(Rom) Radio France International veröffentlichte am Samstag, 23. November ein Interview mit Nicolas Senèze, dem Journalisten, der ein Buch über den Widerstand US-amerikanischer Katholiken gegen das Pontifikat von Papst Franziskus vorlegte. Darin wiederholt der Autor seine kruden Phantasien.
Senèze ist Vatikanist von La Croix, der Tageszeitung der französischen Bischöfe. Sein Buch Comment l’Amérique veut changer de pape (Wie Amerika den Papst austauschen will) kam am 4. September in den Buchhandel.
Am selben Tag hatte Senèze auf dem Flug nach Maputo in Mozambik Gelegenheit, sein Buch Papst Franziskus persönlich zu überreichen. Dabei bestätigte Franziskus vor den mitreisenden Journalisten, daß er von „bestimmten Sektoren der amerikanischen Kirche angegriffen“ werde. So faßte es wenige Tage später, am 10. September, Jason Horowitz, der Vatikanist der New York Times, zusammen. Er sprach Franziskus auf dem Rückflug von seiner Afrika-Reise darauf an und wollte unter anderem vom Kirchenoberhaupt wissen (siehe Papst Franziskus: „Ich habe keine Angst vor einem Schisma“):
„Haben diese Kritiker irgend etwas von Ihrem Pontifikat nicht verstanden? Gibt es etwas, was Sie durch die Kritik aus den USA gelernt haben? Eine andere Sache noch: Haben Sie Angst vor einem Schisma der amerikanischen Kirche?“
Darauf antwortete Papst Franziskus ausführlich, wodurch die Schisma-Frage erstmals offiziell auf das Tapet kam.
Im Interview mit Radio France International (RFI) faßt Senèze die Kernaussage seines Buches zum Verhältnis von Franziskus und den US-Katholiken so zusammen:
„Eine Gruppe reicher Amerikaner möchte ihn loswerden und versucht, ihn zum Rücktritt zu bewegen.“
Der Autor gibt auch die Antwort von Franziskus wieder, die er ihm bei der Überreichung des Buches gab. Das Pressegespräch auf dem Hinflug wurde vom Vatikan ohne Nennung von Details veröffentlicht. Franziskus bedankte sich bei Senèze mit provokanten Worten:
„Es ist eine Ehre, daß diese Amerikaner mich angreifen.“
Dazu Senèze gegenüber RFI:
„Es ist eine Art zu sagen, daß er sich dieser Intrigen gegen ihn genau bewußt ist, aber daß er keine Angst hat und die großen Reformen, die er in der katholischen Kirche eingeleitet hat, nicht zurücknimmt oder bremsen wird.“
„Kreise reicher US-Katholiken drängen Papst Franziskus zum Rücktritt“
RFI: Wer sind diese reichen Amerikaner, und welche Interessen vertreten sie?
Senèze: Es gibt eine Kaste von katholischen Verantwortlichen, zumeist Laien, Eigentümer von Vermögen, die sich auf irgendeine Weise der Kirche in den Vereinigten Staaten und in Nordamerika bemächtigt haben. Sie hat ihr seit Jahren ihre Sichtweise auferlegt, eine sehr liberale Vision auf wirtschaftlicher Ebene, sehr moralistisch und entgegengesetzt zu jener, die von Franziskus vertreten wird. Dazu kommt auch, daß Franziskus ein Argentinier ist und dem südamerikanischen Katholizismus entstammt, der von Anfang an eine Form der Verachtung hervorgerufen hat. Es ist eine Strömung des amerikanischen Katholizismus, die tief im angelsächsischen Katholizismus verwurzelt ist und die gesamte lateinamerikanische Welt verachtet. Sie ist auch vom Protestantismus beeinflußt, einem Protestantismus namens „Theologie des Wohlstands“. Das heißt, wenn ich reich bin, dann deshalb, weil Gott mich gesegnet und mich für meine guten Taten belohnt hat. Auf der anderen Seite, wenn Sie arm sind, wie die Lateinamerikaner, die die Grenze [zu den USA] überschreiten, dann, weil Gott nicht auf Ihrer Seite ist. Es gibt immer diese Sichtweise, tiefverwurzelt in bestimmten Katholiken in den Vereinigten Staaten, ein gewisses Überlegenheitsgefühl. Es ist etwas, das man von Anfang an beobachten konnte, wie Papst Franziskus gesehen wird.
RFI: Laudato Si, neben anderen Enzykliken und Positionen, widerspricht offen den Interessen dieser Gruppe …
Senèze: Völlig. Evangelii gaudium, sein erster Text, den wir als ‚programmatisch‘ für das Pontifikat bezeichnen können, und Laudato Si sind Texte, die sich direkt der amerikanischen Wirtschaftsvision entgegensetzen und die Bereicherung des ‚American Way of Life‘ in Frage stellen, indem er direkt auf die ökologische und soziale Dimension, auf einen einfachen Lebensstil hinweist. Laudato Si greift diese amerikanische Sichtweise vom ungezügelten Konsum an, und das ist für bestimmte, große amerikanische Interessen unerträglich. Für sie gibt die moralische Autorität der Kirche und des Papstes dieser Botschaft eine Kraft, die für ihre Interessen unerträglich ist.
RFI: In Ihrem Buch betonen Sie, daß faktisch ein Drittel der Spenden, die die Kirche erhält, aus den USA kommen, und dieser Sektor das als Druckmittel eingesetzt hat.
Senèze: Es ist seit langem bekannt, daß sie als Teil der großen Finanziers des Vatikans ein Druckmittel haben. Sie haben wahrscheinlich eine Reihe von Entscheidungen und Sanktionen gegen Strömungen beeinflußt, die ihre Interessen nicht teilten. Aber Franziskus ließ sich nicht auf dieses Spiel der finanziellen Erpressung ein. Da das nicht funktionierte, gingen sie – Monsignore Viganò folgend – zur nächsten Phase über, um ihn zum Rücktritt zu drängen. Die Initiative war zum Scheitern verurteilt, bewirkte jedoch, das Vertrauen der öffentlichen Meinung in den Papst zu untergraben. Heute geht es darum, weiterzumachen und viel Geld auf den Tisch zu legen, um das nächste Konklave vorzubereiten.
RFI: Zu dieser Entschlossenheit, Papst Franziskus aus dem Amt zu entfernen, gehört der „Red Hat Report“ (ein Bericht über die Kardinäle). Worum geht es dabei?
Senèze: Da sie ihr Ziel in diesem Pontifikat nicht erreichten, sind sie zu einer zweiten Etappe übergegangen und bereiten das nächste vor. Wenn sie keinen Kandidaten als Verbündeten finden, suchen sie einen, der zumindest schwach genug ist, um ihn zu kontrollieren und zu manipulieren und ihm Entscheidungen aufzuzwingen. Dafür haben sie viel Geld und Ressourcen aufgeboten, zum Beispiel ehemalige FBI-Agenten, die alle Kardinäle überprüfen, die an der Wahl des nächsten Papstes teilnehmen werden. Die Idee ist, alle Gerüchte auszunutzen, die nachweisbar sind oder nicht, und die die Kardinäle ausschalten können, die wahrscheinlich die von Franziskus durchgeführten Reformen fortsetzen werden.
RFI: In dieser Offensive haben sie den sexuellen Mißbrauch innerhalb der Kirche instrumentalisiert…
Senèze: Sogar die Opfer von sexuellem Mißbrauch erkannten schnell, wie weit sie instrumentalisiert wurden, um Franziskus der Nachsicht bei Mißbrauchsfällen zu beschuldigen und ihn zu diskreditieren. Monsignore Viganò, der Nuntius in den USA und Franziskus-Ankläger, wirft ihm vor, bestimmte amerikanische Kardinäle geschützt zu haben. In Wirklichkeit war Franziskus der erste, der Sanktionen gegen sie verhängt hat. Der Wille ist klar, unter dem Vorwand, die Mißbräuche anzuprangern, die Glaubwürdigkeit des Papstes anzugreifen.
RFI: Gibt es Beziehungen zwischen diesen Kreisen und Persönlichkeiten wie Steve Bannon oder Mike Pence [Vizepräsident der USA]?
Senèze: Es gibt Absprachen mit dem Weißen Haus und der Republikanischen Partei, auf jeden Fall eine Übereinstimmung zu bestimmten Sachfragen. Mike Pence vertritt eindeutig die Überzeugungen dieser amerikanischen Interessengruppe. Er ist zweifellos jemand, mit dem sie in engem Kontakt stehen. Vor der Wahl gab Donald Trump ihnen Garantien wie die Ernennung eines Vizepräsidenten, der ihre Ideen teilt, und – was rechtlich sehr wichtig ist – die Ernennungen zum Obersten Gerichtshof. In der Frage der Abtreibung verteidigen sie sowohl eine sehr lebensfreundliche Politik als auch die Todesstrafe. Das ist eines der Probleme mit Papst Franziskus, der für das Leben und gegen die Todesstrafe ist. Es gibt sehr politische Dinge, die auch einer bestimmten Sicht der amerikanischen Lebensweise entsprechen.
RFI: Wie fügt sich die Amazonassynode in diese Auseinandersetzung im Vatikan ein?
Senèze: Eines der ersten Ziele dieser Synode war es, die ökologische und soziale Situation zu untersuchen, indem bestimmte wirtschaftliche und finanzielle Interessen wie die der Agrarindustrie oder der Rohstoffindustrie, die von politischen Komplikationen profitieren, in Frage gestellt werden. Für die ist das Wort der Kirche unerträglich, weshalb sie versuchten, es auf ausschließlich kirchliche Themen wie den Zölibat zu konzentrieren, damit die Probleme nicht angesprochen werden, die sie betreffen. Wir sehen eine Übereinstimmung zwischen diesen Interessen, Ultrakonservative, die Meinungen zu internen Themen schüren, und große Wirtschaftsgruppen, die nicht wollen, daß sich die Kirche gegen ihre Interessen äußert.
RFI: Wie zeichnet sich die Nachfolge von Papst Franziskus ab?
Senèze: Franziskus wurde von mindestens zwei Dritteln der Kardinäle mit dem klaren Ziel gewählt, die Kirche zu reformieren. Mit anderen Worten, eine starke Unterstützung, auch wenn sich eine Minderheit widersetzt. Kürzlich wurden Kardinäle ernannt, die diese Reform-Sensibilität teilen. Franziskus wird 83 und nähert sich dem Ende, es wird ein Konklave geben. Ich glaube, daß die eingeleitete Reform irreversibel ist, aber es besteht die Gefahr, daß durch die Diskreditierung einer erheblichen Zahl von Kardinälen – der berüchtigte Red Hat Report – der Gewählte schwach ist und die Reform nicht weiterführen kann, sodaß die Dinge letztlich auf halbem Weg bleiben.
Irreale Szenarien
Was soll man zu so viel Phantasie sagen. Zu einer Darstellung, die klingt, als wäre man in einem anderen Film. Von der die eigene Wahrnehmung so weit entfernt ist, daß man nur wenig davon bestätigen könnte. Die Antworten von Senèze wirken über weite Strecken irreal. Kurzum: Von einem Vatikanisten einer Tageszeitung, die den Bischöfen gehört, würde man sich mehr Zurückhaltung und vor allem mehr Sachlichkeit erwarten.
Nicolas Senèze im Doppelpack mit Paul Zulehners Mordkomplottphantastereien ergibt Yallop 2. Mit einem gewichtigen Unterschied: Yallop wollte mit seiner sensationsgierigen Phantasie „nur“ hohe Verkaufszahlen erzielen, um damit ein Geschäft zu machen. Die unseriösen Anspielungen der Zulehners und Senèzes unserer Tage dagegen sind Ausdruck einer innerkirchlichen Richtung. Sie handeln aus Überzeugung, weil sie ein Ziel erreichen wollen – die Errichtung einer anderen Kirche – für das sie leider bereit sind, sehr weit zu gehen und Grenzen zu überschreiten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Forum catholique/RFI (Screenshots)