Erzbischof Negris neues Buch in einem „Klima der Vergeltung“


Erzbischof Luigi Negri wirft mit seinem neuen Buch "Die Herausforderungen" (Le sfide) der „halben katholischen Welt“ den Fehdehandschuh hin von Kasper bis zum Jesuitengeneral (und auch dem regierenden Papst).
Erzbischof Luigi Negri wirft mit seinem neuen Buch "Die Herausforderungen" (Le sfide) der „halben katholischen Welt“ den Fehdehandschuh hin von Kasper bis zum Jesuitengeneral (und auch dem regierenden Papst).

(Rom) Erz­bi­schof Lui­gi Negri gehört zu den mar­kan­te­sten Bischofs­ge­stal­ten der heu­ti­gen Kir­che. Man­che sind über­zeugt, daß er des­halb – obwohl bei bester Gesund­heit – von Papst Fran­zis­kus mit Voll­endung des 75. Lebens­jah­res sofort als Erz­bi­schof von Fer­ra­ra-Com­ac­chio eme­ri­tiert wur­de. Erz­bi­schof Negri, den Bene­dikt XVI. beson­ders schätz­te, stammt aus der Gemein­schaft Com­mu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne (CL), zu der sich sein Ver­hält­nis jedoch abkühl­te, seit eine neue Füh­rungs­grup­pe sich nach sei­nem Geschmack zu sehr der neu­en Linie im Vati­kan anbie­dert. Mit deut­li­chen Wor­ten zeigt er in sei­nem neu­en Buch die Feh­ler und Irr­tü­mer auf, von denen die Kir­che, so der Erz­bi­schof, „heim­ge­sucht ist“. Die Kir­che dür­fe sich nicht auf einen „sozia­len Kampf“ redu­zie­ren: „Die Evan­ge­li­sie­rung darf nicht auf eine Hil­fe für die Armen beschränkt wer­den“, so der Erz­bi­schof in sei­nem neu­en Buch.

„Klima der Vergeltung“

Anzei­ge

In der Kir­che herr­sche nicht nur „ein Kli­ma der Ver­wir­rung“, was – so der Erz­bi­schof – unschwer nach­weis­bar ist, son­dern – was noch schwer­wie­gen­der sei – auch „ein Kli­ma der Vergeltung“.

Der nicht min­der deut­lich for­mu­lie­ren­de Camil­lo Lan­go­ne schrieb dazu am 23. März in der Tages­zei­tung Il Giorn­a­le: „Weni­ger Plätz­chen, mehr Hostien“.

„Es ist ein wirk­li­cher Feh­de­hand­schuh, den Msgr. Lui­gi Negri jenen ins Gesicht schleu­dert, die, um mit der Welt Frie­den zu schlie­ßen, in Com­mu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne (CL) den Grün­der Don Giu­s­sa­ni ver­ra­ten haben und in der Kir­che Jesus Chri­stus ver­ra­ten haben. Wie wir wis­sen, sind das sehr vie­le und viel­leicht konn­te sich nur ein eme­ri­tier­ter Bischof, gewis­ser­ma­ßen pen­sio­niert, die Frei­heit erlau­ben, sich mit der hal­ben katho­li­schen Welt anzu­le­gen: jener Hälf­te, die zudem auch noch die Macht inne­hat. Der alte Schü­ler des CL-Grün­ders und erster Diö­ze­san­vor­sit­zen­der der Bewe­gung, war immer ein Mann der kla­ren Worte.

Das neue Buch von Erzbischof Negri
Das neue Buch von Erz­bi­schof Negri

In die­sem Fall heizt auch der Gesprächs­part­ner Giam­pie­ro Bel­tot­to an, der eigent­lich mode­rie­ren soll­te. Aber auch er gehört zur ersten Gene­ra­ti­on von CL, und das war eine kämp­fe­ri­sche Generation.

Der Kon­flikt inner­halb von CL ist der ent­behr­lich­ste Teil des Buches, das sich nicht zufäl­lig ‚Die Her­aus­for­de­rung‘ nennt, weil die 1969  ent­stan­de­ne Bewe­gung immer mehr an Bedeu­tung ver­liert, was übri­gens auch Msgr. Negri so sieht:

‚Die Erfah­rung der Bewe­gun­gen hält ange­sichts der wach­sen­den Ver­ant­wor­tung nicht mehr stand‘“.

Soweit Lan­go­ne. An die­ser Stel­le ist ein Ein­schub notwendig.

Die hier zitier­te Kri­tik Negris rich­tet sich an CL-Ange­hö­ri­ge, die poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung über­nom­men haben. Die Bewe­gung ziel­te früh dar­auf ab, eine neue Gene­ra­ti­on christ­li­che Poli­ti­ker her­an­zu­bil­den. Tat­säch­lich gelang es, eini­ge füh­ren­de Posi­tio­nen in der ita­lie­ni­schen Poli­tik zu beset­zen. Die­ser Teil des Pla­nes funk­tio­nier­te. Weni­ger erfolg­reich war CL dar­in, wirk­li­che christ­li­che Poli­ti­ker zu for­men. An den Schalt­he­beln ange­kom­men, unter­schied sich man­che von ihnen bald nicht mehr von ande­ren Poli­ti­kern. Das war so nicht gewollt, aber die Realität.

„Ab einem bestimm­ten Zeit­punkt, ihrer Natur ent­spre­chend, zeig­ten jene, die sich für die Poli­tik ent­schie­den haben, in allem eine Selbst­be­zo­gen­heit“, so Erz­bi­schof Negri.

„Klima der Verwirrung“

Set­zen wir mit Lan­go­ne fort:

„Viel wich­ti­ger ist die Her­aus­for­de­rung, und das auf allen Ebe­nen, einer katho­li­schen Hier­ar­chie, die immer weni­ger als sol­che erkenn­bar ist. Das gilt nicht zuletzt auch für die Prie­ster. Der Erz­bi­schof berich­tet von jenen des Erz­bis­tums Fer­ra­ra, aber Fer­ra­ra könn­te auch für irgend­ei­ne ande­re west­eu­ro­päi­sche Diö­ze­se stehen:

‚In mei­nem bischöf­li­chen Dienst ist mir alles unter­ge­kom­men: Pfar­rer, die das Evan­ge­li­um mit Lesun­gen irgend­ei­ner ande­ren Art ersetzt haben; Pfar­rer, die bestimm­te Stel­len des Evan­ge­li­ums ein­fach umge­schrie­ben haben, weil gewis­se Gleich­nis­se ihrer Mei­nung nach nicht auf die Wei­se enden soll­ten, wie sie Jesus gelehrt hat; Lai­en, die statt des Prie­sters pre­dig­ten; eine Hoch­zeit, bei der die Braut­leu­te wuß­ten, daß der Groß­teil der Gäste nicht zur Kom­mu­ni­on gehen wür­de (oder kön­ne), und sie des­halb den Pfar­rer dar­um baten, und die Erlaub­nis erhiel­ten, Plätz­chen auszuteilen.‘

Die Kri­tik Negris rich­tet sich auch gegen die Kar­di­nä­le, natür­lich nicht alle, aber an etli­che, zum Bei­spiel an jene, die ‚die auf einer Aner­ken­nung der Homo­se­xua­li­tät beharren‘.

Kardinal Martini und Don Turoldo

Zwei Kir­chen­für­sten ste­hen im Zen­trum sei­ner Kri­tik: Kar­di­nal Mar­ti­ni und Kar­di­nal Kas­per. Mar­ti­ni reprä­sen­tier­te ‚die Kir­che des Kom­pro­mis­ses mit der Men­ta­li­tät der Welt‘. Zu ihm erzählt Erz­bi­schof Negri eine ‚betrüb­li­che Episode‘:

‚Als Tur­ol­do[1]David Maria Tur­ol­do (1916–1992), ein Ser­vi­ten­pa­ter, war in links­ka­tho­li­schen und lin­ken Krei­sen eine ange­se­he­ne Stim­me. Als CL ent­stand und die Ver­an­stal­tun­gen der Bewe­gung in den frü­hen 70er Jah­ren … Con­ti­n­ue rea­ding aus dem Pres­by­te­ri­um des Mai­län­der Domes gegen die Mari­en­fröm­mig­keit schimpf­te, die er als mit­tel­al­ter­lich denun­zier­te, ent­zog ihm der dama­li­ge Erz­bi­schof, Gio­van­ni Kar­di­nal Colom­bo, das Recht, in der Kathe­dra­le zu zele­brie­ren. Sein Nach­fol­ger aber, setz­te ihn sofort wie­der in sei­ne Ehren ein und ver­lieh ihm noch wei­te­re dazu. Der Nach­fol­ger von Colom­bo hieß Martini.‘

Von „hypothetischgläubigen“ Bischöfe und einem jesuitischem „Abgrund der Dummheit“

Die Kri­tik von Erz­bi­schof Negri gilt vor allem auch den nord­eu­ro­päi­schen Prä­la­ten, vor allem jenen des deut­schen Sprach­rau­mes, jene die nur hypo­the­tisch gläu­big und deka­dent sind, sich aber erlau­ben, wie es Kas­per getan hat, über ‚die from­men und glau­bens­treu­en afri­ka­ni­schen Bischö­fe‘ zu lästern. Der deut­sche Pur­pur­trä­ger ist ein Par­tei­gän­ger der Schei­dung und daher ein Fan von Amo­ris lae­ti­tia, jener zwei­deu­ti­gen Apo­sto­li­schen Exhorta­tio, die den wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen die Kom­mu­ni­on zu gewäh­ren scheint, ohne dies aus­drück­lich zu sagen (viel­leicht, weil Papst Fran­zis­kus dann offen der Häre­sie ange­klagt wer­den könnte).

Erzbischof Luigi Negri
Erz­bi­schof Lui­gi Negri

Negri wirft den Feh­de­hand­schuh auch dem neu­en Gene­ral­obe­ren des Jesui­ten­or­dens hin, der das Evan­ge­li­um für nicht bin­dend erklär­te, weil es zu Jesu Zei­ten noch kei­ne Ton­band­ge­rä­te gege­ben habe, wes­halb man ja nicht genau wis­sen kön­ne, was er wirk­lich gesagt habe:

‚Hier ste­hen wir vor einem exege­ti­schen Abgrund der Dumm­heit, der absto­ßend ist. Ich erwar­te­te mir vom Papst, daß er eine kla­re Miß­bil­li­gung äußert.‘

Was aber ist gesche­hen, so Negri: Seit der Aus­sa­ge des Jesui­ten­ge­ne­rals ist mehr als ein Jahr ver­gan­ge­ne und der Jesui­ten­papst habe kei­ner­lei Miß­bil­li­gung geäu­ßert und Arturo Sosa sit­ze in aller Ruhe wei­ter­hin auf sei­nem Posten.

Erz­bi­schof Negri ist ein Bischof ohne Furcht und Tadel. Er fürch­tet auch nicht, daß man über ihn schreibt, er habe sogar den weiß­ge­klei­de­ten Mann herausgefordert.

‚Die Akzent­ver­schie­bung, um es mit Don Giu­s­sa­ni zu sagen, von der Onto­lo­gie zur Ethik mar­kiert den Unter­schied zwi­schen den Pon­ti­fi­ka­ten von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. und dem von Papst Bergoglio.‘

Die zu eigen gemachte Prophetie

Letz­te­rer hat sich dafür ent­schie­den, mit bis ans Äußer­ste gehen­dem Nach­druck die sozio­po­li­ti­schen Kon­se­quen­zen des Glau­bens zu beto­nen anstatt die tie­fe­re Natur des Glau­bens.‘ Der Unter­ti­tel des Buches lau­tet nicht von unge­fähr: ‚Eine Glau­bens­rei­se mit Giu­s­sa­ni und Ratz­in­ger‘, was auch bedeu­tet: Kei­ne Glau­bens­rei­se mit Carrón((Der Nach­fol­ger Don Giu­s­sa­nis als Lei­ter von CL.) und Bergoglio.

Der inzwi­schen 76 Jah­re alte Erz­bi­schof zitiert eine Pro­phe­tie, die von Joseph Ratz­in­ger bereits vor Jahr­zehn­ten for­mu­liert wur­de: Es ist die Visi­on einer sehr viel klei­ne­ren Kir­che und von lee­re­ren Kir­chen, wo man fak­tisch wie­der fast bei Null begin­nen muß, das Inter­es­se einer Mensch­heit anzu­spre­chen, die von Jesus so gut wie nichts mehr weiß und des­halb in Ver­zweif­lung gerät. Erz­bi­schof Negri macht sich die­se Pro­phe­tie zu eigen mit der Gewiß­heit, daß ‚ein klei­ner Rest des Vol­kes Got­tes übrig­blei­ben wird, der bereit ist, jeden Tag gemäß dem Glau­ben mit Jesus zu gehen und nicht nach der Logik der Welt zu leben.‘

Beten wir für die­sen klei­nen Rest und für Erz­bi­schof Negri.“

Das Vor­wort zum Buch, das am 22. März erschie­nen ist, schrieb der Histo­ri­ker Rober­to de Mattei.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Lui​gi​n​egri​.it (Screen­shots)

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1 David Maria Tur­ol­do (1916–1992), ein Ser­vi­ten­pa­ter, war in links­ka­tho­li­schen und lin­ken Krei­sen eine ange­se­he­ne Stim­me. Als CL ent­stand und die Ver­an­stal­tun­gen der Bewe­gung in den frü­hen 70er Jah­ren von der radi­ka­len Lin­ken über­fal­len wur­den und es Ver­letz­te und teils Schwer­ver­letz­te gab, stell­te sich Tur­ol­do nicht auf die Sei­te sei­ner ange­grif­fe­nen katho­li­schen Brü­der, son­dern attackier­te CL unter dem Applaus der Lin­ken; Anm. GN
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2 Kommentare

  1. Dan­ke für die Prä­sen­ta­ti­on die­ses viel­ver­spre­chen­den Buches. Man kann hof­fen, daß Über­set­zun­gen geplant sind.

    Ohne dem guten Wil­len der CL der ersten Gene­ra­ti­on Unrecht tun zu wol­len, sei doch eine Bemer­kung gestattet:
    Wie man aus CL-Krei­sen hören kann, habe sich die Bewe­gung stark auf die Theo­lo­gie von Hen­ri de Lubac gestützt. Wenn das rich­tig ist (was ich jetzt nicht recher­chie­ren kann), dann ist der Todes­keim schon von Anfang an in der Bewe­gung vor­han­den und die „Anbie­de­rung an die neue Linie im Vati­kan“ nicht unbe­dingt unlo­gisch. Denn mit der Ver­wir­rung von Natur und Über­na­tur begann die Auf­lö­sung des katho­li­schen Wahr­heits- und Gestaltungsanspruchs. 

    Somit sind auch die im Text genann­ten Päp­ste Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. nicht aus der Ver­ant­wor­tung ent­las­sen: Erste­rer hat ja de Lubac zum Kar­di­nal kre­iert, zwei­te­rer sei nach Wor­ten eines CL-Prie­sters ein „Freund“ de Lub­acs gewesen. 

    Erz­bi­schof em. Negri ist in Zei­ten wie die­sen eine wich­ti­ge und wahr­heits­lie­ben­de Stim­me. Es sei aber nur die Fra­ge gestellt, ob er in sei­ner Ana­ly­se tief genug geht.

    So und anders ist aber die Kri­tik an den „hypo­the­tisch­gläu­bi­gen und deka­den­ten“ deutsch­spra­chi­gen Bischö­fen und am Jesui­ten­ge­ne­ral zu unterstreichen.

  2. Wird es die­ses Buch auch in deut­scher Spra­che geben?
    Unse­re Bischö­fe schrei­ben ja lei­der kei­ne der­ar­ti­gen Bücher.

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