Das Konkordat von 1933 – ein Defensivvertrag gegen den NS-Staat

Schwarze Legenden II


Unterzeichnung des Reichskonkordats am 20. Juli 1933
Unterzeichnung des Reichskonkordats am 20. Juli 1933

Ein Gast­kom­men­tar von Hubert Hecker

Anzei­ge

Der deutsch-vati­ka­ni­sche Staats­ver­trag des Kon­kor­dats von 1933 bedeu­te­te für die Kir­che eine Fest­schrei­bung der „Nicht-Anpas­sung“ an den NS-Staat und dien­te der Abwehr von des­sen tota­li­tä­rem Anspruch.

Die zen­tra­le israe­li­sche Holo­caust­ge­denk­stät­te Yad Vas­hem stellt die öffent­li­che Behaup­tung in den Raum, Euge­nio Pacel­li, der spä­te­re Papst Pius XII., habe mit sei­ner Unter­schrift unter den Kon­kor­dats­ver­trag zwi­schen dem Hei­li­gen Stuhl und dem Deut­schen Reich im Juli 1933 die „Aner­ken­nung des ras­si­sti­schen Nazi-Regimes“ betrieben.

Im fol­gen­den Bei­trag wird erwie­sen, dass die­se The­se weder histo­ri­sche noch syste­ma­ti­sche Evi­denz bean­spru­chen kann und des­halb als Ver­leum­dung von Papst und Kir­che betrach­tet wer­den muss. Die Falsch-Inter­pre­ta­ti­on des Kon­kor­dats wird auch an dem aktu­el­len Ver­gleich deut­lich: Die Unter­schrift eines israe­li­schen Regie­rungs­ver­tre­ters unter die aktu­el­le Ver­ein­ba­rung mit der Hamas zum Kriegs­en­de in Gaza bedeu­tet ja auch nicht, dass die Regie­rung Isra­els das „ter­ro­ri­sti­sche Hamas-Regime“ anerkennt.

I.

Das Kon­kor­dat zwi­schen Vati­kan und Deut­schem Reich vom Juli 1933 stand in einem innen­po­li­ti­schen Kontext.

Adolf Hit­ler regier­te nach sei­ner Ernen­nung zum Reichs­kanz­ler durch Reichs­prä­si­dent Hin­den­burg am 30. Janu­ar 1933 als Chef einer Min­der­heits­ko­ali­ti­on mit Not­stands­ver­ord­nun­gen wie die drei bür­ger­li­chen Kanz­ler vor ihm. Mit die­sen gesetz­li­chen Instru­men­ten wur­den schar­fe Unter­drückungs­maß­nah­men durch­ge­führt, zunächst, ab Ende Febru­ar, gegen Kom­mu­ni­sten, ab April auch gegen Juden sowie lin­ke und bür­ger­li­che Oppo­si­ti­on in Reich, Län­der und Kom­mu­nen. Mit wei­te­ren Über­grif­fen und Gewalt­dro­hun­gen gegen Gewerk­schaf­ten, Kir­chen und zivil­ge­sell­schaft­li­che Ver­ei­ni­gun­gen soll­te deren Gleich­schal­tung erzwun­gen werden.

Gleich­zei­tig mach­te Hit­ler Zuge­ständ­nis­se an alle Oppo­si­ti­ons­grup­pen für eine natio­na­le Ein­heits­be­we­gung. In sei­nem Auf­ruf an das deut­sche Volk vom 1. Febru­ar 1933 bestimm­te er „das Chri­sten­tum als Basis unse­rer gesam­ten Moral“ und die Fami­lie als Keim­zel­le des Volks- und Staats­kör­pers. In der Regie­rungs­er­klä­rung vom 23. März zum Ermäch­ti­gungs­ge­setz garan­tier­te der Kanz­ler den Kir­chen Schutz und recht­li­che Unan­tast­bar­keit sowie den Erhalt aller Verfassungsorgane.

Sechs Wochen spä­ter über­zeug­te Kanz­ler Hit­ler mit sei­ner pro­gram­ma­ti­schen Regie­rungs­er­klä­rung vom 17. Mai auch die Libe­ra­len und Sozi­al­de­mo­kra­ten: Schutz der Eigen­tums­ord­nung im neu­en Volks­staat, Wirt­schafts­auf­schwung und Arbeits­plät­ze, nach außen Revi­si­on des Ver­sailler Ver­trags und Gleich­be­rech­ti­gung Deutsch­lands im Rah­men fried­li­cher Ver­hand­lun­gen und Ver­trä­ge. Der dama­li­ge Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te und spä­te­re Bun­des­prä­si­dent Theo­dor Heuss stimm­te mit sei­nen libe­ra­len DStP-Kol­le­gen genau­so für die NS-Reso­lu­ti­on zur „Frie­dens­re­de“ Hit­lers wie die anwe­sen­den Mit­glie­der der SPD-Frak­ti­on. Nach deren Über­zeu­gung hät­te auch der ehe­ma­li­ge Außen­mi­ni­ster und Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger Gustav Stre­se­mann „eine sanf­te­re Rede für Frie­den und Völ­ker­ver­stän­di­gung nicht hal­ten“ können.

II.

In die­sem innen­po­li­ti­schen Kli­ma der Dro­hung zur Anpas­sung einer­seits sowie der „Ver­söh­nung zur natio­na­len Eini­gung“ ande­rer­seits durch Ansa­ge sub­stan­ti­el­ler Zuge­ständ­nis­se fan­den die Ver­hand­lun­gen zum Kon­kor­dat statt.

• Die vor­an­ge­gan­ge­nen Ver­hand­lun­gen des Vati­kans mit Regie­run­gen der Wei­ma­rer Repu­blik über einen Staats­ver­trag zur Rechts­si­cher­heit der Kir­che schei­ter­ten u. a. wegen der staat­li­chen Ableh­nung von katho­li­schen Bekennt­nis­schu­len und Reli­gi­ons­un­ter­richt an öffent­li­chen Schu­len. Dage­gen mach­te Hit­ler bei sei­ner Ermäch­ti­gungs­ge­setz­re­de sowohl ein all­ge­mei­nes „Frie­dens­an­ge­bot“ für die Rech­te und Auto­no­mie der Kir­che sowie auch Kon­zes­si­ons­an­deu­tun­gen zu den oben erwähn­ten strit­ti­gen Punkten.

• Die Initia­ti­ve zur Kon­kor­dats­ver­hand­lung ging nicht vom Vati­kan aus, son­dern von der Reichs­re­gie­rung. Kanz­ler Hit­ler betrieb seit der „Macht­er­grei­fung“ am 30. Janu­ar 1933 eine Kurs­kor­rek­tur bezüg­lich der vor­he­ri­gen kir­chen­feind­li­chen NS-Poli­tik. Sei­ne neue Stra­te­gie war es, mit Rechts­zu­sa­gen an die Kir­che die bis­her NS-kri­ti­schen Katho­li­ken für die gro­ße natio­na­le Auf­bruchs- und Auf­bau­be­we­gung zu gewin­nen. Ein ähn­li­ches Zuge­hen zeig­te er auch gegen­über den ande­ren gesell­schaft­li­chen Groß­grup­pen wie Libe­ra­len und Sozi­al­de­mo­kra­ten (sie­he oben).

• Der vati­ka­ni­sche Ver­hand­lungs­füh­rer, Staats­se­kre­tär Euge­nio Pacel­li, bot dem deut­schen Dele­ga­ti­ons­lei­ter von Papen als Gegen­lei­stung für die schul­po­li­ti­schen Kon­zes­sio­nen an, die poli­ti­schen Betä­ti­gungs­mög­lich­kei­ten des Kle­rus in vati­ka­ni­scher Regie kir­chen­recht­lich ein­zu­schrän­ken. Doch Hit­ler bestand auf einem Total­ver­bot. Schließ­lich einig­te man sich auf den Ver­trags­text, dass der Vati­kan Bestim­mun­gen erlässt, nach denen „Geist­li­chen die Mit­glied­schaft in poli­ti­schen Par­tei­en und die Tätig­keit für sol­che Par­tei­en“ unter­sagt ist. Nach der Selbst­auf­lö­sung des Zen­trums im Juni 1933 war das Ver­bot in die­ser Hin­sicht nicht mehr rele­vant, galt aber noch für die NS-Par­tei. Aller­dings war auf­grund des vor­he­ri­gen Distanz-Ver­hält­nis­ses nur ein Pro­mil­le-Anteil von katho­li­schen Geist­li­chen Mit­glied der NSDAP.

• Nach den man­nig­fa­chen Gewalt­ak­tio­nen der NS-Orga­ni­sa­tio­nen gegen katho­li­sche Ver­ei­ne und ins­be­son­de­re nach dem offe­nen Stra­ßen­ter­ror gegen den Mün­che­ner Gesel­len­tag des Kol­ping­werks im Juni 1933 bestan­den die Bischö­fe auf Schutz­ga­ran­tie für kirch­li­che Ver­bän­de bei nicht-poli­ti­scher Tätig­keit im „reli­giö­sen, kul­tu­rel­len und kari­ta­ti­ven Bereich“. Der Arti­kel 31 bewahr­te den Ver­band­s­ka­tho­li­zis­mus vor der Gleichschaltung.

• Das Kon­kor­dat schütz­te in vie­len Berei­chen die über­kom­me­nen Rech­te und Auto­no­mie der Kir­che. Es bedeu­te­te in ver­trags­recht­li­cher Form eine Fest­schrei­bung der kirch­li­chen Resi­stenz und „Nicht-Anpas­sung“ (Kon­rad Reb­gen) an den NS-Staat sowie der Abwehr von des­sen tota­li­tä­rem Anspruch.

III.

Die­se Ein­schät­zung bestä­tig­ten die nicht weni­gen Stim­men aus dem NS-Lager, die im Kon­kor­dat inak­zep­ta­ble Zuge­ständ­nis­se der Staats­sei­te bemän­gel­ten und in den Fol­ge­jah­ren die ein­sei­ti­ge Auf­kün­di­gung durch die NS-Regie­rung einforderten.

Trotz der vie­len NS-Ver­trags­ver­stö­ße behielt das Kon­kor­dat für die Kir­che des „Alt­reichs“ sei­ne grund­le­gen­de Schutz­funk­ti­on, wäh­rend die Nazis in den seit 1938 hin­zu­ge­won­ne­nen oder erober­ten Gebie­te eine unge­hemm­te Unter­drückung des kirch­li­chen Lebens durch­setz­ten: In Öster­reich wur­den im Som­mer 1938 alle Klö­ster- und Bis­tums­schu­len geschlos­sen, im Sude­ten­gau zusätz­lich Bischofs­it­ze, Klö­ster und Pfar­rei­gen­tum beschlag­nahmt. Im 1939 erober­ten und „ger­ma­ni­sier­ten“ Warthe­gau wur­den die kirch­li­chen Struk­tu­ren voll­stän­dig zer­schla­gen – als Exem­pel für die geplan­te Ver­nich­tung der Kir­che in Deutsch­land nach dem Krieg.

Bei der Kon­sti­tu­ie­rung des Grund­ge­set­zes wur­de das Kon­kor­dat im Arti­kel 123 impli­zit als wei­ter­hin gül­ti­ger Ver­trag aner­kannt. Das geschah einer­seits wegen der völ­ker­recht­li­chen Fort­gel­tung, aber auch, weil die mei­sten Kon­kor­dats­be­stim­mun­gen, die schon in der Wei­ma­rer Repu­blik kon­zi­piert wor­den waren, der frei­heit­li­chen Grund­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik ent­spra­chen, wie etwa der ein­lei­ten­de Arti­kel 1: „Das Deut­sche Reich gewähr­lei­stet die Frei­heit des Bekennt­nis­ses und der öffent­li­chen Aus­übung der katho­li­schen Reli­gi­on“ – vgl. Arti­kel 4 des Grundgesetzes.

Resümee

Das Reichs­kon­kor­dat vom 20. Juli 1933 war unter den Bedin­gun­gen der kir­chen­feind­li­chen Ansa­ge des Natio­nal­so­zia­lis­mus, der sich seit Ende Janu­ar 1933 als Staats­macht mit tota­li­tä­ren Ten­den­zen zeig­te, ein wich­ti­ges Rechts­in­sti­tut, das den impli­zi­ten und seit 1936 immer deut­li­cher zuta­ge tre­ten­den NS-Ver­nich­tungs­wil­len gegen­über der Kir­che ver­zö­gern und in Gren­zen hal­ten konnte.

Wie bei jedem der über 40 zwi­schen­staat­li­chen Ver­trä­ge der Hit­ler­re­gie­rung vor dem 20. Juli 1933 impli­zier­te auch der Kon­kor­dats­ab­schluss mit dem Vati­kan eine gegen­sei­ti­ge Aner­ken­nung der staat­li­chen Ver­trags­part­ner, aller­dings nur im for­mal­ju­ri­sti­schen Sin­ne. Eine inhalt­li­che oder gar mora­li­sche Aner­ken­nung der poli­ti­schen Rich­tung des Natio­nal­so­zia­lis­mus mit dem Kon­kor­dat zu ver­bin­den ist eine unzu­läs­si­ge Über­in­ter­pre­ta­ti­on eines zwi­schen­staat­li­chen Ver­tra­ges. Aus­drück­lich wies der vati­ka­ni­sche Ver­hand­lungs­füh­rer, Staats­se­kre­tär Euge­nio Pacel­li, eine sol­che poli­ti­sche Deu­tung des Kon­kor­dats in zwei Bei­trä­gen im L‘Osservatore Roma­no zurück. Des­halb ist der ver­brei­te­te Vor­wurf an den Vati­kan, über­nom­men auch von Yad Vas­hem, er habe mit dem Ver­trags­ab­schluss „die Aner­ken­nung des ras­si­sti­schen Nazi-Regimes betrie­ben“, eine sach­lich unbe­grün­de­te und daher ver­leum­de­ri­sche Anklage.

Da die israe­li­sche Holo­caust-Gedenk­stät­te nicht auch die ande­ren 25 dama­li­gen staat­li­chen Ver­trags­part­ner des Deut­schen Reichs mit dem glei­chen Vor­wurf der Aner­ken­nung des NS-Ras­sis­mus kon­fron­tiert, macht sie sich gegen­über dem Vati­kan der Anwen­dung eines Dop­pel­stan­dards schul­dig – ein Vor­ge­hen, das der heu­ti­ge Staat Isra­el gegen­über sei­nen Kri­ti­kern mit Vehe­menz zurückweist.

Bild: MiL

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