(Madrid) Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin gab Cadena COPE ein Interview, das gestern von diesem spanischen Radiosender, der sich im Besitz der Spanischen Bischofskonferenz befindet, ausgestrahlt wurde. Der oberste Diplomat der Römischen Kurie sprach die Lage der katholischen Kirche in der Volksrepublik China an, wollte aber nicht von Spaltungen sprechen, obwohl sich dort eine romtreue und eine regimehörige Kirche gegenüberstehen. Das sehr zurückhaltend geführte Interview klammerte zahlreiche Fragen aus, darunter auch die Immobiliengeschäfte in London. Möglicherweise waren unangenehme Fragen im Vorfeld untersagt worden. Der Sender machte dazu keine Angaben, stellte das Interview aber auch als wörtliche Mitschrift zur Verfügung. Da Interviews des Kardinalstaatssekretärs selten sind, soll es dokumentiert werden.
COPE: Sie sind ein Berufsdiplomat, aber Sie sind auch ein Hirte, wie wir auf einigen Reisen gesehen und gespürt haben. Sie waren in der Ukraine, Sie waren im Irak, in Kamerun. Wie stellen Sie sich Ihre Arbeit als Staatssekretär vor und wie wird Ihre Aufgabe aussehen, sobald die vom Papst vorbereitete Reform der Kurie abgeschlossen sein wird?
Kardinal Parolin: Ich denke, daß meine grundlegende Berufung die des Priesters ist. Ich fühle mich berufen, weiterhin berufen, Priester zu sein, ein Diener des Herrn, der in der Kirche für die Seelen arbeitet. Das ist der grundlegende Horizont, aber wie Sie wissen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, das Priestertum auszuüben. Man denke an die Pfarrer, aber es gibt auch Priester, die an den Universitäten, in den Seminaren, an den Kirchengerichten arbeiten. Es gibt viele andere Aufgaben, die Teil der Sendung der Kirche sind, und eine dieser Aufgaben ist auch die kirchliche Diplomatie, die die Kirche bis heute als Mittel zur Ausübung ihrer Sendung betrachtet. Deshalb habe ich nie einen Widerspruch darin gesehen, Priester und Diplomat zu sein. Ich bin dazu gekommen, ohne es zu wollen, indem mir diese Möglichkeit geboten wurde, mich in den Dienst des Papstes zu stellen. Mein Bischof hat das vor 40 Jahren akzeptiert. Ich habe erlebt, daß Diplomatie für den Heiligen Stuhl eine Möglichkeit ist, das eigene Priestertum auszuüben. Vor allem, weil heute, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die Aufgabe des Nuntius eine pastorale ist, indem die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ortskirchen gestärkt werden sollen. Wir stehen im Dienst der Gemeinschaft und auch der Verteidigung und der Förderung der Freiheit der Kirche, der Religionsfreiheit, neben dem Auftrag des Friedens in der Welt. Stellen Sie sich vor, wie sehr die Kirche für den Frieden arbeitet. Das ist meine Sichtweise der Diplomatie. Auch nach der Veröffentlichung der Apostolischen Konstitution über die Römische Kurie, die erst einen vorläufigen Titel hat, aber ich denke, sie wird dann tatsächlich „Predicate Evangelium“ heißen, wird der Staatssekretär weiterhin mehr oder weniger das Staatssekretariat koordinieren. Das ist der Organismus, der mit seinen drei Sektionen dem Heiligen Vater, wenn es um allgemeine Angelegenheiten geht, in der Regierung und in allem, was der Papst ihm anvertraut, der Kirche am engsten hilft. Der diplomatischen und der politischen Dimension wurde nach dem Willen von Franziskus die dritte Sektion für das diplomatische Personal hinzugefügt. Er wird diese drei Sektionen weiterhin koordinieren und, wie ich mir vorstellen kann, hauptsächlich in der kirchlichen Diplomatie arbeiten.
COPE: Aufgrund der Karriere und sicherlich auch des Temperaments, so scheint es zumindest, unterscheiden Sie sich sehr von Papst Franziskus, dem Sie aber sehr nahestehen. Wie ist es, an seiner Seite zu arbeiten? Was zeichnet seine Art der Amtsausübung aus, die in Europa manchmal für Überraschungen sorgt?
Kardinal Parolin: Ja, ich stelle fest, daß bereits acht Jahre vergangen sind, die Zeit vergeht … seit der Papst mich fragte, ob ich bereit sei, sein Staatssekretär zu sein. Es hat mich sehr überrascht, weil es mir in Venezuela trotz aller politischen Probleme gut ging. Er sagte: Wollen Sie mir bei dem mir anvertrauten Dienst helfen? Das war zwei Monate nach seiner Wahl, im Juni, als wir miteinander sprachen. Und ich sagte zu ihm: Heiliger Vater, wenn Sie denken, daß ich es kann, werde ich mich gerne in Ihren Dienst und in den Dienst der Kirche stellen. Sie sagen, wir sind sehr unterschiedlich. Dies ist ein Vorteil für die Verwirklichung dessen, was der Heilige Vater immer sagt. Es geht darum, unsere Unterschiede zu einem Reichtum für die Welt zu machen, daß es kein Konflikt wird, sondern Zusammenarbeit. Jeder aus seiner Sicht, seinem Stil, seiner Sensibilität, seiner Vorbereitung, seiner Kultur und seiner Spiritualität heraus kann mit dem anderen zusammenarbeiten. Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, mit dem Heiligen Vater Franziskus im Dienste der Kirche zusammenzuarbeiten. Das ist ein bißchen der Geist, mit dem ich diesen Dienst lebe. In bezug auf den Papst gibt es einige Merkmale, über die viel gesagt wurde, aber was mir zuerst auffällt, ist die große Einfachheit, die er zeigt. Wenn man sich ihm nähert, merkt man, daß er ein einfacher Mann ohne Protokoll ist. Der Kontakt ist unmittelbar. Er achtet sehr auf die Beziehung und die Nähe zu den Menschen. Er sucht den Kontakt zu den Leuten. Das ist ein weiteres Merkmal seiner Arbeitsweise. Und drittens und auch für mich sehr auffällig ist sein Wunsch, dazu beizutragen, daß die Kirche bei der Verkündigung des Evangeliums glaubwürdiger wird. Und auch die Art, wie er an die zu behandelnden Themen herangeht, erfolgt durch diese Merkmale.
COPE: Der Papst betont mit Nachdruck, daß die Kirche nicht als eine Art demokratische Versammlung mit Mehrheiten und Minderheiten, mit ihrem linken und rechten Flügel verstanden werden kann, sondern als eine Gemeinschaft, die vom Heiligen Geist erzeugt wird. Vielleicht erfolgt dieses Beharren aus Sorge, weil einige Überlegungen, die für überwunden gehalten wurden, wieder auftauchen: die von Konservativen und Progressiven usw. Wie sehen Sie dieses Problem?
Kardinal Parolin: Nein, ich denke, daß Ihre Analyse richtig ist. Ich teile sie. Ich denke, daß jeder, der die Situation der Kirche heute sieht, sich um diese Dinge sorgen muß, weil sie da sind. Und ich würde sagen, ich erlaube mir zu sagen, daß sie der Kirche großen Schaden zufügen, weil wir vorhin von Gemeinschaft und Einheit sprachen. Christus betete für die Einheit der Kirche. Es gibt Gründe zur Besorgnis. Ich dachte, daß das Problem wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, daß der Papst viel Wert auf die Reform der Kirche legt und daß in dieser Frage viel Verwirrung herrscht, weil die Reform der Kirche verschiedene Aspekte berücksichtigen muß, es in dieser Hinsicht aber nicht viel Klarheit gibt. Es gibt eine Ebene, die nicht geändert werden kann: die Struktur der Kirche, das Depositum fidei, die Sakramente, der apostolische Dienst. Das sind die strukturellen Elemente, aber es gibt ein ganzes Leben der Kirche, das erneuert werden kann. Das Konzil selbst sagt es. Was aber bedeutet das? In ihrem Leben muß sie ständig erneuert werden, weil sie aus sündigen Menschen gebildet ist. Manchmal entstehen diese Spaltungen und Gegensätze aus der Verwirrung über diese Ebenen. Man kann nicht unterscheiden, was wesentlich ist, was sich nicht ändern kann, und was nicht wesentlich ist, was erneuert werden muß gemäß dem Geist des Evangeliums. Ich denke, daß hier die Wurzel des Problems liegt.
COPE: Ich werde Sie nicht nach dem Abkommen mit China fragen, an dem Sie direkt beteiligt waren. Sie haben es oft erklärt und mir scheint, es ist sehr gut, aber aufgrund der Realität der Kirche in China, was müssen wir aus der Erfahrung dieser Gemeinschaften lernen und auch: Was steht für die Kirche in diesem großen und komplexen Land in der Zukunft auf dem Spiel?
Kardinal Parolin: Nun, zunächst freue ich mich sehr, daß Sie mir eine Frage zur Zukunft der Kirche in China stellen, denn ich denke, das ist die Perspektive, aus der wir dieses Thema betrachten sollten. Sicherlich ist die Kirche in China ein grundlegender Bestandteil der katholischen Kirche, und alles, was versucht wurde und getan wird, ist, diese Gemeinschaft, die noch klein ist, aber große Stärke und Vitalität besitzt, zu sichern. Alles, was getan wird, geschieht, um der Kirche in China ein normales Leben zu gewährleisten. Räume der Religionsfreiheit, der Gemeinschaft, weil man ohne Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, mit dem Papst, nicht in der katholischen Kirche leben kann. Wir betrachten die Kirche in China mit großem Respekt, auch für ihre Geschichte. Die Zukunft gründet auf der Geschichte, einer Geschichte mit viel Leid. Ich denke, das muß der Standpunkt sein, der große Respekt, den wir haben. Gleichzeitig sind die Schritte hoffnungsvoll, die unternommen wurden – obwohl nicht alle noch vorhandenen Probleme gelöst werden konnten, und deren Lösung wahrscheinlich noch lange dauern wird –, auf dem richtigen Weg zu einer Versöhnung innerhalb der Kirche wegen dieses Problems der Unterscheidungen, es ist zuviel, von Spaltungen zu sprechen, von Unterscheidungen. Eine Rolle im Sinne des Evangeliums in der chinesischen Gesellschaft mit all ihren Reichtümern und Problemen. Ich würde sagen, daß es eine positive Sichtweise ist. Es gibt eine große Erwartung, was die Kirche in China der katholischen Kirche geben kann.
COPE: Sie haben den Irak besucht. Sie taten es im Namen des Heiligen Vaters und begleiteten ihn dann auf dieser jüngsten historischen Reise, sodaß sie die Realität dieses Landes aus erster Hand kennen. Wie lautet nach dieser Papstreise die Botschaft, die zu uns gelangt darüber, was passiert ist und was im Irak noch passieren kann?
Kardinal Parolin: Sie erinnern an eine Reise, die für mich sehr emotional war. Es ging auch um Weihnachten, und dies steigerte die Emotionen jener Tage, in denen ich einer Kirche begegnete, die sehr leidet, weil Christen leider in allen Konflikten und durch alle Kräfte verfolgt wurden, die den christlichen Glauben in diesem Land entwurzeln wollen. Viele verlassen weiterhin das Land, obwohl es keinen offenen Konflikt mehr gibt, weil der IS [Islamischer Staat] besiegt wurde, aber es gibt dieses Klima des Mißtrauens und der Unsicherheit, das es Christen nicht erlaubt, eine Zukunft im Land zu sehen. Aber was sie uns gelehrt haben, ist das Glaubenszeugnis, das bis zum Martyrium geht. Das ist die große Lehre, die wir von irakischen Christen beziehen können. Ich war in der Kathedrale, der Papst war während seiner Reise auch dort, wo es einen Angriff mit 47 Toten gab. Das hat die Christen aber nicht eingeschüchtert, die weiterhin mit großem Mut ihren katholischen Glauben bekennen. Das ist eine großartige Lehre. Ich denke, es ist ein Ruf. Ich hoffe, daß die Reise des Papstes, die unterschiedliche Schattierungen des interreligiösen Dialogs hatte, auch ein Aufruf zur Solidarität ist. Manchmal scheint es mir, daß wir als Christen in Europa, im Westen, unseren Brüdern gegenüber zu kalt sind. Ich wünschte, es gäbe mehr Solidarität, mehr Nähe, mehr Möglichkeiten, unsere Unterstützung auszudrücken, und mehr Hilfe, um weiterzumachen. Sie lehren uns diese Fähigkeit, trotz aller Schwierigkeiten treu zu sein, bitten uns aber gleichzeitig um mehr Solidarität.
COPE: Und wenn wir schon vom alten Europa sprechen, um es nicht zu vergessen … Wir sehen, daß neue Gesetze zu ethischen Fragen auftauchen, die sich zunehmend von den christlichen Wurzeln entfernen. Hier in Spanien hatten wir gerade das Euthanasiegesetz. Es gibt eine Generation, die bereits in völliger Unkenntnis des Glaubens aufgewachsen ist, und einige sprechen von der Notwendigkeit eines Kulturkampfes, andere bestehen auf dem Zeugnis der Nächstenliebe. Das sind keine Dinge, die sich offensichtlich widersprechen, dennoch … Was ist Ihrer Meinung nach der Hauptakzent der Mission in Europa, die gerade so schwierig geworden ist?
Kardinal Parolin: Das ist ein großes Problem. Ich empfinde sehr stark den Glaubensverlust in unserem Europa, in unserer Kultur, in unseren Ländern. Und was diese anthropologischen Veränderungen betrifft, die dazu führen, daß die Identität des Menschen verlorengeht, da würde ich sagen, daß es nicht in erster Linie ein Glaubensverlust ist, sondern ein Verlust der Vernunft. Warum? Der Papst sagt es wiederholt, es hat mich sehr beeindruckt, er sagt zum Beispiel: Die Frage der Abtreibung ist keine religiöse Frage. Das ist sie sicherlich für uns Christen, von Anfang an, seit den ersten Dokumenten der Kirche gibt es eine völlige Ablehnung der Abtreibung. Sie ist eine Angelegenheit der Vernunft. Wahrscheinlich ist das grundlegende Problem heute, Benedikt XVI. hat es bereits gesagt, die Vernunft, nicht der Glaube. Was den Glauben betrifft, denke ich, geht es um ein Zeugnis. Natürlich ist es ein Zeugnis, man könnte sagen, ein globales: Wir müssen unseren Glauben bezeugen, wir müssen unsere Hoffnung bezeugen, wir müssen unsere Nächstenliebe bezeugen. Aber die Linie ist diese: Heutzutage kann nichts auferlegt werden, es kann nur ein kohärentes und glaubhaftes Zeugnis des christlichen Lebens angeboten werden. Manchmal weiß ich nicht, ob es gut oder schlecht geht, aber es scheint mir, daß die Situation, die wir erleben, mit jener der ersten Jahrhunderte der Kirche verglichen werden kann, als die Apostel und die ersten Jünger in eine Gesellschaft kamen, die keine christlichen Werte hatte. Doch durch das Zeugnis der ersten Gemeinschaften gelang es, die Mentalität zu ändern und die Werte des Evangeliums in die damalige Gesellschaft einzuführen. Ich denke, das ist der Weg, den wir auch heute gehen müssen.
COPE: Herr Kardinal, es war ein Vergnügen und wir könnten noch lange sprechen, aber das Radio hat seine Zeiten und so sind wir gezwungen, zum Schluß zu kommen. Ich danke Ihnen vielmals, daß Sie diese Zeit mit uns geteilt und so viele wichtige Angelegenheiten für das Leben und das Herz der Kirche angesprochen haben. Aus Spanien eine sehr kräftige Umarmung und danke. Wir beten für Sie.
Kardinal Parolin: Danke, vielen Dank für diese Möglichkeit, und ich danke Ihnen auch für Ihr Gebet. Wir müssen sagen, daß wir heute mehr Gebet denn je brauchen, eine Gebetskampagne, um uns alle im Gebet zu vereinen, damit der Herr uns hilft, unserer Mission treu zu bleiben, jeder an seiner Stelle, aber der Mission treu zu sein, das Evangelium und auch unsere Zugehörigkeit zur Kirche in der heutigen Welt zu bezeugen. Ostern gibt uns auch dieses Gefühl der Hoffnung und des Optimismus, weil wir wissen, daß das letzte Wort das Wort des auferstandenen Jesus ist. Vielen Dank, Gott segne Sie, arbeiten Sie weiter, wie Sie es tun, und erzielen Sie immer mehr gute Ergebnisse zur größeren Ehre Gottes und für das Wohl der Seelen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: COPE (Screenshot)
Eure Eminenz, Euer Wort in Gottes Ohr und in den Seelen der Gläubigen. Danke für diese klaren Worte!