Warum Papst Franziskus wider Willen den überlieferten Ritus stärkt

Traditionis custodes und die Antwort auf die Kirchenkrise


Papstmesse des heiligen Pius X. im Petersdom: Die Papstmesse ist nicht einfach der feierlichste, sondern der eigentliche Ausdruck der Heiligen Messe.
Papstmesse des heiligen Pius X. im Petersdom: Die Papstmesse ist nicht einfach der feierlichste, sondern der eigentliche Ausdruck der Heiligen Messe.

Gedan­ken von Giu­sep­pe Nardi

Anzei­ge

Mar­tin Mose­bach, der preis­ge­krön­te deut­sche Schrift­stel­ler, sag­te 2013, im ersten Jahr des Pon­ti­fi­kats von Papst Fran­zis­kus, nüch­tern und unum­wun­den, daß vom Wir­ken Bene­dikts XVI. nur des­sen Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum Aus­sicht auf eine Zukunft habe. Damit erschüt­ter­te er damals vie­le. Doch er soll­te damit ins Schwar­ze tref­fen und wird auf unge­wöhn­li­che, für ihn aber viel­leicht wenig über­ra­schen­de Wei­se, noch weit mehr recht behal­ten. Dabei sieht die Gegen­wart doch so anders aus und scheint man­che den Mut ver­lie­ren zu las­sen. Doch dafür gibt es kei­nen wirk­li­chen Grund.

Es waren kei­ne acht Mona­te seit der Wahl von Fran­zis­kus ver­gan­gen, als Mar­tin Mose­bach sei­ne Ana­ly­se äußer­te. Er hat­te zuvor mit sei­nem 2002 erschie­ne­nen Werk „Häre­sie der Form­lo­sig­keit“ dazu bei­getra­gen, den Weg für Sum­morum Pon­ti­fi­cum zu ebnen. Dar­in nahm er sich kein Blatt vor den Mund und zeig­te auf bestechen­de Wei­se die Ver­feh­lun­gen der nach­kon­zi­lia­ren Lit­ur­gie­ent­wick­lung auf. Seit Bene­dikt dann mit sei­nem Motu pro­prio 2007 dar­auf reagier­te, ins­be­son­de­re aber seit der Wahl von Fran­zis­kus 2013, ver­tei­dig­te Mose­bach Sum­morum Pon­ti­fi­cum wiederholt.

Er atte­stier­te dem deut­schen Papst, daß die­ser zwar die von ihm ange­streb­te „Reform der Reform“ ange­sto­ßen, die­se dann aber durch sei­nen über­ra­schen­den Rück­tritt schon in der Früh­pha­se ihrer Umset­zung wie­der auf­ge­ge­ben hat­te. Wört­lich sag­te Mose­bach im Novem­ber 2013 gegen­über Paix Lit­ur­gi­que:

„Von Papst Bene­dikts Wir­ken hat nur Sum­morum Pon­ti­fi­cum eine Chan­ce auf Zukunft. Wahr­schein­lich war eine ‚Reform der Reform‘ von Anfang an ein aus­sichts­lo­ses Pro­jekt. Bei der all­ge­mei­nen lit­ur­gi­schen Unbil­dung und Ver­ständ­nis­lo­sig­keit des Kle­rus war es hoff­nungs­los, für die Rück­kehr ein­zel­ner sakra­men­ta­ler For­men zu wer­ben, die erst aus dem Gesam­ten des sakra­men­ta­len Cor­pus ihren Sinn und ihre Bedeu­tung emp­fan­gen. Papst Bene­dikts Schei­tern in die­ser Fra­ge bestä­tigt, daß das Maxi­mal­pro­gramm der ‚Unein­sich­ti­gen‘ und ‚zu kei­nem Kom­pro­miß Berei­ten‘, das Rea­li­stisch­ste war: die vor­be­halt­lo­se Rück­kehr zur Überlieferung.“

Mose­bach zeig­te sich den­noch opti­mi­stisch und nann­te bezüg­lich Sum­morum Pon­ti­fi­cum zwei Aspekte:

„Auf der ande­ren Sei­te sind die Grup­pen der Tra­di­ti­on stär­ker gewor­den; man kann sie nicht mehr ein­fach ein­schüch­tern und weg­fe­gen, wie das so vie­le Bischö­fe ‚im Geist des Kon­zils‘ getan haben.“

Und eben­so:

„Die Chan­cen für die Tra­di­ti­on ste­hen nicht so schlecht, wenn sie sich dar­auf kon­zen­triert, im Inne­ren stark zu blei­ben, sich nicht in Strei­te­rei­en zu ver­zet­teln und vor allem jun­ge Leu­te, jun­ge Prie­ster, für sich zu gewin­nen. Wir hat­ten eine kur­ze Rekrea­ti­ons­zeit, jetzt muß es wie­der ohne Rom gehen; aber das ken­nen wir ja schon.“

Dann folg­te jedoch im Juli 2021 das neue Motu pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des von Papst Fran­zis­kus, das die Wir­kung von Sum­morum Pon­ti­fi­cum in wei­ten Berei­chen annul­lier­te, näm­lich genau dort, wo Bene­dikt XVI. ein befruch­ten­des Hin­ein­tra­gen des über­lie­fer­ten Ritus in die Kir­chen­krei­se des Novus Ordo ange­strebt hatte.

Ist Sum­morum Pon­ti­fi­cum seit Tra­di­tio­nis cus­to­des erledigt?

Die Fra­ge stellt sich so aller­dings nicht, denn das Motu pro­prio von Bene­dikt XVI. war nur ein Mit­tel zum Zweck, eine Hil­fe, mit der eine neue Etap­pe ein­ge­läu­tet und eine wei­te­re Hür­de beim Auf­stieg genom­men wer­den sollte.

Mit Tra­di­tio­nis cus­to­des, so sagen es ande­re, sei die Tra­di­ti­on mehr oder weni­ger wie­der auf den Ist-Zustand von Eccle­sia Dei, dem Motu pro­prio von Johan­nes Paul II. aus dem Jahr 1988, zurück­ge­wor­fen und Sum­morum Pon­ti­fi­cum eli­mi­niert wor­den. In der Tat spricht vie­les dafür. Immer wie­der wer­den Prie­ster und Gläu­bi­ge durch tra­di­ti­ons­feind­li­che Hiobs­bot­schaf­ten aus ver­schie­de­nen Erd­tei­len auf­ge­schreckt, und ein Ende ist nicht abzusehen.

Und den­noch bewirkt Tra­di­tio­nis cus­to­des das Gegen­teil des­sen, was es anstrebt, wie Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke in die­sen Tagen beton­te. Aber nicht nur des­halb, weil die Gemein­schaf­ten und Gemein­den der Tra­di­ti­on sich in Beharr­lich­keit üben. Kar­di­nal Bur­ke, der Tra­di­tio­nis cus­to­des 2021 als „revo­lu­tio­när und hart“ kri­ti­siert hat­te, unter­strich in einem Vor­trag in der Oster­wo­che, daß der über­lie­fer­te Ritus gar nicht aus­ge­löscht, abge­schafft und ver­bo­ten wer­den kön­ne, weil er untrenn­ba­rer Aus­druck der Kir­che ist. Die Aus­füh­run­gen des Kar­di­nals sol­len an die­ser Stel­le noch um einen Aspekt erwei­tert werden:

Fran­zis­kus und eine gan­ze Fron­de von Lit­ur­gi­kern, die eine Mar­gi­na­li­sie­rung des Opfer­cha­rak­ters und die Umdeu­tung der Hei­li­gen Mes­se zu einer ani­mier­ten Gemein­de­ver­samm­lung anstre­ben, wol­len mit Tra­di­tio­nis cus­to­des eine Rück­kehr des über­lie­fer­ten Ritus in die Prie­ster­se­mi­na­re, den Diö­ze­san­kle­rus, die neu­ri­tu­el­len Orden und in die Pfar­rei­en abweh­ren und dort, wo sie bereits statt­ge­fun­den hat, die­se wie­der beseitigen.

Damit erzielt San­ta Mar­ta, dank der Macht­fül­le, seit bald drei Jah­ren immer neue Etap­pen­sie­ge, von denen jeder ein­zel­ne für die betrof­fe­nen Prie­ster und Gläu­bi­gen äußerst schmerz­lich ist.

In Wirk­lich­keit bewirkt das berg­o­glia­ni­sche Motu pro­prio jedoch wider Wil­len das genaue Gegen­teil. Durch den von Fran­zis­kus wie­der auf­ge­nom­me­nen Kampf gegen den über­lie­fer­ten Ritus, genau durch die­sen destruk­ti­ven Rück­fall, festigt er in den Köp­fen, und zwar sowohl in den tra­di­ti­ons­freund­li­chen wie in den tra­di­ti­ons­feind­li­chen, wenn nicht das Bewußt­sein, so zumin­dest die Ahnung, daß der über­lie­fer­te Ritus die wirk­li­che, letzt­lich sogar die ein­zi­ge Alter­na­ti­ve zur Über­win­dung der immer mas­si­ve­ren Kir­chen­kri­se darstellt.

Obwohl der aktu­el­le Ein­druck das Gegen­teil nahe­zu­le­gen scheint, zeich­net sich schon heu­te auf unsicht­ba­re Wei­se ab, daß in Zukunft in der Kir­che jene auf­ste­hen wer­den, die heu­te noch kei­ner sieht und deren Namen noch kei­ner kennt, um in der Not und Rat­lo­sig­keit nach dem über­lie­fer­ten Ritus zu grei­fen, weil sie erken­nen oder wenig­stens erah­nen, daß der ver­folg­te und bekämpf­te, ja, ver­fem­te über­lie­fer­te Ritus die ech­te Ant­wort auf die Kir­chen­kri­se sein muß.

Es ist so gese­hen einer­lei, in wel­chem Aus­maß es Tra­di­tio­nis cus­to­des gelin­gen wird, den über­lie­fer­ten Ritus aus­zu­til­gen. Denn wie wenig auch von Sum­morum Pon­ti­fi­cum übrig­blei­ben wird, sicher ist, daß etwas blei­ben und fort­dau­ern wird. Und in der Kir­che wird man mor­gen gera­de auch dank Tra­di­tio­nis cus­to­des, dem här­te­sten Angriff seit der Lit­ur­gie­re­form von 1969/​70, wis­sen, daß die Ant­wort auf die Kri­se einen Namen hat und untrenn­bar mit der Lit­ur­gie­fra­ge, dem Herz­stück der Kir­che, zu tun hat.

Bild: Cae­remo­nia­le Romanum/​Youtube (Screen­shot)

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!