
Einige Gedanken von Giuseppe Nardi
Ein bedeutungsschwerer Moment ist fast lautlos eingetreten, ohne Aufsehen, ohne Schlagzeilen, ohne Rechenschaft. Indiens Geburtenrate ist unter die Marke von zwei Kindern pro Frau gefallen – jener symbolischen Schwelle, die demographisch für Bestandserhalt steht. Die Panikparolen der Überbevölkerungsideologen, über Jahrzehnte hinweg mit missionarischem Eifer verbreitet, lösen sich in Luft auf. Kein Widerruf, keine Selbstkritik, kein öffentliches Schuldeingeständnis. Der Mainstream schweigt – vielleicht, um morgen ungestört weiterlügen zu können?
Im Schatten dieser epochalen Entwicklung verstarb unlängst Étienne-Émile Baulieu, geboren als Émile Blum – bekannt geworden als der Vater der Abtreibungspille RU-486. Ein Name, der in den Annalen der biopolitischen Steuerung einen festen Platz einnimmt. Sein Leben und Wirken symbolisieren eine Ära, in der technokratische Menschenbilder und ideologisch motivierte Bevölkerungspolitik tief in das Innerste von Gesellschaften eingriffen.
Zwischen den späten sechziger Jahren und der Jahrtausendwende kulminierte eine global orchestrierte Angstkampagne, getragen von Stiftungen, Regierungen und supranationalen Institutionen. Der Mensch, so hieß es, sei zur Plage des Planeten geworden, sein bloßes Dasein eine Bedrohung für das ökologische Gleichgewicht. Eine perfide Verdrehung der Wirklichkeit: Die Menschheit, seit jeher die größte Ressource der Erde, wurde zum Problem erklärt.
Besonders der Westen, anfällig für feinstoffliche Propaganda, ließ seine Geburtenraten dramatisch sinken. Die Völker Westeuropas, einst Träger der Zivilisation durch christliche Mission, Wissenschaft und technischen Fortschritt, befinden sich in einem demographischen Niedergang, der längst zum kulturellen und zivilisatorischen Problem geworden ist. Ein stilles Aussterben, das sich über Generationen hinzieht. Das verwestlichte Südkorea steht an vorderster Front dieses Trends: Mit einer Geburtenrate von unter einem Kind pro Frau ist es das erste Land, das sich durch friedlichen Lebenswandel selbst abschafft.
Auch in Indien, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde, ist die Geburtenrate längst unter die Reproduktionsschwelle gefallen: 2020 erreichte sie mit 2,1 Kindern das Nullwachstum; 2022 war sie auf etwa 2 gesunken; heute liegt sie nur mehr bei 1,94 – ein Rückgang um nahezu acht Prozent unterhalb der Bestandssicherung. Die absolute Bevölkerungszahl wächst zwar noch, gestützt durch eine steigende Lebenserwartung. Doch wer heute nicht geboren wird, den gibt es auch morgen nicht. Der Zinseszins der Leere beschleunigt sich: Nichtgeborene zeugen keine Nachkommen. Die Schrumpfung ist mathematisch unausweichlich.
Der Club of Rome, flankiert von finanzkräftigen US-Stiftungen wie der Rockefeller- und Ford-Foundation, bereitete der Welt mit wissenschaftlich getarnten Panikbildern das Feld. In der sogenannten Dritten Welt griff man nicht selten zu drastischeren Mitteln. Hunger, Aufstände, Gewalt, Verelendung – Szenarien eines zivilisatorischen Untergangs, die medienwirksam verbreitet wurden. Nichts davon trat ein. Der Mensch, widerständig und kreativ, überlebte sie alle locker.
Baulieu selbst begründete seine Forschung mit dem „Elend“, das er in Indien gesehen habe. Aus diesem Anblick leitete er die moralische Rechtfertigung für die Entwicklung der Abtreibungspille ab – ein Mittel, das den Tod in Tablettenform brachte. Er sprach von „Hilfe für Frauen“, von „Menschlichkeit“ – doch seine Chemie half nicht gegen die Armut. Wohlstand kam dort, wo Bildung, Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung Einzug hielten. Wo der Mensch als Subjekt gefördert, nicht als Störfaktor bekämpft wurde.
Die Geldgeber Baulieus waren dieselben, die auch die Überbevölkerungspropaganda verbreiteten: Rockefeller, Ford, der Population Council – eine Handvoll einflußreicher Kreise, die seit Jahrzehnten hinweg tief in politische Entscheidungsprozesse und wissenschaftliche Diskurse eingreifen. Wer sich heute über die manipulative Macht sogenannter „öffentlich-rechtlicher“ und „wissenschaftlicher“ Stimmen wundert, übersieht leicht, daß die große Einflußnahme kein neues Phänomen ist – sondern beispielsweise in der Bevölkerungsfrage seit mehr als einem Jahrhundert betrieben wird.
Wie anders ist doch die Wirklichkeit beschaffen: Die Menschheit nimmt trotz ihrer schieren Zahl nur einen winzigen Teil des Planeten in Anspruch. Die vom Menschen bewohnten urbanen Flächen bedecken lediglich ein Prozent der Erdoberfläche. 97,3 Prozent der lebenden Biomasse entfallen auf das Pflanzenreich. Der Mensch ist auf gerade einmal 2,7 Prozent beschränkt – ein Wunder der Dichte, der Organisation, nicht der Überfülle.
Der US-amerikanische Biologe und Jesuitenpater Francis P. Filice formulierte zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen Gedanken, der die ideologischen Überbevölkerungsthesen in ihrer ganzen Absurdität entlarvt: Die gesamte Weltbevölkerung könne problemlos in einem urbanen Raum von der Größe des US-Bundesstaates Texas untergebracht werden. Jeder Haushalt hätte ein Haus von 102 Quadratmetern Wohnfläche und 222 Quadratmetern Garten. Ein Drittel der Fläche wäre Parks vorbehalten, ein weiteres produktiven Tätigkeiten. Der Rest der Erde – 99 Prozent – bliebe menschenleer.
Baulieu ist tot, aber jährlich sterben Millionen von Kindern durch seine Abtreibungspille.
Was bleibt also vom Mythos Überbevölkerung? Er war nie mehr als das: ein Mythos, ein grausames Instrument der Machtausübung und Bevölkerungslenkung. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die Menschheit ist kleiner, verletzlicher – und kostbarer –, als es die Ideologen wahrhaben wollen. Möge ihr Wert wiederentdeckt werden, ehe es zu spät ist.
Bild: Wikicommons
Dass der Mensch 2,7% der Biomasse stellt, kann nicht sein. Wenn das Pflanzenreich 97,3 % der Biomasse einnimmt, dann nimmt das Tierreich 2,7% ein. Davon stellt der Mensch nur einen Bruchteil dar.