(Rom) „Es war ein sehr ‚politisches‘ Osterfest von Papst Franziskus“, schrieb der Vatikanist Sandro Magister. Gemeint ist das Osterfest 2020, das nicht nur wegen der Coronavirus-Maßnahmen im Ausnahmezustand begangen wurde, sondern auch – wenn auch weniger beachtet – durch folgende drei Handlungen des amtierenden Kirchenoberhauptes, die seinen Hang verdeutlichen, der Politik den Vorrang einzuräumen:
- Am 12. April, Ostersonntag, an dem die Auferstehung Jesu Christi von den Toten gefeiert wird, hielt Papst Franziskus zum päpstlichen Segen Urbi et Orbi eine entschieden politische Botschaft, in der er Europa aufforderte, einen „Beweis der Solidarität“ zu erbringen, „auch wenn wir dazu neue Wege einschlagen müssen“.
- Ebenfalls am Ostersonntag verschickte er einen euphorischen Brief an die „Volksbewegungen“, die für Papst Franziskus die „Avantgarde der Menschheit“ darstellen „im Aufstand gegen die Vorherrschaft von Staaten und Märkten“.
- Bereits zwei Tage zuvor, am 10. April, Karfreitag, übermittelte Franziskus ein handgeschriebenes Billett an Luca Casarini, den er als „Helden“ der Flüchtlings- und Migrantenhilfe im Mittelmeer rühmte.
Wörtlich schrieb Franziskus:
Luca, lieber Bruder,
vielen Dank für deinen Brief, den Michel mir gebracht hat. Vielen Dank für das menschliche Mitleid, das Du angesichts so vielen Schmerzes hast. Vielen Dank für Dein Zeugnis, das mir gut tut.
Ich bin Dir und Deinen Gefährten nahe. Vielen Dank für alles, was Ihr tut. Ich möchte Euch sagen, daß ich immer zur Verfügung stehe, um zu helfen. Zählt auch mich.
Ich wünsche Dir ein heiliges Osterfest. Ich bete für Euch, bitte, tut Ihr es für mich.
Möge der Herr Euch segnen und die Gottesmutter Euch beschützen. Brüderlich,Franziskus
Der vom Papst erwähnte „Michel“ ist Kardinal Michael Czerny, ein Jesuit und Unterstaatssekretär der Abteilung für Migranten und Flüchtlinge des römischen Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Casarinis Brief an Franziskus wurde zusammen mit der Antwort des Papstes vom Avvenire, der Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz, veröffentlicht.
Magister veröffentlichte eine Analyse des Historikers Roberto Pertici zum „politischen“ Ostern des Papstes. Pertici ist Professor der Zeitgeschichte an der Universität Bergamo und spezialisiert auf das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Noch vor wenigen Jahren zählte er zu den Autoren des Osservatore Romano.
Zunächst gilt es aber einen Blick auf den Adressaten der so wohlwollenden päpstlichen Grußbotschaft zu werfen.
Wer ist Luca Casarini?
Casarini, 1967 in Mestre geboren, dem wenig attraktiven Festlandpendant von Venedig, ist ein Anführer der radikalen Linken und einer der umstrittensten Politiker Italiens. Er selbst versteht vor allem als Politaktivisten. Nur kurze Zeit studierte er an der Universität Padua Politikwissenschaften, da er mehr an politischem Aktionismus interessiert war. Seine politische Heimat sind die Autonome Zentren, allen voran das Pedro in Padua, die ein grenzüberschreitendes Netzwerk politischer und logistischer Stützpunkte verteilt über ganz Europa bilden und auch als Schlupfloch und Operationsbasis für Linksextremisten der Black Blocs dienen. Die Autonomen Zentren nehmen eine dezentrale, aber institutionalisierte Scharnierfunktion zwischen Teilen der Regierungslinken, der radikalen Linken und dem Linksextremismus wahr.
Casarini kristallisierte sich in den 90er Jahren als Führungsfigur verschiedener Linksbewegungen heraus, die im Milieu der Autonomen Szene meist kurzlebig sind und schnell und häufig Namen wechseln. Sein Aktionsspektrum reichte von den Tute bianche über die No Global bis zu den Empörten. Die Namen wechseln, doch die subversiven Ziele bleiben unverändert.
Einen Namen machte sich Casarini durch „symbolische Übertretungen“, wie der gezielte Gesetzesbruch von der linksradikale Szene genannt wird. Wie stark die Vernetzung zwischen den verschiedenen „Seelen“ der Linken ist, zeigen die zahlreichen Verbindungen der Autonomen Szene zu Kommunisten und Grünen, aber auch Casarinis Ernennung zum Regierungsberater im Jahr 1998. Italien wurde damals von einer Mitte-links-Koalition von Romano Prodi regiert. Die Berufung Casarinis erfolgte durch Livia Turco, Ministerin für die soziale Solidarität. Turco gehörte seit ihrer Jugend der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) an, für die sie in den 80er Jahren erstmals ins Italienische Parlament einzog und deren Häutungen sie nach dem Fall der Berliner Mauer mitmachte.
International bekannt wurde Casarini durch seine „Kriegserklärung“ an die „Weltführer“ im Vorfeld des G8-Gipfels in Genua im Juli 2001. Bei Anti-G8-Kundgebungen der linken Szene kam es zu schweren Ausschreitungen und Straßenschlachten, bei denen ein gewalttätiger linksradikaler Demonstrant getötet wurde. Die Folge war ein jahrelanges Kesseltreiben gegen die damalige Mitte-rechts-Regierung und die Schaffung eines linken Heldenmythos.
Casarini machte durch Forderungen und Aktionen der „proletarischen Enteignung“ weiterhin von sich reden. 2014 kandidierte er bei den Wahlen zum EU-Parlament für die linksradikale Liste Tsipras – Das andere Europa, ein Zusammenschluß von Kommunisten, Grünen, Piratenpartei und anderen Gruppierungen der radikalen Linken. 2015 wurde er Vorstandsmitglied des Nachfolgeprojekts, der neugegründeten linksradikalen Partei SEL – Linke Ökologie Freiheit, 2017 ebenso des nächsten Folgeprojekts SI – Italienische Linke. Seit dessen Gründung, an der er maßgeblich mitwirkte, gehört er dem Parteivorstand an und ist SI-Vorsitzender von Sizilien.
Sein neuesten Aktionsfeld fand er in der Refugee-Welcome-Bewegung. Von Sizilien aus leitet Casarini seit März 2019 Aktionen der „Seenotrettung“ vor der Küste Libyens. Er ist das Aushängeschild der NGO Mediterranea Saving Humans, die mit zwei Schiffen die Mittelmeerroute zwischen Nordafrika und Italien befährt. Das Geld erhalten Casarini und seine Mitstreiter vorwiegend aus drei Quellen: dem Multimilliardär George Soros, der 1998 in Padua gegründeten Banca Etica und dem in Deutschland angesiedelten Verein Sea Watch, womit wir wieder bei Soros wären. Die Gründung von Mediterranea Saving Humans erfolgte im Oktober 2018, als Matteo Salvini seit wenigen Monaten neuer italienischer Innenminister war und die Mittelmeerroute stillzulegen begann. Die No-Border-Szene wollte durch Schiffe, die unter italienischer Flagge unterwegs sind, die von Salvini verhängten Restriktionen umgehen. An dieser Stelle kam Casarini ins Spiel und wurde Mediterranea Saving Humans gegründet. Bei der Banca Etica wurde als Starthilfe um einen Kredit in der Höhe von 400.000 Euro angesucht und von dieser gewährt. Mediterranea Saving Humans war von Anfang an als gezielte Speerspitze gegen Salvini und die Regierungsbeteiligung der Lega gedacht. Kritiker sprechen von Taxi Casarini Afrika–Europa. Die Staatsanwaltschaft wirft Casarini Begünstigung der illegalen Einwanderung vor und ermittelt gegen ihn
Papst Franziskus nennt den linksradikalen Aktivisten einen „Helden“.
Primat des Geistlichen oder Primat der Politik?
Damit kommen wir zur Analyse von Prof. Roberto Pertici, die er in Form eines Briefes an Sandro Magister verfaßte. Anlaß ist der die auffällige Betonung des Politischen durch Papst Franziskus. Der Historiker befaßt sich mit dem Verhältnis zwischen Kirche und Politik in der Vergangenheit und fragt, worin das Neue in der Haltung von Franziskus besteht.
„Der Brief von Papst Franziskus an die ‚Volksbewegungen‘ und schon zuvor seine Botschaft an Luca Casarini waren für viele die Bestätigung für die abnorme Rolle der Politik in seinem Lehramt – und zwar einer linksradikalen Politik.“
Die „wirkliche Neuheit“ von Franziskus sei aber nicht sein Hang zur Politik, sondern vielmehr, daß er „Politik explizit und direkt außerhalb der üblichen theologischen oder spirituellen Vermittlung betreibt, die er inzwischen offensichtlich für überflüssig hält, und daß er es mit einer politischen Kultur tut, die im Vergleich zu den großen Strömungen der zeitgenössischen Kultur randständig (‚peripher‘) ist.“
Die These „mag gewagt sein“, so Pertici, doch bei genauer Betrachtung lasse sich sagen, daß die Politik im päpstlichen Lehramt, „zumindest seit der französischen Revolution immer ein sehr großes Gewicht hatte, manchmal sogar mehr als der eigentliche religiöse Diskurs“.
In der Vergangenheit wurde das allerdings nie so offen gezeigt wie unter Papst Franziskus. Wenn die Kirche über Politik sprach, habe sie das mit der Sprache und den Argumenten früherer Jahrhunderte getan und sehr indirekt. „Theologie und Politik standen aber immer in Verbindung und es war nicht gesagt, daß erstere immer letztere bedingte.“
Das habe vor allem damit zu tun gehabt, daß die Kirche nach der Französischen Revolution aufhörte, das Ganze zu sein. Das galt auch für die katholischen Gesellschaften Europas.
„Sie war zu einem Teil geworden und bald auch zu einer Partei, ‚ le parti prêtre‘, wie die französischen Liberalen bereits nach 1815 sagten. Es war die Zeit von Rouge und Noir, um es mit Stendhal zu sagen, und die Kirche stand auf der Seite von Noir.“
Die Kirche habe ihre guten Gründe dafür gehabt, so der Historiker:
„Das revolutionäre Trauma war immens. Sie hatte zweimal die Abschaffung der zeitlichen Macht der Päpste erlebt. Zweimal wurden die Päpste für lange Zeit zu Gefangenen. 1799, als Pius VI. starb, gab es viele, die hofften oder befürchteten, daß sogar die apostolische Sukzession abbrechen würde.“
Nach 1815 machte sich in der europäischen Gesellschaft eine „ängstliche Restauration“ breit, „zu deren Interpretin sich die Kirche machte, und die sie in einem ambivalenten Verhältnis mit der politischen Macht förderte“.
„Ambivalent“ , so Pertici, weil „kein Souverän zu einer wirklichen Wiederherstellung (Restauration) der Societas christiana bereit war“.
Eine Reihe katholischer Denker wurden sich dessen bald bewußt und sagten: „Wenn die Dinge so liegen, ist es besser, daß sich die Kirche nicht länger mit diesen Staaten kompromittiert, sondern Abstand gewinnt und damit beginnen sollte, an ihre Freiheit zu denken.“
Seither, so Pertici, waren alle aus dem katholischen Bereich hervorgegangenen kulturellen, theologischen und philosophischen Bewegungen „politisch“, „ob die von Antonio Graf Rosmini inspirierten Strömungen im Italien der 1830er und 1840er Jahre oder die Wiedergeburt des englischen Katholizismus Mitte des 19. Jahrhunderts“.
„Die Entstehung des päpstlichen Syllabus von 1864 kann man ohne den Schock von 1848/49 nicht verstehen, der eine weitere Beseitigung der weltlichen Macht und die Aufrichtung der roten Fahnen in den verschiedenen europäischen Revolutionen bedeutete. In Rom stand Giuseppe Mazzini an der Spitze einer Republik der ‚Teufel und Freimaurer‘, wie man damals sagte.“
Das zeige, daß der kirchliche Diskurs auch damals „eminent politisch“ war. Es genügt, die erste Ausgabe der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica vom 6. April 1850 durchzublättern, deren Gründung eine direkte Reaktion auf diese Ereignisse war. Genauso wie ein halbes Jahrhundert später der Modernismus nicht nur eine theologische und philosophische Bewegung war, sondern auch eine politische, war auch der Antimodernismus ein politischer Faktor wie Gestalten wie Charles Maurras und Jacques Maritain belegen.
Dasselbe galt für den Renouveau catholique am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, der „letzten großen katholischen Kulturbewegung“, der es gelang, über die engeren Grenzen hinaus zu wirken: Péguy, Bernanos, Claudel, Mauriac, Eliot, Chesterton, Graham Greene, Hilaire Belloc, Sigrid Undset und andere mehr.
„Politisch“ war auch die päpstliche Verurteilung der Action Française, die vor allem mit der Entschlossenheit zu tun hatte, daß die Kirche die katholischen Kräfte auch auf politischer Ebene nicht außerkirchlichen Kräften überlassen wollte. Aus demselben Grund kam es zwischen 1931 und 1938 zu Konflikten zwischen dem Heiligen Stuhl und dem italienischen Faschismus.
„Bekanntermaßen führte die päpstliche Verurteilung der Maurras-Bewegung in Frankreich zum langen Durchmarsch des katholischen Progressismus, der in den Ereignissen der folgenden 50 Jahre eine entscheidende Rolle spielen sollte.“
Maritain sprach von einem „Primat des Spirituellen“, der wiederzugewinnen sei. Gleiches tat die Katholische Aktion in Italien, als sie in den 70er Jahren die „Religiöse Entscheidung“ propagierte. In Wirklichkeit stand hinter diesen Weichenstellungen „ein neues, anderes politisches Projekt“.
„Auch die verbreitete Feindseligkeit gegenüber Benedikt XVI. von großen Teilen des zeitgenössischen Kulturbetriebs und auch des katholischen Establishments war in erster Linie politisch.“
Der Grund ist im Zusammenfallen bestimmter Ereignisse und Entwicklungen zu suchen, der in diesen Kreisen den Eindruck entstehen ließ, daß das Wirken von Joseph Kardinal Ratzinger und das Lehramt von Papst Benedikt XVI. ein Teil dieser Entwicklungen war, konkret die Auflösungserscheinungen des Marxismus, der Zusammenbruch des Kommunismus in Europa, die Diskussion über das Schicksal und die Identität des Westens nach den Angriffen auf die Zwillingstürme 2001 und die Verteidigung und Ausbreitung der katholischen Tradition.
Diese Kreise befürchteten das Wiedererstarken eines philosophisch-kulturellen Konservativismus, dessen Stunde mit 1989 anzubrechen schien.
Pertici erwähnt als Beispiel den vor kurzem verstorbenen Henri Tincq (1945–2020), der von 1985 bis 2008 Vatikanist von Le Monde war. Tincq sprach von einem „Einfrieren“ von Doktrin, Moral und Disziplin in der Kirche, wodurch sie unfähig werde, auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren.
„Für ihn und seine Zeitung gab es keine Zweifel: Das Gravitationszentrum der Kirche hatte sich ‚nach rechts‘ verschoben.“
Verwendet ein Teil, von dem sich ein anderer Teil bedroht fühlt, eine politische Sprache, werde sich auch der andere Teil zunehmend eine solche zulegen. Diese Entwicklung läßt sich unter Papst Franziskus beobachten.
Die Politisierung der Gesellschaft seit der Französischen Revolution
Pertici gibt zu, daß seine Analyse sich vor allem auf die Entscheidungsträger bezieht. Es sei eben schwierig, „die politische Auswirkung im religiösen Leben der vielen ‚paysans de La Garonne‘ der vergangenen 200 Jahre zu erheben“.
Tatsache sei jedenfalls, daß sich schon in der Vergangenheit immer wieder, „bewußt und unbewußt“, Politik und Religion auf vielfältige Weise vermengten. Entscheidend sei deshalb, die Gründe zu verstehen, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten zu einem „Primat der Politik“ geführt haben. Die neue Geschichtssicht, die aus der Französischen Revolution hervorging, stellte die Kirche vor neue Herausforderungen, die von eminent politischer Relevanz waren. Eine dieser Fragen war, welche Haltung sie gegenüber dem Verfassungsstaat einnehmen sollte. Es folgten zahlreiche weitere: Welche Haltung sollte sie gegenüber der Industriellen Revolution, dem Ende der Agrargesellschaft, dem Klassenkampf, dem Sozialismus und Kommunismus, der Beseitigung der Kaiserreiche, der Herausbildung der Nationalstaaten und des Nationalismus, dem Totalitarismus, dem Ende des Eurozentrismus, der Entkolonialisierung, der Dritten Welt usw. einnehmen. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
„Es gibt aber noch etwas weniger Offensichtliches und Tieferes.“
Und darin sieht Pertici den Schlüssel zur aktuellen Entwicklung.
Mit der Französischen Revolution setzte ein intensiver Politisierungsprozeß der Gesellschaft ein, mit dem deren „Entspiritualisierung“ einherging. In den vergangenen 200 Jahren ersetzte eine „neue Ethik“ die „alte katholische Moral“, die auf der persönlichen Sünde und auf Himmel und Hölle gründet, wie der laizistische Historiker Rosario Romeo (1924–1987) zu sagen pflegte.
Laut Romeo erfolgte dieser Paradigmenwechsel, weil in der Gesellschaft „politische Werte einen immer größeren Raum“ einnahmen. Pertici veranschaulicht die Aussage, indem er darauf verweist, daß viele Zeitgenossen „perplex“ seien, wenn sie von der Kirche als „mystischen Leib Christi“ sprechen hören, während sie – egal wie sie dazu stehen – die Kirche bestens verstehen, wenn sie sich in den Kategorien einer ethischen oder ethisch-politischen Institution bewegt.
Die von Franziskus akzeptierte „anthropologische Wende“
Der Prozeß der „anthropologischen Wende“ sei von einem erheblichen Teils des heutigen Katholizismus zur Kenntnis genommen worden. Ihn zu akzeptieren, wird von diesem Teil als einzige Möglichkeit gesehen, in der Gesellschaft wieder einen Raum für eine christliche Präsenz zu finden. Darin, so Pertici, sei der Grund zu suchen, warum Papst Franziskus in seiner Osterbotschaft an die „Volksbewegungen“ eine „ausschließlich politische Auferstehung“ vertritt und so häufig von Ökologie und Dritter Welt spricht.
„Ich glaube aber, daß eine politische Spannung unter entgegengesetzten Vorzeichen auch in vielen seiner innerkirchlichen Gegner vorhanden ist.“
Wenn sie sich auf einen „Primat des Geistlichen“ berufen, der anstelle der politischen Linie von Papst Franziskus wiedergewonnen werden müsse, meinen auch sie eine „andere Politik“, so wie das im katholischen Progressismus der Nachkriegszeit der Fall war, als er einen „Primat des Spirituellen“ forderte, aber auch und nicht zuletzt eine andere politische Idee vertrat.
Pertici beschließt seine Analyse über die Bedeutung des Politischen in der Kirche und dem Vorrang des Politik bei Papst Franziskus mit einer Aussage von Papst Benedikt XVI., der am 19. Oktober 2006 in Verona darauf aufmerksam machte, daß die Säkularisierung nicht nur in der Welt rund um die Kirche stattgefunden, sondern auch die Kirche selbst erfaßt habe:
„Lernen wir, jener ‚inneren Säkularisierung‘ zu widerstehen, die die Kirche in unserer Zeit bedroht, als Folge der Säkularisierungsprozesse, die die europäische Zivilisation tief geprägt haben.“
Dazu merkt Prof. Pertici abschließend an:
„Der ‚Primat der Politik‘ in den verschiedenen und widersprüchlichen Formen seines öffentlichen Diskurses ist eine der eklatantesten Erscheinungen dieser ‚inneren Säkularisierung‘ in der Kirche.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/MiL/Vatican.va (Screenshot)
Auch zur Zeit Jesu hofften viele Menschen auf eine politische Befreiung.
Der Primat der Politik. Das ist es was dem Petrusamt unserer Tage immer mehr seine Leuchtkraft nimmt, und diesem mehr und mehr Ambivalenz gibt. Es ist weniger die Unversöhntheit mit den Zuständen der Welt, als vielmehr die unwillkürlich zugegebene Unversöhntheit mit der Kirche selbst, sowie den Insignien des Papstamtes, was diese Ambivalenz auslöst. Die tiefe innere Abneigung scheint dabei an den Reminiszenzen königlicher Würden besonderen Ausdruck zu finden. Zugleich jedoch wird die inharänte Machtfülle dieses Prinzips fraglos angenommen und mit voller Wucht ausgeübt. Der äusserliche Prunk des Papstamtes, welche dem Herrn und Erlöser als wahren König zukommt, wird nicht mehr in sichtbarer Weise verwaltet und zum Ausdruck gebracht. Dabei gibt diese Ausdrucksform dem Dienst aber nicht nur Würde sondern auch eine gewisse Milde, und Weltabgekehrtheit, während dem puritinisch erscheienenden Ausdruck sowohl der Glanz, wie auch die Milde fehlt. Man mag zeitgemässer erscheinen, aber genau das macht die Erscheinung auch kälter, rationaler, und verweltlichter. Wenn dazu noch unterschwellig die Infragestellung von Glaubensinhalten demonstriert wird, muss es zwangsläufig diejenigen, die mit der bisherigen Kirche versöhnt gelebt und diese auch geliebt haben, irritieren und schwächen. Zugunsten jenes Teils, die zumindest in weiten Teilen unversönt mit dieser Kirche gelebt haben, holt es nicht
zurück, wie man zahlenmässig an den Früchchten „des Konzils“ feststellen muss. Der Linksruck in der Hierarchie der Kirche ist deshalb auch kaum das Mittel ihrer Konsolidierung und ihres Missionsauftrages.