Ein Nachruf auf Mario Vargas Llosa und der Tod von Papst Franziskus

Zusammenhänge zur Lage der Kirche


Am 13. April ist der lateinamerikanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa im Alter von 89 Jahren verstorben. Der Nachruf auf ihn liefert Hinweise, die sich mit jenem von Papst Franziskus verbinden lassen
Am 13. April ist der lateinamerikanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa im Alter von 89 Jahren verstorben. Der Nachruf auf ihn liefert Hinweise, die sich mit jenem von Papst Franziskus verbinden lassen

Der argen­ti­ni­sche Phi­lo­soph und Blog­ger Cami­nan­te Wan­de­rer schrieb den fol­gen­den Nach­ruf auf den bekann­ten latein­ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­ler Mario Var­gas Llosa, ohne noch vom Tod von Papst Fran­zis­kus, eben­falls Latein­ame­ri­ka­ner, zu wis­sen, den­noch läßt sich in gewis­ser Wei­se eine Brücke schla­gen, was die Lage der Kir­che betrifft, die Var­gas Llosa beschrieb. Der Schrift­stel­ler wie Fran­zis­kus waren Jahr­gang 1936.

Mario Vargas Llosa RIP

Anzei­ge

Von Cami­nan­te Wanderer

Vor ein paar Tagen ist der perua­ni­sche Schrift­stel­ler Mario Var­gas Llosa gestor­ben. Aus irgend­ei­nem Grund habe ich, als ich jung war – ich ver­mu­te, weil sich das Buch in mei­ner Haus­bi­blio­thek befand –,„Das Gespräch in der Kathe­dra­le“ gele­sen, in einer sehr häß­li­chen Aus­ga­be von Seix Bar­ral. Als ich ein­mal ange­fan­gen hat­te, konn­te ich es nicht mehr weg­le­gen. Ich erin­ne­re mich, daß ich die gan­ze Nacht damit ver­bracht habe, bis ich es zu Ende gele­sen hat­te. Ich war fas­zi­niert. Und ich fing an, alles zu ver­schlin­gen, was er bis zu die­sem Zeit­punkt geschrie­ben hat­te. Das letz­te Buch, das ich von ihm mit Ver­gnü­gen las, war „Der Fisch im Was­ser“. Aber ich konn­te nicht wei­ter­ma­chen. Es war nicht nur sei­ne lin­ke Ideo­lo­gie in sei­nen frü­hen Schrif­ten, son­dern auch sein stän­di­ges Bedürf­nis nach rei­ße­ri­schen und sogar por­no­gra­fi­schen Geschichten.

Als ich dann hier und da Nach­rich­ten über sein Leben las, ent­deck­te ich, daß er ex abun­dan­tia cor­dis sprach. Ein Leben, das den Eitel­kei­ten und Ver­gnü­gun­gen des Flei­sches gewid­met war, auch wenn er schon weit über acht­zig war. Eine ver­geu­de­te Intel­li­genz und eine ver­geu­de­te Feder, denn wenn er, obwohl er mit jenen Lastern bela­stet war, die den Ver­stand trü­ben und den Wil­len schwä­chen, so schrei­ben konn­te, wie er schrieb, wie viel Gutes hät­te er tun kön­nen, wenn er tugend­haft gewe­sen wäre! Die gro­ßen Geheim­nis­se der mensch­li­chen Frei­heit und der Wege Gottes.

Ein lie­ber Freund schick­te mir den fol­gen­den Text von Var­gas Llosa. Mehr als pas­send für die­sen Blog:

„…Nach­dem sie so viel Ein­fluß auf die Geschich­te gehabt haben, nach­dem sie sie mit Feu­er gezeich­net haben, ver­schwin­den die Kir­chen nun all­mäh­lich, ohne daß sie jemand angreift, und trotz der Tat­sa­che, daß sie von allen Regie­run­gen sub­ven­tio­niert und von nie­man­dem belä­stigt wer­den, weil sich Nietz­sches fer­ne Beob­ach­tung bewahr­hei­tet hat: Gott ist tot, und nie­mand küm­mert sich dar­um, weil die Män­ner und Frau­en schließ­lich gelernt haben, ohne Gott zu leben. Er war auch ein Pro­dukt der Kul­tur, und da sich die Kul­tur in Unter­hal­tung ver­wan­delt hat, haben wir noch nicht ein­mal bemerkt, daß die alten Göt­ter durch Kicker­ti­sche, Bil­der auf dem Bild­schirm, Zir­kus, Car­toons und vor allem durch die Wer­bung und ihre vie­len Erschei­nungs­for­men ersetzt wur­den, die all­mäh­lich nicht mehr als sol­che wahr­ge­nom­men werden.

Ich ver­mu­te, daß die katho­li­sche Kir­che ihr Todes­ur­teil besie­gelt hat, als sie begann, sich zu moder­ni­sie­ren, als die­se Basti­on der Männ­lich­keit und des Kon­ser­va­tis­mus, der Into­le­ranz und des Dog­ma­tis­mus, die sie einst war, begann, sich zu ent­span­nen, ein­zu­knicken, fort­schritt­li­chen Prie­stern und Lai­en Zuge­ständ­nis­se zu machen. Letz­te­re setz­ten ihren Wil­len durch, aber statt des von ihnen gefor­der­ten Aggior­na­men­to ver­setz­ten sie der Kir­che den Ham­mer­schlag. Mit ande­ren Wor­ten, es ist auf sie zurück­ge­fal­len. Es schien unmög­lich, und doch geschah es: Die Kir­che begann, Frau­en zu wei­hen und sie zu Bischö­fen zu ernen­nen, erlaub­te Prie­stern zu hei­ra­ten, wie pro­te­stan­ti­schen Pasto­ren, und der Papst selbst fei­er­te eine Homo-Ehe im Peters­dom. Mei­ne arme Mut­ter, Gott hab sie selig, stieß einen herz­zer­rei­ßen­den Schrei aus und ver­lor das Bewußt­sein, als sie die­se Nach­richt hör­te und die Sze­ne auf dem Tablet sah. Sie stürz­te aus dem Roll­stuhl auf den Boden. Die arme alte Dame. ‚Es waren unver­zicht­ba­re Fort­schrit­te, um sich der Zeit anzu­pas­sen‘, sagt Oso­rio. ‚Ohne sie hät­te die Kir­che ange­fan­gen zu ver­wel­ken wie eine Rose, die lan­ge Zeit der Son­ne aus­ge­setzt war.‘ Ist es aber nicht viel­leicht genau das, was gesche­hen ist?

Natür­lich bin ich auch in die­sem Punkt ande­rer Mei­nung als er. Die Men­schen moch­ten die Kir­che, weil sie dem Leben, der Gesell­schaft, wie sie ist, nicht ähnel­te, weil sie das Gegen­teil der welt­li­chen Exi­stenz dar­stell­te. Im Innern der Kir­che fühl­te man sich bereits in einer ande­ren Welt, in einem Gebiet, das weit vom All­tag ent­fernt war. Es war eine schö­ne Illu­si­on, bestehend aus Riten, Gesän­gen, Weih­rauch, latei­ni­schen Sät­zen, die den Gläu­bi­gen, weil sie sie nicht ver­stan­den, wei­se und himm­lisch erschie­nen, Anspie­lun­gen auf ein voll­kom­me­nes, heroi­sches Leben, das von Rein­heit, Unschuld und inne­rem Frie­den geprägt war. Heu­te hat die Kir­che auf­ge­hört, die­ser Zufluchts­ort zu sein: Sie ist eine Erwei­te­rung des All­tags, in der fast alles erlaubt ist, in der es kei­ne Tabus oder star­ren Dog­men mehr gibt. Die Kir­che hat ihr Myste­ri­um ver­lo­ren und ist nicht mehr inter­es­sant; sie ähnelt den poli­ti­schen Par­tei­en, an die nie­mand glaubt, den Stu­den­ten­ver­ei­nen oder den Fuß­ball­clubs. Als der Vati­kan fest­stell­te, daß das Fege­feu­er nicht exi­stiert, ging es für die Kir­che in die fal­sche Rich­tung. Die Abschaf­fung der Höl­le beru­hig­te natür­lich vie­le sün­di­ge Gläu­bi­ge, ent­täusch­te aber ande­re, die davon träum­ten, daß ihre Fein­de, die sie miß­han­delt und aus­ge­beu­tet hat­ten, auf ewig in den Flam­men des Beel­ze­bub bren­nen wür­den. Ohne Flam­men und ohne Beel­ze­bub hat das Jen­seits für vie­le Gläu­bi­ge an Attrak­ti­vi­tät ver­lo­ren. Nun heißt es, der Vati­kan wol­le auch noch erklä­ren, daß der Him­mel nur sym­bo­lisch und meta­pho­risch exi­stiert, aber in Wahr­heit auch nicht greif­bar und mate­ri­ell. Arme christ­li­che Mär­ty­rer! Sie wur­den gefol­tert, von wil­den Tie­ren in Stücke geris­sen, bei leben­di­gem Leib ver­brannt, um die Grund­sät­ze und Wahr­hei­ten des christ­li­chen Glau­bens zu ver­tei­di­gen, und es stellt sich her­aus, daß weder Höl­le noch Fege­feu­er noch Him­mel exi­stie­ren. Wem und wozu könn­te die Kir­che unter die­sen Bedin­gun­gen dienen?“

Mario Var­gas Llosa: Los vient­os, Letras Libres, CDMX, 2021, S. 24.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cami­nan­te Wanderer

Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!