Benedikt XVI. und Franziskus sind tot, einige Fragen bleiben aber

Don Bux und die Frage nach dem "emeritierten Papst"


Die Frage scheint durch den Tod der beiden Hauptakteure erledigt zu sein. Doch ganz scheint dem noch nicht so zu sein. Im Bild Benedikt XVI. und Franziskus.
Die Frage scheint durch den Tod der beiden Hauptakteure erledigt zu sein. Doch ganz scheint dem noch nicht so zu sein. Im Bild Benedikt XVI. und Franziskus.

Über­le­gun­gen zu den Fol­gen des Rück­tritts von Papst Bene­dikt XVI. und dem weit­ver­brei­te­ten Emp­fin­den von Ver­wir­rung und Unsi­cher­heit rund um das Papsttum

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Von Anto­nio Socci

Das Jugend­tref­fen im Hei­li­gen Jahr, gefei­ert von Papst Leo XIV., hat mit der Klar­heit sei­nes auf Chri­stus und die Ewig­keit aus­ge­rich­te­ten Lehr­amts die Kir­che schlag­ar­tig in die Zukunft kata­pul­tiert – und die Ereig­nis­se der letz­ten fünf­zehn Jah­re wirk­lich wie Ver­gan­gen­heit erschei­nen lassen.

In der Kir­che ent­steht das Gefühl, aus einem lan­gen Tun­nel pasto­ra­ler und lehr­mä­ßi­ger Ver­wir­rung und Unsi­cher­heit her­aus­zu­tre­ten. Das ermög­licht es, mit einer gewis­sen kri­ti­schen Distanz über die kirch­li­chen Ent­wick­lun­gen der letz­ten Zeit nach­zu­den­ken, um sie histo­risch ein­zu­ord­nen – und dar­aus Leh­ren für die Zukunft zu ziehen.

Genau dies unter­nimmt Msgr. Nico­la Bux, ein enger Mit­ar­bei­ter Bene­dikts XVI., gemein­sam mit Vito Pal­miot­ti in dem Buch „Rea­li­tät und Uto­pie in der Kir­che“ („Real­tà e uto­pia nella Chie­sa“), erschie­nen im Ver­lag Omni Die.

Im Anhang des Buches ver­öf­fent­licht Bux einen Brief, den er am 19. Juli 2014 an den „eme­ri­tier­ten Papst“ schrieb, sowie die Ant­wort Ratz­in­gers vom 21. August 2014. Bei­de Tex­te lagen mir seit Jah­ren in ver­trau­li­cher Form vor. Nun, da sie öffent­lich zugäng­lich sind, kön­nen sie einer Ana­ly­se unter­zo­gen werden.

Im Kern unter­brei­te­te Don Bux dem eme­ri­tier­ten Papst – unter Ein­be­zie­hung kri­ti­scher Stim­men ver­schie­de­ner Per­sön­lich­kei­ten, dar­un­ter auch Kar­di­nä­le aus dem enge­ren Umfeld Bene­dikts XVI. – eine Rei­he von Fragen.

Die erste lautete:

„Nach Ansicht eini­ger ange­se­he­ner Histo­ri­ker hat Ihr Rück­tritt die Struk­tur des Petrus­am­tes erschüt­tert, sodaß unklar ist, was künf­tig gesche­hen kann.“

Dabei ging es nicht um die grund­sätz­li­che Mög­lich­keit eines päpst­li­chen Rück­tritts – die­ses Recht steht außer Fra­ge –, son­dern um die Beweg­grün­de, die nicht den schwe­ren Grün­den zu ent­spre­chen schie­nen, wie sie in der kano­ni­sti­schen Lite­ra­tur vor­ge­se­hen sind. Vie­le Gläu­bi­ge blie­ben rat­los zurück. Ver­schie­de­ne Beob­ach­ter inter­pre­tier­ten den Rück­tritt als eine „Moder­ni­sie­rung des Papst­tums“ – als han­de­le es sich dabei um ein Amt mit Ver­falls­da­tum. Hans Küng sprach gar von einer „Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung des päpst­li­chen Amtes“.

Die zwei­te Fra­ge lautete:

„Nach Ansicht ande­rer Theo­lo­gen kön­nen Sie nicht behaup­ten, ledig­lich die Aus­übung des Amtes nie­der­ge­legt, das munus (das Amt im theo­lo­gi­schen Sin­ne) jedoch behal­ten zu haben – dies birgt die Gefahr eines Schis­mas. Auch dür­fen Sie sich nicht wie ein Papst klei­den, wenn Sie es nicht mehr sind.“

Bux erläu­ter­te wei­ter, daß vie­le Kir­chen­recht­ler eine Klä­rung des recht­li­chen Sta­tus des „eme­ri­tier­ten Papst­tums“ forderten.

Ver­wir­rung stif­te­te zudem die Anwei­sung von Pater Feder­i­co Lom­bar­di, dem dama­li­gen Vati­kan­spre­cher, auf Wunsch von Msgr. Georg Gäns­wein, Bene­dikt XVI. künf­tig als „Sei­ne Hei­lig­keit Bene­dikt XVI., eme­ri­tier­ter Papst“ zu bezeichnen.

Der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster kom­men­tier­te dies als „viel zu wenig und zu vage, um die Sache als geklärt anse­hen zu kön­nen.“ Drei Tage zuvor hat­te die römi­sche Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca noch kate­go­risch aus­ge­schlos­sen, daß jemand, der zurück­tritt, wei­ter­hin als „Papst“ bezeich­net wer­den könne.

Bene­dikt XVI. beant­wor­te­te die ihm von Don Bux vor­ge­leg­ten Fra­gen, ohne direkt auf sie ein­zu­ge­hen: Er beton­te die Recht­mä­ßig­keit sei­nes Rück­tritts – sowohl in bezug auf die Aus­übung des Amtes als auch auf das munus – und wies die Posi­tio­nen der von Bux zitier­ten Histo­ri­ker und Theo­lo­gen scharf zurück. Die­se sei­en, so Ratz­in­ger, „mei­ner Mei­nung nach weder ech­te Histo­ri­ker noch Theo­lo­gen“ – er nann­te sie spä­ter sogar „Jour­na­li­sten“.

Fak­tisch war es jedoch das erste Mal in der Geschich­te der Kir­che, daß ein zurück­ge­tre­te­ner Papst wei­ter­hin als „Sei­ne Hei­lig­keit“ und „eme­ri­tier­ter Papst“ bezeich­net wur­de, die wei­ße Sou­ta­ne trug und inner­halb des Vati­kans verblieb.

Die Prä­senz von zwei Päp­sten sorg­te für erheb­li­che Ver­un­si­che­rung. Ins­be­son­de­re des­halb, weil Bene­dikt selbst in sei­ner letz­ten Gene­ral­au­di­enz am 27. Febru­ar 2013 sagte:

„Das ‚immer‘ ist auch ein ‚für immer‘ – es gibt kein Zurück in das Pri­va­te mehr. Mei­ne Ent­schei­dung, auf die akti­ve Aus­übung des Amtes zu ver­zich­ten, wider­ruft das nicht.“

Für wei­te­res Auf­se­hen sorg­te ein Vor­trag von Msgr. Gäns­wein am 20. Mai 2016 an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na, in dem er sagte:

„Vor und nach sei­nem Rück­tritt hat Bene­dikt sei­ne Auf­ga­be als Betei­li­gung am Petrus­amt ver­stan­den und ver­steht sie wei­ter­hin so. (…) Er hat die­ses Amt kei­nes­wegs auf­ge­ge­ben. Viel­mehr hat er das per­sön­li­che Amt mit einer kol­le­gia­len und syn­oda­len Dimen­si­on ergänzt – gewis­ser­ma­ßen ein gemein­schaft­li­ches Amt.“

Und wei­ter:

„Es gibt daher nicht zwei Päp­ste, son­dern de fac­to ein erwei­ter­tes Amt, mit einem akti­ven und einem kon­tem­pla­ti­ven Mitglied.“

Die­se Aus­sa­gen lösten bei Theo­lo­gen gro­ße Fas­sungs­lo­sig­keit aus.

Histo­risch betrach­tet hat­te die Prä­senz Bene­dikts im Vati­kan aller­dings den Effekt, die „Revo­lu­ti­on“ von Papst Fran­zis­kus zu ver­lang­sa­men. War dies mög­li­cher­wei­se das Ziel?

Msgr. Bux schreibt:

„Es wird behaup­tet, Bene­dikt XVI. habe die­sen Schritt unter­nom­men, um einem Schis­ma zuvor­zu­kom­men, indem er den Moder­ni­sten zuvor­kam, die ihn zum Rück­tritt drän­gen wollten.“

Das deu­tet auf eine dra­ma­ti­sche inner­kirch­li­che Lage hin, die Don Bux unter Beru­fung auf Ratz­in­ger so zusammenfaßt:

„Der Neo­pa­ga­nis­mus oder Säku­la­ris­mus – wie auch immer man es nennt – ist durch das Hin­ter­her­lau­fen hin­ter der Welt in die Kir­che eingedrungen.“

Nach Ein­schät­zung von Don Bux erreich­te in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die Durch­drin­gung der Kir­che durch moder­ni­stisch-pro­gres­si­sti­sche Denk­mu­ster ihren Höhepunkt:

„Der Apo­stel sagt: ‚Die Wirk­lich­keit aber ist Chri­stus‘ (Kol 2,17). Doch seit über sech­zig Jah­ren wird die Rea­li­tät in der Kir­che von der Uto­pie bedrängt (…) bis hin zu dem Punkt, daß Papst Fran­zis­kus nicht mehr erklär­te, war­um Gott Mensch gewor­den ist, son­dern die Quel­le der Brü­der­lich­keit anders­wo such­te. Er bevor­zug­te indi­vi­du­el­le und sozia­le Kör­per­schaf­ten, sprach nie über die Ret­tung der See­len und ver­band die Hoff­nung mit Uto­pie und Träu­men – im Gegen­satz zur christ­li­chen Hoff­nung, der theo­lo­galen Tugend, durch die wir das Him­mel­reich und das ewi­ge Leben als unser Glück erseh­nen, unser Ver­trau­en auf Chri­sti Ver­hei­ßun­gen set­zen und uns nicht auf unse­re Kräf­te stüt­zen, son­dern auf die Gna­de des Hei­li­gen Gei­stes (KKK 1817). Kir­chen­män­ner wur­den zu Pro­phe­ten der erschöpf­ten post­sä­ku­la­ren Gesell­schaft Euro­pas, ver­mie­den es aber, in Jesus den Weg zur Erlö­sung auf­zu­zei­gen – und damit Trost in bezug auf die letz­ten Fra­gen des Daseins zu spen­den: den Sinn von Leben und Tod sowie die Grün­de des Lei­dens im irdi­schen Leben.“

Der gro­ße Abwe­sen­de in der Ver­kün­di­gung war Jesus selbst.

Don Bux for­mu­liert des­halb abschließend:

„Wenn sich die heu­ti­ge Kir­che in einer solch ‚offen­sicht­li­chen Ver­wir­rung‘ befin­det – kann der neue Papst dann ein­fach so tun, als sei nichts gewe­sen? Eine Erneue­rung wird gewiß das Ende der Unord­nung mar­kie­ren, unter der die Kir­che leidet.“

Papst Leo XIV. hat damit einen Anfang gemacht.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

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