Die Restauration

Restaurative Haltung für den Christen besonders angemessen


Priester betet zusammen mit einer Familie den Rosenkranz
Priester betet zusammen mit einer Familie den Rosenkranz

In katho­li­schen Krei­sen wird seit Jahr­zehn­ten der Wunsch nach einer „Restau­ra­ti­on“ von Glau­ben, Kir­che und christ­li­cher Kul­tur geäu­ßert. Gemeint ist eine Rück­kehr zu den Quel­len, da offen­sicht­lich nicht nur die Welt, son­dern auch Tei­le der kirch­li­chen Auto­ri­tät – teils sogar der Stell­ver­tre­ter Chri­sti – die gött­li­che Offen­ba­rung ver­nach­läs­si­gen. Doch statt der erhoff­ten Restau­ra­ti­on, die bei Bene­dikt XVI. Ansät­ze zeig­te (pro­gres­si­ve Krei­se bezeich­ne­ten das „Dop­pel­pon­ti­fi­kat“ von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. als „restau­ra­ti­ve Pha­se“), folg­te mit der Wahl von Fran­zis­kus das Gegen­teil: eine radi­kal anti­re­stau­ra­to­ri­sche Hal­tung. Fran­zis­kus mach­te sich bei vie­len Gele­gen­hei­ten über jene katho­li­schen Krei­se und ihre Hoff­nun­gen gar lustig. „Aber selbst im kon­ser­va­ti­ven Spek­trum erho­ben sich Stim­men gegen die Idee einer Wie­der­her­stel­lung der christ­li­chen Kul­tur, und jene, die das taten, waren kei­ne Lai­en“, so Cami­nan­te Wan­de­rer. Und er fügt hin­zu: „Wahr­schein­lich haben sie den Begriff miß­ver­stan­den: Für sie schei­nen die Restau­ra­ti­ons­be­für­wor­ter eine Art katho­li­sche Men­no­ni­ten zu sein. Es ist jedoch auch denk­bar, daß sie – obwohl sie sich Kon­ser­va­ti­ve nen­nen – in Wahr­heit lang­sam fort­schrei­ten­de Pro­gres­si­sten sind und bereits pro­gres­si­ve Posi­tio­nen ein­neh­men, ohne es zu merken.“

Anzei­ge

Cami­nan­te Wan­de­rer ver­weist auf einen Arti­kel, um den Sach­ver­halt zu klä­ren und auf­zu­zei­gen, war­um in der Kir­che hin­ge­gen eine Restau­rie­rung not­wen­dig ist. „Er ver­steht sich als Ant­wort auf das uni­ver­sel­le Gesetz der Entro­pie“. Der Arti­kel stammt von dem eng­li­schen Domi­ni­ka­ner und Oxford-Absol­ven­ten Pater Tho­mas Crean.

Die Notwendigkeit einer religiösen Restauration

Von Tho­mas Cre­an OP*

Die Not­wen­dig­keit einer reli­giö­sen Restau­ra­ti­on ist sehr alt. Sie begann lan­ge vor den lit­ur­gi­schen Umwäl­zun­gen der 1960er Jah­re, lan­ge vor der Abwick­lung des Chri­sten­tums durch säku­la­re Regime in der Zeit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on oder dem Ver­schwin­den der mit­tel­al­ter­li­chen Scho­la­stik. Wenn wir dem Urteil des hei­li­gen Tho­mas von Aquin fol­gen, begann sie im zwei­ten Moment der Schöp­fung. Laut ihm war es genau damals, als eine gro­ße Zahl Engel­we­sen vom Zustand der Gna­de abwich, sich selbst zuwand­te und vom Licht in die Fin­ster­nis über­ging. So wur­de die himm­li­sche Stadt fast von Beginn an vie­ler ihrer recht­mä­ßi­gen Bewoh­ner beraubt.

Nach Ansicht des hei­li­gen Augu­sti­nus war ein Zweck der Inkar­na­ti­on, die Trüm­mer die­ser himm­li­schen Stadt wie­der­her­zu­stel­len, indem die Men­schen die Plät­ze ein­neh­men, die durch die gefal­le­nen Engel leer gewor­den waren. Wie er im Enchi­ri­d­ion über Glau­ben, Hoff­nung und Lie­be erklärt:
„Jeru­sa­lem, die da dro­ben ist, die Mut­ter von uns allen, die Stadt Got­tes, wird von kei­nem ihrer Bür­ger ent­blößt wer­den, son­dern viel­leicht über eine noch zahl­rei­che­re Bevöl­ke­rung herr­schen.“ Tho­mas von Aquin kom­men­tiert – in bezug auf die Wor­te des Apo­stels Pau­lus an die Ephe­ser: „Er hat beschlos­sen, alles in Chri­stus wie­der­her­zu­stel­len, was im Him­mel und auf Erden ist“ – dahingehend: 

„Was im Him­mel ist, das sind die Engel; nicht, daß Chri­stus für die Engel gestor­ben wäre, son­dern daß er durch die Erlö­sung des Men­schen ihre Rui­ne wiederherstellt.“

Wie der Begriff „erlö­sen“ nahe­legt, muß der Mensch selbst wie­der­her­ge­stellt wer­den. Im 2. Jahr­hun­dert schrieb Meli­ton, Bischof von Sardes:

„Der Mensch berühr­te den Baum, ver­letz­te das Gebot und gehorch­te nicht Gott. Des­halb wur­de er in die­se Welt ver­bannt wie in ein Schuldgefängnis.“

Wie im Gleich­nis vom barm­her­zi­gen Sama­ri­ter ist der gefal­le­ne Mensch nackt und ver­wun­det – sei­nes Man­tels der Gna­de und sei­ner natür­li­chen Kräf­te beraubt. In bes­se­ren Momen­ten sehnt er sich danach, in sei­nen ursprüng­li­chen Zustand zurück­ver­setzt zu wer­den – als er, in Wor­ten von Hugo von St. Vic­tor, nicht Gott suchen muß­te wie einen Abwesenden.

Zumin­dest im kos­mi­schen Sinn muß der Christ also ein Wie­der­her­stel­ler, ein Restau­ra­tor, sein. Aber wie sieht das im All­tag in die­ser gefal­le­nen Welt aus? Kann man erwar­ten, daß reli­giö­se Restau­rie­rung regel­mä­ßig nötig wird? Ohne Zwei­fel ja – und zwar vor allem aus logi­schen Grün­den. Die heil­brin­gen­de Wahr­heit, durch die wir ler­nen, was wir über Gott glau­ben und wie wir ihn anbe­ten sol­len, ist kein Werk mensch­li­cher Pro­duk­ti­vi­tät. Sie muß von oben kom­men, wie es Jako­bus betont.

Des­halb kön­nen wir zwar erwar­ten, daß inner­halb eines bestimm­ten Vol­kes – zumin­dest bei Abwe­sen­heit von Krie­gen oder ande­ren Kata­stro­phen – die tech­no­lo­gi­sche Fähig­keit oder die Natur­wis­sen­schaf­ten von einer Gene­ra­ti­on zur näch­sten fort­schrei­ten, doch die­sel­be Zuver­sicht in die Treue die­ses Vol­kes zur gött­li­chen Offen­ba­rung kön­nen wir nicht haben. Viel­mehr kön­nen wir erwar­ten, daß das „Gesetz der Entro­pie“ im geist­li­chen Bereich genau­so wirkt wie im mate­ri­el­len. Schließ­lich wir­ken, so wie es John Hen­ry New­man nann­te, „die­se Rie­sen, die Lei­den­schaft und der Stolz des Men­schen“ bestän­dig und nei­gen von Natur aus dazu, die Reli­gi­on zu zersetzen.

Das erklärt, war­um im Alten Testa­ment für die Israe­li­ten eine jähr­li­che Wie­der­her­stel­lung vor­ge­schrie­ben war. Am Tag der Ver­söh­nung muß­te der Hohe­prie­ster das Hei­lig­tum von der Unrein­heit der Kin­der Isra­el süh­nen und die Stifts­hüt­te zu ihrem ursprüng­li­chen Zustand ritu­el­ler Rein­heit zurück­füh­ren, damit dort ein wei­te­res Jahr lang Opfer dar­ge­bracht wer­den konn­ten (Lev. 16).

Die mensch­li­che Natur hat sich seit damals nicht ver­än­dert. Man kann erwar­ten, daß im Lau­fe der Zeit der gött­li­che Kult durch Respekt­lo­sig­keit und For­ma­lis­mus getrübt wird, wäh­rend das mora­li­sche Leben der Chri­sten locke­rer, welt­li­cher und kom­pro­miß­be­rei­ter wird und ihre Annah­me der gött­li­chen Wahr­heit immer lau­war­mer, teil­wei­ser, zöger­li­cher und ver­wor­re­ner erscheint. Noch ein­mal zitie­re ich Newman:

„Die Natur neigt zur Gott­lo­sig­keit und zum Laster, und tat­säch­lich ent­wickelt sich die­se Nei­gung und erfüllt sich in jeder Men­schen­men­ge, nach dem Spruch des alten Grie­chen, daß ‚die vie­len böse sind‘, oder nach dem Zeug­nis der Schrift, daß die Welt mit ihrem Schöp­fer ver­fein­det ist. Der Zustand der Din­ge ändert sich nicht, wenn eine Nati­on getauft wur­de; doch in der Pra­xis setzt sich die Natur gegen die Gna­de durch, und die Bevöl­ke­rung fällt in einen Zustand der Schuld und Benach­tei­li­gung, der aus gewis­ser Sicht schlim­mer ist als der, aus dem sie erlöst wur­de. So hat die Schrift es pro­phe­zeit: ‚Vie­le sind beru­fen, aber weni­ge sind erwählt‘; ‚das Him­mel­reich gleicht einem Netz, das ins Meer gewor­fen wird und alle Arten von Fischen sam­melt‘ (Dif­fi­cul­ties of Angli­cans, Vor­trag 9).

Natür­lich ist dies nur eine Sei­te der Wahr­heit. Ich bestrei­te nicht, daß Gott in jeder Epo­che neue Hei­li­ge und Leh­rer her­vor­bringt, die für die­se Zeit pas­send sind. Wie New­man sagt, nach­dem er die Lage vie­ler beschrie­ben hat: „Die Kir­che bemüht sich zugleich mit aller Kraft, sie zu ihrem Schöp­fer zurück­zu­füh­ren; und tat­säch­lich bringt sie gewal­ti­ge Men­gen zurück, einen nach dem ande­ren, obwohl einer nach dem ande­ren wie­der fällt.“

Weni­ger bestrei­te ich den gro­ßen Wan­del, den die Mensch­heits­ge­schich­te durch die Inkar­na­ti­on erfah­ren hat, durch die das alte Gesetz einer neu­en und ewi­gen Bünd­nis­ord­nung Platz mach­te. Eben­so bestrei­te ich nicht die Mög­lich­keit einer neu­en Aus­gie­ßung der Gna­de über die Kir­che, wie vie­le sie im Zusam­men­hang mit einer Mas­sen­be­keh­rung des jüdi­schen Vol­kes erwar­tet haben.

Doch obwohl die­ses von mir vor­ge­schla­ge­ne Gesetz der geist­li­chen Entro­pie nicht das ein­zi­ge Gesetz ist, das im geist­li­chen Bereich wirkt, so ist es doch dau­er­haft wirk­sam, und daher ist der „Restau­ra­ti­ons­ge­dan­ke“ als fester Bestand­teil der Hal­tung der Chri­sten gerechtfertigt.

Dies war ein Argu­ment a prio­ri, das auf der abstei­gen­den Ten­denz der mensch­li­chen Natur basiert. Aber wir kön­nen auch aus der Geschich­te argu­men­tie­ren, und zwar vor allem aus der inspi­rier­ten Geschich­te des aus­er­wähl­ten Vol­kes. Wie Joseph Shaw fest­ge­stellt hat, prä­sen­tiert uns das Alte Testa­ment wie­der­holt das Ide­al der Wie­der­her­stel­lung nach einer Zeit des Ver­falls oder einer Kata­stro­phe, und ganz kon­kret die der lit­ur­gi­schen Wie­der­her­stel­lung (The Case for Lit­ur­gi­cal Resto­ra­ti­on, in: Una Voce stu­dies on the Tra­di­tio­nal Latin Mass, Ange­li­co Press, 2019, S. 14).

Josia, der letz­te König von Juda, der vor der Ankunft der Baby­lo­ni­er fried­lich regier­te, stell­te nicht nur den Kult im Tem­pel in sei­ner ursprüng­li­chen Rein­heit wie­der her und fei­er­te das erste Pes­sach­fest seit den Tagen des Exodus nach allen vor­ge­schrie­be­nen Ritua­len. Er ent­deck­te auch das Buch Deu­te­ro­no­mi­um wie­der, das im Tem­pel ver­lo­ren­ge­gan­gen und in Ver­ges­sen­heit gera­ten war, und setz­te alle sei­ne Vor­schrif­ten in die Tat um.

Nach der Rück­kehr aus dem baby­lo­ni­schen Exil, als das Volk ent­mu­tigt zögert, den zer­stör­ten Tem­pel wie­der auf­zu­bau­en, erweckt Gott den Pro­phe­ten Hag­gai, um ihnen zu sagen, daß sie es tun sol­len. Die­ses Volk sagt: „Es ist noch nicht die Zeit, das Haus des Herrn zu bau­en.“ Und das Wort des Herrn kam durch den Pro­phe­ten Hag­gai, indem er sprach: „Ist es Zeit für euch, in Häu­sern mit geschnitz­ten Bal­ken zu woh­nen, wäh­rend die­ses Haus wüst liegt?“

Als nach dem Wie­der­auf­bau des Tem­pels die Älte­sten wei­nen, weil sie den beschei­de­nen Zustand mit dem Glanz ver­glei­chen, den sie noch von vor sieb­zig Jah­ren ken­nen, sen­det Gott den Pro­phe­ten Sachar­ja, um sie mit die­sen geheim­nis­vol­len Wor­ten zu trö­sten: „Ver­ach­te nicht den Tag der klei­nen Dinge.“

Es ver­ge­hen wei­te­re 350 Jah­re. Erneut wer­den die Opfer im Tem­pel unter­bro­chen – dies­mal durch die Hee­re des Antio­chos IV. Epi­pha­nes, der ein Göt­zen­bild auf dem Altar Got­tes errich­ten läßt. Vie­le der ein­fluß­rei­che­ren Juden kom­men zu dem Schluß, daß die Zeit der Befol­gung des mosai­schen Geset­zes vor­über sei – ein Erbe aus einer angeb­lich „pri­mi­ti­ve­ren“ Epo­che. Ihrer Mei­nung nach fol­ge der Bogen der Geschich­te unauf­halt­sam dem Hel­le­nis­mus. Doch ein wei­te­res Mal zeigt sich: Got­tes Wil­le ist die Wiederherstellung.

Als Judas Mak­ka­bä­us und sei­ne Brü­der den Tem­pel­berg zurück­er­obern, lesen wir:
„Sie sahen das Hei­lig­tum ver­wü­stet, den Altar ent­weiht, die Tore ver­brannt und Gestrüpp, das in den Vor­hö­fen wucher­te wie in einem Wald oder in den Ber­gen; die an den Tem­pel angren­zen­den Räu­me waren niedergerissen.“

Wie reagie­ren sie? Zunächst – ganz natür­lich – kla­gen sie: Sie zer­rei­ßen ihre Klei­der und bedecken ihr Haupt mit Asche. Doch dann gehen sie ans Werk: sie rei­ni­gen den hei­li­gen Ort, wäh­len zwölf neue Stei­ne aus, um einen neu­en Altar zu errich­ten, dem Vor­bild des alten ent­spre­chend, sie stel­len neue hei­li­ge Gefä­ße her und brin­gen erneut Opfer dar – gemäß dem Gesetz.

Des­halb konn­te zwei vol­le Gene­ra­tio­nen spä­ter, als unser Herr gebo­ren wur­de, er wür­dig im Tem­pel dar­ge­stellt wer­den – in Erfül­lung der Pro­phe­zei­ung des Hag­gai, die er den zöger­li­chen Bau­leu­ten sei­ner Zeit ver­kün­de­te: „Die Herr­lich­keit die­ses letz­ten Hau­ses wird grö­ßer sein als die des ersten“ (Hag­gai 2,9).

Im Neu­en Testa­ment fin­den sich weni­ger Bei­spie­le, doch es gibt Anspie­lun­gen auf das Abdrif­ten der mensch­li­chen Natur und die not­wen­di­ge Wie­der­her­stel­lung. Jesus sagt zur Gemein­de in Ephe­sus: „Ich wer­fe dir aber vor, daß du dei­ne erste Lie­be ver­las­sen hast. Beden­ke, aus wel­cher Höhe du gefal­len bist. Kehr zurück zu dei­nen ersten Wer­ken! Wenn du nicht umkehrst, wer­de ich kom­men und dei­nen Leuch­ter von sei­ner Stel­le wegrücken.“

An den Kle­rus der­sel­ben Gemein­de in Ephe­sus rich­tet der hei­li­ge Pau­lus fol­gen­de Wor­te: „Ich weiß, daß nach mei­nem Abschied rei­ßen­de Wöl­fe unter euch ein­drin­gen wer­den, die die Her­de nicht scho­nen, und aus eurer Mit­te wer­den Män­ner auf­ste­hen, die ver­kehr­te Din­ge reden, um die Jün­ger an sich zu ziehen.“

Was wird die Ver­tei­di­gung gegen die­se zukünf­ti­gen Irr­leh­rer sein? Es wird sein, zurück­zu­blicken auf die Apo­stel. „Gedenkt eurer Vor­ste­her“, sagt er an die Juden, „die euch das Wort Got­tes ver­kün­det haben; folgt ihrem Glau­ben und rich­tet eure Auf­merk­sam­keit auf den Zweck ihres Lebens­wan­dels.“
Eben­so ist sei­ne Lösung für die lit­ur­gi­schen Unord­nung in Korinth, die Korin­ther auf­zu­ru­fen, zur lit­ur­gi­schen Tra­di­ti­on zurück­zu­keh­ren, die sie von ihm emp­fan­gen haben und durch ihn von Chri­stus selbst.

Wenn wir vom Neu­en Testa­ment zum nach­fol­gen­den Leben der Kir­che über­ge­hen, fin­den wir bestän­dig das Ide­al der Erneue­rung im Leben der Hei­li­gen und der gro­ßen Män­ner der Kir­che.
Der hei­li­ge Augu­sti­nus ruft zu Beginn sei­ner Ordens­re­gel das Bei­spiel der Kir­che von Jeru­sa­lem aus der Apo­stel­ge­schich­te in Erin­ne­rung, wo alle Gläu­bi­gen ein Herz und eine See­le waren und alles gemein­sam hat­ten. Die­se Ver­fas­sung war schon lan­ge ver­schwun­den, aber der hei­li­ge Augu­sti­nus, eben­so wie ande­re Ordens­grün­der, wünsch­te, sie in sei­ner Zeit und für sei­ne eige­ne Gemein­schaft wiederherzustellen.

Die Lit­ur­gie der Kir­che lobt den hei­li­gen Domi­ni­kus. Im Prä­fa­ti­ons­ge­bet sei­nes Festes spricht der Prie­ster zu Gott: „Du hast gewollt, die apo­sto­li­sche Lebens­wei­se durch den hei­li­gen Patri­ar­chen Domi­ni­kus zu erneuern.“

Auch der hei­li­ge Fran­zis­kus wird von der Kir­che am Fest sei­ner Stig­ma­ta gelobt, weil er die Lie­be wie­der ent­flamm­te – die erste Lie­be der Kir­che, könn­te man sagen – als die Welt erkaltete.

Unter die­sem Lob der Erneue­rung liegt, so wür­de ich sagen, ein tie­fes Ver­ständ­nis des­sen, was ich das Gesetz der geist­li­chen Entro­pie genannt habe, näm­lich die Unver­meid­lich­keit des Ver­falls, aber eines Ver­falls, dem durch mensch­li­che Anstren­gun­gen unter der Gna­de bis zu einem gewis­sen Grad wider­stan­den und der gemil­dert wer­den kann. Es ist eine Hal­tung, die viel­leicht von der Fra­ge unse­res Herrn an die Jün­ger inspi­riert ist: „Wenn der Men­schen­sohn kommt, wird er dann den Glau­ben auf der Erde vor­fin­den?“, eben­so wie von den ver­schie­de­nen Pro­phe­zei­un­gen im Neu­en Testa­ment über die Übel der letz­ten Tage.

Die­se Hal­tung fin­det sich bereits aus­drück­lich in der patri­sti­schen Zeit. „Ich gebe euch kei­ne Gebo­te wie Petrus oder Pau­lus“, schrieb Igna­ti­us von Antio­chia Anfang des 2. Jahr­hun­derts an die Römer, „sie waren freie Män­ner, wäh­rend ich, selbst bis jetzt, ein Skla­ve bin“. In einem Brief an die Kir­che von Neo­caesarea im Jahr 368, um den Tod ihres hei­li­gen Bischofs Mus­o­ni­us zu bekla­gen, schrieb Basi­li­us der Gro­ße: „Es ist ein Mann gestor­ben, der sei­nen Zeit­ge­nos­sen offen­kun­dig über­le­gen war… Er zeig­te den alten Cha­rak­ter der Kir­che, so daß den­je­ni­gen, die Zeit mit ihm ver­brach­ten, es schien, als befän­den sie sich in Gesell­schaft eines jener Män­ner, die vor mehr als zwei­hun­dert Jah­ren wie Ster­ne leuch­te­ten.“ (Brief 28)

Die glei­che Hal­tung fin­det einen über­ra­schen­den und rät­sel­haf­ten Aus­druck in einem Satz, der dem hei­li­gen Ischy­ri­on, einem der Wüsten­vä­ter, zuge­schrie­ben wird: Die hei­li­gen Väter mach­ten Vor­her­sa­gen über die letz­te Gene­ra­ti­on. Sie sag­ten: „Was haben wir getan?“ Einer von ihnen, der gro­ße Abba Ischy­ri­on, ant­wor­te­te: „Wir haben die Gebo­te Got­tes erfüllt.“ Die ande­ren frag­ten: „Und was wer­den die­je­ni­gen tun, die nach uns kom­men?“ Er sag­te: „Sie wer­den dar­um kämp­fen, die Hälf­te unse­rer Wer­ke zu voll­brin­gen.“ Sie frag­ten wei­ter: „Und was wird denen gesche­hen, die nach ihnen kom­men?“ Er ant­wor­te­te: „Die Men­schen jener Gene­ra­ti­on wer­den kein Werk voll­brin­gen, und Ver­su­chung wird über sie kom­men; und die­je­ni­gen, die an jenem Tag bestehen, wer­den grö­ßer sein als wir oder unse­re Väter.“

Eini­ge Wor­te von Tho­mas von Aquin kön­nen hier lehr­reich sein. Er schreibt:

Die end­gül­ti­ge Voll­endung der Gna­de erfolg­te durch Chri­stus, wes­halb sei­ne Zeit „die Fül­le der Zei­ten“ genannt wird. Folg­lich kann­ten die­je­ni­gen, die Chri­stus näher stan­den, sei es zuvor, wie Johan­nes der Täu­fer, oder danach, wie die Apo­stel, die Geheim­nis­se des Glau­bens voll­stän­di­ger. Das­sel­be beob­ach­ten wir hin­sicht­lich des Zustands des Men­schen, der in der Jugend sei­ne Voll­kom­men­heit erreicht, und je näher er der Jugend ist, sei es vor oder nach ihr, desto voll­kom­me­ner ist er. (Sum­ma Theo­lo­giae, 2a 2ae 1.7 ad 4)

Mit ande­ren Wor­ten, so der Doc­tor Ange­li­cus, beinhal­tet dies als Teil der Ehre, die Chri­stus gebührt, daß das mitt­le­re Maß an Gna­de und geist­li­cher Erkennt­nis unter den Men­schen im Ver­hält­nis zu unse­rer Nähe zur Zeit sei­ner ersten Ankunft grö­ßer sein wird. An ande­rer Stel­le schreibt er: „Was den Glau­ben an die Mensch­wer­dung Chri­sti betrifft, so ist es offen­sicht­lich, daß, je näher die Men­schen Chri­stus waren, sei es vor oder nach Ihm, sie größ­ten­teils voll­stän­di­ger über die­sen Punkt unter­rich­tet waren, wenn auch nach Ihm voll­stän­di­ger als vor­her“ (2a 2ae, 174.6). Dies gibt uns einen wei­te­ren Grund, war­um die restau­ra­ti­ve Hal­tung, im reli­giö­sen Bereich auf die Ver­gan­gen­heit zu schau­en und dar­aus Inspi­ra­ti­on zu zie­hen, für den Chri­sten beson­ders ange­mes­sen ist.

*Pater Tho­mas Cre­an, eng­li­scher Domi­ni­ka­ner, stu­dier­te Phi­lo­so­phie und Theo­lo­gie am St. John’s Col­lege in Oxford, 1995 trat er in den Domi­ni­ka­ner­or­den ein und wur­de 2001 zum Prie­ster geweiht. Er pro­mo­vier­te an der Katho­li­schen Hoch­schu­le ITI in Tru­mau in Öster­reich, Autor meh­re­rer Bücher, dar­un­ter „A Catho­lic Replies to Pro­fes­sor Daw­kins“, „The Mass and the Saints“ und zuletzt „Vin­di­ca­ting the Fili­o­que“ über das Kon­zil von Flo­renz (Emma­us Aca­de­mic, 2023), lebt im Domi­ni­ka­ner­prio­rat von Haver­stock Hill im Nor­den Londons.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cami­nan­te Wanderer

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