Bischof Athanasius Schneider gehört zu den profiliertesten Bischöfen der katholischen Kirche. Er ist unter den rund 5000 Oberhirten der Weltkirche eine herausragende Stimme zur Verteidigung der katholischen Tradition. Agustín De Beitia von der argentinischen Tageszeitung La Prensa erinnerte in diesen Tagen an einen anonymen Kommentar, den er vor zehn Jahren in den sozialen Netzwerken entdeckt hatte. Darin hieß es: „Um heute einen rechtgläubigen Bischof zu finden, muß man bis nach Kasachstan gehen.“ Damit war Msgr. Schneider gemeint, der Weihbischof von Astana ist. Als Schwarzmeerdeutscher, dessen Eltern und Großeltern unter Stalin in den Ural deportiert wurden und dann nach Kirgisien zogen, wuchs er unter der Sowjetherrschaft auf. Er erlebte aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, den Glauben im Verborgenen zu leben. Schließlich gelang der Familie die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, wo man die Freiheit zu finden erhoffte, allerdings bald feststellen mußte, wie sehr auch die Freiheit verzerrt werden kann – auch in der Kirche.
Nach „Dominus est“ über die heilige Kommunion und „Christus vincit“, einem Gesprächsbuch mit Diane Montagna, veröffentlichte Bischof Schneider 2023 „Credo“, ein Kompendium des katholischen Glaubens, von dem nach einer englischen, französischen und italienischen Ausgabe in diesen Tagen auch eine spanische vorgelegt wurde. Von Kolumbien bis Argentinien, der Heimat von Papst Franziskus, ist „Credo“ bereits im Buchhandel erhältlich. Agustín De Beitia veröffentlichte aus diesem Anlaß in La Prensa ein ausführliches Interview mit Bischof Schneider. Hier der Text:
Agustín De Beitia: Exzellenz, es gibt eine massive Abkehr vom Glauben in der Welt. Es handelt sich nicht mehr um den Abfall einzelner Personen, sondern um die Abkehr ganzer Bevölkerungen vom Glauben, die die soziale und politische Ordnung nicht mehr mit christlichen Kriterien durchdringen. In dem Maße, in dem alle Begierden, Moden und Brüche mit der Vergangenheit angestachelt werden, wird eine Spur von zerstörten Häusern hinterlassen, und dauerhafte, glückliche Familien werden eher die Ausnahme als die Regel. Sie sprachen von einem neuen Heidentum, das die Christen wie in den ersten Jahrhunderten der Geschichte an den Rand drängt. Können Sie diesen Vergleich näher erläutern?
Bischof Athanasius Schneider: Ja, dieser Prozeß der Abkehr vom christlichen Glauben und vom sittlichen Leben, dem Leben, das dem christlichen Geist und dem Naturrecht entsprach, ist seit mehreren Jahrhunderten im Gange. Dieser Geist, den man als Säkularismus bezeichnen kann, will das soziale, politische und öffentliche Leben ohne jeden Bezug zum Glauben oder zur Religion gestalten. Es ist ein vollständiges Eintauchen in ein materialistisches, konsumorientiertes Leben und nichts anderes. Diese Art des sozialen und öffentlichen Lebens wurde seit der Französischen Revolution gefördert. Nach und nach verbreitete sich dieser Geist des praktischen Materialismus. Wir haben zwei Kräfte im öffentlichen Leben: den säkularen Geist der Freimaurerbewegung und den Geist des Kommunismus, des Sozialismus. Während der Zeit des offiziellen Kommunismus in der Sowjetunion war der Ostblock in den formalen Materialismus, die Staatsideologie, eingetaucht. Zur gleichen Zeit fand im sogenannten „freien“ Westen ein paralleler Prozeß hin zum praktischen Materialismus statt. Und jetzt, nach dem Zusammenbruch des sowjetisch-kommunistischen Systems, umfaßt diese Bewegung des Lebens ohne Gott, ohne Religion, bereits alle. Dann wurde ein weiterer Schritt unternommen: ein Frontalangriff auf das Naturrecht selbst und auf den gesunden Menschenverstand, von öffentlichen und privaten Organisationen. Die Gender-Ideologie will die Familie und die Ehe selbst abschaffen, die von einem Mann und einer Frau gebildet wird. Und jetzt haben wir den letzten, gefährlichsten Schritt: einen Angriff und eine öffentliche Manifestation der reinen Blasphemie gegen Gott, genauer gesagt gegen Christus und gegen den katholischen Glauben, durch Filme, Theater und öffentliche Veranstaltungen. Das sieht man in Europa sehr oft. Es geht nicht gegen den Islam, nicht gegen die Juden, nicht gegen Buddha, sondern gegen Christus, gegen die Gottesmutter, gegen das Allerheiligste Sakrament. Das ist ein ähnliches Phänomen wie vor zweitausend Jahren, zur Zeit der Christenverfolgung. Beachten Sie, daß in den ersten Jahrhunderten der Verfolgung der Kirche die Christen als Feinde der Menschheit betrachtet wurden. Sie waren Objekte des Hasses. Und ein Christ zu sein, war in der römischen Gesellschaft fast identisch mit einer Person, die gehaßt wurde.
Agustín De Beitia: Wie heute…
Bischof Athanasius Schneider: Was wir heute sehen, ist ähnlich. Wenn man heute verteidigt, daß es nur zwei natürliche Geschlechter gibt, wenn man die natürliche Ehe verteidigt oder sagt, daß homosexuelle Handlungen der menschlichen Natur widersprechen, dann wird man des Hasses bezichtigt. Ich habe das in der Sowjetunion erlebt. Ich weiß sehr gut, was ideologischer Totalitarismus bedeutet. In der Sowjetunion wurde eine Person, die im Widerspruch zur öffentlichen Ideologie stand, beschuldigt, ein Volksfeind zu sein. Ist es nicht interessant, dies im Lichte dessen zu sehen, was heute geschieht? Heute sind wir, wie die ersten Christen, eine kleine Gemeinschaft inmitten einer bereits moralisch korrumpierten Gesellschaft. Wir müssen Zeugen sein und die Menschenwürde gemäß dem Naturrecht verteidigen.
Agustín De Beitia: Diese Reduzierung der Gemeinschaft der katholischen Gläubigen auf ein Extrem, das mit dem der Urkirche vergleichbar ist, ist suggestiv. Man kann sie in eschatologischer Hinsicht sehen, nicht wahr? Sie scheint ein Echo auf die Worte unseres Herrn zu sein, der sagte: „Wenn ich wiederkomme, werde ich dann auf der Erde noch Glauben vorfinden?“
Bischof Athanasius Schneider: Genau. Das ist richtig. Im Buch der Offenbarung, dem letzten Buch der Bibel, sehen wir, daß die Welt immer antichristlicher wird, immer mehr Haß gegen die Christen und immer mehr Angriffe. Und in diesem Buch sind die christlichen Gemeinschaften in der Minderheit. Christus selbst hat im Evangelium von der kleinen Herde gesprochen. Aber wir müssen evangelisieren und den Geist Christi und der Hoffnung in unsere Zeit, in unsere Gesellschaft bringen.
Agustín De Beitia: Wir haben vorhin von diesem neuen Heidentum in der Welt gesprochen. Und es war zu erwarten, daß diese Mentalität auch in der Kirche Einzug halten würde. Heutzutage ist es schwer, Priester an ihrer Kleidung, ihrer Sprache oder ihrer doktrinären Haltung zu erkennen. Wir kommen an den Punkt, an dem wir unseren Kindern sagen müssen, daß das, was sie gerade in der Predigt gehört haben, nicht richtig ist oder daß Mädchen keine Ministrantinnen sein sollten oder daß Laien die Eucharistie nicht austeilen sollten. Wir müssen unsere Kinder vor dem verteidigen, was unsere eigenen Hirten ihnen sagen! Es ist unvorstellbar. Ist dies eine Zeit der Finsternis?
Bischof Athanasius Schneider: Ja, das ist sie sicherlich. Ich stimme mit Ihrer Beobachtung überein. Das erinnert mich daran, daß Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., vor 60 Jahren, als er noch Theologieprofessor war, einen Artikel schrieb, in dem er sagte, daß die Zeit kommen wird, in der die Kirche Menschen getauft haben wird, die zwar formal katholisch, aber in Wirklichkeit Heiden sind. Eine interessante Überlegung. Prophetisch. Der weltliche Geist ist bereits in die Kirche eingedrungen. Diese Krise hat mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor 60 Jahren begonnen und ist allmählich in das Leben der Kirche eingedrungen und angewachsen. Es ist eine Bewegung der Anpassung an die Welt. Schon der heilige Paulus warnte die Christen im Römerbrief, sich nicht dem Geist der Welt anzupassen. Dies ist bereits geschehen. Es ist ein naturalistischer Geist, d. h. ohne eine übernatürliche Vision. Es ist eine anthropozentrische Sichtweise, die sich nur auf den Menschen konzentriert. Und die Welt will keine klare Lehre in der Religion, sondern Zweideutigkeit. Die Welt will eine Supermarktreligion, in der man sich bedienen kann, was man will. Wir müssen die kirchliche, theologische Sprache fallen lassen und eine fließende, vage Sprache verwenden, um der Welt zu gefallen. Dasselbe gilt für die Liturgie. Die Liturgie muß also eine menschliche Begegnung sein, nicht heilig, nicht übernatürlich, nicht erhaben. Diese von Ihnen erwähnte Herabstufung der Liturgie ist eine Anpassung an die protestantischen Gemeinschaften, die keine feierliche Liturgie haben. Sie haben von Predigten gesprochen: Wir müssen unsere Kinder vor den Predigten schlechter Priester schützen. All das ist Ausdruck einer sehr ernsten inneren Krise in der Kirche. Aber wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, daß die Kirche immer in der Hand Christi ist. Selbst in den katastrophalsten Zeiten. Wir dürfen nicht vergessen, daß in diesen Zeiten die Laien, die Einfachen, die Kleinen in der Kirche den Instinkt für den katholischen Glauben bewahren, den sie in der Taufe und der Firmung erhalten haben: Es ist der Wunsch nach einem reinen katholischen Glauben, der Wunsch nach einer würdigen, heiligen Liturgie, nach würdigen Priestern, nach Priestern, die Männer Gottes sind. Gott sei Dank nimmt dieses Phänomen in vielen Teilen der Welt zu.
Agustín De Beitia: Beobachten Sie es auch?
Bischof Athanasius Schneider: Ich kann das bei der Jugend beobachten, und das ist ein Grund zur Hoffnung. Es findet eine Erneuerung der Kirche statt. Die Christen sind bereits eine Minderheit in der ganzen Welt, und diese wahren Katholiken, das sage ich Ihnen, sind ihrerseits eine Minderheit in der Minderheit. Aber Gott liebt die Kleinen und hat die Mächtigen in der Geschichte immer gegen die Kleinen getauscht. So handelt Gott auch in unserer Zeit.
Agustín De Beitia: Neben diesen tröstlichen Zeichen zeigt sich leider auch, daß die Krise in der Kirche noch einen Schritt weitergegangen ist. Und das Problem ist nun, daß der Totalitarismus und der Haß auf den traditionellen Glauben, von dem wir vorhin gesprochen haben, nicht mehr nur aus der Welt kommt, sondern aus der Struktur der Kirche selbst. Es ist der Haß auf die Tradition, auf die Liturgie und auf die traditionelle Glaubenslehre. Das ist eine neue und erschreckende Situation.
Bischof Athanasius Schneider: Ich stimme zu.
Agustín De Beitia: Bei dieser Beobachtung frage ich mich, ob wir nicht auf eine Situation zusteuern, die Sie bereits kennen. Sie, der Sie in der Sowjetunion aufgewachsen sind und den Totalitarismus erlebt haben, werden wissen, was ein Glaubensleben im Untergrund ist. Ich frage mich, ob wir nicht auf einen Glauben und eine Liturgie zusteuern, die im Verborgenen gelebt werden müssen, um dem Haß der Kirche selbst zu entgehen.
Bischof Athanasius Schneider: Ich würde nicht sagen, von der Kirche selbst. Die Kirche ist immer unsere Mutter und heilig. Es wird aber notwendig sein, sich vor jenen Unterwanderern zu schützen, die vom weltlichen Geist beseelt sind, die hohe kirchliche Ämter besetzt haben, die nicht mehr den Glauben haben und deshalb die Wahrheit hassen, in der Lehre, in der Liturgie. Diese Kardinäle, Bischöfe und Priester mißbrauchen ihr kirchliches Amt, sodaß an manchen Orten die guten katholischen Gläubigen, die einfach den Glauben der Heiligen, den Glauben von immer, die Liturgie von immer, von ihren Vorfahren, von den Heiligen wollen, die Messe heimlich oder semi-klandestin feiern müssen, sogar innerhalb der Struktur der offiziellen Kirche.
Agustín De Beitia: Kennen Sie Präzedenzfälle für dieses Phänomen?
Bischof Athanasius Schneider: Das ist ein sehr seltenes Phänomen, das aber im 4. Jahrhundert auftrat, als der Arianismus auch die hohen kirchlichen Ämter besetzte und die guten Gläubigen auch aus den Kirchen vertrieben wurden. Aber solche Zeiten sind immer relativ kurz. Dann enden sie und Gott greift wieder ein. Und das wird auch heute der Fall sein. Aber diese Priester und Gläubigen müssen, auch wenn sie die Messe auf diese Weise feiern müssen, immer den wahren, katholischen, kirchlichen Geist bewahren. Das heißt, für den Papst zu beten, ihn anzuerkennen, nicht diesen sogenannten sedisvakantistischen Bewegungen oder anderen sektiererischen Strömungen zu folgen. Immer für den Ortsbischof zu beten. Und eine Liebe auch für diese Hirten zu bewahren auch dann, wenn sie leider verfolgt werden. Das ist der wahre katholische christliche Geist. Wir müssen auch jene Priester der traditionellen Lehre, der Liturgie, meiden, die zu Leitern eines kirchlichen Ghettos ohne jeden Oberen werden. Das kann nicht sein. Wir müssen nach Priestern mit gesundem Menschenverstand und Liebe zur Kirche suchen, die einen Vorgesetzten haben, einen Priester oder einen Bischof. Wir befinden uns in einer Notsituation. Aber wir müssen so weit wie möglich innerhalb der offiziellen Strukturen der Kirche weiterarbeiten. Denn die Feinde haben einen großen Teil der kirchlichen Ämter besetzt. Aber es sind unsere Ämter, es ist unsere Kirche. Ich glaube, daß diese Krise nur durch ein göttliches Eingreifen gelöst werden kann. Wir wissen nicht, wann und wie. Aber Gott muß eingreifen, und er wird uns Päpste schenken, die stark und mutig sind und den katholischen Glauben verteidigen.
Agustín De Beitia: Sie haben vorhin auf den Arianismus hingewiesen. Bei einer anderen Gelegenheit haben Sie auch auf zwei andere mögliche Vergleiche mit dem hingewiesen, was heute in der Kirche geschieht. Sie haben das zehnte Jahrhundert oder „dunkle Jahrhundert“ und die Krise von Avignon erwähnt. Was hat es damit auf sich?
Bischof Athanasius Schneider: Ja, weil die arianische Krise in der gesamten Kirche so weit verbreitet war. Die Mehrheit des Episkopats akzeptierte die Häresie. Die Katholiken, die die Göttlichkeit Christi verteidigten, waren eine kleine Minderheit und wurden ausgegrenzt. Das ist dem, was wir heute erleben, sehr ähnlich.
Was während des dunklen Jahrhunderts, des zehnten Jahrhunderts, geschah, war eine große Krise des Papsttums selbst. Das Papsttum, der Heilige Stuhl, befand sich in den Händen römischer Mafiagruppen. Die Mafia besetzte den Heiligen Stuhl und setzte verkommene, unwürdige Söhne auf den Stuhl Petri! Deshalb wurde es auch das dunkle Jahrhundert genannt. Aber diese Päpste galten als gültig und sie ernannten auch rechtmäßige Bischöfe. Die Kirche hat diese Zeit überlebt. Und dann griff Gott wieder ein und schenkte uns heilige Päpste, wie Gregor VII. und sogar die Gregorianische Reform im 11. Jahrhundert.
Was die andere Krise betrifft, die von Avignon, so hat der Heilige Stuhl Rom verlassen. Auch das widerspricht der Struktur der Kirche, denn der Stuhl Petri befindet sich in Rom und nicht anderswo. Dieses Exil war also eine sehr starke Anomalie, die 70 Jahre dauerte. Und als die Päpste nach Rom zurückkehrten, war die Krise auch nicht gelöst. Es begann die Zeit der Renaissance, eines neuheidnischen Humanismus, und dann kamen die Renaissance-Päpste, die ebenfalls unmoralisch waren. Es gab nicht so viele von ihnen, aber einige Fälle waren sehr traurig wie Alexander VI. Diese drei Zeiten, so möchte ich sagen, waren sehr tiefe Krisen, die etwa 70 oder höchstens 80 Jahre andauerten. Heute erwarten wir, daß Gott jetzt eingreift, denn diese Krise ist spektakulär, einzigartig. Denn die Krise durchdringt heute alle Ebenen, die Lehre, das moralische Leben, die Liturgie, alles. Vor allem der Relativismus der Lehre, der die Grundlage unseres Glaubens zerstört. Wenn es keine beständige Wahrheit gibt, wenn die Wahrheit sich ändert, wenn sie sich verschiebt, wenn sie sich bewegt, dann haben wir nichts Sicheres zu glauben. Das ist die Grundkrankheit des heutigen kirchlichen Lebens, der lehrmäßige, moralische und liturgische Relativismus.
Agustín De Beitia: Dieser lehrmäßige Relativismus ist um so schwerwiegender, als er auf einer vorausgegangenen Krise beruht: der Krise der Wahrheit. Der Begriff der Wahrheit ist von der realen Welt abgekoppelt. Sie haben soeben per Videoschaltung an einer Konferenz teilgenommen, die hier in Bella Vista vom Katholischen Bildungskreis des Heiligen Bernhard von Clairvaux organisiert wurde und die den Titel „Liebe und Wahrheit in Zeiten der Definitionen“ trug. Gibt es eine Krise der Wahrheit?
Bischof Athanasius Schneider: Ja, genau. Das ist der Geist der modernen Philosophie. Wir sind nicht in der Lage, eine Wahrheit als Realität anzuerkennen, also können wir nicht auf philosophischer, geschweige denn theologischer Ebene sprechen und Wahrheitsansprüche stellen. Der Kantianismus ist neben der Philosophie Hegels sehr stark in das Leben der Kirche eingedrungen und ist heute in vielen Seminaren und theologischen Fakultäten sehr präsent. Aber unser Glaube beruht auf der menschlichen Fähigkeit, die unveränderliche Wahrheit zu erkennen und von ihr zu sprechen, so wie sie ist, unveränderlich. Das ist Gott, Christus, der die Wahrheit selbst ist. Die Wahrheit, der Weg, das Leben. Die einzige stabile Wahrheit für die heutige Welt ist das Finanzwesen, die Mathematik. Alle anderen Wahrheitsbegriffe hängen in der Luft. Aber die Kirche ist der feste Fels. Wir müssen beten, daß der Heilige Stuhl, die Päpste, sich so zeigen können, fest, aus Liebe zu Christus, aus Liebe zu den Seelen, um die Seelen aus der Unwissenheit zu retten und das einzige Licht zu bringen, das wahre Licht Christi. Das ist die Wahrheit. Und auch wir müssen diese wahre Befreiung bringen, die Befreiung von der Dunkelheit, und das Glück und die Freude der Wahrheit bringen.
Agustín De Beitia: Nach all dem, worüber wir gesprochen haben, ist es nicht verwunderlich, daß Ihr neuestes Buch, „Credo“, ein Kompendium des katholischen Glaubens ist und daß Sie es in einer Abhandlung mit dem Titel „Den Glauben bewahren“ vorgelegt haben. Warum haben Sie sich entschlossen, dieses Buch zu schreiben, und warum einen Katechismus, wo es doch schon den von Johannes Paul II. gibt?
Bischof Athanasius Schneider: Es war nicht meine Initiative, es zu schreiben. Ich wurde quasi von gläubigen Laien dazu gedrängt, die mich darum baten. Ich habe das akzeptiert, weil ich die Notwendigkeit erkannte, angesichts der weit verbreiteten und tiefgreifenden Verwirrung über die Lehre in der Kirche. Und ich habe es als Geste der Liebe zu den Gläubigen getan. Deshalb habe ich mich für eine traditionellere Frage-Antwort-Form entschieden, denn der offizielle Katechismus der Kirche ist nicht in dieser Form, sondern ein Traktat, was für einige Gläubige schwerer zu verstehen ist. Und es gibt auch neue Fragen und Probleme, die ich anspreche, sowie einige kleine Unklarheiten, die in einigen Teilen des offiziellen Katechismus der Kirche zu finden sind und die ich versucht habe mit Zitaten aus dem traditionellen Lehramt aufzuklären und eindeutiger darzustellen. Das war meine Absicht, und ich hoffe, daß es eine Hilfe für das Glaubensleben, für die Gläubigen, für die Seminaristen und für alle Menschen sein kann, die aufrichtig nach der Wahrheit suchen.
Agustín De Beitia: Welches sind die neuen Themen?
Bischof Athanasius Schneider: Gender-Ideologie, zum Beispiel. Die Freimaurerei…
Agustín De Beitia: Behandeln Sie in Ihrem Buch auch einige der Zweideutigkeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils?
Bischof Athanasius Schneider: Ich erwähne zweideutige Ausdrücke in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es sind nur ein oder zwei. Und auch zweideutige Ausdrücke im Katechismus selbst. Sie beziehen sich auf diese Tendenz, die Einzigartigkeit des katholischen Glaubens zu relativieren. Einzigartigkeit bedeutet, daß der katholische Glaube die einzig wahre, von Gott gewollte Religion ist. Einige Äußerungen des Konzils relativieren diese Wahrheit und räumen ein, daß auch andere christliche Religionen ein Weg sind. Das schafft Verwirrung und schwächt die Gültigkeit des katholischen Glaubens, der katholischen Kirche. Dann spreche ich einige der relativistischen Äußerungen von Papst Franziskus über alle Religionen und das Problem an, daß Geschiedene die Kommunion empfangen können, was Papst Franziskus der Kirchenprovinz Buenos Aires formell gewährt hat. Das ist ein Problem, zu dem wir nicht schweigen dürfen. Wir müssen es respektvoll, aber deutlich ansprechen, denn es ist etwas, das die ganze Kirche betrifft. Und schließlich gehe ich auf die Unzulänglichkeiten in einigen Teilen der neuen Messe aus lehrmäßiger Sicht ein. Ich konnte dies nicht im dunkeln lassen.
Agustín De Beitia: Sie haben bereits bei anderen Gelegenheiten das Problem der Art und Weise angesprochen, wie heute die Eucharistie empfangen wird. Auf welche Probleme der neuen Messe spielen Sie in dem Buch an?
Bischof Athanasius Schneider: Ich beziehe mich auf die Messe selbst, auf die Struktur der neuen Messe. Ich spreche den kritischsten Punkt an, nämlich die Offertoriumsgebete der neuen Messe, die im Grunde protestantische, jüdische Gebete sind, die die Absicht ausdrücken, ein Abendessen, ein Bankett zu feiern. Das ist sehr gefährlich, denn das Offertorium muß die Absicht zum Ausdruck bringen, mit der wir das Kreuzesopfer Christi feiern. Das ist es, was die früheren Gebete zum Ausdruck brachten, die abgeschafft wurden. Und das ist ein schwerer Fehler. Es ist keine Häresie, aber es ist ein schwerer Fehler, der den Opfercharakter der Messe untergräbt.
Agustín De Beitia: Und wir wissen, daß die Liturgie einen Einfluß auf den Glauben hat, aufgrund der „Lex orandi, lex credendi“ (wie man betet, so glaubt man)?
Bischof Athanasius Schneider: Ganz genau. Und in diesem Fall bringen diese Gebete den Glauben nicht klar zum Ausdruck. Im Gegenteil, sie untergraben, unterwandern den wahren Glauben.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: La Prensa/MiL (Screenhots)