
Papst Leo XIV. empfing gestern in der großen Audienzhalle des Vatikans die Teilnehmer der Heilig-Jahr-Wallfahrt der mit Rom unierten Ostkirchen und hielt vor ihnen seine vielleicht bisher bedeutendste Ansprache. Er legte ein Bekenntnis zum Frieden und gegen den Krieg ab. Er legte aber auch ein Bekenntnis zum Erhalt des durch Kriege und Konflikte massiv dezimierten christlichen Orients ab und betonte die Wichtigkeit, dessen liturgische Tradition zu bewahren. Legt Leo XIV. denselben Maßstab eins zu eins für den überlieferten Römischen Ritus an, dann sollte dessen Zukunft nicht nur gesichert sein, sondern blühend.
Leo XIV. sagte:
„Ihr seid kostbar. Wenn ich Sie anschaue, denke ich an die Vielfalt Ihrer Herkunft, an die glorreiche Geschichte und an die bitteren Leiden, die viele Ihrer Gemeinschaften ertragen haben oder noch ertragen.“
Er zitierte seinen Vorgänger Franziskus, der im Juni 2024 zu den unierten Kirchen sagte: „Sie haben uns so viel über das christliche Leben, die Synodalität und die Liturgie zu sagen“, allerdings wies die Aussage gleich ein doppeltes Defizit auf. Das Synoden-Verständnis der ostkirchlichen Tradition steht in keinem Zusammenhang mit dem bergoglianischen Synodalitätskonzept und Franziskus’ Hinweis war angesichts seines grausam repressiven Umgangs mit der liturgischen Tradition der römischen Kirche hingegen Spott.
In einer zentralen Stelle nahm Leo XIV. konkret zur liturgischen Tradition der Ostkirchen Stellung:
„Die Kirche braucht Sie. Wie groß ist doch der Beitrag, den der christliche Osten uns heute geben kann! Wie sehr müssen wir den Sinn für das Mysterium wiederfinden, der in Euren Liturgien so lebendig ist, die den Menschen in seiner Ganzheit einbeziehen, die Schönheit des Heils besingen und das Staunen über die göttliche Größe wecken, die die menschliche Kleinheit umarmt! Und wie wichtig ist es, auch im christlichen Abendland den Sinn für den Primat Gottes, den Wert der Mystagogie, der unablässigen Fürbitte, der Buße, des Fastens, des Beweinens der eigenen Sünden und der der ganzen Menschheit (penthos) wiederzuentdecken, die für die östlichen Spiritualitäten so typisch sind! Es ist also von entscheidender Bedeutung, eure Traditionen zu pflegen, ohne sie zu verwässern, vielleicht aus Bequemlichkeit und Komfort, damit sie nicht durch einen konsumorientierten und utilitaristischen Geist korrumpiert werden.
Eure Spiritualitäten, alt und immer wieder neu, sind Heilmittel. In ihnen verschmilzt die Dramatik des menschlichen Elends mit der Ehrfurcht vor der göttlichen Barmherzigkeit, so daß unsere Niedrigkeit nicht zur Verzweiflung führt, sondern uns einlädt, die Gnade zu empfangen, geheilt zu werden, göttliche Geschöpfe zu sein und in himmlische Höhen aufzusteigen. Dafür müssen wir den Herrn unendlich loben und ihm danken.“
Der von Leo XIV. hier angesprochene Sinn für das Mysterium ist auch in der lateinischen Kirche vorhanden, ganz konkret im überlieferten Römischen Ritus. Was Leo XIV. von der Liturgie und der Spiritualität des Ostens erhofft und erwünscht, kann – und noch viel näher – der traditionelle Römische Ritus der lateinischen Kirche geben. Es wird an ihm liegen, ob er dies erkennt und diesen Schatz im eigenen Haus fördert, wie es Benedikt XVI. erkannt und getan hatte, oder wie Franziskus mit Füßen tritt und zerstört.
Leo XIV. sagte in seiner gestrigen Ansprache alles, was relevant ist, um die unschätzbare Bedeutung des überlieferten Ritus für die Kirche von Rom zu erkennen. Es wird an ihm sein, den Worten die nötigen Taten folgen zu lassen.
ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS LEO XIV.
AN DIE TEILNEHMER DES JUBILÄUMS DER OSTKIRCHEN
Aula Paolo VI
Mittwoch, 14. Mai 2025
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, der Friede sei mit Euch!
Eure Seligkeiten, Eminenzen, Exzellenzen
liebe Priester, gottgeweihte Männer und Frauen,
Brüder und Schwestern,
Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden! Ich grüße Sie mit den Worten, die der christliche Osten in dieser Osterzeit in vielen Regionen nicht müde wird zu wiederholen, indem er den Kern des Glaubens und der Hoffnung bekennt. Und es ist gut, Sie hier zu sehen, gerade zum Heiligen Jahr der Hoffnung, deren unzerstörbares Fundament die Auferstehung Jesu ist. Willkommen in Rom! Ich freue mich, Ihnen zu begegnen und eine der ersten Begegnungen meines Pontifikats den Gläubigen aus dem Osten zu widmen.
Ihr seid kostbar. Wenn ich Sie anschaue, denke ich an die Vielfalt Ihrer Herkunft, an die glorreiche Geschichte und an die bitteren Leiden, die viele Ihrer Gemeinschaften ertragen haben oder noch ertragen. Und ich möchte wiederholen, was Papst Franziskus über die Ostkirchen gesagt hat: „Es sind Kirchen, die man lieben muß: Sie hüten einzigartige spirituelle und geistliche Traditionen, und sie haben uns so viel über das christliche Leben, die Synodalität und die Liturgie zu sagen; denken Sie an die frühen Väter, die Konzilien, das Mönchtum: unschätzbare Schätze für die Kirche“ (Ansprache an die Teilnehmer der ROACO-Versammlung, 27. Juni 2024).
Ich möchte auch Papst Leo XIII. zitieren, der zum ersten Mal ein eigenes Dokument der Würde Eurer Kirchen gewidmet hat, die vor allem durch die Tatsache gegeben ist, daß „das Werk der menschlichen Erlösung im Osten begann“ (vgl. Apost. Schreiben Orientalium dignitas, 30. November 1894). Ja, Ihr habt „eine einzigartige und privilegierte Rolle als ursprünglicher Kontext der entstehenden Kirche“ (Johannes Paul II., Apost. Schreiben Orientale lumen, 5). Es ist bezeichnend, daß einige Eurer Liturgien – die Ihr in diesen Tagen in Rom nach verschiedenen Traditionen feierlich zelebriert – noch die Sprache des Herrn Jesus verwenden. Aber Papst Leo XIII. plädierte nachdrücklich dafür, daß die „legitime Vielfalt der östlichen Liturgie und Disziplin […] dem großen Würde und Nutzen der Kirche zugute kommen sollte“ (Apost. Schreiben Orientalium dignitas). Seine damalige Sorge ist heute sehr aktuell, denn in unseren Tagen sind so viele orientalische Brüder und Schwestern, darunter auch einige von Ihnen, gezwungen, aufgrund von Krieg und Verfolgung, Instabilität und Armut aus ihren Herkunftsgebieten zu fliehen, und riskieren bei ihrer Ankunft im Westen nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre eigene religiöse Identität zu verlieren. So geht das unschätzbare Erbe der Ostkirchen im Laufe der Generationen verloren.
Vor mehr als einem Jahrhundert stellte Leo XIII. fest, daß „die Bewahrung der orientalischen Riten wichtiger ist, als allgemein angenommen wird“, und zu diesem Zweck schrieb er sogar vor, daß „jeder lateinische Missionar, sei es aus dem weltlichen oder dem regulierten Klerus, der durch Rat oder Hilfe irgendeinen Orientalen zum lateinischen Ritus hinzieht“, „entlassen und von seinem Amt ausgeschlossen“ werden sollte (ebd.). Wir begrüßen den Aufruf zum Schutz und zur Förderung des christlichen Ostens, vor allem in der Diaspora; hier ist es notwendig, neben der Errichtung, wo es möglich und angebracht ist, von orientalischen Jurisdiktionen, das Bewußtsein der Lateiner zu schärfen. In diesem Sinne bitte ich das Dikasterium für die orientalischen Kirchen, dem ich für seine Arbeit danke, mir zu helfen, Prinzipien, Normen und Richtlinien zu definieren, durch die die lateinischen Hirten die orientalischen Katholiken in der Diaspora konkret unterstützen und ihre lebendigen Traditionen bewahren und mit ihrer Besonderheit den Kontext, in dem sie leben, bereichern können.
Die Kirche braucht Sie. Wie groß ist doch der Beitrag, den der christliche Osten uns heute geben kann! Wie sehr müssen wir den Sinn für das Mysterium wiederfinden, der in Euren Liturgien so lebendig ist, die den Menschen in seiner Ganzheit einbeziehen, die Schönheit des Heils besingen und das Staunen über die göttliche Größe wecken, die die menschliche Kleinheit umarmt! Und wie wichtig ist es, auch im christlichen Abendland den Sinn für den Primat Gottes, den Wert der Mystagogie, der unablässigen Fürbitte, der Buße, des Fastens, des Beweinens der eigenen Sünden und der der ganzen Menschheit (penthos) wiederzuentdecken, die für die östlichen Spiritualitäten so typisch sind! Es ist also von entscheidender Bedeutung, eure Traditionen zu pflegen, ohne sie zu verwässern, vielleicht aus Bequemlichkeit und Komfort, damit sie nicht durch einen konsumorientierten und utilitaristischen Geist korrumpiert werden.
Eure Spiritualitäten, alt und immer wieder neu, sind Heilmittel. In ihnen verschmilzt die Dramatik des menschlichen Elends mit der Ehrfurcht vor der göttlichen Barmherzigkeit, so daß unsere Niedrigkeit nicht zur Verzweiflung führt, sondern uns einlädt, die Gnade zu empfangen, geheilt zu werden, göttliche Geschöpfe zu sein und in himmlische Höhen aufzusteigen. Dafür müssen wir den Herrn unendlich loben und ihm danken. Mit Ihnen können wir die Worte des heiligen Ephrem des Syrers beten und zu Jesus sagen: „Ehre sei dir, der du aus deinem Kreuz eine Brücke über den Tod gemacht hast. […] Gepriesen seist du, der du dich mit dem Leib des sterblichen Menschen bekleidet und ihn in eine Quelle des Lebens für alle Sterblichen verwandelt hast“ (Predigt über den Herrn, 9). Es ist eine Gabe, um die man bitten kann, nämlich die Gewißheit von Ostern in jeder Mühsal des Lebens zu sehen und nicht den Mut zu verlieren, indem man sich daran erinnert, wie ein anderer großer orientalischer Vater schrieb, daß „die größte Sünde darin besteht, nicht an die Kräfte der Auferstehung zu glauben“ (Hl. Isaak von Ninive, Sermones ascetici, I, 5).
Wer könnte mehr als Ihr Worte der Hoffnung singen in den Abgründen der Gewalt? Wer mehr als Ihr, die Sie die Schrecken des Krieges aus nächster Nähe kennen, so sehr, daß Papst Franziskus Ihre Kirchen „Märtyrerkirchen“ nannte (Ansprache an ROACO, cit.)? Es ist wahr: vom Heiligen Land bis zur Ukraine, vom Libanon bis nach Syrien, vom Nahen Osten bis nach Tigray und in den Kaukasus, wie viel Gewalt! Und über all diesen Schrecken, über die Massaker an so vielen jungen Menschen, die Empörung hervorrufen sollten, weil im Namen der militärischen Eroberung Menschen sterben, erhebt sich ein Appell: nicht so sehr der des Papstes, sondern der Christi, der wiederholt: „Friede sei mit euch“ (Joh 20,19.21.26). Und er präzisiert: „Ich lasse euch den Frieden, ich gebe euch meinen Frieden. Nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch“ (Joh 14,27). Der Friede Christi ist nicht die Grabesruhe nach einem Konflikt, er ist nicht das Ergebnis einer Überwältigung, sondern er ist ein Geschenk, das die Menschen anschaut und ihr Leben neu belebt. Beten wir um diesen Frieden, der Versöhnung, Vergebung und den Mut bedeutet, das Blatt zu wenden und neu anzufangen.
Damit sich dieser Friede ausbreitet, werde ich alles tun. Der Heilige Stuhl steht zur Verfügung, damit die Feinde einander begegnen und sich in die Augen sehen können, damit die Völker wieder Hoffnung schöpfen und die Würde erhalten, die sie verdienen, die Würde des Friedens. Die Völker wollen Frieden, und ich sage mit dem Herzen in der Hand zu den Führern der Völker: Laßt uns zusammenkommen, laßt uns den Dialog führen, laßt uns verhandeln! Der Krieg ist niemals unvermeidlich, die Waffen können und müssen zum Schweigen gebracht werden, weil sie die Probleme nicht lösen, sondern vergrößern; weil derjenige, der Frieden sät, und nicht derjenige, der Opfer erntet, in die Geschichte eingehen wird; weil die anderen nicht in erster Linie Feinde sind, sondern Menschen: keine Schurken, die man hassen muß, sondern Menschen, mit denen man reden kann. Verwerfen wir die manichäischen Visionen, die typisch für gewalttätige Erzählungen sind, die die Welt in Gut und Böse einteilen.
Die Kirche wird nicht müde, zu wiederholen: Haltet eure Waffen still. Und ich möchte Gott für diejenigen danken, die in der Stille, im Gebet, im Opfer Fäden des Friedens nähen; und für die Christen – östliche und lateinische – die, besonders im Nahen Osten, in ihren Ländern ausharren und widerstehen, stärker als die Versuchung, sie zu verlassen. Den Christen muß die Möglichkeit gegeben werden, nicht nur mit Worten, in ihren Ländern zu bleiben, mit allen Rechten, die für eine sichere Existenz notwendig sind. Bitte setzen Sie sich dafür ein!
Und danke, danke, liebe Brüder und Schwestern des Ostens, aus denen Jesus, die Sonne der Gerechtigkeit, hervorgegangen ist, um das „Licht der Welt“ zu sein (vgl. Mt 5,14). Leuchten Sie weiter durch Glaube, Hoffnung und Nächstenliebe und durch nichts anderes. Mögen Eure Kirchen ein Beispiel sein, und mögen eure Hirten aufrichtig die Gemeinschaft fördern, insbesondere in den Bischofssynoden, damit sie Orte der Kollegialität und der echten Mitverantwortung sind. Man sollte darauf achten, daß die Verwaltung des Besitzes transparent ist, daß man Zeugnis ablegt von der demütigen und völligen Hingabe an das heilige Volk Gottes, ohne Anhaftung an Ehrungen, weltliche Macht oder das eigene Ansehen. Der heilige Simeon, der Neue Theologe, gibt ein schönes Beispiel: „Wie man Staub auf die Flamme eines brennenden Ofens wirft, um sie zu löschen, so zerstören die Sorgen dieses Lebens und jede Art von Anhänglichkeit an unbedeutende Dinge, die keinen Wert haben, die Wärme des Herzens, die am Anfang entfacht wurde“ (Praktische und theologische Kapitel, 63). Der Glanz des christlichen Ostens verlangt heute mehr denn je die Freiheit von jeder weltlichen Abhängigkeit und von allen Tendenzen, die der Gemeinschaft zuwiderlaufen, um im Gehorsam und im Zeugnis des Evangeliums treu zu sein.
Ich danke Ihnen dafür und segne Sie von Herzen, indem ich Sie bitte, für die Kirche zu beten und Ihre mächtigen Fürbitten für meinen Dienst zu erheben. Ich danke Ihnen!
Text/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
Vielen Dank für die Bereitstellung dieser sehr schönen und vielversprechenden Rede und für den Kommentar!
Aus dem von Papst Leo XIV. Gesagten müßte sich die völlige und unwiderrufliche Rehabilitierung der Überlieferten Liturgie des Westens ergeben.
Aber noch eine andere Konsequenz müßte gezogen werden, nämlich die sofortige Außerkraftsetzung und Abschaffung der schändlichen Erklärung von Balamand von 1993, die die Unierten praktisch dem „Dialog“ mit den schismatischen Ostkirchen opferte. Das ist ein Schmutzfleck auf der vatikanischen Politik der letzten Jahrzehnte. Der „Dialog“ hat auch nicht viel gebracht, besonders nicht mit den oft betont antikatholischen byzantinisch-orthodoxen Kirchen – wobei man sich fragen muß, was eigentlich Sinn und Zweck dieses „Dialogs“ sein sollte.
Allenfalls kann man sagen, daß das Gespräch mit den altorientalisch-orthodoxen Kirchen zu mehr gegenseitigem Verständnis und Freundschaft geführt hat (bes. mit den Armeniern, im deutschen Sprachraum m. E. auch mit den syrisch-orthodoxen Christen).
Freundschaft mit den getrennten Orthodoxen, ja, natürlich, aber keine Verwässerung und vor allem keinen Verrat an den heiligen Unionen!
Zu Balamand siehe überblicksmäßig den Eintrag auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Dokument_von_Balamand