
(Rom) Der Tag naht, an dem Papst Franziskus die traditionelle Weihnachtsbotschaft an die Römische Kurie richten wird. Im vergangenen Jahr erteilte er seinen Mitarbeitern eine Kopfwäsche, die nachwirkt. Er prangerte 15 schändliche „Krankheiten“ an, an denen die Kurie leide. Dem kommenden Montag sieht man im Vatikan mit gemischten Gefühlen entgegen. „Viele fragen sich, was er dieses Mal sagen wird“, so der Vatikanist Sandro Magister.
Wer Franziskus kritisiert oder irritiert muß mit Konsequenzen rechnen
Seit der „Weihnachtsohrfeige“ 2014 rumort es im Kirchengebälk und das in zunehmendem Maße. „Allerdings immer im Schutz der Anonymität“ so Magister. Der Grund dafür, daß Kritik nur aus der sicheren Deckung gewagt wird, sei der Papst selbst. Franziskus, der sich öffentlich so umgänglich zeigt, ist auf Kritik gar nicht gut zu sprechen. Wer immer ihn kritisiert oder irritiert, muß mit unangenehmen Konsequenzen rechnen.
Die bisher bekannteste Anthologie dieses Knisterns veröffentlichte Ende April 2015 das Berliner Monatsmagazin Cicero. Sie stammt aus der Feder des Schweizer Vatikanisten Giuseppe Rusconi. Eine Reportage, die wie ein Stich ins Wespennest war. An der Römischen Kurie bemühten sich Kardinäle und Bischöfe schnell in Deckung zu gehen und Untergebenheitsbekundungen zu leisten, so sehr wurde der Zorn des Papstes gefürchtet, mit dem zu rechnen war.
Franziskus hat an Kurie ein „Klima der Angst“ erzeugt
Vor kurzem legte das Wochenmagazin Focus nach und veröffentlichte einen offenen Brief an den Papst. Der Name des Autors, ein langjähriger, ehemaliger Kurienmitarbeiter, ist der Redaktion bekannt. Auch er wagte es aber nicht, ihn unter das Schreiben zu setzen, das am 29. November abgedruckt wurde. Dafür sei, so der anonyme Autor, nicht nur das in Rom von Franziskus verbreitete „Klima der Angst“ verantwortlich. Mehr noch als sich selbst zu schützen, gehe es ihm darum, seine früheren Vorgesetzten an der Kurie „vor dem Zorn des Papstes zu schützen“.
Anonyme Schreiben haben einen unangenehmen Beigeschmack, dennoch machte die Kritik an Papst Franziskus schnell die Runde. Die Kritik des mutmaßlich aus Deutschland stammenden ehemaligen Kurienmitarbeiters hat einen Nerv getroffen. Der offene Brief wurde von Maike Hickson ins Englische übersetzt und in den USA veröffentlicht. Nun hat ihn auch Sandro Magister ins Italienische übertragen und veröffentlicht. „Es dürfte bald keinen Kurienmitarbeiter mehr geben, der den offenen Brief nicht kennt“, so Magister.
Die Deutsch-Amerikanerin Hickson hatte Anfang des Jahres mit einem eigenen „Offenen Brief einer besorgten Katholikin an Papst Franziskus“ für Aufsehen gesorgt. Wenn Papst Franziskus am kommenden Montag, den 21. Dezember den traditionellen Weihnachtsempfang für die Mitarbeiter der Römischen Kurie gibt, wird der Brief des ehemaligen Kurienmitarbeiters den Versammelten allgemein bekannt sein. In Rom werden unter Kurienmitarbeitern und Journalisten Fragen herumgereicht: Wie wird Papst Franziskus darauf reagieren? Welche Themenschwerpunkte wird er für seinen Jahresrückblick und für seine Vorschau auf das kommenden Jahr wählen?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: 1P5 (Screenshot)