Der selige Lycarion May – Märtyrer von gestern und heute

Ein Wesensmerkmal des Christentums


Der Marist Lycarion May wurde aus Haß gegen den Glauben getötet.
Der Marist Lycarion May wurde aus Haß gegen den Glauben getötet.

Von Cri­sti­na Siccardi*

Anzei­ge

Der Mär­ty­rer­tod gehört zum Wesen des Chri­sten­tums. Der erste, der das Mar­ty­ri­um erlitt, war der Sohn Got­tes, wah­rer Gott und wah­rer Mensch, der zur Erlö­sung der See­len gefol­tert und gekreu­zigt wur­de. Die Ver­fol­gung der Chri­sten und ihr Mar­ty­ri­um began­nen im Jahr 36 mit dem hei­li­gen Ste­pha­nus (dem ersten Mär­ty­rer unter den Men­schen). Im Lauf der Jahr­hun­der­te und Jahr­tau­sen­de – so wie auch heu­te noch – reißt der gewalt­sa­me Strom in odi­um fidei (aus Haß gegen den Glau­ben) nicht ab. Gleich­zei­tig setzt die Hei­li­ge Römi­sche Kir­che ihre Auf­ga­be fort, Zeu­gen des Glau­bens an Chri­stus selig- und hei­lig­zu­spre­chen. Der jüng­ste unter ihnen ist der Mari­sten­bru­der Lyca­ri­on May, der am 12. Juli die­ses Jah­res in der Pfar­rei San Fran­ces­co di Sales in Bar­ce­lo­na selig­ge­spro­chen wur­de. Die Fei­er wur­de von Kar­di­nal Mar­cel­lo Semer­a­ro, Prä­fekt des Dik­aste­ri­ums für die Selig- und Hei­lig­spre­chun­gen, geleitet.

Fran­çois Ben­ja­min May – so sein bür­ger­li­cher Name – wur­de am 21. Juli 1870 in Champ­sec im Wal­li­ser Val de Bagnes in der Schweiz gebo­ren und drei Tage spä­ter getauft. In sei­ner tief katho­lisch gepräg­ten Fami­lie keim­te sei­ne reli­giö­se Beru­fung früh auf. Bereits mit 18 Jah­ren trat er in das Insti­tut der Mari­sten­brü­der ein. Am Fest Mariä Him­mel­fahrt im Jahr 1888 erhielt er den Ordens­na­men Lyca­ri­on. Am 15. August 1893 leg­te er sei­ne ewi­ge Pro­feß ab und wur­de in die Gemein­schaft von Giro­na ver­setzt, wo er sei­ne erzie­he­ri­sche Mis­si­on an der ersten von den Mari­sten­brü­dern in Spa­ni­en gelei­te­ten Schu­le begann.

Als Lei­ter einer Kin­der­ta­ges­stät­te im Bas­ken­land wur­de er spä­ter nach Bar­ce­lo­na zurück­ge­ru­fen, um dort die Schu­le Patro­na­to Obre­ro de San José im bevöl­ke­rungs­rei­chen und armen Stadt­vier­tel Pue­blo Nue­vo zu grün­den und zu lei­ten. In dem­sel­ben Vier­tel exi­stier­te die Bewe­gung der radi­kal-repu­bli­ka­ni­schen Jugend „Jóve­nes Bár­ba­ros“ („Jun­ge Bar­ba­ren“), aus deren Umfeld als Gegen­ge­wicht zur mari­sti­schen Bil­dungs­ar­beit die anti­kle­ri­ka­le Escue­la Moder­na (Moder­ne Schu­le) hervorging.

In der letz­ten Juli­wo­che des Jah­res 1909 brach in Bar­ce­lo­na ein Volks­auf­stand aus, der als die „Tra­gi­sche Woche“ in die Geschich­te ein­ging. Arbei­ter der Stadt und aus ganz Kata­lo­ni­en pro­te­stier­ten gewalt­sam gegen das Mili­tär – unter­stützt von Anar­chi­sten, Kom­mu­ni­sten und Repu­bli­ka­nern. Aus­lö­ser des Auf­stands war die vom spa­ni­schen Staat ange­ord­ne­te Zwangs­re­kru­tie­rung von Reser­vi­sten für den Kolo­ni­al­krieg in Marok­ko. Es kam zu Gewalt­ta­ten, Plün­de­run­gen, Kir­chen­brän­den und Ver­wü­stun­gen von Klö­stern und katho­li­schen Schu­len. In der Nacht vom 26. auf den 27. Juli 1909 wur­de das Schul­ge­bäu­de der Mari­sten­brü­der in Brand gesteckt. Am Mor­gen des 27. wur­den die Ordens­leu­te durch eine List aus dem Haus gelockt. Kaum waren sie auf die Stra­ße getre­ten, wur­den sie erschos­sen. Bru­der Lyca­ri­on, der sich mit gro­ßer väter­li­cher Hin­ga­be der christ­li­chen Erzie­hung der Kin­der wid­me­te, war der erste, der getö­tet wur­de. Sein Leich­nam, durch Stei­ne und Mache­ten ent­stellt, wur­de spä­ter gebor­gen und in einem Mas­sen­grab auf dem Fried­hof von Mont­juïc beigesetzt.

Laut dem Bericht der World Watch List 2024 wer­den heu­te welt­weit rund 365 Mil­lio­nen Chri­sten in unter­schied­li­cher Wei­se ver­folgt, vor allem in Afri­ka und Asi­en. Histo­ri­ker schät­zen, daß im Lauf der Geschich­te etwa sieb­zig Mil­lio­nen Chri­sten wegen ihres Glau­bens getö­tet wur­den – davon allein 45 Mil­lio­nen im 20. Jahr­hun­dert, dem Jahr­hun­dert nach Auf­klä­rung, Fran­zö­si­scher Revo­lu­ti­on und dem libe­ral-posi­ti­vi­sti­schen 19. Jahr­hun­dert. Die Treue zum katho­li­schen Glau­ben war auch Aus­lö­ser des bewaff­ne­ten Auf­stands in der fran­zö­si­schen Regi­on Ven­dée im Jahr 1793, der nach Jah­ren erbit­ter­ter Kämp­fe von der jako­bi­ni­schen Armee mit grau­sa­mer Här­te nie­der­ge­schla­gen wur­de – ein Völ­ker­mord, der als erster der Moder­ne gilt und etwa 117.000 Opfer forderte.

Anti­kle­ri­ka­les und frei­mau­re­ri­sches Gedan­ken­gut hat sich nach und nach vie­le Staa­ten ein­ver­leibt, auch außer­halb Euro­pas – so etwa in Mexi­ko, wo die poli­ti­sche Füh­rung ver­such­te, die katho­li­sche Tra­di­ti­on des Lan­des syste­ma­tisch zu zer­stö­ren. 1926 reg­te sich als Ant­wort der bewaff­ne­te Volks­auf­stand der Cri­stia­da, dem sich rund 50.000 Män­ner anschlos­sen. Auch die­ser wur­de bru­tal nie­der­ge­schla­gen. Der Natio­nal­so­zia­lis­mus und der Kom­mu­nis­mus führ­ten die Ära bru­ta­ler Chri­sten­ver­fol­gung fort. In der Sowjet­uni­on erzeug­te der staat­lich ver­ord­ne­te Athe­is­mus die soge­nann­te „Kir­che des Schwei­gens“, deren unzäh­li­ge Opfer in Russ­land und den Satel­li­ten­staa­ten im Namen Chri­sti ihr Leben ließen.

Papst Pius XI. bezeich­ne­te 1937 in sei­ner Enzy­kli­ka Divi­ni Redempto­ris den Kom­mu­nis­mus als eine „sata­ni­sche Gei­ßel“, die „dar­auf abzielt, die gesell­schaft­li­che Ord­nung umzu­stür­zen und die Fun­da­men­te der christ­li­chen Zivi­li­sa­ti­on zu zer­stö­ren“, wodurch eine Bar­ba­rei ent­ste­he, „schlim­mer als jene, in der sich die Welt noch befand, als der Erlö­ser erschien“. Aus die­sem Grund wur­de der Kom­mu­nis­mus mit dem Kir­chen­bann belegt. Doch auf dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil wur­de der kom­mu­ni­sti­sche Gedan­ke mit kei­nem Wort ver­ur­teilt… und so konn­te sich die­ses anti­christ­li­che Den­ken auch in Euro­pa aus­brei­ten, wo es heu­te die Wur­zeln des Chri­sten­tums miß­ach­tet und entweiht.

Die Ver­fol­gun­gen unse­rer Zeit gehen mit uner­bitt­li­cher Här­te wei­ter. Laut der Tages­zei­tung Avve­ni­re vom 28. Janu­ar 2011 sind Chri­sten Opfer von 75 % aller reli­gi­ös moti­vier­ten Gewalt­ak­te welt­weit. Tho­mas Schirr­ma­cher von der Inter­na­tio­nal Socie­ty for Human Rights schätzt, daß jedes Jahr etwa 7.000 bis 8.000 Chri­sten als Mär­ty­rer ster­ben. Die World Watch List der Orga­ni­sa­ti­on Open Doors stell­te für das Jahr 2015 fest, daß Nord­ko­rea, der Irak und Eri­trea die drei Län­der mit der schwer­sten Chri­sten­ver­fol­gung waren – mehr als 7.100 Chri­sten wur­den im sel­ben Jahr wegen ihres Glau­bens getö­tet (im Ver­gleich zu 4.344 im Jahr 2014). Heu­te gesche­hen Chri­sten­ver­fol­gun­gen welt­weit – durch isla­mi­sti­sche oder kom­mu­ni­sti­sche Regime eben­so wie durch fun­da­men­ta­li­sti­sche isla­mi­sche oder hin­du­isti­sche Grup­pen, durch staat­li­che Repres­si­on oder durch geziel­te Anschlä­ge auf Kir­chen. Auch in bud­dhi­stisch gepräg­ten Län­dern wer­den Chri­sten dis­kri­mi­niert und attackiert.

Ein Bericht des Obser­va­to­ri­ums für Into­le­ranz und Dis­kri­mi­nie­rung gegen­über Chri­sten in Euro­pa, einer in Wien ansäs­si­gen NGO, zeigt, daß auch auf unse­rem Kon­ti­nent die Fäl­le von Into­le­ranz und Dis­kri­mi­nie­rung gegen Chri­sten zuneh­men. Kürz­lich wur­de in Damas­kus eine grie­chisch-ortho­do­xe Kir­che ange­grif­fen – 25 Men­schen star­ben, 63 wur­den ver­letzt. In Nige­ria, im Bun­des­staat Benue, wur­den rund 200 Chri­sten von Dschi­ha­di­sten ermor­det. Am 25. Juni erklär­te Papst Leo XIV. am Ende der Gene­ral­au­di­enz auf dem Petersplatz:

„Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag wur­de ein fei­ger Ter­ror­an­schlag auf die grie­chisch-ortho­do­xe Gemein­de in der Kir­che Mar Eli­as in Damas­kus ver­übt. Wir emp­feh­len die Opfer der Barm­her­zig­keit Got­tes und beten für die Ver­letz­ten und ihre Fami­li­en. Den Chri­sten im Nahen Osten sage ich: Ich bin euch nahe! Die gan­ze Kir­che ist euch nahe!“

In sei­ner Anspra­che an die Teil­neh­mer der Voll­ver­samm­lung der Riunio­ne del­le Ope­re per l’Aiuto alle Chie­se Ori­en­ta­li (Zusam­men­schluß der Hilfs­wer­ke für die Ost­kir­chen) am 26. Juni in der Sala Cle­men­ti­na frag­te und ant­wor­te­te der Papst:

„[…] Ich fra­ge mich: Was kön­nen wir als Chri­sten – neben unse­rer Empö­rung, dem Erhe­ben unse­rer Stim­me und unse­rem tat­kräf­ti­gen Ein­satz für den Frie­den und den Dia­log – wirk­lich tun? Ich glau­be, das erste ist: beten. Wir müs­sen jede schreck­li­che Nach­richt, jedes Bild, das uns erschüt­tert, in einen Schrei der Für­bit­te zu Gott ver­wan­deln. Dann: hel­fen – wie ihr es tut und wie vie­le durch euch hel­fen kön­nen. Aber es gibt noch mehr, beson­ders im Blick auf den christ­li­chen Osten: das Zeug­nis. Es ist der Ruf, Jesus treu zu blei­ben, ohne uns in den Ten­ta­keln der Macht zu ver­fan­gen. Es heißt, Chri­stus nach­zu­ah­men, der das Böse am Kreuz durch Lie­be besiegt hat – mit einer Herr­schaft, die ganz anders ist als die von Hero­des und Pila­tus: Der eine ließ aus Angst vor Macht­ver­lust Kin­der ermor­den – wie auch heu­te noch Kin­der durch Bom­ben zer­ris­sen wer­den; der ande­re [Pila­tus] wusch sich die Hän­de – so wie auch wir heu­te Gefahr lau­fen, uns täg­lich die Hän­de zu waschen, bis wir an die Schwel­le des Unum­kehr­ba­ren gelangen.

Schau­en wir auf Jesus, der uns auf­ruft, die Wun­den der Geschich­te ein­zig mit der Sanft­mut sei­nes glor­rei­chen Kreu­zes zu hei­len – aus dem die Kraft der Ver­ge­bung, die Hoff­nung auf einen Neu­an­fang und die Pflicht zur Ehr­lich­keit und Trans­pa­renz in einem Meer aus Kor­rup­ti­on her­vor­ge­hen. Fol­gen wir Chri­stus, der die Her­zen vom Haß befreit hat, und geben wir ein Bei­spiel dafür, wie man die Spi­ra­len von Spal­tung und Ver­gel­tung durch­bre­chen kann.

Ich möch­te allen Chri­sten des Ori­ents dan­ken und sie sinn­bild­lich umar­men, die dem Bösen mit dem Guten begeg­nen: Dan­ke, Brü­der und Schwe­stern, für das Zeug­nis, das ihr gebt – beson­ders dann, wenn ihr in euren Hei­mat­län­dern bleibt, als Jün­ger und als Zeu­gen Christi.“

*Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ („Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und erneu­ert hat“, 2014), „San Fran­ces­co“ („Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te“, 2019), „Quella mes­sa così mar­to­ria­ta e per­se­gui­ta­ta, eppur così viva!“ „Die­se so geschla­ge­ne und ver­folg­te und den­noch so leben­di­ge Mes­se“ zusam­men mit P. Davi­de Pagli­a­ra­ni, 2021), „San­ta Chia­ra sen­za fil­tri“ („Die hei­li­ge Kla­ra unge­fil­tert. Ihre Wor­te, ihre Hand­lun­gen, ihr Blick“, 2024), 

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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