Ansprache von Leo XIV. an das Kardinalskollegium

"Um auf eine weitere industrielle Revolution und auf die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz zu antworten"


Papst Leo XIV. traf sich heute mit dem Kardinalskollegium, vor dem er eine Ansprache hielt
Papst Leo XIV. traf sich heute mit dem Kardinalskollegium, vor dem er eine Ansprache hielt

Bevor wir Platz neh­men, wol­len wir mit einem Gebet begin­nen und dar­um bit­ten, dass der Herr die­ses Kol­le­gi­um und vor allem die gan­ze Kir­che wei­ter­hin mit die­sem Geist, auch mit Begei­ste­rung, aber in tie­fem Glau­ben, beglei­ten möge. Lasst uns gemein­sam auf Latein beten.

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Pater noster…
Ave Maria…

Im ersten Teil die­ses Tref­fens gibt es eine kur­ze Anspra­che mit ein paar Gedan­ken, die ich mit euch tei­len will. Aber dann kommt noch ein zwei­ter Teil, so wie vie­le von euch es sich gewünscht haben, wo wir uns im Kar­di­nals­kol­le­gi­um aus­tau­schen, um zu hören, wel­che Rat­schlä­ge, Emp­feh­lun­gen, Vor­schlä­ge und ganz kon­kre­ten Din­ge es gibt, über die in den Tagen vor dem Kon­kla­ve schon ein biss­chen gespro­chen wurde.

Brüder Kardinäle!

Ich grü­ße euch und dan­ke euch allen für die­se Begeg­nung und für die Tage zuvor, die schmerz­lich waren wegen des Ver­lusts des Hei­li­gen Vaters Fran­zis­kus, her­aus­for­dernd wegen der Ver­ant­wor­tung, der wir uns gemein­sam gestellt haben, zugleich aber reich an Gna­de und Trost im Hei­li­gen Geist, gemäß der Ver­hei­ßung, die Jesus selbst uns gege­ben hat (vgl. Joh 14,25–27).

Ihr, lie­be Kar­di­nä­le, seid die eng­sten Mit­ar­bei­ter des Pap­stes, und das ist ein gro­ßer Trost für mich, wenn ich nun ein Joch auf mich neh­me, das mei­ne Kräf­te und die eines jeden Men­schen bei wei­tem über­steigt. Eure Anwe­sen­heit erin­nert mich dar­an, dass der Herr, der mir die­se Auf­ga­be anver­traut hat, mich bei der Über­nah­me die­ser Ver­ant­wor­tung nicht allein lässt. Ich weiß vor allem, dass ich immer, immer auf sei­ne Hil­fe zäh­len kann, auf die Hil­fe des Herrn, und, durch sei­ne Gna­de und Vor­se­hung, auf die Nähe von euch und von vie­len Brü­dern und Schwe­stern, die in der gan­zen Welt an Gott glau­ben, die Kir­che lie­ben und den Stell­ver­tre­ter Chri­sti mit ihrem Gebet und guten Wer­ken unterstützen.

Ich dan­ke dem Dekan des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums, Kar­di­nal Gio­van­ni Bat­ti­sta Re – er ver­dient einen Applaus, min­de­stens einen, wenn nicht meh­re­re –, des­sen Weis­heit, Frucht eines lan­gen Lebens und vie­ler Jah­re treu­en Dien­stes für den Apo­sto­li­schen Stuhl, uns in die­ser Zeit sehr gehol­fen hat. Ich dan­ke dem Came­r­len­go der Hei­li­gen Römi­schen Kir­che, Kar­di­nal Kevin Joseph Far­rell – ich glau­be er ist hier anwe­send –, für die wich­ti­ge und anspruchs­vol­le Auf­ga­be, die er in der Zeit der Sedis­va­kanz und der Ein­be­ru­fung des Kon­kla­ves über­nom­men hat. Ich den­ke auch an die­je­ni­gen Brü­der Kar­di­nä­le, die aus gesund­heit­li­chen Grün­den nicht anwe­send sein konn­ten, und zusam­men mit euch ver­bin­de ich mich mit ihnen in der lie­be­vol­len Gemein­schaft des Gebets.

In die­sem Moment, der zugleich trau­rig und freu­dig und dank der Vor­se­hung in das Licht des Oster­fe­stes gehüllt ist, möch­te ich, dass wir den Heim­gang unse­res ver­stor­be­nen Hei­li­gen Vaters Fran­zis­kus und das Kon­kla­ve zusam­men als ein öster­li­ches Ereig­nis betrach­ten, als einen Weg­ab­schnitt des lan­gen Exodus, durch den der Herr uns wei­ter­hin zur Fül­le des Lebens führt; und in die­ser Per­spek­ti­ve ver­trau­en wir dem »Vater des Erbar­mens und Gott allen Tro­stes« (2 Kor 1,3) die See­le des ver­stor­be­nen Pap­stes und auch die Zukunft der Kir­che an.

Der Papst, vom hei­li­gen Petrus bis hin zu mir, sei­nem unwür­di­gen Nach­fol­ger, ist ein ein­fa­cher Die­ner Got­tes und sei­ner Brü­der und Schwe­stern, und nichts ande­res als dies. Das sieht man schön an den Bei­spie­len vie­ler mei­ner Vor­gän­ger, wie zuletzt an Papst Fran­zis­kus: an sei­nem hin­ge­bungs­vol­len Dienst und sei­nem nüch­ter­nen, auf das Wesent­li­che bedach­ten Lebens­stil, dar­an, wie er sich in sei­ner Sen­dung ganz Gott über­las­sen hat und an dem ruhi­gen Ver­trau­en im Moment sei­ner Rück­kehr in das Haus des Vaters. Neh­men wir die­ses kost­ba­re Erbe an und neh­men wir unse­ren Weg wie­der auf, beseelt von der­sel­ben Hoff­nung, die aus dem Glau­ben kommt.

Der in unse­rer Mit­te gegen­wär­ti­ge Auf­er­stan­de­ne ist es, der die Kir­che beschützt und lei­tet und sie durch die Lie­be, die »durch den Hei­li­gen Geist, der uns gege­ben ist, in unse­re Her­zen aus­ge­gos­sen ist« (vgl. Röm 5,5), immer wie­der neu mit Hoff­nung erfüllt. An uns ist es, folg­sam auf sei­ne Stim­me zu hören und zu treu­en Die­nern sei­ner Heils­plä­ne zu wer­den, ein­ge­denk des­sen, dass Gott sich lie­ber durch ein »sanf­tes, lei­ses Säu­seln« (1 Kön 19,12) oder, wie man­che über­set­zen, durch eine „sanf­te Stim­me der Stil­le“ mit­teilt, als durch Don­ner­grol­len und Erd­be­ben. Dies ist die wich­ti­ge Begeg­nung, die wir nicht ver­pas­sen dür­fen und zu der wir das gan­ze hei­li­ge Volk Got­tes, das uns anver­traut ist, hin­füh­ren und beglei­ten sollen.

In den ver­gan­ge­nen Tagen haben wir die Schön­heit sehen und die Stär­ke die­ser rie­si­gen Gemein­schaft spü­ren kön­nen, die ihren Hir­ten mit so viel Zunei­gung und Ver­eh­rung ver­ab­schie­det und betrau­ert und ihn im Augen­blick sei­ner end­gül­ti­gen Begeg­nung mit dem Herrn im Glau­ben und im Gebet beglei­tet hat. Wir haben gese­hen, was die wah­re Grö­ße der Kir­che ist, deren ver­schie­de­ne Glie­der ver­eint sind mit dem einen Haupt, mit Chri­stus, dem »Hir­ten und Hüter« (1 Petr 2,25) unse­rer See­len. Sie ist der Mut­ter­schoß, aus dem auch wir her­vor­ge­gan­gen sind, und sie ist zugleich die Her­de (vgl. Joh 21,15–17), der Acker (vgl. Mk 4,1–20), der uns anver­traut ist, damit wir ihn pfle­gen, ihn bestel­len, ihn mit den Sakra­men­ten des Heils näh­ren und mit dem Samen des Wor­tes befruch­ten, so dass sie, gefe­stigt in der Ein­tracht und begei­stert in der Mis­si­on, im Schat­ten der Wol­ke und im Licht des Feu­ers Got­tes wan­delt, wie einst die Israe­li­ten in der Wüste (vgl. Ex 13,21).

Und in die­sem Zusam­men­hang möch­te ich, dass wir heu­te gemein­sam unse­re vol­le Zustim­mung zu die­sem Weg erneu­ern, den die Welt­kir­che seit Jahr­zehn­ten in der Fol­ge des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils ein­ge­schla­gen hat. Papst Fran­zis­kus hat des­sen Inhal­te in dem Apo­sto­li­schen Schrei­ben Evan­ge­lii gau­di­um aus­ge­zeich­net in Erin­ne­rung geru­fen und aktua­li­siert, von denen ich eini­ge grund­le­gen­de Aspek­te her­vor­he­ben möch­te: die Rück­kehr zum Pri­mat Chri­sti in der Ver­kün­di­gung (vgl. Nr. 11); die mis­sio­na­ri­sche Umkehr der gesam­ten christ­li­chen Gemein­schaft (vgl. Nr. 9); das Wachs­tum in der Kol­le­gia­li­tät und der Syn­oda­li­tät (vgl. Nr. 33); die Auf­merk­sam­keit für den sen­sus fidei (vgl. Nr. 119–120), ins­be­son­de­re in sei­nen typisch­sten und inklu­siv­sten For­men, wie der Volks­fröm­mig­keit (vgl. Nr. 123); die lie­be­vol­le Sor­ge für die Gering­sten der Aus­ge­sto­ße­nen (vgl. Nr. 53); den muti­gen und ver­trau­ens­vol­len Dia­log mit der heu­ti­gen Welt und ihren ver­schie­de­nen Ele­men­ten und Gege­ben­hei­ten (vgl. Nr. 84; Zwei­tes Vati­ka­ni­sches Kon­zil, Pasto­ral­kon­sti­tu­ti­on Gau­di­um et spes, 1–2).

Es han­delt sich dabei um Grund­sät­ze des Evan­ge­li­ums, die das Leben und Wir­ken der Fami­lie Got­tes seit jeher beseelt und inspi­riert haben, um Wer­te, durch die sich das barm­her­zi­ge Ant­litz des Vaters offen­bart hat und sich wei­ter­hin im mensch­ge­wor­de­nen Sohn offen­bart, der die letz­te Hoff­nung eines jeden ist, der auf­rich­tig nach Wahr­heit, Gerech­tig­keit, Frie­den und Geschwi­ster­lich­keit sucht (vgl. Bene­dikt XVI., Enzy­kli­ka Spe sal­vi, 2; Fran­zis­kus, Bul­le Spes non con­fun­dit, 3).

Gera­de weil ich mich beru­fen füh­le, die­sen Weg wei­ter­zu­ge­hen, habe ich mir über­legt, den Namen Leo XIV. anzu­neh­men. Es gibt ver­schie­de­ne Grün­de, aber in erster Linie, weil Papst Leo XIII. mit der berühm­ten Enzy­kli­ka Rer­um novarum die sozia­le Fra­ge im Zusam­men­hang mit der ersten gro­ßen indu­stri­el­len Revo­lu­ti­on ange­spro­chen hat. Und heu­te bie­tet die Kir­che allen den Schatz ihrer Sozi­al­leh­re an, um auf eine wei­te­re indu­stri­el­le Revo­lu­ti­on und auf die Ent­wick­lun­gen der künst­li­chen Intel­li­genz zu ant­wor­ten, die neue Her­aus­for­de­run­gen im Hin­blick auf die Ver­tei­di­gung der Men­schen­wür­de, der Gerech­tig­keit und der Arbeit mit sich bringen.

Lie­be Brü­der, ich möch­te die­sen ersten Teil unse­rer Begeg­nung damit beschlie­ßen, dass ich mir den Wunsch zu eigen mache – und ihn auch euch nahe­le­ge –, den der hei­li­ge Paul VI. 1963 an den Anfang sei­nes Petrus­am­tes stell­te: »Möge die Kraft Got­tes, ohne des­sen Hil­fe nichts gül­tig und nichts hei­lig ist, auf die gan­ze Welt wie eine gro­ße Flam­me des Glau­bens und der Lie­be her­ab­kom­men, die alle Men­schen guten Wil­lens ent­flam­me, ihre Wege der gegen­sei­ti­gen Zusam­men­ar­beit erhel­le und der Mensch­heit wei­ter­hin und immer die Fül­le des gött­li­chen Wohl­wol­lens zuteil­wer­den las­se« (Bot­schaft an die gan­ze Mensch­heits­fa­mi­lie Qui fausto die, 22. Juni 1963).

Möge dies auch unser Emp­fin­den sein, das es gilt, mit der Hil­fe des Herrn zum Gebet und zu hin­ge­bungs­vol­lem Dienst wer­den zu las­sen. Danke!

Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

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