(Rom) In Rom geben sich die Gemeinschaften der Tradition derzeit die Türklinke in Santa Marta in die Hand. Die Piusbruderschaft sprach wegen neuer Bischofsweihen vor, die Petrusbruderschaft wegen der Zukunft der überlieferten Liturgie nach dem Motu proprio Traditionis custodes. Parallel dazu gibt es jede Menge an Gerüchten.
Die Petrusbruderschaft gab heute bekannt, daß zwei Abgesandte dieser größten unter den sogenannten Ecclesia-Dei-Gemeinschaften vom Papst in „herzlicher Atmosphäre“ empfangen wurden und von Franziskus ein Ad-hoc-Dekret erhalten haben.
Am 4. Februar waren in Santa Marta Pater Benoît Paul-Joseph, der Distriktobere des französischen Distrikts, und Pater Vincent Ribeton, der Regens des Priesterseminars von Wigratzbad, in Privataudienz empfangen worden. Fast eine Stunde lang konnten sie sich mit Franziskus austauschen. Eine Woche später, am 11. Februar, erließ Papst Franziskus ein neues Dekret für die Petrusbruderschaft. Ausschließlich für die Petrusbruderschaft. Jedenfalls ist das Dekret auf diesen Tag datiert. Das hat seinen Grund, denn die Petrusbruderschaft, alle ihre Mitglieder, beteten auf diesen Tag hin eine Novene und nahmen eine Weihe der Bruderschaft vor. Die Datierung von Dokumenten auf ein bestimmtes Datum ist allgemeiner Usus in der Kirche und Franziskus ist der Meister einer Politik der Gesten.
Der Papst habe sich die Entstehungsgeschichte der Bruderschaft erzählen lassen und sich „beeindruckt“ davon gezeigt. Ihre Treue zum römischen Papst entspreche einer Gesinnung, die „bewahrt, geschützt und ermutigt“ werden müsse, habe Franziskus seinen Gesprächspartnern gesagt.
Das neue Dekret im Wortlaut
„Der Heilige Vater Franziskus gewährt allen und jedem Mitglied der Gesellschaft apostolischen Lebens ‚Bruderschaft St. Petrus‘, die am 18. Juli 1988 gegründet und vom Heiligen Stuhl als ‚päpstlichen Rechts‘ erklärt wurde, die Befugnis, das Messopfer zu feiern, die Sakramente und andere heilige Riten zu spenden und das Offizium zu verrichten, gemäß der jeweiligen Editio typica der liturgischen Bücher, die im Jahr 1962 in Kraft waren, d. h. dem Missale, dem Rituale, dem Pontifikale und dem Brevier.
Sie können von dieser Befugnis in ihren eigenen Kirchen und Oratorien Gebrauch machen; an anderen Orten jedoch nur mit Zustimmung des Ortsordinarius, außer für die privat gefeierte Messe.
Ungeachtet dessen empfiehlt der Heilige Vater, so weit wie möglich auch die Bestimmungen des Motu proprio Traditionis Custodes zu berücksichtigen.
Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 11. Februar, dem Fest Unserer Lieben Frau von Lourdes, im Jahr 2022, dem neunten Jahr meines Pontifikats.
Franziskus“
Das Dekret bestätigt der Petrusbruderschaft, weiterhin alle liturgischen Bücher des überlieferten Ritus verwenden zu dürfen. Das steht in direktem Widerspruch zum Motu proprio Traditionis custodes vom 16. Juli 2021 und mehr noch zum Dekret des Kardinalvikars über die Umsetzung von Traditionis custodes in der Diözese Rom, dem Bistum des Papstes, vom 7. Oktober 2021.
Die Petrusbruderschaft bedankte sich in einer Stellungnahme, die heute zusammen mit dem Dekret veröffentlicht wurde, für den päpstlichen Gunsterweis:
„Die Mitglieder der Priesterbruderschaft St. Petrus sind voller Dankbarkeit gegenüber dem Heiligen Vater für die Bestätigung ihrer kirchlichen Sendung. Alle Gläubigen, die sich der geistlichen Familie der Bruderschaft verbunden fühlen, sind herzlich eingeladen, am morgigen Thronfest des Apostels Petrus (22. Februar) der heiligen Messe beizuwohnen und für den Heiligen Vater zu beten.“
Der Tonfall des „Kommuniqués“ ist von Freude und Erleichterung geprägt. Doch was „bestätigt“, recte erlaubt, das neue Dekret wirklich?
Normchaos
Bedeutet die Normierungsflut aus Rom, mit sich gegenseitig widersprechenden und aufhebenden Bestimmungen, daß Papst Franziskus mit Traditionis custodes „nur“ die durch Papst Benedikt XVI. angestoßene Ausbreitung des überlieferten Ritus hinein in den Weltklerus und in neurituelle Orden unterbinden wollte, aber das Ecclesia-Dei-Reservat unangetastet lassen, bestenfalls etwas enger einhegen will? Dafür spricht, daß die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften in Traditionis custodes nicht erwähnt werden. Doch die Wirklichkeit ist eine andere.
Die Umsetzung von Traditionis custodes durch verschiedene Diözesanbischöfe, darunter solche, die Franziskus sehr nahestehen, spricht eine andere Sprache. Das gilt erst recht für das Dekret, mit dem Traditionis custodes in der Diözese Rom umgesetzt wurde. In diesem Dekret wird ausdrücklich die Petrusbruderschaft massiv eingeschränkt. Es steht außer Frage, daß der Kardinalvikar, der, im Auftrag und im Namen des Papstes, die Diözese Rom leitet, einen solchen Schritt niemals ohne ausdrückliche Anweisung oder Billigung des Papstes setzen würde.
Das neue Dekret bestätigt zunächst vor allem das Chaos, das Franziskus erzeugt – ein gewolltes Chaos. Die jahrelangen abschätzigen Äußerungen des Kirchenoberhaupts über die Vertreter der Tradition spiegeln sich in Traditionis custodes wider. Das Motu proprio stellt die logische Konsequenz dar. Nicht glaubwürdig ist hingegen, daß der Papst zuerst Traditionis custodes erläßt, um sich erst anschließend, obwohl er neun Jahre Zeit dafür hatte, über die Entstehung der Petrusbruderschaft zu informieren und sich davon „beeindruckt“ zu zeigen. Das Ereignis unterstreicht jene Sprunghaftigkeit des regierenden Papstes, die aus anderen Bereichen bekannt ist, sobald er mit einem direkten Gegenüber spricht. In diesem Fall ist daraus ein unleugbarer Nutzen für die Petrusbruderschaft und die von ihr betreuten Gläubigen entstanden – zumindest in Rom, wie man meinen dürfte. Oder doch nicht?
Die Probe aufs Exempel
Die Probe aufs Exempel steht schon bald an, konkret am kommenden 14. April, dem Gründonnerstag. Das Dekret für die Diözese Rom untersagt grundsätzlich, die Petrusbruderschaft wird sogar namentlich genannt, die Zelebration des Triduum Paschale. Die überlieferte Liturgie von Gründonnerstag, Karfreitag, Osternacht und Ostersonntag darf in der Diözese Rom nicht mehr zelebriert werden. Es wird vielmehr erwartet, daß die Gläubigen an Zelebrationen im Novus Ordo teilnehmen und die Priester bei diesen konzelebrieren. Die Absicht dahinter ist offenkundig: Gläubige und Priester sollen den „Beweis“ ihrer Gemeinschaft mit Papst und Kirche erbringen. Eine Überprüfung wäre freilich nur bei den Priestern möglich. Ob und wie diese erfolgt, muß sich erst zeigen. Das neue Dekret von Papst Franziskus hebt das Dekret der Diözese Rom nicht auf. Vielmehr heißt es am Ende des neuen Dekrets kryptisch:
„Ungeachtet dessen empfiehlt der Heilige Vater, so weit wie möglich auch die Bestimmungen des Motu proprio Traditionis Custodes zu berücksichtigen.“
Die Petrusbruderschaft, an sie richtet sich das neue Dekret ja, soll die Bestimmungen von Traditionis custodes, die sich an die Diözesanbischöfe und gleichrangige Obere richten, „nach Möglichkeit … berücksichtigen“? Eine Formulierung, über deren Bedeutung und Tragweite sich Kanonisten wahrscheinlich die Stimme heiser debattieren können.
Der Satz davor lautet:
„Sie können von dieser Befugnis in ihren eigenen Kirchen und Oratorien Gebrauch machen; an anderen Orten jedoch nur mit Zustimmung des Ortsordinarius, außer für die privat gefeierte Messe.“
Die Kirche Santissima Trinità dei Pellegrini in Rom, die von der Petrusbruderschaft als Personalpfarrei betreut wird, ist eine Pfarrkirche der Diözese Rom, also keine „Eigenkirche“ der Petrusbruderschaft. Es bedarf also der Zustimmung des „Ortsordinarius“. Das ist Papst Franziskus. Dieser selbst hat aber die Zustimmung für die heiligen Tage vom Gründonnerstag bis Ostersonntag entzogen.
Es wird daher mit großem internationalem Interesse aufmerksam beobachtet werden, was vom kommenden 14. bis 17. April in Santissima Trinità dei Pellegrini in Rom geschehen wird. Dort wird sich auch zeigen, welchen Preis die Petrusbruderschaft für das neue Dekret bezahlen wird.
Was bestätigt das neue Dekret wirklich?
Damit stellt sich auch die Frage, was das neue Dekret der Petrusbruderschaft wirklich „bestätigt“ und ob die Freude darüber wirklich groß sein sollte.
Positiv ist, daß die Verwendung aller liturgischen Bücher zugestanden wird. Traditionis custodes erlaubt nur mehr die Zelebration der heiligen Messe und damit die Spendung nur mehr eines von sieben Sakramenten im überlieferten Ritus. In den Kirchen und Kapellen der Bruderschaft sind durch das neue Dekret Taufe, Firmung, Beichte und auch Priesterweihen möglich. Damit ist die Bruderschaft allerdings auf ein Minimum eingehegt, denn über wie viele Eigenkirchen und ‑kapellen verfügt sie?
Für alle anderen Kirchen gilt Traditionis custodes samt Responsa ad dubia und die Notwendigkeit, sich vom Ortsordinarius eine Genehmigung erteilen zu lassen – sofern dieser dazu bereit ist.
Mit anderen Worten: Papst Franziskus legte der Petrusbruderschaft und allen Gemeinschaften der Tradition mit Traditionis custodes die Schlinge um den Hals. Er schnürte sie ab um 95 Prozent. Nun lockert er ein bißchen auf 65 Prozent, eher nur auf 75 Prozent, und läßt sich dafür danken. Den Rest können die Diözesanbischöfe entscheiden, wie es mit Traditionis custodes festgelegt wurde. Die Bischöfe haben die Möglichkeit, die Tradition abzuwürgen, das gilt auch weiterhin. Das neue Dekret ändert daran nichts.
Und noch etwas: Traditionis custodes gilt für die Weltkirche, das neue Dekret nur für die Petrusbruderschaft. Was ist mit den anderen Ecclesia-Dei-Gemeinschaften? Einerseits wird die Einheit als Hauptmotiv für Traditionis custodes beschworen, andererseits werden die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften auseinanderdividiert. Dafür gibt es eine Definition: Divide et impera.
Parallel zu den Aufwartungen in Santa Marta gibt es noch eine Vielzahl von Gerüchten, darunter das einer „großen Visitation“ des Priesterseminars der Petrusbruderschaft in Wigratzbad. Das neue Dekret schließt implizit die Priesterweihe mit ein, außer in Diözesen wie Rom und Chicago, die in Umsetzung von Traditionis custodes Bestimmungen erlassen haben, die Priesterweihen im überlieferten Ritus untersagen. Doch die Frage der Priesterseminare und der Fortsetzung der Priesterausbildung nach Traditionis custodes bereitet in den Gemeinschaften der Tradition weiterhin Sorge.
Papst Franziskus ist ein Mann von ausgeprägter Mimik. Er setzte sie wiederholt gezielt ein. Man denke an die Begegnungen mit den US-Präsidenten Obama, Trump und Biden, aber auch zahlreiche andere Anlässe.
Auch das Foto, das die Petrusbruderschaft von der Privataudienz veröffentlichte, bietet dazu eine interessante Facette.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Petrusbruderschaft/Wikicommons (Screenshot)