificum und vor allem über Ecclesia Dei hinausdenken. Das verlangt von ihnen ein Umdenken, da Franziskus sie in eine Situation versetzt hat, die ihnen bisher unbekannt war. Über Ecclesia Dei hinausdenken heißt, über die eigene bisherige Existenz hinauszudenken. Es gibt in den Ecclesia-Dei-Gemeinschaften noch einige wenige Priester, meist die Gründer, die sich an die Zeit vor 1988 erinnern können und diese als Priester oder Seminaristen erlebt haben. Alle gehörten damals der Piusbruderschaft an, hatten also einen Status, der weder mit jenem seit 1988 noch mit dem deckungsgleich ist, den ihnen Franziskus nun zugewiesen hat.
Welche Wege tun sich im Augenblick auf?
- Die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften können sich in „unerschütterlicher Treue“ dezimieren lassen im Bewußtsein, daß diese Dezimierung, geht es nach Franziskus, erst mit ihrem völligen Verschwinden enden soll; sie können in ebensolcher „unerschütterlicher Treue“ den Angriff gegen ihre Priesterseminare erwarten; alles in der festen Hoffnung, daß die göttliche Vorsehung ihre völlige Auslöschung verhindern werde.
- Sie können in „unerschütterlicher Treue“ zur überlieferten Liturgie, Lehre und Ordnung der Kirche, auf der Grundlage des geltenden Kirchenrechts, sich auch um einen Plan B bemühen und auf diesen vorbereiten.
Ein Scheideweg, der zur großen Herausforderung wird.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: FSSP.org (Screenshot)