Leo XIV., ein Papst als Entschärfer

Was wird der nächste Schritt sein?


Papst Leo XIV. bei seiner Ansprache an die im vergangenen Jahr neugeweihten Bischöfe
Papst Leo XIV. bei seiner Ansprache an die im vergangenen Jahr neugeweihten Bischöfe

Luis Badil­la, ein Chi­le­ne mit beweg­ter Ver­gan­gen­heit – Jour­na­list, Poli­ti­ker der Ära Allen­de, seit Jahr­zehn­ten auf­merk­sa­mer Beob­ach­ter der römi­schen Ereig­nis­se –, ver­sucht eine Ant­wort auf die Fra­ge zu geben, die die Kir­che in all ihren Strö­mun­gen umtreibt: Wel­chen Kurs wird Papst Leo XIV. einschlagen?

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In man­chem sind sich die ver­schie­de­nen Beob­ach­ter einig. Badil­la nennt den neu­en Papst einen „Minen­räu­mer“ – einen, der Span­nun­gen abbaut und Kon­flik­te ent­schärft. Ein Bei­spiel für eine sol­che „Minen­räu­mung“ ist die über­ra­schen­de Erlaub­nis, den über­lie­fer­ten Ritus wie­der im Peters­dom zu zele­brie­ren. Fran­zis­kus hin­ge­gen hat­te das kirch­li­che Feld an zahl­rei­chen Stel­len ver­mint.
Doch wohin genau steu­ert Leo XIV.? Ent­schärft er ledig­lich, um allen Sei­ten ent­ge­gen­zu­kom­men, damit sich mög­lichst vie­le wie­der bequem ein­rich­ten kön­nen? Oder folgt er einer kla­ren Vor­stel­lung von Kir­che – sieht er einen Weg, der aus der andau­ern­den Kir­chen- und Glau­bens­kri­se wei­sen soll?
Die­se Fra­gen ste­hen wei­ter­hin im Raum – und sie drän­gen sich um so mehr auf nach einem Pon­ti­fi­kat, das von vie­len als kata­stro­phal emp­fun­den wur­de: jenem von Fran­zis­kus.
Hören wir zunächst, was von Luis Badil­la dazu bei Mes­sa in Lati­na ver­öf­fent­licht wurde.

Leo XIV., ein Papst als „Minenräumer“

Von Luis Badilla* 

Der Regie­rungs­stil von Papst Leo XIV. zeich­net sich mitt­ler­wei­le recht deut­lich ab. Vor allem wird klar: Die­ser Stil ist sei­ne Metho­de. Nichts Revo­lu­tio­nä­res – jeder Papst hat­te sei­nen eige­nen Stil, sei­ne eige­ne Metho­de, und dar­auf grün­de­te jeweils die Prä­gung sei­nes Pon­ti­fi­kats. Die Metho­de von Fran­zis­kus zum Bei­spiel unter­schied ihn – in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung sofort – deut­lich vom Pon­ti­fi­kat Bene­dikts XVI. Und nun wird nach und nach auch die Ver­schie­den­heit zwi­schen dem argen­ti­ni­schen und dem US-ame­ri­ka­ni­schen Papst deut­lich, ohne daß es zu Kon­flik­ten oder beton­ten Gegen­sät­zen kommt.

Ein ent­schei­den­der Bestand­teil der Metho­de Leos ist sei­ne stil­le, kaum wahr­nehm­ba­re Fähig­keit, den Boden zu „ent­mi­nen“ – also Kon­flikt­zo­nen zu ent­schär­fen und Gegen­sät­ze zu befrie­den, beson­ders dort, wo Pola­ri­sie­run­gen tie­fe und schmerz­haf­te Wun­den hin­ter­las­sen haben. Seit Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats vor vier Mona­ten hat der Papst immer wie­der auf die­se Wei­se gehan­delt – mit genau die­ser Metho­de – und dabei jeg­li­ches Stre­ben nach Selbst­dar­stel­lung sorg­fäl­tig ver­mie­den. Vie­le die­ser Vor­gän­ge blie­ben auch des­halb unbe­merkt, weil dem Papst die strik­te Tren­nung zwi­schen der Lei­tung der Kir­che und den Regeln und Mecha­nis­men der Medi­en­welt sehr ernst ist.

Führen

In der Agen­da von Papst Leo XIV. las­sen sich – wie die Ereig­nis­se seit Mai zei­gen – eini­ge sehr auf­schluß­rei­che Kon­stan­ten erken­nen. Es mag para­dox erschei­nen, aber eine davon ist beson­ders her­vor­zu­he­ben: Leo will deut­lich machen, daß die Kir­che geführt wird. Trotz des stür­mi­schen Wet­ters – inner­halb wie außer­halb der Kir­che – hat das Schiff Petri einen Steuermann.

Die­se Kir­che hat eine eige­ne Sicht auf die Welt, auf deren Kom­ple­xi­tät und auf die vie­len Bedro­hun­gen, die die Grund­la­gen der heu­ti­gen Zivi­li­sa­tio­nen infra­ge stel­len. Des­halb for­dert Leo vor allem die Hier­ar­chie der Kir­che dazu auf, Ant­wor­ten zu geben, die der Grö­ße die­ser Her­aus­for­de­run­gen gerecht wer­den. Der Bischof von Rom – der in nur vier Mona­ten eine bemer­kens­wer­te Anzahl von Diö­ze­san­bi­schö­fen emp­fan­gen hat – erin­nert sei­ne Gesprächs­part­ner unauf­hör­lich dar­an, daß „die Lei­tung einer Diö­ze­se bedeu­tet, zu befrie­den, zu einen, was getrennt ist, und neue Spal­tun­gen zu verhindern“.

In meh­re­ren Begeg­nun­gen hat der Papst immer wie­der betont: „Füh­ren heißt wei­den, nicht befeh­len“, und: „Wirk­li­che, schöp­fe­ri­sche Wirk­sam­keit liegt im Zeug­nis, im Han­deln – mit mög­lichst weni­gen Worten.“

Transparenz

Zu die­sen Über­le­gun­gen Papst Leos XIV., wie sie uns von meh­re­ren Bischö­fen berich­tet wur­den, kom­men noch wei­te­re wesent­li­che Gedan­ken hin­zu – etwa das drin­gen­de Bedürf­nis nach Trans­pa­renz. Die­ses Anlie­gen, das der Hei­li­ge Vater immer wie­der betont, hat er auf inter­es­san­te und viel­ver­spre­chen­de Wei­se ausgestaltet.

Zum einen ver­steht er „Trans­pa­renz als Weg zur Wahr­heit, als Wind­hauch, der Undurch­sich­tig­keit und Ver­schleie­rung ver­treibt“, zum ande­ren als Mit­tel „zur Besei­ti­gung der Ver­wir­rung, die sich hin­ter zwei­deu­ti­gen und unkla­ren Wor­ten versteckt“.

Ver­schie­de­ne aktu­el­le und glaub­wür­di­ge Zeug­nis­se bestä­ti­gen, wie viel Prio­ri­tät Papst Leo der Trans­pa­renz ein­räumt – nicht nur als unab­ding­ba­re Bedin­gung guten Regie­rens, son­dern auch, und viel­leicht vor allem, als grund­le­gen­de Vor­aus­set­zung für die Glaub­wür­dig­keit der Evan­ge­li­ums­ver­kün­di­gung. Die Ver­kün­di­gung, so scheint der Papst zu sagen, muß klar und ein­deu­tig sein – kein Kom­ma darf dazu die­nen, den Glau­ben oder die Gläu­bi­gen zu ver­wir­ren oder zu verfälschen.

Weitblick

Papst Leo hat oft dazu auf­ge­ru­fen, den Blick in die Fer­ne zu rich­ten. Das ist eine Leh­re, die anspricht und die er über­zeu­gend wei­ter­gibt. Es scheint, als wer­de sei­ne erste Enzy­kli­ka – der­zeit in Vor­be­rei­tung – ganz von die­sem Auf­ruf zum Weit­blick durch­drun­gen sein.

Nach dem Ange­lus am Sonn­tag, dem 31. August, griff er die­sen Auf­ruf erneut auf und erin­ner­te dar­an:
„Demut ist die Frei­heit von sich selbst“, und die­se Frei­heit „ent­steht, wenn das Reich Got­tes und sei­ne Gerech­tig­keit wirk­lich unser Inter­es­se gewon­nen haben – dann kön­nen wir es uns lei­sten, in die Fer­ne zu schau­en: nicht nur auf unse­re Fuß­spit­zen, son­dern weit dar­über hinaus!“

Wer sich selbst erhöht, so der Papst sinn­ge­mäß, hat meist nichts Inter­es­san­te­res gefun­den als sich selbst – und ist letzt­lich wenig sicher in sei­nem Selbst­bild. Doch wer ver­stan­den hat, wie kost­bar er oder sie in den Augen Got­tes ist, wer tief emp­fin­det, ein Sohn oder eine Toch­ter Got­tes zu sein, der hat Grö­ße­res, wor­über er sich freu­en kann – und besitzt eine Wür­de, die von sich aus leuch­tet. Die­se Wür­de tritt ganz natür­lich in den Vor­der­grund, ohne Anstren­gung und ohne Stra­te­gien – näm­lich dann, wenn wir ler­nen, nicht Situa­tio­nen für uns zu nut­zen, son­dern ihnen zu dienen.

*Luis Badil­la Mora­les, gebo­ren 1951 in Chi­le, Jour­na­list, spiel­te Anfang der 1970er Jah­re wäh­rend der Regie­rung des Sozia­li­sten Sal­va­dor Allen­de eine poli­ti­sche Rol­le in sei­ner Hei­mat. Er war Vor­sit­zen­der der Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on der Christ­lich Demo­kra­ti­schen Par­tei Chi­les (Part­ido Demó­cra­ta Cri­stia­no), die eine Volks­front mit lin­ken Kräf­ten unter­stütz­te. 1971 ver­ließ Badil­la die PDC und grün­de­te die Izquier­da Cri­stia­na (Christ­li­che Lin­ke), eine revo­lu­tio­nä­re Bewe­gung, die sich zum Ziel setz­te, im Sin­ne der mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gie am „Auf­bau des Sozia­lis­mus“ mit­zu­wir­ken. Nach dem Mili­tär­putsch von Augu­sto Pino­chet 1973 floh er nach Ita­li­en, wo er zunächst als Kran­ken­pfle­ger und Buch­händ­ler arbei­te­te, bevor er eine jour­na­li­sti­sche Tätig­keit bei Radio Vati­kan auf­nahm. 2009 grün­de­te er die inof­fi­zi­el­le vati­ka­ni­sche Pres­se­schau „Il Sis­mo­gra­fo“, die er 2023 aus Alters- und Gesund­heits­grün­den ein­stell­te. Als Vati­kan­ex­per­te ist er bis heu­te eine gefrag­te Stim­me, die gegen Ende des Pon­ti­fi­kats von Papst Fran­zis­kus zuneh­mend Distanz wahr­neh­men ließ.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

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