Papst Franziskus, der Philosoph der Inklusion

Inklusivismus


Papst Franziskus der Haupttheoretiker der "Mestizentums" des Einen Staates, Einen Volkes und EInen Gottes.
Papst Franziskus der Haupttheoretiker der "Mestizentums" des Einen Staates, Einen Volkes und EInen Gottes.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Der 2. Juni, an dem in Ita­li­en mit einer tra­di­tio­nel­len Mili­tär­pa­ra­de das Fest der Repu­blik began­gen wird, stand in die­sem Jahr ganz im Zei­chen der „Inklu­si­on“. „Das The­ma der gesell­schaft­li­chen Akzep­tanz, die das Ereig­nis geprägt hat, spie­gelt gut die Wer­te wider, die in unse­rer Ver­fas­sung fest­ge­mei­ßelt sind. Kein Bür­ger soll sich allein­ge­las­sen füh­len, viel­mehr muß ihm die Aus­übung sei­ner Rech­te garan­tiert sein“, erklär­te Staats­prä­si­dent Ser­gio Mat­tar­el­la. Am sel­ben Tag leg­te Papst Fran­zis­kus in Blaj in Rumä­ni­en im Namen der katho­li­schen Kir­che ein Mea cupla ab wegen der Dis­kri­mi­nie­run­gen, die die Roma erlei­den mußten: 

„Im Namen der Kir­che bit­te ich den Herrn und euch um Ver­ge­bung dafür, wenn wir euch im Lau­fe der Geschich­te dis­kri­mi­niert, miß­han­delt oder falsch ange­schaut haben, mit dem Blick Kains statt Abels, und wenn wir unfä­hig waren, eure Beson­der­heit zu erken­nen, wert­zu­schät­zen und zu verteidigen.“

In der Geschich­te fin­den sich aber kei­ne Spu­ren der Ver­fol­gung oder Miß­hand­lung der Roma durch die Kir­che. Mit die­sen Wor­ten woll­te Papst Fran­zis­kus aber jene „Inklu­si­on“ bekräf­ti­gen, deren Haupt­theo­re­ti­ker er heu­te ist, und nach der die Euro­päi­sche Uni­on ihre Poli­tik ausrichtet.

Der Nach­druck, mit dem Papst Fran­zis­kus immer wie­der auf The­men wie Inklu­si­on, Nicht-Dis­kri­mi­nie­rung, Auf­nah­me oder Kul­tur der Begeg­nung zurück­kommt, mag man­chen wie ein Aus­druck der Näch­sten­lie­be erschei­nen, die, um eine Meta­pher zu ver­wen­den, die von Papst Berg­o­glio sel­ber stammt, Teil der „Iden­ti­täts­kar­te des Chri­sten“ ist. Wer so denkt, unter­liegt aller­dings einem Feh­ler der Per­spek­ti­ve ana­log dem der pro­gres­si­ven Katho­li­ken in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts, die über­zeugt waren, daß die Auf­merk­sam­keit die Karl Marx dem Pro­le­ta­ri­at schenk­te, sei­ner Lie­be zur sozia­len Gerech­tig­keit ent­sprun­gen sei. Die­se Katho­li­ken schlu­gen vor, den Mar­xis­mus zu dekon­stru­ie­ren, die mate­ria­li­sti­sche Phi­lo­so­phie abzu­leh­nen, aber sei­ne Wirt­schafts- und Sozi­al­ana­ly­se zu über­neh­men. Sie ver­stan­den nicht, daß der Mar­xis­mus ein unteil­ba­res Gan­zes ist, und die mar­xi­sti­sche Sozio­lo­gie eine direk­te Kon­se­quenz sei­nes dia­lek­ti­schen Mate­ria­lis­mus ist. Marx war kein Phil­an­throp, der sich des Elends des Pro­le­ta­ri­ats annahm, um des­sen Lei­den zu lin­dern, son­dern ein mili­tan­ter Phi­lo­soph, der sich die­ser Lei­den bedien­te und sie instru­men­ta­li­sier­te, um sei­ne revo­lu­tio­nä­ren Zie­le zu verwirklichen.

Auf ana­lo­ge Wei­se ent­springt die Auf­merk­sam­keit von Papst Fran­zis­kus für die „Rän­der“ und die Letz­ten nicht aus einem Geist des Evan­ge­li­ums und auch nicht aus einem lai­zi­sti­schen Phil­an­tro­pen­tum, son­dern aus einer pri­mär phi­lo­so­phi­schen und dann erst poli­ti­schen Ent­schei­dung. Sie läßt sich in den Begrif­fen einer kos­mo­lo­gi­schen Gleich­heit zusammenfassen. 

Fran­zis­kus gebraucht in sei­ner Öko-Enzy­kli­ka Lau­da­to si einen Neo­lo­gis­mus: Der Begriff „ine­qui­tà“ gibt im Wesent­li­chen jede Form von Unge­rech­tig­keit und sozia­ler Ungleich­heit wie­der [in der offi­zi­el­len deut­schen Über­set­zung der Enzy­kli­ka durch den Vati­kan wird der Begriff ent­spre­chend ein­mal als „Ungleich­heit“, ande­re Male als „Unge­rech­tig­keit“, „Unge­rech­tig­kei­ten“ oder „sozia­le Unge­rech­tig­keit“ wie­der­ge­ge­ben, Anm. GN].

Am 11. Novem­ber 2016 sag­te Papst Fran­zis­kus zu Euge­nio Scal­fa­ri in der Tages­zei­tung La Repubbli­ca:

„Was wir wol­len, ist der Kampf gegen die Ungleich­heit. Das ist das größ­te Übel, das es in der Welt gibt.“

Im sel­ben Inter­view mach­te sich Papst Berg­o­glio das Kon­zept des „Mesti­zen­tums“ [der „Ras­sen­ver­mi­schung“, Anm. GN] zu eigen, das Scal­fa­ri ins Spiel brach­te. Scal­fa­ri wie­der­um schrieb am 17. Sep­tem­ber 2017 in der­sel­ben Zei­tung in einem Leit­ar­ti­kel, daß ihm Papst Fran­zis­kus gesagt hatte:

„In der glo­ba­len Gesell­schaft, in der wir leben, sie­deln sich gan­ze Völ­ker in die­ses oder jenes Land um, und es wird sich Schritt für Schritt, je mehr Zeit ver­geht, eine Art von immer mehr inte­grier­tem ‚Mesti­zen­tum‘ schaf­fen. Er sieht dar­in eine posi­ti­ve Sache, wo die ein­zel­nen Per­so­nen und Fami­li­en und Gemein­schaf­ten immer mehr inte­griert und die ver­schie­de­nen Volks­grup­pen ver­schwin­den wer­den, und der Groß­teil unse­rer Erde von einer Bevöl­ke­rung mit neu­en phy­si­schen und spi­ri­tu­el­len Merk­ma­len bewohnt sein wird. Es wird Jahr­hun­der­te oder sogar Jahr­tau­sen­de brau­chen bis ein sol­ches Phä­no­men umge­setzt sein wird, aber – laut den Wor­ten des Pap­stes – das ist die Rich­tung. Er pre­digt nicht zufäl­lig den Ein­zi­gen Gott, das heißt, einen für alle. Ich bin nicht gläu­big, aber ich erken­ne in den Wor­ten von Papst Fran­zis­kus eine Logik: ein ein­zi­ges Volk und ein ein­zi­ger Gott. Es gab bis­her kein reli­giö­ses Ober­haupt, das der Welt die­se sei­ne Wahr­heit gepre­digt hätte.“

Der Begriff „Mesti­zen­tum“, genau­so wie Inklu­si­on und Will­kom­men-Hei­ßen, wie­der­holt sich häu­fig in der Pasto­ral von Papst Berg­o­glio. Am 14. Febru­ar 2019 traf Fran­zis­kus anläß­lich sei­ner Rede vor dem Inter­na­tio­na­len Fonds für land­wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung (IFAD) in Rom eine Ver­tre­tung indi­ge­ner Völ­ker und bezeich­ne­te die­se Gemein­schaf­ten als „einen leben­den Hoff­nungs­schrei“. Zugleich äußer­te er den Wunsch nach einem „kul­tu­rel­len Mesti­zen­tum“ zwi­schen den „soge­nann­ten zivi­li­sier­ten Völ­kern“ und den ein­ge­bo­re­nen Bevöl­ke­run­gen, die „es ver­ste­hen, auf die Erde zu hören, die Erde zu sehen, die Erde zu berüh­ren“. Das „kul­tu­rel­le Mesti­zen­tum“, erklär­te er, ist die Rou­te, der zu fol­gen ist, indem dafür gear­bei­tet wird, „jene zu schüt­zen, die in den länd­li­chen und ärm­sten, aber an Weis­heit des Zusam­men­le­bens mit der Natur reich­sten Gegen­den des Pla­ne­ten leben“.

Am 19. Janu­ar 2018 begeg­ne­te Papst Fran­zis­kus in Puer­to Mal­do­na­do, im Her­zen des perua­ni­schen Ama­zo­nas­tief­lan­des, den Ama­zo­nas-Indi­os und sag­te zu ihnen: Der „ech­te Schatz“ die­ser Regi­on kann nicht ver­stan­den und begrif­fen wer­den ohne „eure Weis­heit“ und „eure Kennt­nis­se“. Um die­sen Hin­weis auf die „Weis­heit“ und die „Kennt­nis­se“ der Indi­os bes­ser zu ver­ste­hen, muß auf einen Autor zurück­ge­grif­fen wer­den, der Papst Fran­zis­kus sehr kost­bar ist: den ehe­ma­li­gen Fran­zis­ka­ner Leo­nar­do Boff. Der Ama­zo­nas, so Boff, hat „einen uni­ver­sa­len, para­dig­ma­ti­schen Wert“, weil er das Gegen­mo­dell zum moder­nen Ent­wick­lungs­mo­dell dar­stellt, das „durch kapi­ta­le und anti-öko­lo­gi­sche Sün­den (des Kapi­tals) bela­stet ist“. Er ist „der geeig­ne­te Ort, um eine mög­li­che Alter­na­ti­ve zu expe­ri­men­tie­ren, in Ein­klang mit dem Rhyth­mus jener präch­ti­gen Natur, indem die öko­lo­gi­sche Weis­heit der Ein­ge­bo­re­nen, die seit Jahr­hun­der­ten dort leben, respek­tiert und erschlos­sen wird“ (Eco­lo­gia: Gri­to da Ter­ra, Gri­to dos Pobres, São Pau­lo 1995; dt. Schrei der Erde, Schrei der Armen, Düs­sel­dorf 2002; hier wie­der­ge­ge­ben nach der ital. Aus­ga­be, S. 26f).

Der Ama­zo­nas ist dem­nach nicht nur ein phy­si­scher Ort, son­dern ein „kos­mo­lo­gi­sches Modell“, in der die Natur als ein leben­di­ges Gan­zes gese­hen wird, das eine See­le hat und ein inne­res und spon­ta­nes Hand­lungs­prin­zip. Mit die­ser von Gött­lich­keit durch­tränk­ten Natur hal­ten die latein­ame­ri­ka­ni­schen Indi­os eine Bezie­hung auf­recht, so die­se Annah­me, die der Westen ver­lo­ren habe. Die Weis­heit der Indi­ge­nen sei wie­der­zu­ge­win­nen, indem sie um Ver­ge­bung gebe­ten wer­den für die Dis­kri­mi­nie­run­gen, die ihnen gegen­über began­gen wur­den, ohne daß sie ihrer­seits um Ver­ge­bung bit­ten müß­ten für den Kan­ni­ba­lis­mus und die Men­schen­op­fer, die ihre Vor­fah­ren prak­ti­zier­ten. Die Brücken mit denen die Mau­ern ersetzt wer­den sol­len, füh­ren nur in eine Richtung.

Das ist das kul­tu­rel­le Hin­ter­land der Ama­zo­nas­syn­ode, die am kom­men­den 6. Okto­ber im Vati­kan begin­nen wird. Die Inklu­si­on ist in erster Linie ein phi­lo­so­phi­sches und dann erst ein sozia­les Kon­zept. Es bedeu­tet die Beja­hung einer hybri­den, unter­schieds­lo­sen „Mestizen“-Realität, in der alles ver­schmilzt und alles sich ver­wirrt, wie es die Gen­der-Theo­rie ver­tritt, die Inklu­si­ons­theo­rie par excel­lence. Die LGBT-Per­so­nen – wie auch die Migran­ten und die süd­ame­ri­ka­ni­schen Indi­os –  sind nicht anzu­neh­men und zu respek­tie­ren wegen ihres Mensch­seins, son­dern wegen der Kul­tur und der Ori­en­tie­rung, die sie cha­rak­te­ri­sie­ren und die sie vertreten.

Die­se Kos­mo­lo­gie erin­nert an den „Deus sive natu­ra“ von Spi­no­za, der die Iden­ti­tät Got­tes mit der unend­li­chen Sub­stanz pre­digt, aus der alle Wesen her­vor­kom­men. Gott ist in die Natur ein­zu­schlie­ßen und die Natur ist in Gott zu inklu­die­ren, der kei­ne tran­szen­den­te, son­dern eine welt­im­ma­nen­te Cau­sa ist, mit der er deckungs­gleich ist. Es gibt kei­nen qua­li­ta­ti­ven Unter­schied zwi­schen Gott und der Natur, so wie es kei­nen qua­li­ta­ti­ven Unter­schied zwi­schen den ver­schie­de­nen Gesell­schaf­ten, Reli­gio­nen und Kul­tu­ren gibt, ja nicht ein­mal zwi­schen Gut und Böse, die laut Spi­no­za „Kor­re­la­ti­ve“ sind (Ethi­ca, IV, prop. 68).

Die Dok­trin der Inklu­si­on ist nicht die der Enzy­kli­ka Aeter­ni Patris von Leo XIII. oder jene von Pas­cen­di des hei­li­gen Pius X., son­dern wider­spricht viel­mehr die­sen Doku­men­ten. Doch nur weni­ge wagen das offen zu sagen. 

Wie lan­ge wird die­ses zwei­deu­ti­ge Schwei­gen, das vie­len bequem ist, vor allem jenen, die sich sei­ner bedie­nen, um Zie­le zu errei­chen, die den über­na­tür­li­chen Zie­len der Kir­che fremd sind, noch andauern?

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017.

Übersetzung/​Anmerkungen: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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