
Von José Arturo Quarracino*
Im 4. Jahrhundert v. Chr. veröffentlichte der athenische Philosoph Platon eines seiner bekanntesten Werke – ein monumentales Werk in der Geschichte der Philosophie: Πολιτεία – was wörtlich „Ordnung“ oder „Regierungsform der πόλις“ (Stadtstaat) bedeutet. Als dieses Werk ins Lateinische übersetzt wurde, erhielt es den Titel Res Publica, also „die öffentliche Sache“, das Gemeinschaftsleben im Römischen Reich – ein Ausdruck, aus dem sich auch im Deutschen das Wort Republik ableitet.
Historisch betrachtet ist dieses uralte Werk Platons der erste philosophische Text, der nicht nur detailliert und sorgfältig die Form und Struktur des gemeinschaftlichen Lebens eines Volkes darlegt, sondern vor allem die Grundlage und das Fundament, auf denen eine solche Gemeinschaft errichtet werden soll. Für Platon ist die Gerechtigkeit das leitende Prinzip, das die Ordnung des gemeinschaftlichen Lebens bestimmen soll – verstanden als jene Tugend, die die verschiedenen Bereiche des Zusammenlebens harmonisch ordnet und strukturiert. Dadurch soll eine hierarchische, einzigartige und unversehrte Einheit entstehen, deren Ziel es ist, daß alle ihre Mitglieder – ohne Ausnahme – in Fülle und vollkommener Glückseligkeit leben können. In diesem Zusammenhang bildet der religiöse Glaube das geistige Fundament, auf dem die Gemeinschaft erbaut wird – als Quelle der Werte und Prinzipien, die das alltägliche Leben tragen sollen.
In diesem platonischen Staat hat Gewalt keinen Platz – sie wird als Übel verstanden, das es immer auszumerzen gilt. Dennoch verkennt der Philosoph nicht die Existenz äußerer Gewalt, gegen die sich die Gemeinschaft verteidigen muß.
Seit Platons Vorschlag sind fast 25 Jahrhunderte vergangen – mit einer Vielzahl historischer und politischer Entwicklungen, die zur Herausbildung unterschiedlichster Formen gemeinschaftlichen Lebens geführt haben, je nach Zeitalter oder geschichtlicher Epoche. Doch seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts erleben wir einen Epochenwandel, der in keinerlei Verbindung zu den geschichtlichen Traditionen der Zivilisationen steht – oder sogar direkt entgegengesetzt verläuft, in Richtung Barbarei. Es ist eine neue Epoche – vorläufig bezeichnet als Postmoderne oder neuerdings Transhumanismus – angetrieben von einer transnationalen, globalistischen Machtelite, für die nicht mehr die Gerechtigkeit das Fundament einer neuen Weltordnung ist, sondern ein beispielloser, grausamer und unmenschlicher Genozid, wie ihn die Menschheit noch nie gekannt hat: die jährliche Tötung von Millionen Menschen, denen schon vor der Geburt das Leben verweigert wird.
Der Vorwand, unter dem dieser Genozid seit über 60 Jahren ununterbrochen durchgeführt wird, ist das von selbsternannten „Herren des Universums“ erfundene „Recht“, wonach es ein „grundlegendes Menschenrecht“ sei, daß Eltern die Existenz, die Anzahl und den Abstand ihrer Kinder frei bestimmen und im Zweifel töten dürften – damit, so heißt es, „jeder seine individuelle Würde verwirklichen und sein volles Potenzial entfalten kann“ (John Davison Rockefeller III: Erklärung zur Bevölkerungsfrage durch Weltführer, 19661).
Dieses „Recht“ hat keine historische oder juristische Grundlage: Es wurde von keiner geschichtlichen Rechtstradition festgeschrieben, ist in keinem völkerrechtlich bindenden Vertrag als solches definiert – das heißt, es existiert juristisch nicht, auch wenn es ständig beschworen wird.
Was ist der offizielle Rechtfertigungsgrund, der für diesen von der globalistischen Plutokratie geplanten Genozid angeführt wird? Daß die unkontrollierte Geburt von Kindern angeblich „den Weltfrieden gefährde“2. Für diese verbrecherische Macht sind Kinder – die in allen Kulturen der Geschichte, selbst in vorsintflutlichen, als göttlicher Segen galten – zu den Verdammten dieser Erde geworden, die zwangsläufig ausgelöscht werden müßten.
Die globale Folge dieses geplanten Genozids ist das, was man als demographischen Winter bezeichnet: Die Überalterung der Bevölkerung – mit immer mehr Erwachsenen und alten Menschen und gleichzeitig einem dramatischen Rückgang an Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren. Ein Prozeß, den Papst Johannes Paul II. in einer seiner Enzykliken als einen echten demographischen Holocaust bezeichnete.
Das ist keine dramatische Metapher, um zu schockieren. Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die UNO geben zu, daß in den letzten Jahren jährlich etwa 73 Millionen Menschen schon vor der Geburt getötet wurden.3 Warum? Weil man nicht will, daß sie existieren – obwohl Wille oder Wunsch niemals Grundlage eines Rechts sein kann.
Der demographische Winter – oder Holocaust – ist die direkte Folge des geplanten pränatalen Genozids. Bereits zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde dieses Problem in offiziellen UN-Berichten erkannt. Doch statt das Problem anzugehen und zu lösen, haben die UNO und ihre angeschlossenen Institutionen das antinatalistische Projekt, das wir erwähnt haben, weiter weltweit gefördert, beworben und finanziert – ein Projekt, das auch von der überwiegenden Mehrheit der Staaten als Staatsdoktrin übernommen wurde. Ein besonders klares Beispiel für diese widersprüchliche (oder gar schizophrene) Haltung liefert das 2010 veröffentlichte Dokument der UN-Abteilung für Bevölkerungsfragen, mit dem Titel „World Population Ageing 2009“, in dem es heißt:
- Die derzeitige Alterung der Weltbevölkerung ist beispiellos – ein Vorgang ohne Vergleich in der Geschichte der Menschheit.
- Die demographische Alterung ist flächendeckend und betrifft fast alle Nationen der Welt.
- Sie ist tiefgreifend und wird weitreichende Konsequenzen für alle Bereiche menschlichen Lebens haben.
- Sie ist dauerhaft: Solange die Sterblichkeit im Alter weiter sinkt und die Geburtenrate niedrig bleibt, wird der Anteil älterer Menschen weiter steigen.
Mit anderen Worten, so der Bericht: „Die Zahl älterer Menschen wächst wesentlich schneller als die Gesamtbevölkerung.“ Seit 1950 hat sich ihre Anzahl mehr als verdreifacht, und sie wird sich bis 2050 noch einmal fast verdreifachen. Relativ gesehen wird sich der Anteil älterer Menschen weltweit bis zur Mitte dieses Jahrhunderts verdoppeln. Konkrete Zahlen:
„Das 21. Jahrhundert wird eine noch schnellere Alterung der Bevölkerung erleben als das 20. Jahrhundert. Weltweit ist der Anteil der über 60jährigen zwischen 1950 und 2009 von 8 % auf 11 % gestiegen – ein Anstieg um 3 Prozentpunkte. Bis Mitte des Jahrhunderts wird ein weiterer Anstieg um 11 Punkte auf 22 % erwartet.
Zu diesem Zeitpunkt wird die Bevölkerung in den weniger entwickelten Regionen etwa denselben Anteil an über 60jährigen haben wie die heutigen Industrienationen. Die Entwicklungsländer werden diesen Stand in kürzerer Zeit erreichen, als es bei den Industrieländern der Fall war.“4
Trotz dieser alarmierenden Analyse haben die UNO und die mit ihr verbundenen Länder das Problem nicht nur nicht gelöst, sondern noch verschärft, indem sie den global geplanten pränatalen Genozid weiterhin unterstützen – getrieben von der angloamerikanischen globalistischen Plutokratie, mit John D. Rockefeller III als einem der Hauptakteure und Antreiber dieses weltweiten Projekts der vorgeburtlichen Vernichtung. In dessen „Neuer Weltordnung“ ist nicht mehr Gerechtigkeit das höchste Prinzip des gemeinschaftlichen Lebens, sondern der schlichte, brutale Mord an ungeborenen Kindern – den unschuldigsten (weil sie kein einziges Vergehen begangen haben) und zugleich schutzlosesten aller Menschen, da sie dem Todesurteil im Mutterleib nicht entkommen können.
Paradoxerweise ist dieses Blutbad, das die Welt seit Jahrzehnten überzieht, in den großen Medien kein Thema. Der Mord an einem bedeutenden Politiker findet größte mediale Beachtung. Die öffentliche Empörung ist berechtigt, wenn Frauen und Kinder in Kriegen getötet werden. Terroranschläge werden zu Recht weltweit verurteilt.
Aber wenn es um den weltweiten pränatalen Genozid geht, zeigen sich die politischen Machthaber in der Regel gleichgültig oder bestenfalls ohnmächtig – selbst wenn sie sich als „lebensfreundlich“ („pro-life“) deklarieren. Sie behaupten, den Frieden in der Welt wiederherstellen und Ordnung in ihren Ländern schaffen zu wollen, aber angesichts des ungeheuerlichen Massenmords an ungeborenen Kindern tun sie nicht das Geringste – auch die religiösen Autoritäten nicht, die mit anderen weltlichen Agenden beschäftigt sind und zum laufenden Massaker, dem weitaus größten der Menschheitsgeschichte, schweigen.
So gibt es keine Zukunft für niemanden, außer für die Herren der genozidalen Agenda: die globalistische Konzern-Plutokratie. Denn wie Mutter Teresa von Kalkutta sagte:
„Der größte Zerstörer des Friedens in der heutigen Zeit ist die Abtreibung, denn sie ist der Krieg gegen die Kinder, der direkte Mord an den Unschuldigen, der Mord der Mutter an sich selbst.“
Das heißt: „Abtreibung ist der größte Zerstörer des Friedens heute“, weil sie zudem „die Menschen blind gemacht hat“.5
*José Arturo Quarracino, emeritierter Professor der Philosophie an der Universidad del Salvador in Buenos Aires, Neffe von Kardinal Antonio Quarracino, der als Erzbischof von Buenos Aires und Primas von Argentinien den Aufstieg des Jesuitenpaters Jorge Mario Bergoglio möglich machte.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
1 https://growthmadness.org/wp-content/uploads/2010/02/population-statement-from-world-leaders.pdf
2 Ebenda.
3 https://www.who.int/es/news-room/fact-sheets/detail/abortion
4 https://digitallibrary.un.org/record/3923890?v=pdf S. 47f.
5 Mutter Teresa von Kalkutta, beim Nationalen Gebetsfrühstück am 4. Februar 1994 in Washington, D.C.: https://webcatolicodejavier.org/discursomadreteresaaborto.html
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