Am 26./27. Oktober fand die zweite Ausgabe der Tagung „Tavole di Assisi“ („Tafeln von Assisi“) „zur Wiederbelebung des christlichen, konservativen und identitären Denkens“ statt. Unter den Referenten war auch der bekannte Liturgiker Don Nicola Bux, der zum Themenblock „Die Kirche und das christliche Volk in der nachchristlichen Ära“ sprach. Hier der vollständige Wortlaut:
An der Spitze der Kirche haben sich Kleriker breitgemacht, für die Christus nur ein Vorwand ist, um über anderes zu sprechen
Von Don Nicola Bux*
An der Spitze der Kirche haben sich Kleriker breitgemacht, für die Christus nur ein Vorwand ist, um über anderes zu reden: über eine „verkehrte Kirche“, die das Gegenteil dessen ist, wie sie der Herr gewollt hat. Wir haben den Punkt erreicht, an dem neue Bischöfe, die in Diözesen eingesetzt werden, das zerstören, was ihre Vorgänger aufgebaut und getan haben. Es begann in den 1960er Jahren, als „die Theologie explosive Veränderungen erlebte, mit der Geburt radikal neuer Perspektiven“, die versuchten, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Osmose einzugehen (Stefano Fontana: Il Concilio restituito alla Chiesa, La Fontana di Siloe, Turin 2013, S. 97). Utopien sind in das Lehramt eingedrungen, bis hin zu moralischen Normen, d. h. Häresien (vgl. Benedikt XVI.: Anmerkungen, 11. April 2019). Wir sollten uns nicht fürchten. Im Gleichnis vom Weizen und der Spreu (Mt 13,24–30) warnt Jesus: „Das hat ein Feind getan“, er hat Unkraut gesät. Er läßt dies geschehen und provoziert uns zu einer Reaktion. In diesem Zusammenhang ist der wunderbare Vortrag von Giacomo Kardinal Biffi auf dem Meeting von Rimini 1989 im Internet zu finden: Es ist die Diagnose der beständigen Situation der Kirche.
Ettore Gotti Tedeschi hat mich gefragt: Was passiert, wenn das Christentum nicht mehr gelebt wird? Meine Antwort: was in zweitausend Jahren mehrfach geschehen ist – denken Sie an das Verschwinden der ersten christlichen Kirchen in Kleinasien und Nordafrika nach der islamischen Invasion und an das, was heute in Europa und Nordamerika geschieht. Aber der Offenbarungsglaube Christi und Seine Gnade in den Sakramenten haben die Imperien zu Fall gebracht, immer neu und zu jeder Zeit. Das Christentum wird nicht verschwinden, denn das Christentum ist Christus! Es ist immer der Glaube, der Leben hervorbringt. Und die Geburtenrate nimmt wieder zu in den wirklich katholischen Familien, wie es in so vielen katholischen Familien in England und Frankreich und anderen Nationen des alten Europa geschieht. Die Wahrheit, die wir zu evangelisieren haben, ist Jesus Christus: Er ist die Wirklichkeit. Er ist das Licht in unseren Händen, das die Dunkelheit vertreibt, selbst jener bei einer Rede wie der von Papst Franziskus in Singapur.
Heute ist es notwendig, daß die das Leben liebenden Katholiken zusammenkommen, wie Prof. Massimo Gandolfini von der Abteilung Drogenbekämpfung im Amt des Ministerpräsidenten [der Republik Italien] hervorhob. Der Herr hat dafür gebetet, daß wir eins sind, damit die Welt sieht und glaubt. Wir müssen den Dämon des Protagonismus besiegen und uns an dem Reichtum erfreuen, der unter uns ist. Wir stehen vor einer Tatsache: Die „Tafeln von Assisi“, die durch das Charisma von Simone Pillon1 entstanden sind, laden uns zusammen mit inspirierten und kämpferischen Menschen wie Toni Brandi und Jacopo Coghe2 von Pro Vita & Famiglia3 dazu ein, alles zu tun, um den Plänen Gottes keine Steine in den Weg zu legen, wie Johannes Paul II. sagte. Was könnten wir allein tun? Trotz der Verwirrung, die in der Kirche herrscht, sind viele Zusammenschlüsse entstanden, neue Vernetzungen. Denn niemand kann dem Feind, der das Unkraut sät, allein entgegentreten.
Wie der heilige Franziskus, vir catholicus et totus apostolicus, sind wir aufgerufen, die Kirche zu lieben und in ihr als Glieder des Leibes Christi vereint zu bleiben: Lassen wir uns nicht spalten, machen wir uns den Slogan der dissidenten österreichischen Katholiken zu eigen: „Wir sind Kirche“. Ja, wir sind getauft, wir gehören zum Leib Christi. Wir können nicht austreten. Wollen wir von uns selbst weggehen? Wir sollten keine virtuellen Kanzeln errichten und uns mit Mitläufern begnügen: Wir sind keine flüchtigen Influencer, sondern beständige Erzieher.
Die Merkmale des Denkens, das wir heute brauchen, wurden von Francesco Borgonovo4 in Erinnerung gerufen: Es muß stark und spaltend sein. Es ist im Logos verwurzelt, das heißt in der Ratio, im ewigen Wort, das Fleisch geworden ist und unter uns wohnt. Das von Kardinal Biffi erläuterte Gleichnis ist die Diagnose und zugleich die Therapie dessen, was immer die Situation der Kirche ist: Sie wird niemals in Frieden leben, weil Jesus gekommen ist, um das Schwert zu bringen, um den Sohn gegen den Vater aufzubringen…
Benedikt XVI. bemerkt: „Hier stellt sich jedoch die große Frage…aber was hat Jesus wirklich gebracht, wenn nicht den Frieden für die Welt, das Wohlergehen für alle, eine bessere Welt? Was hat er gebracht? Die Antwort ist ganz einfach: Gott. Er hat Gott gebracht… jetzt kennen wir sein Gesicht, jetzt können wir ihn anrufen. Jetzt kennen wir den Weg, den wir als Menschen in dieser Welt gehen müssen. Jesus brachte Gott und mit ihm die Wahrheit über unsere Bestimmung und unsere Herkunft: Glaube, Hoffnung und Liebe. Nur unsere Herzenshärte läßt uns denken, daß dies wenig ist… Die Reiche der Welt… sind alle zusammengebrochen. Ihre Herrlichkeit…hat sich als Schein erwiesen. Aber die Herrlichkeit Christi, die Herrlichkeit, die demütig und leidensbereit ist, die Herrlichkeit seiner Liebe ist nicht geschwunden und verblaßt nicht“ (Jesus von Nazareth, LEV/Rizzoli, Mailand 2007, S. 67f).5
Er kam, um das Schwert zu bringen, wie Vittorio Messori gerne betont, jenes zweischneidige Schwert, das das göttliche Wort ist, das das katholische Denken durchdringt, das notwendigerweise spaltet, die Christen sind spaltend, das Evangelium ist spaltend, wenn man die Bekehrung des Menschen will.
„Die Sünde des heutigen Menschen ist die Sünde gegen Gott, den Schöpfer“, sagte Benedikt XVI. Das müssen wir bekräftigen: Es ist die Erbsünde, die den Menschen und die Natur auch heute noch als Gnosis bedingt, als Wissen, das den Logos, die wahre Erkenntnis des fleischgewordenen Gottes, leugnet. Christus muß denjenigen verkündet werden, die ihn nicht kennen. Die Kirche hat es mit den Heiden Europas, mit den Eingeborenen Afrikas und Amerikas getan: Heute sollte sie es mit den Migranten tun. Das ist wahre Aufnahme, nicht nur Essen und Kleidung geben.
Wir müssen Gott in die Welt bringen, denn der Mensch braucht Gott. Ohne Gott ist der Mensch verloren, verdammt. Das ist die Dringlichkeit der Welt, ihre wirkliche Armut, sagte Mutter Teresa. Und wie können wir Gott bringen? Durch die Evangelisierung. Die Kirche muß das Gewissen des Menschen erziehen, sich mit der Schwäche der heutigen Jugendlichen befassen, die kein Vertrauen haben, und dazu zurückkehren, ihnen das sittliche Leben, die Reinheit und die Keuschheit vorzuschlagen, die Lehre zu lehren, wie es die Kirche immer getan hat und seit Jahrzehnten nicht mehr tut. Die Kirche muß die Wahrheit lehren: Jesus Christus ist das Leben, er ist die Wahrheit! Der heilige Augustinus bemerkt: Er sagte, er sei auch der Weg, um dorthin zu gelangen. Er ist also die ‚Methode‘, auf griechisch, der Weg, den man gehen muß: Er war ’spaltend‘, weil er das Schwert, die Spaltung, brachte: Ja, ja. Nein, nein. Wenn wir ihm folgen, werden wir die Wahrheit tun und das Leben verteidigen. Dann kommt der Frieden.
So sieht die Zivilisation der Wahrheit und der Liebe aus, die Gemeinschaft, die Schule macht, wie Johannes Paul II. betonte. Obwohl wir uns voneinander unterscheiden, müssen wir uns annähern. Wollen wir die Kämpfe, die wir führen, die Worte, die wir sagen, festigen? Bringen wir Gott. Wenn die Politik den Primat Gottes beachtet, wird sie zu einer Form der Nächstenliebe, sonst sind ihre Kämpfe vergänglich und zerstörerisch. Deshalb muß der Family Day aufgegriffen werden. Alles, was wir tun, dient der Ehre Gottes und der Rettung der Seelen, nicht der Selbstbestätigung.
Der Primat Gottes bedeutet Gnade – ein Wort, das unter Kirchenmännern vernachlässigt wird –, die Kraft, das Geschenk des göttlichen Lebens, das wirkt, wie wir in den Zeugnissen von Luka Hein6 mit dem wachsenden Phänomen der Aussteiger und von Dean Gregory aus England, dem Vater der kleinen Indi, die getauft wurde, bevor sie das englische Gesundheits- und Rechtssystem sterben ließ, gehört haben. Denn der Kampf ist vor allem ein geistlicher. Zuallererst müssen wir mit dem Wort und den Sakramenten des Glaubens evangelisieren. Wir befinden uns mitten in einer Glaubenskrise, wie Benedikt XVI. so gut verstanden hat.
„Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium“ ist das entscheidende Wort Christi, aus dem die Kraft – die Virtus, auf die Borgonovo anspielte – des Evangeliums erwächst. Der heilige Paulus sagt: „Ich vermag alles in dem, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13). Eine Kraft, die von oben kommt: Der Heilige Geist, der die ganze Wahrheit Christi lehrt – die wahre Neuheit des Geistes –, fungiert nicht als Sprachrohr für die soziologischen und psychologischen Analysen, die von der Welt in die Kirche eingedrungen sind: Wer sie heiratet, wird morgen schon Witwer sein. Nein. Die Kraft des Evangeliums verleiht Kraft und Tugenden und stellt das Heil wieder her, vertreibt Dämonen und öffnet die Pforten des Himmels. „Bleibt stark im Glauben“ (1 Petr 5,9), ermahnt Petrus, der erste Papst, indem man in der Wahrheit Christi verharrt und dem Beispiel der Kardinäle der Dubia folgt.
Vertrauen wir uns der heiligen Muttergottes an, mit dem Gebet von Kardinal Raymond Burke in Vorbereitung auf das Fest Unserer Lieben Frau von Guadalupe, der Schutzpatronin Amerikas, am 12. Dezember.
*Don Nicola Bux, geboren 1947 in Bari, 1975 zum Priester geweiht, zählt zu den renommiertesten Liturgiewissenschaftlern. Er lehrte unter anderem in Jerusalem und verschiedenen Universitäten in Rom und zuletzt bis zu seiner Emeritierung 2018 auch an der Theologischen Fakultät und der Hochschule für Religionswissenschaften in Bari. Er war Consultor der Glaubenskongregation und ist noch Consultor des Dikasteriums für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse. Unter Benedikt XVI., mit dem ihn eine persönliche Freundschaft verband, war er auch Consultor des Amtes für die liturgischen Feiern des Papstes und unterstützte die von Benedikt gewollte liturgische Erneuerung, die im Motu proprio Summorum Pontificum ihren höchsten Ausdruck fand. Er gründete mit den Theologen David Jaeger und Adriano Garuti die „Scuola Ecclesia Mater“ zur Belebung der kirchlichen Debatte aus traditionalistischer Sicht. Er ist geistlicher Assistent der St. Josefsbruderschaft von Bari und Autor zahlreicher Bücher, von denen mehrere in verschiedene Sprachen übersetzt wurden, zuletzt: (mit Gaetano Masciullo) „La tiara e la loggia. La lotta della massoneria contro la Chiesa“ („Tiara und Loge. Der Kampf der Freimaurerei gegen die Kirche“), Fede & Cultura, Verona 2023; (mit Guido Vignelli) „La Chiesa sinodale. Malintesi e pericoli di un ‚Great Reset‘ ecclesiastico“ („Die synodale Kirche. Mißverständnisse und Gefahren eines kirchlichen ‚Great Reset‚“), Fede & Cultura, Verona 2023.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Tavole di Assisi (Screenshot)
1 Simone Pillon, Rechtsanwalt, der seine Formung beim Neokatechumenalen Weg erlebte, war einer der Organisatoren des Family Day, mit dem – vergleichbar Manif pour tous in Frankreich – für Ehe, Familie und Leben und gegen Abtreibung und Homo-Agenda protestiert wurde; 2016 versammelten sich dazu zwei Millionen Menschen in Rom; 2018–2022 war Pillon Senator der Republik Italien in den Reihen der Lega von Matteo Salvini.
2 Toni Brandi, Jg. 1952, Unternehmer, gründete 2005 die Laogai Foundation, um auf das System von Konzentrations- und Arbeitslagern in der kommunistischen Volksrepublik China aufmerksam zu machen und das Schicksal von Millionen von Gefangenen, die dort festgehalten werden und Zwangsarbeit leisten müssen. 2012 gründete er die Lebensrechtsorganisation Pro Vita & Famiglia, deren Vorsitzender er ist.
Jacopo Coghe, Jg. 1984, studierte Mittelalterliche Philologie, Gründer und Leiter eines Design- und Kommunikationsunternehmens, Vater von sechs Kindern, 2013 Gründer von Generazione Famiglia (Generation Familie), des italienischen Ablegers von Manif pour tous, die sich 2019 mit Pro Vita & Famiglia zusammenschließt, deren Pressesprecher Coghe seither ist.
3 Pro Vita & Famiglia ist eine 2012 gegründete Lebensrechtsbewegung (ursprünglich Pro Vita, seit 2019 Pro Vita & Famiglia), die heute die aktivste und bekannteste Italiens ist, da sie wiederholt mit spektakulären Aktionen auf die Anliegen des Lebensrechts und den Schutz der Familie aufmerksam macht.
4 Francesco Borgonovo, Jg. 1983, studierte Philosophie; seit 2009 Berufsjournalist, war Chefredakteur der Tageszeitung Libero, ist seit 2016 stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung La Verità, Moderator von Radiosendungen bei Radio Libertà, dem ehemaligen Sender der Lega Nord und bei den alternativen Sendern Byoblu, RadioRadio und dem Nachrichtensender Giornale Radio. Bis 2017 moderierte er auch Fernsehsendungen bei Telelombardia und LA7. Er nahm an zahlreichen Veranstaltungen von Family Day, den Fratelli d’Italia und Italexit (für den Austritt Italiens aus der EU) teil.
5 Hier zitiert nach der italienischen Ausgabe.
6 Luka Hein, Jg. 2002, aus Nebraska (USA), ist eine „Detransitioner“, eine Person, die eine Geschlechtsumwandlung vornehmen ließ, dies bereute und sich dann für den Rückweg entschieden hat.
Nicht nur Kleriker, auch zahllose Oberlaien!
Diese Verkehrung eines Kruzifix hat an der Wand nichts zu suchen!
Genau das denke ich mir seit Jahren und der Artikel bringt das sehr gut auf den Punkt. Christus ist für viele an der Spitze der Kirche nur noch ein Vorwand, und wenn man sich die Äußerungen (nicht nur) der deutschen Bischöfe oder auch des Papstes anhört, dann merkt man das doch auch glasklar. Im Grunde geht es hier nur mehr um eine linksliberale Politik, und die wird noch irgendwie mit einem „Jesus“ garniert, der mit dem Jesus der Heiligen Schrift aber so gar nichts mehr zu tun hat. Im Gegenteil. Der Papst verweist ja beispielsweise oft auf das Evangelium (ohne freilich eine Perikope zu nennen) und man fragt sich dann, welches Evangelium er eigentlich meint. Das „nach Franziskus“? Bischöfe wie Bätzing und sein Gefolge ersparen sich derlei sogar komplett. Man kann ganze Predigten und Ansprachen hören, ohne dass es um den Herrn oder die Verkündigung des Evangeliums ginge. Wozu aber brauchen wir solche Leute und ihre „schönen“ Worte? – Für gar nichts! Für die Politik taugen sie nicht und für die Kirche – seien wir ehrlich – doch hinten und vorne auch nicht.
Sie können den heiligen Namen Jesus nicht mehr aussprechen. Und die Monstranz mit der Hostie wiegt ihnen unerträglich schwer. Es ist ein innerer Zwang, der sie die Liturgie so verdrehen läßt, bis der Schmerz im Innern nicht mehr ausgelöst wird.
Lieber Dr. Joachim Heimerl, da haben Sie ja wiedermal – eigentlich wie immer mit Ihren Wortmeldungen – den Nagel voll auf den Kopf getroffen. Machen Sie ruhig weiter so! Denn einer muss es ja tun, wo die meisten schweigen. (Leider aus Zeitgründen auch ich.) Sie wissen ja selbst, dass wir in der Endzeit leben und die Wiederkunft Jesu Christi sehnlichst erwarten. Vergelt’s Gott – und herzlichen Dank.