Um Mißverständnissen vorzubeugen, da bereits über die Rom-Wallfahrt und das Durchschreiten der Heiligen Pforte berichtet wurde, ist zum Heilig-Jahr-Ablaß zu sagen, daß er wie andere allgemeine Ablässe gewonnen werden kann. Zur Umsetzung der Heilig-Jahr-Bulle Spes non confundit wurden vom Großpönitentiar des Heiligen Stuhls Angelo Kardinal De Donatis eigene Bestimmungen erlassen. Darin heißt es:
„Alle wahrhaft reuigen Gläubigen, die unter Ausschluß jeglicher Neigung zur Sünde und von einem Geist der Nächstenliebe bewegt, im Laufe des Heiligen Jahres, geläutert durch das Sakrament der Buße und gestärkt durch die Heilige Kommunion, gemäß den Intentionen des Papstes beten, können aus dem Schatz der Kirche einen vollkommenen Ablaß, den Erlaß und die Vergebung ihrer Sünden erlangen, der den Seelen im Fegefeuer in Form eines Wahlrechts zukommt“. Die offizielle deutsche Übersetzung „Wahlrecht“ für „suffragio“, die der Vatikan vorgelegt hat, ist sehr ungünstig. Gemeint ist eine Fürbitte, im konkreten Fall in Form von Sühne. Die Zueignung eines gewonnenen Ablasses für die Seele eines Verstorbenen im Fegefeuer ist ein stellvertretender Sühneakt.
Dann folgt in Form einer Hierarchie, wann und wo der vollkommene Ablaß gewonnen werden kann:
- Bei heiligen Wallfahrten
- Bei frommen Besuchen heiliger Stätten
- Durch Werke der Barmherzigkeit und der Buße
Die Hierarchie meint keinen Qualitätsunterschied in der Vollkommenheit des Ablasses. Sie zeigt vielmehr an, was die Gläubigen, so es ihnen möglich ist, als Zeichen ihrer Anstrengung zur Gewinnung der Indulgenz anstreben sollten. Und da wird an erster und oberster Stelle der Besuch „in mindestens einer der vier großen päpstlichen Basiliken“ in Rom mit dem Durchschreiten der Heiligen Pforte genannt. Anders ausgedrückt: Die Gläubigen werden eingeladen, soweit möglich, nach Rom zu pilgern und den Petersdom aufzusuchen.
An zweiter Stelle wird die Wallfahrt ins Heilige Land genannt und dort der Besuch einer der drei Basiliken genannt: der Grabeskirche in Jerusalem, der Geburtskirche in Bethlehem und der Verkündigungskirche in Nazareth.
Das erinnert daran, daß die Einführung der Heiligen Jahre seit 1300 als Ersatz für die nicht mehr mögliche Einhaltung eines Kreuzzugsgelübdes gedacht war, nachdem die Kreuzritterstaaten zerschlagen und die Kreuzzüge gescheitert waren.
An dritter Stelle kann der vollkommene Ablaß auch gewonnen werden, indem eine Bischofskirche oder eine andere vom Ortsbischof für seine Diözese bestimmte Kirche und heilige Stätte besucht wird.
Diese „Aufweichung“ der Rom-Wallfahrt im Sinne einer Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten erfolgte bereits 1343 durch Papst Clemens VI. mit der Bulle Unigenitus Dei Filius. Damals legte der Papst fest, daß nicht nur alle hundert Jahre (so festgelegt im Jahr 1300), sondern alle 50 Jahre ein Heiliges Jahr ausgerufen wird. Das zweite Heilige Jahr fand dementsprechend im Jahr 1350 statt. Darin kam der Wunsch zum Ausdruck, so vielen Menschen als möglich Nutzen für ihr Seelenheil zu bringen, und in der Tat wurden weite Teile Europas ab 1347 von einer grausamen Pestwelle heimgesucht, die in manchen Landschaften bis zur Hälfte der Menschen das Leben kostete. Seit dem Heiligen Jahr 1400 findet alle 25 Jahre ein Jubeljahr statt.
In der zweiten Gruppe, „beim frommen Besuch einer heiligen Stätte“, wird der Besuch weiterer päpstlicher Basiliken aufgelistet, darunter zahlreicher in Rom, insbesondere der anderen drei der „sieben Kirchen“ Roms, deren Besuch der heilige Philipp Neri sehr empfohlen hat, ebenso die christlichen Katakomben Roms, die römischen Kirchen, die den Schutzpatronen Europas und den Kirchenlehrern geweiht sind, die päpstlichen Basiliken von Assisi, Pompeji, Loreto und Padua, jede Basilika Minor und auch jede Konkathedrale.
Die Nächstenliebe der Kirche geht soweit, daß „wirklich reuige Gläubige, die aus schwerwiegenden Gründen“ nicht in der Lage sind, eine Wallfahrt zu unternehmen, auch in ihrer Ortskirche, oder falls durch Beeinträchtigung gehindert, in ihrer Hauskapelle (z. B. eines Klosters, eines Krankenhauses), den vollkommenen Ablaß gewinnen können.
Schließlich heißt es zum dritten Abschnitt wörtlich:
„Darüber hinaus können die Gläubigen einen Jubiläumsablaß erhalten, wenn sie in frommer Gesinnung an Volksmissionen, Exerzitien oder Fortbildungsveranstaltungen über die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils und den Katechismus der Katholischen Kirche teilnehmen, die nach dem Willen des Heiligen Vaters in einer Kirche oder an einem anderen geeigneten Ort stattfinden sollen.“
Die Gesamtentwicklung zeigt, daß es eine hierarchische Einladung oder Aufforderung gibt, eine den Möglichkeiten angepaßte Anstrengung zu unternehmen, was in erster Linie eine Rom-Wallfahrt ist. Es ist wie ein erzieherischer Wink, es sich nicht ganz zu bequem zu machen. Sie zeigt aber auch, daß der äußere Zugang den Gläubigen im Laufe der Zeit immer mehr erleichtert wurde, während die inneren Zugangsbedingungen unverändert blieben. Darin wird der Liebesdienst der Kirche an den Gläubigen sichtbar, denn ihr erstes Ziel es es nicht, die Menschen zu einer äußeren Leistung zu bringen, sondern zu Umkehr und Buße und damit zur Versöhnung mit Gott.
Und abschließend noch ein Hinweis. Die Ablaßbestimmungen sehen vor, daß man für sich selbst nur einen vollkommenen Ablaß pro Tag gewinnen kann. Wenn der Ablaß aber als Akt der Nächstenliebe einer Seele im Fegefeuer zugute kommt, kann er „rechtmäßig ein zweites Mal am selben Tag“ erlangt werden, wenn man sich „ein zweites Mal am selben Tag dem Sakrament der Kommunion“ nähert. Dieser zweite Ablaß „gilt nur für die Verstorbenen“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons