Kommentar von Clemens Victor Oldendorf.
„In Christus sind alle Religionen ‚aufgehoben‘, ‚aufgehoben‘ in einem dreifachen Sinn: Außer Kraft gesetzt, erhöht und bewahrt. Deswegen geschieht Inkulturation immer in Anknüpfung und Bruch zugleich.“
(Bischof Rudolf Voderholzer von Regensburg).
Gero P. Weishaupt, als Kirchenrechtler für die Gemessenheit seiner Einschätzungen bekannt und dafür geschätzt, Polemiken ebenso wie Spekulationen konsequent zu meiden, hat sich am 13. November 2019 auf Kathnews dafür verwandt, dass die Aktion Contra recentia sacrilegia „die Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten sowie die Ehrfurcht gegenüber den Hirten“ wahrt und sohin von can. 212 § 3 CIC/1983 gedeckt ist. Dieser Canon garantiert Laien wie Klerikern das Recht, der kirchlichen Obrigkeit Bedenken kundzutun, die auf irgendeine Weise Wohl und Wehe der Kirche betreffen.
Die Frage ist berechtigt, welchen Sinn dabei Unterschriftenaktionen haben, zumal die Integrität des Glaubens keine Frage demokratischer Mehrheitsverhältnisse ist, doch wäre es den meisten Gläubigen anders überhaupt nicht möglich, dieses verbriefte Recht auszuüben, denn nicht jeder kann ein Unbehagen, das er bei einem problematischen Vorgang deutlich empfindet, theologisch auch selbst adäquat artikulieren und begründen, ist also darauf angewiesen, sich einer entsprechenden Formulierung anzuschließen, und dies geschieht nun einmal am leichtesten, indem man eine Unterschrift unter einen Text setzt, mit dessen Aussage die eigene Position am ehesten übereinstimmt. Im gegenständlichen Fall geht es – wie sollte es anders sein? – um die Rolle, die amazonische Pachamamaskulpturen während der vergangenen Amazonas-Synode in Rom gespielt haben.
„Vorwürfe, Anschuldigungen oder gar Verleumdungen des Heiligen Vaters“ liegen nicht vor
Für ihre Initiative beriefen sich die Organisatoren des Protestschreibens auf Einschätzungen dreier Kardinäle, unter anderem aber auch auf Aussagen des Regensburger Bischofs Rudolf Voderholzer. Dieser distanzierte sich in einer Stellungnahme, die ebenfalls unter dem Datum des 13. November 2019 auf der Homepage des Bistums Regensburg aufgerufen werden kann, als nicht zielführend von der Unterschriftensammlung, weil er offenbar darin „Vorwürfe, Anschuldigungen oder gar Verleumdungen des Heiligen Vaters“ erblickt. Unter Berufung auf diese Stellungnahme zog tags darauf die Regensburger Fürstin Gloria von Thurn und Taxis ihre ursprünglich gegebene, prominente Unterschrift zurück.
Zwischenzeitlich hatte auch der Stuttgarter Hausobere der Petrusbruderschaft, Pater Stefan Dreher, die Initiative mit seiner Unterschrift unterstützt, diese dann jedoch offenbar auf Anweisung des Distriktoberen ebenso wieder zurückgezogen. Ein Vorgang, der, wenn er sich so zugetragen hat, sehr bedauerlich ist, vor allem, weil man sich wünschen würde, dass konstruktiv ebenfalls so umgehend und wirkungsvoll im Distrikt agiert würde. Dreher hatte seine Unterschrift selbstverständlich zwar als Priester, nicht aber im Namen der Petrusbruderschaft, sondern als Privatperson gegeben, in eigener Verantwortung. Deshalb wäre er meines Erachtens trotz seines Gehorsamsverhältnisses zu seinem Vorgesetzten nicht dazu verpflichtet gewesen, seine Unterschrift zu widerrufen. Deshalb gilt für ihn mutatis mutandis entsprechend, was anschließend für das Verhältnis der Fürstin zu ihrem Ortsordinarius Bischof Voderholzer von Regensburg gesagt werden wird.
Umso mehr Hochachtung und Respekt verdienen angesichts dessen jedenfalls Priester, die Rückgrat besitzen und beispielsweise (sogar innerhalb der Petrusbruderschaft!) dem Aufruf der Piusbruderschaft gefolgt sind und am 10. November 2019 die heilige Messe zur Sühne für die Pachamama-Zeremonien, die sich während der Synode im Vatikan abgespielt hatten, gefeiert haben.
Der eigentlich problematische Kernsatz der Bischöflichen Stellungnahme
Ihr Rückzug von der Unterschriftenliste entspringt bei Gloria von Thurn und Taxis zum mindesten einem unreflektierten Loyalitätsverständnis gegenüber dem eigenen Ortsoberhirten.
Der am meisten problematische Satz, den dieser in seiner Stellungnahme aus einer zuvor gehaltenen Predigt, wegen der er für die Unterschriftenaktion in Anspruch genommen wurde, zitiert, ist diesem Kommentar als Motto vorangestellt:
„In Christus sind alle Religionen ‚aufgehoben‘, ‚aufgehoben‘ in einem dreifachen Sinn: Außer Kraft gesetzt, erhöht und bewahrt. Deswegen geschieht Inkulturation immer in Anknüpfung und Bruch zugleich.“
Die argumentative Zulässigkeit einer rhetorischen Raffinesse
Das Wortspiel mit dem deutschen Ausdruck aufgehoben kann meines Erachtens als seriöses, theologisches Argument nicht im Vollsinn oder mit allen drei Bedeutungsebenen zugleich auf alle Religionen angewandt werden. Am ehesten trifft das Argument auf das Judentum zu, doch ist es wegen dessen Vielschichtigkeit und der Tatsache, dass das Selbstverständnis des nachchristlichen Judentums, für das es essentiell und mehr noch identitätsstiftend ist, die Messianität Jesu von Nazareth auszuschließen, fraglich, inwiefern die Rede vom Aufgehobensein überhaupt auf dieses nachchristliche Judentum anwendbar ist oder nicht vielmehr aus Sicht gläubiger Juden eine unzulässige Vereinnahmung seitens der Kirche darstellen muss.
Sieht man einmal von diesem Einwand ab, so ist das Judentum gerade deswegen im Neuen Bund aufgehoben, weil es selbst auf einem Bundesschluss Gottes mit Seinem Volk Israel beruht. Mit anderen Völkern oder gar mit der Menschheitsfamilie an sich hat Gott keinen solchen Bund nicht geschlossen, ist man versucht, für die Regensburger in bairisch doppelter Verneinung zu betonen – darin besteht doch ausgerechnet die Auserwählung Israels. Erst mit der Heidenmission der Kirche wurde der Neue Bund grundsätzlich allumfassend; katholisch.
Auch wenn man die Annahme einer noch vorerbsündlichen Uroffenbarung bejaht, bleibt diese Tatsache bestehen: Die Religionen der Völker sind keine weiteren Bundesschlüsse Gottes. Papst Paul VI. drückt das in Evangelium nuntiandi sinngemäß treffend in dem Bild aus, dass die Menschen in ihrer Religiosität gleichsam in intuitiver Sehnsucht die Hände nach dem Göttlichen ausstrecken, das Christentum, die Kirche, es aber ist, die die angestrebte Verbindung tatsächlich herstellt.
Bei Religionen, die überhaupt erst nachchristlich in der Geschichte auftreten, allen voran der Islam, ist zusätzlich zu fragen, auf welche Weise es möglich sein soll, dass sie in Christus erhöht und bewahrt sein sollen.
Pachamama als amazonische Folklore?
Es ist unbestritten, dass es auch in Europa viel Folklore gibt, die kirchlich integriert wurde, aber ursprünglich vorchristlicher Religiosität entstammt. Der Weihnachtstermin der Westkirche war das Fest des Sol invictus, die Liturgie der Kirche hat sich ziemlich lange gesträubt, Weihrauch zu verwenden, weil gerade das Streuen von Weihrauchtränen vor den Standbildern des römischen Kaisers der von den Christen verlangte Gestus war, dessen postulierte Göttlichkeit anzuerkennen. Das wäre die Eintrittskarte ins Pantheon für den Christengott gewesen.
Voderholzer spricht an, dass die Religionen der Reinigung bedürfen, um sozusagen in Christus aufgehoben zu sein. Gerade diese Katharsis hat Pachamama auf der Synode indes nicht durchlaufen. Niemand unterstellt Papst Franziskus, er hätte Pachamama persönlich angebetet. Das hat er gewiss nicht getan, sogar, wenn er rein räumlich betrachtet vor diesen Statuen gebetet haben sollte. Freilich, solches Verhalten trägt nicht zur Klarheit bei, geschweige denn zur Wahrheit.
Nur Anknüpfung, mangelnder Bruch
Der Heilige Vater hat jedoch sehr wohl seitens der Amazonas-Indianer Zeremonien ermöglicht und war dabei anwesend, in denen die Pachamamastatuen gelinde gesagt eindeutig wie latreutisch behandelt worden sind, und dagegen erhebt sich die berechtigte Empörung der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.
Die Hierarchie ist dagegen allerdings spätestens seit Assisi 1986 abgestumpft. Deswegen wäre es ungerecht, jetzt allein ein Fehlverhalten bei Papst Franziskus zu sehen. Selbst Benedikt XVI. nahm beim Besuch einer Moschee ostentativ eine Handhaltung ein, die Muslime beim Gebet pflegen. Solche Akte sind allesamt überflüssig, irreführend und verwirrend und auch keineswegs dadurch gerechtfertigt, dass sich in allen Religionen möglicherweise Reste einer Uroffenbarung finden oder diese Religionen in einem sehr vagen Sinne wahrheitsträchtig sein mögen, irgendwie mit der Wahrheit schwanger gehen.
Der Krampus wird nicht angebetet
In der Zeit der Jahreswende kommen im alpinen Raum wieder die Krampusse und Perchten, deren Ursprung auf heidnische Vorstellungen zurückreicht. Aber Bischof Voderholzer und Gloria von Thurn und Taxis seien versichert: Kein Tiroler betet diese Teufelsmasken an. Ein Schritt, der am Amazonas und zuletzt in den Vatikanischen Gärten mit Pachamama (noch) nicht vollzogen worden ist.
Papst Franziskus hat durch sein Verhalten diesen notwendigen Schritt weder ermutigt noch gefördert, sondern erschwert. Und dies kann und muss jeder gläubige Christ unter Befremden und Protest feststellen, ohne dass er dadurch die geschuldete Ehrfurcht und Hochachtung vor dem Heiligen Vater verletzt oder gar ganz vermissen ließe. Ich frage Bischof Voderholzer: Ist es Ihr Weg, Exzellenz, den Unterzeichnern das zu unterstellen? Falls ja, ist das, was gefordert ist, eine förmliche und öffentliche Entschuldigung Ihrerseits. Falls nicht, stellen Sie es bitte – gegebenenfalls in einer weiteren Bischöflichen Stellungnahme – unmissverständlich klar und zwar, ohne unnötig Zeit zu verlieren!
Bild: Youtube (Screenshots)