(Rom) In seiner heutigen Ausgabe titelt der Corriere della Sera: „Es gibt nicht zwei Päpste“. Die Aussage stammt aus einem „Interview“ mit Benedikt XVI., dessen Aussagen für Unverständnis sorgen und Züge einer Selbstdemontage tragen. Sollte Benedikt XVI. das wirklich wollen? Zweifel werden geäußert. Sind sie begründet?
Es ist nicht das erste „Interview“, welches das gewesene Kirchenoberhaupt führenden Medien gewährte. Solche gab es bereits 2015 für die Bild-Zeitung und 2019 für den Corriere della Sera. Das neue Interview findet sich direkt in der Tageszeitung, samt großer Schlagzeile auf der Titelseite, das damalige Interview war für eine Wochenbeilage des größten italienischen Tagblatts. Es enthielt bereits die zentrale Botschaft, die sich auch im neuen Interview findet: „Es gibt nur einen Papst“, und der heiße Franziskus. So wiederholt es Benedikt XVI. auch heute: „Es gibt nicht zwei Päpste. Nur einer ist Papst“, nämlich sein Nachfolger.
Das „Interview“, von dem der Corriere spricht, entstand zum achten Jahrestag des Amtsendes von Benedikt XVI., als er sich am 28. Februar 2013 freiwillig nach Castel Gandolfo zurückzog. Was heute abgedruckt wurde, ist jedoch kein Interview im eigentlichen Sinn, sondern ein Gespräch mit Benedikt XVI. im ehemaligen Kloster Mater Ecclesiae, das Massimo Franco als Artikel mit eingestreuten Zitaten zu Papier brachte. Die Form erinnert an die Gespräche von Eugenio Scalfari mit Papst Franziskus.
Dennoch fällt es schwer, an der Echtheit der wiedergegebenen Aussagen zu zweifeln. Massimo Franco ist Kolumnist und Redakteur der römischen Redaktion des Corriere della Sera. Er gehört zu den bekanntesten italienischen Journalisten. Von Bedeutung ist, auch im konkreten Zusammenhang, seine transatlantische Vernetzung als Mitglied des International Institute for Strategic Studies (IISS) und Mitarbeiter führender geopolitischer Fachzeitschriften. Der Besuch am Alterssitz Benedikts fand sicher statt. Franco erwähnt ausgetauschte Geschenke und die Anwesenheit von Kurienerzbischof Georg Gänswein, dem persönlichen Sekretär Benedikts, und von Luciano Fontana, dem Chefredakteur des Corriere. Um Zweifeln vorzubeugen, schreibt Franco:
„Die Sätze kommen nur tröpfchenweise, die Stimme ist ein Hauch, die kommt und geht. Und Monsignore Gänswein wiederholt und ‚übersetzt‘ an einigen wenigen Stellen, während Benedikt zum Zeichen der Zustimmung nickt.“
Doch nicht nur die erwähnte Botschaft, sondern noch weitere Parallelen zum Corriere-Interview von 2019 fallen auf. Damals wie heute gibt es keine Fotos von dem Gespräch mit Benedikt XVI. Solche Fotos stehen als Beleg bei Interviews und als Erinnerung bei Begegnungen mit Benedikt XVI. ganz oben auf der Liste. Es gibt sie zuhauf von Besuchern, die sich mit dem vormaligen Papst ablichten. Daß ausgerechnet ein Journalist, der mit der Absicht, einen großen Artikel zu veröffentlichen, darauf verzichten sollte, scheint wenig glaubhaft.
Eine weitere Parallele ist, daß der lange Artikel nur sehr wenige direkte Aussagen Benedikts XVI. enthält. Sie sind der Grund, weshalb Franco und Fontana sich in die Vatikanischen Gärten begaben. Die Ausbeute an direkten Zitaten der laut Franco 45 Minuten dauernden Begegnung fiel bescheiden aus, ist aber nicht ohne Brisanz.
Die Aussagen von Benedikt XVI.
Zur Anomalie zweier Päpste wird Benedikt XVI. mit den Worten zitiert:
„Es gibt nicht zwei Päpste. Nur einer ist Papst.“
Auch seinen überraschenden Rücktritt verteidigte er samt einer Breitseite:
„Es war eine schwierige Entscheidung. Aber ich habe sie mit reinem Gewissen getroffen, und ich denke, daß ich das gut gemacht habe. Einige meiner ‚fanatischen‘ Freunde sind immer noch wütend, sie wollten meine Entscheidung nicht akzeptieren. Ich denke an die Verschwörungstheorien, die ihr folgten: Einige sagten, der Vatileaks-Skandal sei schuld gewesen, andere sprachen von einer Verschwörung der Schwulenlobby, wieder andere vom Fall des konservativen lefebvrianischen Theologen Richard Williamson. Sie wollen nicht an eine bewußt getroffene Entscheidung glauben. Aber mein Gewissen ist in Ordnung.“
Fontana und Franco wollen von Benedikt wissen, was er vom neuen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi hält, der Italien auf EU- und EZB-Kurs halten soll:
„Hoffen wir, daß er es schafft, die Krise zu lösen.“
Zum linkskatholischen italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella sagte Benedikt XVI.:
„Er ist ein auch in Deutschland sehr geschätzter Mann.“
Dessen Vorgänger Giorgio Napolitano, bis 1991 Mitglied der Kommunistischen Partei und dessen Vater bereits eine Rolle in der Freimaurerei spielte, habe er aber besser gekannt:
„Wie geht es ihm?“
Franco vergißt nicht das Corona-Narrativ: Benedikt XVI. und auch Gänswein und der Großteil der vatikanischen Mitarbeiter seien bereits gegen Covid-19 geimpft, so der Journalist. Italien und der Großteil Europas würden den Vatikanstaat darum beneiden. Ein dafür verwertbares Zitat aus dem Mund Benedikts gab es aber nicht.
Dann geht es um die internationale Politik. Zur bevorstehenden Irak-Reise von Papst Franziskus:
„Ich glaube, daß es eine sehr wichtige Reise ist. Leider fällt sie in einen schwierigen Moment, der sie auch zu einer gefährlichen Reise macht: aus Gründen der Sicherheit, aber auch wegen Covid. Und dann ist da die instabile irakische Situation. Ich werde Franziskus mit meinem Gebet begleiten.“
Franco gibt zu der international derzeit wichtigsten Frage die Linie vor: der Akzeptanz von Joe Biden, dem neuen US-Präsidenten. Die Beziehungen mit dem Vatikan seien nun bestimmt, so der Journalist, besser zu werden, da Biden und nicht mehr Donald Trump im Weißen Haus sei. Benedikt XVI. habe aber Bedenken gegen Biden auf religiöser Ebene geäußert. „Er verleihe damit“, so Franco, „dem Mißtrauen und der Ablehnung eines Großteils des US-Episkopats gegenüber Biden und seiner Partei, die als zu ‚liberal‘ gelten, eine Stimme.“ Benedikt XVI. selbst wird mit den Worten zitiert:
„Es stimmt, er ist katholisch und praktizierend. Und persönlich ist er gegen die Abtreibung. Aber als Präsident neigt er dazu, sich in Kontinuität mit der Linie der Demokratischen Partei zu zeigen… Und bezüglich der Gender-Politik haben wir noch nicht genau verstanden, was seine Position ist.“
Es sind nur wenige Aussagen, die Franco und Fontana von den 45 Minuten mit Benedikt XVI. mitnehmen. Sie betreffen nur drei Themenfelder: die Unterstützung für Papst Franziskus, ein impliziter „Segen“ für Joe Biden und die Verteidigung des bis heute umstrittenen Amtsverzichts.
Die Ausbeute ist bescheiden und folgt exakt der offiziellen Linie. Man könnte auch folgern: Wo der Mainstram reingeht, scheint auch der Mainstream herauszukommen. Benedikt XVI. weiß darum und stimmte der Begegnung zu.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corriere della Sera (Screenshot)