
(Rom) In der Kirche der Volksrepublik China herrscht große Unruhe. Jüngste Entscheidungen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zeigen, in welche Richtung es gehen soll. Der regimehörige Priester Ignatius Wu Jianlin wurde zum Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes ernannt. Seither gibt es Spekulationen, daß ihn das Pekinger Regime zum Bischof von Schanghai machen könnte. Dort endete der Normalzustand spätestens 1955. Die aktuelle Situation ist seit 2005 besonders prekär.
Neue Konsultativkonferenz mit neun katholischen Mitgliedern
Die Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes ist ein beratendes Gremium an der Seite des chinesischen Parlaments, das sich Nationaler Volkskongreß nennt. Weder die Konsultativkonferenz noch der Volkskongreß verfügen über eigenständige Entscheidungsbefugnisse. Die Mitglieder beider Gremien werden ausschließlich von der Kommunistischen Partei Chins ernannt. Das gilt auch für die Vertreter der acht, offiziell zugelassenen Blockparteien, verschiedenen Massenorganisationen und gesellschaftlichen Gruppen. Zu letzteren gehören auch die anerkannten, also regimehörigen Religionsgemeinschaften.

Im Volkskongreß mit fast 3.000 Mitgliedern sind 72 Prozent der Sitze der KPCh vorbehalten. Der Rest ist nach Wunsch der KP aufgeteilt. Die Konsultativkonferenz zählt rund 2.200 Mitglieder. Davon werden mehr als 500 von den Parteien bestimmt, über 300 von den parteikontrollierten Massenorganisationen und fast 1.400 von verschiedenen „gesellschaftlichen“ Organisationen.
In der offiziellen Sprachregelung heißt es, die Konsultativkonferenz sei ein Beratergremium von höchstem Niveau. Da alle Entscheidungen in Wirklichkeit in Parteigremien der Kommunistischen Partei fallen, dient die Konferenz vielmehr dazu, über die Organisationen, die ihre Mitglieder vertreten, die Parteilinie an breite Bevölkerungsschichten zu vermitteln.
Am 24. Januar wurden die Namen der Konferenzmitglieder für das Jahr 2018 bekanntgegeben. Die Ernennung gilt jeweils nur für ein Jahr und faktisch nur für eine Sitzungssession. Beide Gremien, Kongreß und Konferenz, werden nämlich in der Regel nur einmal im Jahr (im März) für die Dauer von etwa zehn Tagen einberufen.
In der neuernannten Konsultativkonferenz wurden 67 Sitze an den „Religionssektor“ vergeben. Neun davon wurden, wie bereits in der Vergangenheit üblich, mit Katholiken besetzt.
Ignatius Wu Jianlin und die gespaltene Kirche
Der Schanghaier Priester Ignatius Wu Jianlin ist nun einer von ihnen, und zugleich das einzige neue Mitglied. Die anderen acht katholischen Vertreter wurden im Amt bestätigt.
Wu Jianlin ist für das Zentraldekanat des Bistums Schanghai zuständig und steht einem mehrköpfigen Priesterrat vor, der de facto das Bistum im Sinne des Regimes leitet.

Seit der kommunistischen Machtübernahme zerfällt die katholische Kirche in der Volksrepublik China in zwei Teile: in einen vom Staat anerkannten, regimehörigen, schismatischen Teil und in die vom Staat als illegal betrachtete, romtreue Untergrundkirche.
Die Gläubigen gehören zu über 90 Prozent der Untergrundkirche an.
Die staatlich anerkannte Kirche nennt sich Chinesische Katholische Patriotische Vereinigung und wurde 1957 auf Anweisung der Kommunistischen Partei gegründet, um die chinesische Kirche von Rom abzuspalten und botmäßig zu machen.
Auch liturgisch ist die Lage verwachsen. Die Volksrepublik China könnte in der Zukunft zu einem großen Betätigungsfeld der katholischen Tradition werden.
Die Gründerbischöfe der Patriotischen Vereinigung wurden von Papst Pius XII. exkommuniziert. Exkommuniziert sind automatisch auch alle vom Regime ernannten Bischöfe, die ohne Erlaubnis des Papstes geweiht werden.
Komplizierte Lage
Die Wirklichkeit ist noch um einiges komplizierter. Bischöfe und Priester, weniger die Gläubigen, bewegen sich in zahlreichen Zwischenstufen zwischen den beiden Polen. Es gibt romtreue Priester, die sich der Kommunistischen Partei unterwarfen und vom Regime zum Bischof gemacht wurden, sich dann aber mit Rom versöhnten und dafür vom Regime verfolgt wurden.
Ein Beispiel dafür ist Bischof Aloysius Jin Luxian von Schanghai, dessen Biographie Aufschluß über die Dramatik, aber auch die Vielschichtigkeit der kirchlichen Hierarchie im kommunistischen Reich der Mitte bietet. Der Priesterrat von Schanghai, dem Wu Jianlin vorsteht, war kurz vor dem Tod von Bischof Luxian im Jahr 2013 geschaffen worden.
Die neun katholischen Mitglieder der Konsultativkonferenz sind in der Regel ein Laie und ansonsten Bischöfe. Priester, die ernannt werden, waren in der Vergangenheit vom Regime bereits für ein Bischofsamt außerkoren worden. Daher wird die baldige Bischofsernennung von Wu Jianlin angenommen.
Zuletzt traf diese Situation auf Paul Lei Shiyin zu, der als regimehöriger Priester 1998 zum Mitglied der Konsultativkonferenz ernannt und dann – wenn auch erst 2011 – zum Bischof von Leshan gemacht wurde. Da die Bischofsweihe ohne päpstliche Erlaubnis erfolgte, wurde Lei Shiyin von Papst Benedikt XVI. exkommuniziert.
Der Fall Schanghai
Die Lage im Bistum Schanghai ist so prekär, wie die gesamte Lage der chinesischen Kirche. Da es sich um eines der bedeutendste Bistümer handelt, kommt ihm ein besonderes Gewicht zu.

Nachdem 1949 die Kommunisten die Macht an sich gerissen hatten, setzte auch die Verfolgung der Kirche ein. 1955 beseitigte das Regime die gesamte Diözesanführung, indem die den Bischof, Ignatius Kung, und zahlreiche Priester, darunter auch Aloysius Jin Luxian verhaftete. 27 Jahre mußte er in Konzentrationslagern und Gefängnissen verbringen. Die ersten fünf Jahre in Isolationshaft, dann 12 Jahre in Lagern und weitere zehn Jahre als Freigänger im Gefängnis.
Die Enthaftung erfolgte 1982 als er seine Mitgliedschaft in der Patriotischen Vereinigung unterschrieben hatte. 1988 ließ er sich ohne die Erlaubnis des Papstes vom Regime zum Bischof von Schanghai machen. Von der Kirche wurde er deshalb exkommuniziert, denn für Rom war nach wie vor der 1949 von Pius XII. ernannte, 1955 internierte Bischof Kung rechtmäßiger Bischof von Schanghai.
Bischof Kung war 1979 von Papst Johannes Paul II. in pectore zum Kardinal erhoben worden. 1985 wurde er, inzwischen fast 85 Jahre alt, nach 30 Jahren aus der Haft entlassen und konnte 1988 in die USA ausreisen.
Mit seiner Freilassung war 1985 Joseph Fan Zhongliang mit Zustimmung des Heiligen Stuhls zum Koadjutor ernannt und zum Bischof geweiht worden. Fan war ebenfalls 1955 zusammen mit Bischof Kung und Luxian verhaftet und erst nach 23 Jahren Lager- und Gefängnishaft freigelassen worden. Nachdem er bereits fünfzehn Jahre de facto das Bistum geleitet hatte wurde er 2000, als Bischof Kung in den USA gestorben ist, von Johannes Paul II. zum rechtmäßigen Nachfolger von Bischof Kung ernannt.
2005 versöhnte sich Luxian, der vom Regime eingesetzte Parallel-Bischof von Schanghai, mit Rom und unterwarf sich dem Papst. Dafür wurde er zum Weihbischof des rechtmäßigen Bischofs Fan ernannt.
Alle Anerkennungen regimehöriger, exkommunizierter Bischöfe durch Rom erfolgten auf diese Weise. Kein exkommunizierter Bischof, der in den Schoß der Kirche zurückkehrte wurde zum Diözesanbischof, sondern jeweils zum Weihbischof jenes Bischofs, der im Untergrund treu geblieben war. Peking erkannte diesen Rollentausch von Bischof Luxian allerdings nicht an und stellte ihn unter Hausarrest.
Bischof Ma Daqin
Dann starben beide schon länger kränkelnden Bischöfe, Fan und Lucian, hochbetagt. Als Nachfolger wurde 2012 der Priester Thaddäus Ma Daqin ernannt und zwar in einer kurzen Tauwetterphase von Rom und von Peking. Damit schien sich eine neue Phase aufzutun, in der beide Teile der Kirche, im Bistum Schanghai wieder zur Einheit geführt werden.
Die Ernennung von Ma Daqin durch Papst Benedikt XVI. war aber an eine Bedingung gebunden. Er mußte die von Rom nicht anerkannte Patriotische Vereinigung verlassen, der er angehörte, und die ihm die Ernennung durch das Regime eingebracht hatte. Benedikt XVI. hatte 2007 in seinem Brief an die Katholiken in China die Unvereinbarkeit zwischen der regimehörigen Vereinigung und der Kirche bekräftigt.
Und der Bischof tat es.
Am Tag seiner Bischofsweihe kam es deshalb zum Eklat. Am Ende der Zeremonie, als die Weihe mit offizieller Billigung des Regimes erfolgt war, trat der neue Bischof ans Mikrophon und gab seinen Austritt aus der Patriotischen Vereinigung bekannt. Mit einem Schlag war er zum Helden der Untergrundkirche geworden.
Verhaftung und Gehirnwäsche

Er selbst schaffte es allerdings nicht, die Kathedrale von Schanghai zu verlassen, da wurde er bereits von der Staatspolizei verhaftet. Der von Rom erhoffte Erfolg der Aktion blieb damit aus, denn Bischof Ma Daqin, der die Kirche Schanghais unter Rom einigen sollte, saß im Gefängnis. Als staatlichen Reaktion wurden Priester und Ordensfrauen des Bistums zwangsweise der Gehirnwäsche unterzogen. Drei Tage mußten sie jeweils 12 Stunden lang sich am Institut für den Sozialismus von Schanghai indoktrinieren lassen und sich abschließend einer Prüfung unterziehen.
Einer noch intensiveren „Umschulung“ wurde sich auch der Bischof unterzogen. Später wurde er in den Hausarrest überstellt, aber weiterhin von der Außenwelt abgeschirmt. Die Leitung seines Bistums konnte er nie übernehmen. Dabei ist es geblieben, denn bald sechs Jahre nach seiner Weihe befindet er sich noch immer in Haft. Und das, obwohl er im Juni 2016, zum Entsetzen der Gläubigen, eine lobende Erklärung über die Patriotische Vereinigung unterzeichnete.
Die Gläubigen irritierte auch das Schweigen Roms zu diesem Gesinnungswandel, der in ihren Augen Verrat war.
Das Regime traut Bischof Ma Daqin offensichtlich dennoch nicht. Trotz der Unterwerfungserklärung wurde er nicht freigelassen. Die Ausübung seines Amtes ist ihm unmöglich. Die Kommunisten haben nicht vergessen, daß er sie so eklatant und öffentlich herausgefordert hatte.
Wird Ma Daqin durch Wu Jianlin ersetzt?

Die Ernennung von Wu Jianlin zum Mitglied der Konsultativkonferenz wird als Indiz gesehen, daß das Regime den seit 2012 herrschenden Stillstand in Schanghai beenden und Ma Daqin an der Spitze des Bistums durch Wu Jianlin ersetzen will. Ob Ma Daqin ganz abgesetzt oder nur zum Weihbischof mit oder ohne Zuständigkeitsbereich degradiert wird, wird sich zeigen. Die Palette der Möglichkeiten ist breit.
Die Frage ist, wie sich Rom zur möglichen Bischofsweihe von Wu Jianlin stellen wird. Auch unter Staats- und Parteichef Xi Jinping, dem sechsten Nachfolger von Mao Tse-tung an der KP-Spitze, macht das Regime keine Anstalten, seine Religionspolitik ändern zu wollen. Vielmehr wurde sie verschärft. Die Regierung beharrt auf einr Notwendigkeit, im „religiösen Sektor“ vertrauenswürdige „patriotische Kräfte“ einzusetzen, womit verläßliche Parteigänger gemeint sind.
Der unter Hausarrest stehende Bischof Ma Daqin hatte 2012 mit seiner Aktion nicht nur die Patriotische Vereinigung bloßgestellt, sondern sich in den Augen des Regimes als unzuverlässig gezeigt.
Neuer Vorsitzender verheist keine neue Religionspolitik
Der Konsultativkonferenz 2018 gehört auch Wang Yang, die Nummer 4 des Politbüros der KPCh, an. Es gilt damit als sicher, daß er neuer Vorsitzender des Gremiums wird und den seit 2013 amtierenden Yu Zhengsheng ersetzen soll.
Wang Yang wird zwar als „Liberaler“ bezeichnet, verfügt bisher aber über keine Erfahrung im Bereich Religionsangelegenheiten. Beobachter rechnen daher mit keinen Verbesserungen im Verhältnis zum Christentum.
Sieben vom Regime eingesetzte Bischöfe verfügen über keine Anerkennung durch Rom. Um sie scheint es derzeit vordringlich zu gehen. Unklar ist, ob Peking die Anerkennung als vatikanische Vorleistung für weitere Gespräche verlangt, oder die Anerkennung als Akt des guten Willens von Rom betrieben wird.
Ungewöhnlich ist, daß erstmals rechtmäßige Bischöfe aufgefordert werden, ihren Bischofsstuhl zugunsten von unrechtmäßigen Bischöfen zu räumen.
Für Kardinal Zen bedeutet die Forderung mehr als nur eine Kursänderung der vatikanischen China-Politik. Er hält nichts von einem Deal, da er das Regime in Peking für nicht vertragsfähig und daher die Kursänderung für eine Katastrophe hält.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: AsiaNews
Wieder ein katastrophaler „Prozess“, den der Papst anstößt und das gewollte Ergebnis wieder gewollt unumkehrbar?
Völlig unklar sind derzeit vor allem drei Fragen:
Erstens: ob Papst Franziskus die Politik der chinesischen Führung gegenüber der kath. Kirche nicht nur, aus welchen Gründen auch immer, akzeptiert, sondern bereits aktiv unterstützt? Vielleicht weil er (u.a.) aufgrund der in China – trotz Staatskapitalismus – vorherrschenden marxistisch-kommunistischen Ideologie fälschlicherweise meint, seine eigenen befreiungstheologischen Vorstellungen irgendwie weiterbringen zu können?
Zweitens: ob es der chinesischen Führung mittels der befreiungstheologischen Ambitionen des Papstes gelingen wird, auf der Schiene der von Franziskus angestoßenen und bereits schrittweise eingeleiteten Verselbständigung nationaler Ortskirchen die Einheit der Röm.-Kath. Kirche im eigenen roten Machtbereich weiter aufzuweichen, um sie voll unter ihre Kuratel zu zwingen?
Drittens: ob der Vatikan tatsächlich erkannt hat, welch große Gefahren hier auf die Kirche noch zukommen werden?
Kardinal Zen ist nicht nur ein klar vorausdenkender Mann, sondern erkennbar auch ein weiser charismatischer Priester und besorgter Hirte. Die Entwicklungen der Kirche in China jedenfalls sind von hoher Relevanz für die gesamte Weltkirche. Ich denke, dass in dieser Situation das gemeinsame Gebet mittlerweile die wirksamste Waffe ist, die es nun verstärkt einzusetzen gilt.
Noch ein kleiner Exkurs: Am nun zu Ende gehenden Milleniumsgedenktag meines Namenspatrons St. Aquilinus, der sowohl in seiner Geburtsstadt Würzburg als auch in Mailand, der Stadt seines Märtyrertods (um 1018), besonders festlich begangen wurde, scheint es mir angebracht, an diesen heiligen Priester zu erinnern und ihn um seinen besonderen Schutz vor kirchenspalterischen Irrtümern zu bitten. Zum einen soll Aquilin den Kampf des Kirchenvaters Ambrosius gegen die Anhänger des Arianismus weitergeführt haben, welche die Gottessohnschaft Jesu abstritten, und zum andern in Mailand gegen die dualistische und leibfeindliche Irrlehre der Manichäer gepredigt haben, die das Alte Testament ablehnten und allein das Neue Testament gelten lassen wollten. Aquilin war demnach fest im Glauben der Kirche verwurzelt. Sein noch erhaltener Leichnam wird in der Basilica S. Lorenzo Maggiore in Mailand aufbewahrt.