(Rom) Der C9-Kardinalsrat stellt die erste Maßnahme zur Reform der Römischen Kurie und insgesamt der Leitung der Weltkirche dar. Auf den Tag genau einen Monat nach seiner Wahl, errichtete er das Beratergremium, dem fünf Jahre nach seiner Wahl die Mitglieder abhanden kommen. Aus neun mach sechs, meint der Vatikanist Sandro Magister, der den Kardinalsrat „in Brüche“ gehen sieht.
Am 13. April 2013 ernannte Papst Franziskus acht Kardinäle zu seinen Beratern bei der Reform der Römischen Kurie und für die Leitung der Weltkirche. Ein solches Gremium kannte die Kirche noch nicht. Ihm gehört für jeden Kontinent ein Kardinal an, wobei Franziskus Amerika in Nord- Mittel- und Südamerika aufteilte. Das ergab insgesamt sieben Vertreter der Weltgegenden. Hinzu kam noch ein Vertreter der Römischen Kurie und einige Monate später als neuntes Mitglied der neue Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Mindestens viermal im Jahr tagte der C9-Kardinalsrat seither jeweils drei Tage lang. Den Vorsitz führt Papst Franziskus, der allen Sitzungen beiwohnt, ausgenommen am Mittwochvormittag während der Generalaudienz.
Was 2013 „der Beginn einer Revolution“ schien, so Magister, habe die Erwartungen nicht erfüllt.
„Nach fünf Jahren und 24 Tagungsperioden befindet sich die Kurie in einem schlechteren Zustand als vorher, die Weltkirche in einem Zustand der Verwirrung, und dieser Kardinalsrat zerfällt in Stücke. Das ist ein gnadenloses Abbild des derzeitigen Pontifikats.“
Als sicher galt vom Tag der Wahl an, daß Papst Franziskus den Kardinalstaatssekretär seines Vorgängers nicht im Amt bestätigen würde. Der Wechsel deutete zunächst an, daß Franziskus den in progressiven Kirchenkreisen wenig geliebten Staatssekretär überhaupt aus dem neuen Beratergremium fernhalten würde. Durch die Ernennung eines Mannes seines Vertrauens, schien das Amt gebändigt, weshalb auch der Aufstockung des C8-Rates zum C9-Rat nichts mehr im Wege stand.
„Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der zunächst das prädestinierte Opfer der vermuteten Kurienreform zu werden schien, hat heute mehr Gewicht als alle anderen Mitglieder zusammen“, so Magister.
Der Fall Maradiaga
Koordinator des Beratergremiums ist nach wie vor der honduranische Erzbischof, Oscar Rodriguez Kardinal Maradiaga, den Franziskus „im Sattel hält, obwohl sein Ansehen zerbrochen ist, auch unter den neben ihm sitzenden Kardinälen“.
Das Wochenmagazin L’Espresso, für das auch Magister arbeitete, berichtete dreimal über ungewöhnliche finanzielle Zuwendungen, die sich der Kardinal auf sein persönliches Konto zukommen ließ, die aber angeblich für sein Erzbistum bestimmt gewesen seien. Nachweislich eine Jahressumme von 600.000 US-Dollar. Nachweisbar ist, daß das Geld auf das Konto des Kardinals floß. Nicht nachweisbar ist, daß er es an sein Erzbistum „für die armen Landpfarreien“ weiterleitete.
Im Fall Maradiaga geht es nicht nur um diese Extrazahlungen, sondern um weitere seltsame Finanzaktionen und „Empfehlungen“ für solche. Es geht aber auch um seinen Weihbischof José Pineda, der eine eigene erklärungsbedürftige Finanzgebarung aufweist, was die eigenen Konten angeht, aber eine Mißwirtschaft, was die Konten des Erzbistums angeht, und zudem einen ärgerniserregenden Lebenswandel mit männlichen Geliebten pflegen und sich seine Opfer oder Gespielen im diözesanen Priesterseminar aussuche. Und das alles unter den Augen des Kardinals, der es billigend in Kauf nimmt. Ein beherzter Seminarrektor erteilte Pineda Hausverbot. Der Regens wurde von Kardinal Maradiaga versetzt und Pineda wieder Zutritt zum Haus verschafft.
Papst Franziskus entsandte einen anderen Bischof seines Vertrauens, den Argentinier Alcides Casaretto, nach Honduras. Casarettos Abschlußbericht, der wenig schmeichelhaft ausgefallen sein soll, liegt seit vielen Monaten auf dem Schreibtisch des Papstes, ohne daß dieser tätig geworden wäre. Maradiaga ist ja auch nicht irgendwer, sondern einer der engsten Vertrauten des Papstes.
Der Koordinator des C9-Kardinalsrates und Vertreter Mittelamerikas bietet demnach nicht das beste Bild, weder für sich noch für das Pontifikat von Papst Franziskus.
Der Fall Errazuriz
Nicht viel besser sieht es beim Vertreter Südamerikas aus, dem Chilenen Francisco Javier Kardinal Errazuriz, dem früheren Erzbischof von Santiago de Chile. Ihm wird vorgeworfen, den heutigen, umstrittenen Bischof von Osorno, Juan Barros Madrid, einen Karadima-Zögling, zum Privatsekretär gemacht und ihm die Möglichkeit geboten zu haben, Kardimas sexuellen Mißbrauch an Minderjährigen zu decken, bzw. den Mentor vor Strafverfolgung zu schützen.
Errazuriz war es, der Juan Carlos Cruz, Opfer und Hauptankläger von Bischof Barros, als Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission verhinderte. Der Grund war nicht dessen Homosexualität, sondern ein mutmaßlicher Vertuschungsversuch. Errazuriz legte nach dem Papst-Besuch in Chile, der im vergangenen Januar wenig erfolgreich über die Bühne ging und den Fall Barros erst richtig aufschaukelte, eine Analyse vor, die für die Behebung des Ansehensschadens der Kirche in Chile wenig hilfreich war.
Papst Franziskus folgte in seiner Einschätzung zum Fall Barros den Einflüsterungen von Kardinal Errazuriz und nannte Kritik am Bischof von Osorno eine „Verleumdung“.
Erst nachdem der Fall Barros eine internationale Dimension bekam, sah sich Franziskus gezwungen, Erzbischof Charles Scicluna als Sondergesandten nach Chile zu schicken. Dessen Abschlußbericht habe Franziskus erst zur Einsicht gebracht, daß ihm jahrelang falsche Informationen unterbreitet worden waren, an erster Stelle von Kardinal Errazuriz.
Die päpstlichen Bemühungen, gegenzusteuern, drohen allerdings die Kirche vom Regen in die Traufe zu stürzen. Ende April verbrachte Franziskus ein ganzes Wochenende mit den drei Sprechern der Karadima-Opfer, darunter Juan Carlos Cruz. El País veröffentlichte am Pfingstsonntag ein Interview mit diesem. Darin berichtete er Aussagen von Papst Franziskus zur Homosexualität, die in offenem Widerspruch zur kirchlichen Lehre stehen, ohne daß vom Vatikan bisher eingeschritten, und die Aussagen von Cruz dementiert wurden.
Will Papst Franziskus seinen persönlichen Imageschaden in Chile in einem Fall von sexuellem Mißbrauch Minderjähriger mit der Anerkennung der Homosexualität beheben? Dies wünscht sich eine homophile Lobby in der Kirche. Der Preis für diese Imagefrage wäre für die Kirche jedoch enorm.
Der Fall Pell
Schließlich muß sich noch ein dritter Kardinal, der Australier George Pell wegen ähnlicher Vorwürfe vor Gericht verantworten. Die Hauptvorwürfe wurden zwar fallengelassen, einige Punkte sind aber noch offen und wurde als Anklage formuliert. Eine päpstliche Solidarität, wie sie Bischof Barros erlebt, wurde dem Kardinal aber nicht zuteil. Um sich den Vorwürfen zu stellen, kehrte er in seine Heimat zurück.
„Seit vielen Monaten setzte er keinen Fuß mehr nach Rom und nimmt auch nicht am C9 teil“, so Magister.
Der Fall Pell unterscheidet sich allerdings von den beiden anderen Fällen, vor allem jenen von Kardinal Maradiaga. Pell gehört mitnichten zu den Bergoglianern. Seine Berufung in den C9-Kardinalsrat war allein dem Umstand geschuldet, daß er 2013 der einzige Purpurträger Ozeaniens war.
Er wollte daher nicht so recht in das Gremium passen. Da Diözesen für Papst Franziskus Vorrang vor Kurienämtern haben, holte er Pell zudem von Sydney nach Rom, Das erlaubte die Neubesetzung des australischen Erzbischofsstuhles. Im Vatikan machte er den Kardinal zum Präfekten des neuerrichteten Wirtschaftssekretariats, die alle Zuständigkeiten im Bereich Finanzen und Verwaltung zusammenziehen sollte. Das Dikasterium wollte aber nie wirklich durchstarten. Noch ehe es seine Arbeit aufnehmen konnte, hatten sich kuriale Gegner in Stellung gebrach, die ihre Zuständigkeiten bedroht sahen.
Im Gegensatz zu Pell stehen die Gegner der päpstlichen Finanzreform im Lager der Bergoglianer. Die Konsequenz war, daß Franziskus seine eigene Reform fallenließ und Pells Kompetenzen sukzessive beschränkte, ehe sie sich überhaupt entfalten konnten. Sein Abgang von Rom hängt mit der Anklage in Australien zusammen. Es war aber auch der Abgang eines effizienten Verwaltungsexperten, dem in Rom die Hände gebunden waren.
Bestimmte vatikanische Stellen, darunter die Apostolische Güterverwaltung, mit einem überzeugten Franziskus-Wähler an der Spitze, blieben bisher unangetastet. Daran wird sich in diesem Pontifikat wohl auch nichts mehr ändern.
„Das Wirtschaftssekretariat ist heute eine leere Schachtel, ohne Präfekt, ohne Sekretär, ohne Generalrevisor“, so Magister.
Der Generalrevisor, eigentlich auch ein neues, erst von Franziskus geschaffenes Amt und von diesem Papst mit Libero Milone besetzt, war im Juni 2017 regelrecht aus dem Vatikan gejagt worden. Milone selbst hatte nach eigener Schilderung in jenem Moment sogar die Befürchtung, verhaftet und in einer vatikanischen Gefängniszelle zu verschwinden. Ihm war bei der Einstellung von Franziskus schrankenloses Ermittlungsrecht im Finanz- und Verwaltungsbereich eingeräumt worden. Dann aber wurde im vorgeworfen, zu ermitteln, wo er nicht sollte.
Magisters Resümee:
„Es wäre keine Überraschung, würde sich auch der Große Rat der neun Kardinäle langsam, langsam entleeren.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Unter diesem Pontifikalamt geht es schlimmer wie in der Politik. Bischof gegen Bischof, Priester gegen Priester, Katholik gegen Katholik. Spaltung und Schisma.
Marathana!