(Rom) Fährtenlesen im Amazonas-Regenwald:
Amazonas I
Am vergangenen Freitag, dem 8. Juni, stellte das Ständige Sekretariat der Bischofssynode das Vorbereitungsdokument zur Amazonassynode vor, die von Papst Franziskus für Oktober 2019 einberufen wurde. Der Vatikanist Sandro Magister schlug als erster im Dezember 2015 Alarm. Er kündigte bereits damals die Einberufung einer Amazonassynode an, die offiziell von Papst Franziskus erst im Frühherbst 2017 angekündigt wurde. Zweitens berichtete er, daß der eigentliche Zweck dieser Synode nicht ökologische oder soziale Fragen des Amazonas-Raumes seien, auch nicht die Evangelisierung der Regenwald-Indios, sondern die Trennung von Zölibat und Priestertum. Amazonien soll als „Werkstatt“ dienen, um Experimente für ein „neues Priestertum“ durchzuführen. Die Zulassung verheirateter Männer zum Priestertum sei dabei der wichtigste Punkt. Es gibt aber noch weitere.
Der Vatikan vertraute die Vorbereitung der Amazonassynode einem pan-amazonischen Kirchennetzwerk namens Repam an, die eigens dafür im Herbst 2014 gegründet wurde. Tonangebend darin ist Brasilien, das den größten Anteil am Einzugsgebiet des Amazonas hat. Von dort gehen auch die Initiativen für ein „anderes Priestertum“ aus.
Offiziell ist vom Vatikan nichts von einer Zölibatsaufhebung zu hören. Papst Franziskus vertraute die Vorbereitung der Amazonassynode aber – ganz ungewöhnlich – diesem Netzwerk Repam an. Repam besteht aus einem Dachverband und nationalen Ablegern in allen Staaten, die Anteil am Amazonas-Becken haben. Den Gesamtvorsitz führt der brasilianische Kardinal Claudio Hummes, den Vorsitz von Repam-Brasilien führt der emeritierte Missionsbischof Erwin Kräutler. Beide sind nicht nur entschiedene Verfechter der Zölibatsabschaffung, sondern auch des Frauenpriestertums. Sie geben bei den Vorbereitungen zur Amazonassynode den Ton an.
Papst Franziskus kennt die Positionen der beiden Kirchenvertreter und scheint sie zu teilen. Anders läßt sich weder die enge Freundschaft mit Kardinal Hummes noch die päpstliche Beauftragung mit der Synodenvorbereitung erklären.
Mit Spannung wurde daher die Vorstellung des Vorbereitungsdokumentes am vergangenen Freitag erwartet. Sie erfolgte ohne direkte Repam-Beteiligung durch römische Stellen. Die Pressekonferenz wurde von Kardinal Lorenzo Baldisseri, dem Generalsekretär der Bischofssynode, und seinen Mitarbeitern bestritten.
Wie von Beobachtern erwartet, läßt das Vorbereitungsdokument nicht ganz in die Karten schauen, was vom Vatikan dazu beabsichtigt ist. Dennoch liefert es eine Reihe ebenso erstaunlicher wie erhellender Hinweise, die alle Befürchtungen, die seit Magisters Weckruf vom Dezember 2015, in Umlauf sind, zu bestätigen scheinen.
Prophetische Dimension
Die entscheidende Stelle zum Priestertum findet sich im dritten Kapitel, das mit „Handeln“ überschrieben ist. Es ist dem Zukunftsmodell einer „Kirche mit Amazonas-Gesicht“ gewidmet. Gemeint ist eine Kirche, wie unter Nr. 12 ausgeführt, die auf „Ungerechtigkeit“, „Neokolonialismus“, Zerstörung der „Biodiversität“ und das Aufzwingen von „kulturellen und ökonomischen Modellen“ reagiert, die „dem Leben der Völker fremd sind“. Die Kirche habe sich als „Alternative zur Globalisierung der Gleichgültigkeit und zur Einheitslogik vieler Kommunikationsmittel“ zu konstituieren.
Diesem Verständnis einer „Amazonas-Kirche“ wird in Nr. 13 eine „prophetische Dimension“ zugesprochen. „Alles ist miteinander verbunden“, wird darin Papst Franziskus zitiert und erklärt, daß es sein „Ziel“ ist, „in den Dialog mit den spirituellen Wurzeln der großen religiösen und kulturellen Traditionen zu treten“. Gleichzeitig wird auf seine Enzyklika Laudato si von 2015 verwiesen mit der Forderung nach einer „ökologischen Umkehr“, die „einen neuen Lebensstil“ verlange, vor allem die „Befreiung vom Konsumzwang“ zugunsten eines „Lebens in gemeinschaftlicher Solidarität“. Das „verlangt eine Änderung des Herzens“.
Bei der Umsetzung dieser Ziele gehe es darum, die „geheimnisvolle Weisheit anzunehmen, die Gott uns durch sie mitteilen will“ (Evangelii gaudium, 198). Das Vorbereitungsdokument zitiert die Stelle nicht vollständig. Mit „sie“ meint Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium von 2013 „die Armen“. Im Vorbereitungspapier hingegen sind „die Völker“ gemeint, konkret die Amazoniens-Völker. „Die Armen“ und „die Völker“ des Amazonasraumes sind demnach Synonyme. Die „Lehren“ dieser „Völker“, in denen – so das Vorbereitungspapier nicht minder kryptisch – sich „die geheimnisvolle Weisheit“ Gottes mitteile „könnten die Richtung der Prioritäten weisen für die neuen Wege der Kirche“.
Ämter mit Amazonas-Gesicht
Die entscheidenden Stellen zum Priestertum folgen nach diesen Prämissen zur „prophetischen Dimension“ und der „geheimnisvollen Weisheit“ Gottes, die für die Amazonassynode in Anspruch genommen werden. Aber wofür? Das wird unter Nr. 14 ausgeführt. Der Absatz trägt die Überschrift:
„Ämter mit Amazonas-Gesicht“.
Im ersten Absatz wird die „Einheit“ der Weltkirche erwähnt, die sich „in der Geschichte und den lokalen Kulturen“ verwirkliche. Die Kirche in Amazonien sei sich in den vergangenen Jahrzehnten bewußt geworden (dabei wird auf das seinerzeit von Kardinal Bergoglio verantwortete Schlußdokument von Aparecida verwiesen), daß die Größe des Gebietes, die große Verschiedenheit der Völker und die schnellen sozioökonomischen Veränderungen nur eine „prekäre“ pastorale Präsenz zu garantieren vermochte.
„Eine eingewachsene Mission verlangt, die geringe Präsenz der Kirche im Verhältnis zum immensen Ausmaß des Territoriums und seiner kulturellen Vielfalt zu überdenken.“
Und weiter:
„Die Kirche mit Amazonas-Gesicht muß ein ‚alternatives, integrales und solidarisches Entwicklungsmodell suchen‘ (Dokument von Aparecida, 474, c).“
Im folgenden Satz wird die direkte Handschrift von Erwin Kräutler erkennbar, da Worte von Papst Franziskus zitiert werden, die Kräutler 2014 nach einer Audienz bei Franziskus über die Medien verbreitete.
Dazu sei „der ‚Inkulturationsprozeß‘ (EG, 126) zu vertiefen, der von der Amazonas-Kirche verlangt, ‚mutig‘, mit ‚Kühnheit‘ und ‚ohne Angst‘ Vorschläge zu machen, wie es Papst Franziskus von uns will“.
„Das prophetische Profil der Kirche zeigt sich heute durch ihr partizipatives Ämterprofil, das imstande ist, die indigenen Völker und amazonischen Gemeinschaften zu den ‚Hauptansprechpartnern‘ (Laudato si, 146) in allen pastoralen und sozialen und Umweltfragen des Gebiets zu machen.“
„Um zur prekären Präsenz der Kirche zu intervenieren, und sie in eine kapillare und eingewachsene Präsenz zu verwandeln, ist es notwendig, eine Hierarchie der Dringlichkeiten in Amazonien festzulegen. Das Dokument von Aparecida erwähnt die Notwendigkeit einer ‚eucharistischen Kohärenz‘ (436) für die ganze Amazonas-Region und bezieht sich damit nicht nur auf die Möglichkeit, daß alle Getauften an der Sonntagsmesse teilnehmen können sollen, sondern auch auf das Bedürfnis, daß neue Himmel und eine neue Erde wachsen als Vorwegnahme des Reiches Gottes in Amazonien.“
Neue offizielle Ämter für Frauen
Darauf folgt eine zentrale Passage in der Nr. 14:
„In diesem Sinn erinnert uns das Zweite Vaticanum, daß das ganze Volk Gottes Anteil am Priestertum Christi hat, obwohl zwischen dem allgemeinen Priestertum und dem Amtspriestertum (vgl. Lumen gentium, 10) unterschieden wird. Deshalb ist es eine Dringlichkeit, die Ämter, die heute notwendig sind, um auf die Ziele einer ‚Kirche mit Amazonas-Gesicht und einer Kirche mit indigenem Gesicht‘ zu antworten, neu zu werten und zu überdenken. Eine Priorität ist es, die Inhalte, die Methoden und die Verhaltensweisen einer inkulturierten Pastoral zu präzisieren, die imstande ist, auf die große Herausforderungen des Territoriums zu antworten. Eine andere Priorität ist, neue Ämter und Dienste für die verschiedenen pastoralen Vertreter vorzuschlagen, die auf die Aufgaben und die Verantwortung der Gemeinschaft antworten. Auf dieser Linie ist es notwendig, ausfindig zu machen, welche Art von offiziellem Amt den Frauen übertragen werden kann, indem der zentralen Rolle Rechnung getragen wird, die Frauen heute in der Amazonas-Kirche innehaben. Ebenso ist es notwendig, den indigenen und einheimischen Klerus zu unterstützen, indem die kulturelle Identität und die eigenen Werte aufgewertet werden. Schließlich sind neue Wege zu planen, damit das Volk Gottes besseren und häufigeren Zugang zur Eucharistie hat, dem Zentrum des christlichen Lebens (vgl. Dokument von Aparecida, 251).
In der Nr. 15, die sich mit den „neuen Wegen“ befaßt, heißt es:
„Die neuen Wege müssen sich auf die Ämter, die Liturgie und die Theologie (indianische Theologie) auswirken“.
„Welche Kirche träumen wir für Amazonien?“
Integraler Bestandteil des Vorbereitungsdokumentes ist ein Fragebogen, der – in drei Teile gegliedert – an die Bischöfe der Amazonas-Region gerichtet ist. Sie sollen darauf antworten, in dem sie „das Volk Gottes befragen“.
Einige Fragen des dritten Teils lauten:
- Welche Kirche träumen wird für Amazonien?
- Wie stellen Sie sich eine Kirche vor, die hinausgeht und mit Amazonas-Gesicht und welche Merkmale sollte sie haben?
- Gibt es Räume für den autochthonen Ausdruck und die aktive Teilnahme in der liturgischen Praxis Ihrer Gemeinschaft?
- Eine der großen Herausforderungen in Amazonien ist die Unmöglichkeit regelmäßig und in allen Orten die Eucharistie zu feiern. Wie ist darauf zu antworten?
- Welches sind die Dienste und Ämter mit Amazonas-Gesicht in ihrer kirchlichen Jurisdiktion und welche Merkmale haben sie?
- Welches sind die Dienste und Ämter mit Amazonas-Gesicht, die Ihrer Ansicht nach geschaffen und gefördert werden sollten?
- Die Rolle der Frau in unseren Gemeinschaften ist von höchster Bedeutung: Wie ist es in der Perspektive neuer pastoraler Wege anzuerkennen und aufzuwerten?
- Welchen Beitrag können die Medien leisten, um beim Aufbau einer Kirche mit Amazonas-Gesicht zu helfen?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican News (Screenshots)