
Die römische Tageszeitung Il Tempo lehnte sich in ihrer gestrigen Ausgabe aus dem Fenste: Ihr Chefkolumnist Luigi Bisignani veröffentlichte unter der Überschrift „Franziskus starb in einem Aufzug. Leo XIV. wurde zweimal gewählt“ die von ihm gesammelten Informationen zu den jüngsten innerkirchlichen Ereignissen zum Tod von Papst Franziskus und der Wahl von Leo XIV. Das Ende des vormaligen Papstes wird sehr traurig beschrieben, was sich mit anderen Informationen deckt. Bisignanis Schilderung unterstützt das Bild vom neuen Papst als entschlossenem Kirchenmann, der weiß, was er tut und will. Eine hieb- und stichfeste Überprüfung der ausgeführten Details ist weitgehend unmöglich, weshalb wir den Text vollständig und kommentarlos dokumentieren:
Franziskus starb in einem Aufzug. Leo XIV. wurde zwei Mal gewählt
Von Luigi Bisignani
Die Version von Santa Marta. Mit jedem Tod eines Papstes mehren sich die Geschichten hinter den Kulissen: Schweigen, kryptische Zeichen, Andeutungen in Purpur. Es gibt Geschichten vom heiligen Geist, der herabsteigt, um Konklaven zu inspirieren, von Kardinälen, die sich zum Gebet versammeln, während das Wehen – wie immer – von dort kommt, wo niemand es erwartet hat. Doch in den Korridoren des Vatikans, zwischen dem letzten Atemzug und dem weißen Rauch, herrscht oft ein graues Interregnum des Wartens, des Manövrierens und der Unterlassungen. Dort spielt sich die wahre Macht ab. Dort wird sogar der Tod und die Wahl zur Politik.
Es gibt Päpste, die inmitten von Kerzen und Psalmen, in ihrem eigenen Bett, umgeben von Ordensfrauen, Beichtvätern und Kardinälen, sterben. Und dann gibt es jene, die ihren letzten Atemzug woanders tun, in einem vergeblichen Wettlauf zum Krankenhaus. So scheint es bei Papst Franziskus gewesen zu sein. Ein Ende ohne Rituale, ohne offizielle Zeugen, ohne – unglaublich – das Sakrament der Letzten Ölung. Und vor allem: sine veritate. Zumindest so lange, bis alles sorgfältig in Ordnung gebracht worden ist.
Die offizielle Version besagt, daß Franziskus am 21. April 2025 um 7:35 Uhr in seinem Zimmer in Santa Marta verstorben ist. Aber aus diesen Zimmern – die jetzt umgebaut werden und in denen Bergoglios Sekretär bereits mit Koffern in der Hand zur Domus Romana Sacerdotalis an der Via Transpontina verschickt wurde – sickern allmählich andere Erzählungen durch. Die Krise hätte sich schon vor dem Morgengrauen manifestiert, mit einer schnellen und unumkehrbaren Verschlechterung. Bergoglios persönlicher Pfleger, Massimiliano Strappetti, versuchte vergeblich, ihn in die Gemelli-Klinik zu bringen. „Der Papst darf nicht sterben“, wiederholte er wie eine Litanei. Dann das Nichts. Zwischen dem ersten Stock und dem Erdgeschoß, in einem Rollstuhl im Aufzug von Santa Marta, stirbt Franziskus. „Der Leichnam, Gesicht und Hände verkrampft, vielleicht unter Schmerzen, wurde diskret in das päpstliche Zimmer zurückgebracht, wo er zurechtgemacht wurde. Die Hände gefaltet, die Stirn geglättet. Oder zumindest sollte es so aussehen. Die Thanatopraxie – die Behandlung zur vorübergehenden Konservierung des Körpers – tat ihr übriges. Die offizielle Bekanntgabe erfolgte erst zwei Stunden später, um 9.47 Uhr, mit der feierlichen Stimme des Kardinalkämmerers Kevin Farrell, flankiert von Parolin, Peña Parra und Monsignore Ravelli. Aber in diesen zwei Stunden war der „Tatort“ bereits, wie man sagt, „gesichert“.
Strappetti, Krankenpfleger und Schattenzeremonienmeister, wird zum einzigen Filter zwischen Franziskus und der Welt. Der Mann, der nach und nach die offiziellen Ärzte entfernt hatte, wurde nun auch zum Hüter der sterblichen Überreste und der letzten Geheimnisse von Franziskus. Neben ihm erscheint an diesem Morgen der unsägliche Stefano De Santis, Kommissar der vatikanischen Gendarmerie, unerbittlicher Ankläger im Fall Becciu. Er ist für die Sicherheit und den Zugang zu den päpstlichen Gemächern zuständig, der Mann, der im Schatten steht. Die beiden kontrollieren in diesen Stunden alles und jeden.
Und hier beginnt der zweite Akt: der der letzten Wünsche des Heiligen Vaters. In den vorangegangenen Monaten, als sein Gesundheitszustand zusehends schwächer wurde, gab es im ersten Stock von Santa Marta immer neue Ernennungen, Widerrufe und überraschende Entscheidungen. Der kubanische Bischof García Ibáñez, der offenbar Regimen mit zweifelhafter Orthodoxie sehr nahe steht, wird zum Entsetzen der örtlichen Gemeinschaften befördert. Kardinal Kasujja wird als Signal für die afrikanische Diplomatie geradezu ehrenvoll „hochgehoben“. Ganze Episkopate, wie zum Beispiel der deutsche, werden praktisch delegitimiert.1 All dies geschah, während Franziskus in der Öffentlichkeit immer weniger präsent, immer zerbrechlicher war.
Und schließlich der dramatische Höhepunkt: Wir befinden uns am dritten Tag der Generalkongregationen, vor dem Konklave: In den Gängen wird nur noch über den Fall Becciu gesprochen. Den Kardinälen wird brevi manu ein getipptes Blatt Papier in reinster Juristensprache gezeigt: drei Seiten, kein Briefkopf, kein Protokoll. Nur ein Buchstabe am Ende: „F“. Dort ist zu lesen, daß Papst Franziskus Kardinal Becciu unter Geheimhaltung vom Konklave ausgeschlossen hat. Kein kanonischer Akt, keine eigenhändige Unterschrift. Becciu zieht sich schweigend zurück und vielleicht belohnt ihn Prevost deshalb mit einer seiner ersten Audienzen.
Wie bei Johannes Paul II. wurde auch bei Franziskus der Tod von einigen wenigen verwaltet, wahrscheinlich in der Zeit, die nötig war, um die Dossiers zu „ordnen“.
Selbst Wojtyla unterzeichnete in seinen letzten Lebensmomenten noch umstrittene Ernennungen: Er erhob seinen Sekretär. Stanislaw Dziwisz zum Bischof, bereitete den Aufstieg von Marc Ouellet in die Kurie vor, sprach Josemaría Escrivá noch rasch heilig und schützte das Opus Dei. Der Heilige aus Wadowice wurde am 2. April 2005 um 21.37 Uhr für tot erklärt: An diesem Tag wurde ihm eine weitere Reihe von Bischofsernennungen zugeschrieben. Viele behaupten, daß er mindestens eine Stunde früher gestorben ist. Auch hier wurde der Todeszeitpunkt ausgesetzt, um Ordnung zu schaffen.
Und schließlich das jüngste Konklave. Sogar für Leo XIV. – abgesehen vom Heiligen Geist und der absoluten Geheimhaltung des Konklaves – sickern Bruchstücke der Wahrheit über die Ergebnisse der Abstimmung und den Zeitpunkt der Verkündung durch. Als die Kardinäle nach dem ersten Termin erschöpft waren, hielt der Kapuzinerkardinal Raniero Cantalamessa, emeritierter Prediger des Päpstlichen Hauses, eine lange Meditation über den Heiligen Geist und die Armut der Kirche. Er war auf eigenen Wunsch zum Kardinaldiakon kreiert worden, ohne Bischof zu sein, da er bereits über achtzig Jahre alt war. In der Sixtinischen Kapelle, die über keine sanitären Anlagen verfügt, hat es mehr Prostata-Akrobatik als geistliche Erhebungen gegeben. Doch schon bei der ersten Abstimmung schien alles klar zu sein. Vor allem für Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der nicht mehr als fünfzig Stimmen erhielt: fünfzehn weniger als zugesagt. Prevost, ein nordamerikanischer Außenseiter, erhielt etwa zwanzig Stimmen, gefolgt vom Kandidaten der Konservativen, dem ungarischen Kardinal-Erzbischof Peter Erdö. Die verschiedenen anderen, Zuppi, Pizzaballa und der Filippino Tagle, kamen gar nicht ins Spiel.
Für Prevost wurde es zum himmlischen Spaziergang, mit Parolin, der ihm sofort seine Treue anbot. Manche behaupten, Prevost sei bereits am Morgen zum Papst gewählt worden, habe aber um eine weitere, einhelligere Abstimmung am Nachmittag gebeten. Bevor er sich in Weiß kleidete, kehrte er nach Santa Marta zurück, um die Rede über den „unbewaffneten und entwaffnenden“ Frieden zu schreiben, die die Welt verzauberte. Ein Text, der kurz darauf von ihm verlesen wurde und den er bereits tippen hatte lassen. Es gab nichts Improvisiertes in der Stanza del Pianto („Raum der Tränen“), die einst für den Neugewählten eine vorübergehende Zuflucht nach der Wahl war. Wer weiß, ob nicht bald Valentina Alazraki, eine mexikanische Fernsehjournalistin, anstelle des apokalyptischen Trios Matteo Bruni, Andrea Tornielli und Paolo Ruffini diejenige sein wird, die diese Gerüchte widerlegen wird.2
Nur der Himmel weiß, ob das alles wahr ist. Aber im Vatikan läßt sich in diesen Dingen ein Wahrheitsbeweis selten erbringen. Und oft ist gerade deshalb der Zweifel das einzig Glaubwürdige.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Il Tempo (Screenshot)
1 Dieser Teil von Bisignanis Artikel bleibt unklar. Keine der genannten „Entscheidungen“, so es sie gegeben hat, dringt an die Öffentlichkeit. Weder ist eine Beförderung von Erzbischof Dionisio García Ibáñez, seit 2007 Erzbischof von Santiago de Cuba, noch des Vatikandiplomaten Msgr. Augustine Kasujja bekannt, der zuletzt Apostolischer Nuntius in Belgien und Luxemburg war und mit Vollendung des 75. Lebensjahres von Franziskus 2021 aus dem aktiven Dienst emeritiert wurde. Er hat die Würde eines Titularerzbischofs, wurde aber nie zum Kardinal erhoben. Eine Delegitimierung der vorherrschenden Mehrheit des deutschen Episkopats wäre zwar wünschenswert, wurde von Franziskus jedoch tunlichst vermieden. In einer Reihe von Punkten folgte er vielmehr, auf seine Weise, dem vorgegebenen deutschen Ton oder ließ sich von ihm treiben.
2 Matteo Bruni war unter Franziskus Direktor des vatikanischen Presseamtes, Andrea Tornielli Hauptchefredakteur aller vatikanischen Medien und Paolo Ruffini Präfekt des Kommunikationsdikasteriums. Valentina Alazraki ist seit 1974 als Vatikanistin tätig und wurde in den vergangenen Jahren mit mehreren Auszeichnungen geehrt, u. a. durch ihre Ernennung zur Dame des Großkreuzes des Ordens von Pius IX. und durch die Verleihung einer Ehrendoktorwürde durch die Päpstliche Universität Johannes Paul II. von Krakau.
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