Pius XII., Schwester Pascalina und Kardinal Tien Ken-sin

"Welche Bedeutung hat das Kardinalsrot dann für Sie?"


Papst Pius XII. ermahnte Kardinal Tien Ken-sin, der Erzbischof von Peking war zur Zeit der kommunistischen Machtergreifung
Papst Pius XII. ermahnte Kardinal Tien Ken-sin, der Erzbischof von Peking war zur Zeit der kommunistischen Machtergreifung

Von Prof. Rober­to de Mat­tei*

Am 8. Dezem­ber wird die katho­li­sche Kir­che 20 neue Kar­di­nä­le erhal­ten. Das Hei­li­ge Kol­le­gi­um wird somit 255 Mit­glie­der haben, von denen 140 im kom­men­den Kon­kla­ve stimm­be­rech­tigt sein wer­den. Die Ernen­nung der neu­en Kar­di­nä­le wur­de am 6. Okto­ber von Papst Fran­zis­kus ver­kün­det, der ihnen am Tag der Unbe­fleck­ten Emp­fäng­nis das pur­pur­ne Birett, ein Zei­chen der Bereit­schaft zum Blut­ver­gie­ßen, auf­set­zen und die fei­er­li­che For­mel spre­chen wird: „Zum Lob des all­mäch­ti­gen Got­tes und zur Zier­de des Apo­sto­li­schen Stuh­les emp­fangt ihr das rote Birett als Zei­chen der Wür­de des Kar­di­nalats, als Zei­chen dafür, daß ihr bereit sein müßt, euch mit Tap­fer­keit zu ver­hal­ten, sogar bis zum Blut­ver­gie­ßen, für die Ver­meh­rung des christ­li­chen Glau­bens, für den Frie­den und die Ruhe des Vol­kes Got­tes und für die Frei­heit und Aus­brei­tung der Hei­li­gen Römi­schen Kir­che.

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Die­se fei­er­li­che For­mel ist nicht nur eine Rede­wen­dung: Sie ver­weist auf die Ver­ant­wor­tung der Kar­di­nä­le, die die direk­te­sten Mit­ar­bei­ter und Bera­ter des Pap­stes sind und eine Art Senat der Kir­che bil­den. Um die­se hohe Auf­ga­be der Kar­di­nä­le zu ver­ste­hen, ist eine Epi­so­de aus dem wun­der­ba­ren Buch des Prie­sters Charles T. Murr: „L’anima segre­ta del Vati­ca­no. Il pro­fon­do legame tra Pio XII e suor Pas­ca­li­na“ („Die gehei­me See­le des Vati­kans. Die tie­fe Ver­bun­den­heit zwi­schen Pius XII. und Schwe­ster Pas­ca­li­na“), erschie­nen 2024 bei Edi­zio­ni Fede e Cul­tu­ra in Vero­na, 299 Seiten.

Die Geschich­te ist fol­gen­de. 1946 erhob Papst Pius XII. den Erz­bi­schof von Peking Tho­mas Tien Ken-sin (1880–1967) in den Kar­di­nals­stand und gab der katho­li­schen Kir­che damit ihren ersten chi­ne­si­schen Kardinal.

1949 geriet Chi­na unter die Kon­trol­le des mar­xi­stisch-leni­ni­sti­schen Revo­lu­tio­närs Mao Tse-tung, eines der grau­sam­sten kom­mu­ni­sti­schen Dik­ta­to­ren, der bis zu sei­nem Tod 1976 an der Macht blieb. Im Ein­klang mit den Grund­sät­zen des Mar­xis­mus-Leni­nis­mus beab­sich­tig­te Mao, jeg­li­che reli­giö­se Prä­senz in der neu­en Volks­re­pu­blik Chi­na zu besei­ti­gen. Von allen Reli­gio­nen, die in Chi­na ver­pönt waren, war die römi­sche Katho­li­zi­tät bei Mao beson­ders ver­haßt, da er nicht nur die Leh­re der Kir­che ver­ab­scheu­te, son­dern auch Angst vor ihrer Orga­ni­sa­ti­on auf natio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ebe­ne hat­te. Alle chi­ne­si­schen Bischö­fe und Prie­ster wur­den auf­ge­for­dert, ihrem Glau­ben abzu­schwö­ren, um am Auf­bau des sozia­li­sti­schen Staa­tes mit­zu­wir­ken. Auf die­je­ni­gen, die der Kir­che von Rom treu blei­ben woll­ten, war­te­ten Tod, Gefäng­nis und Umer­zie­hung in Arbeitslagern.

"Die geheime Seele des Vatikans", das neue Buch von Charles T. Murr
„Die gehei­me See­le des Vati­kans“,
das neue Buch von Charles T. Murr

Als der Kar­di­nal-Erz­bi­schof Tien Ken-sin von Peking erfuhr, daß der „Vor­sit­zen­de“ Mao ihn des Ver­rats ankla­gen und ver­haf­ten las­sen woll­te, gelang es ihm, nachts zu flie­hen und Rom zu erreichen.

Eines Mor­gens erschien der Kar­di­nal an der Bron­ze­tür der Vati­kan­stadt, trug die Kar­di­nals­in­si­gni­en und war von Kopf bis Fuß in Pur­pur geklei­det. Viel­leicht erwar­te­te er einen herz­li­chen Emp­fang durch den Papst, aber das war nicht der Fall.

An die­ser Stel­le kommt das Zeug­nis von Schwe­ster Pas­ca­li­na Leh­nert ins Spiel, einer sehr treu­en Mit­ar­bei­te­rin von Papst Pacel­li. Sie erzähl­te dem jun­gen Prie­ster Murr, der sie in den 1970er Jah­ren auf­such­te: „Der Hei­li­ge Vater rief mich an die­sem Mor­gen in sein Büro und teil­te mir mit, daß ein außer­ge­wöhn­li­cher Besu­cher vor der Tür ste­he. Da Mon­si­gno­re Tar­di­ni Sei­ne Hei­lig­keit zuvor dar­über infor­miert hat­te, daß Kar­di­nal Tien aus Chi­na geflo­hen war, um sein Leben zu ret­ten, war die Ankunft des Kar­di­nals an der Tür­schwel­le des Hei­li­gen Vaters kei­ne völ­li­ge Über­ra­schung. Aller­dings“, so Schwe­ster Pas­ca­li­na, „war der Hei­li­ge Vater über­haupt nicht erfreut“ und gab der Ordens­frau genaue Anwei­sun­gen, dem ange­se­he­nen chi­ne­si­schen Kar­di­nal eine Nach­richt zu über­mit­teln. „Von einer Frau über­bracht“, füg­te der Papst hin­zu, „wird es kla­rer sein und unser Zorn wird weni­ger offen­sicht­lich sein“.

Schwe­ster Pas­ca­li­na ging etwas ner­vös zu Kar­di­nal Tien, der im Staats­se­kre­ta­ri­at auf Neu­ig­kei­ten war­te­te, und sag­te ihm, nach­dem sie ihr Zögern über­wun­den hat­te: „Euer Emi­nenz, der Hei­li­ge Vater kann Sie weder heu­te noch in naher Zukunft emp­fan­gen“.

Aber ich muß mit Sei­ner Hei­lig­keit per­sön­lich spre­chen“, pro­te­stier­te der Kar­di­nal. „Ich fürch­te, das wird nicht mög­lich sein“, ant­wor­te­te die Ordens­frau. „Was immer Sie dem Hei­li­gen Vater sagen wol­len, kön­nen Sie Mon­si­gno­re Tar­di­ni sagen, sobald er zurück ist. Der Hei­li­ge Vater hat mich jedoch gebe­ten, Ihnen eine Fra­ge zu stel­len, die ihn beschäf­tigt. Der Hei­li­ge Vater möch­te wis­sen, wor­an Sie gedacht haben, als Sie das rote Birett ange­nom­men haben. Er möch­te Sie auch fra­gen, war­um Sie glau­ben, daß die Kar­di­nä­le der Hei­li­gen Römi­schen Kir­che rot tra­gen. Wenn Sie glau­ben, daß es etwas ande­res bedeu­tet als die Bereit­schaft, sein Blut für Chri­stus und sei­ne Kir­che zu ver­gie­ßen, wel­che Bedeu­tung hat dann die­se Far­be für Sie?

Der Kar­di­nal ant­wor­te­te nicht, schloß die Augen und blieb stumm. Bevor Schwe­ster Pas­ca­li­na den Raum ver­ließ, gab sie dem Kar­di­nal noch einen letz­ten Rat. Sie sag­te ihm, daß der Hei­li­ge Vater sehr trau­rig dar­über sei, daß er sei­ne Her­de in einer Zeit ver­las­sen habe, in der sein Volk ihn am mei­sten gebraucht hät­te. Er hät­te auf dem ihm zuge­wie­se­nen Posten blei­ben sol­len. Wenn dies Gefäng­nis oder Tod bedeu­tet, dann hät­te er unter Inkauf­nah­me sol­cher Risi­ken nach Chi­na zurück­keh­ren müs­sen, anstatt in der Vati­kan­stadt in roter Klei­dung zu sit­zen. „Wenn Sie ent­schei­den, nicht nach Chi­na zurück­zu­keh­ren“, füg­te sie hin­zu, „soll­ten Sie mei­ner Mei­nung beim Hei­li­gen Vater den Rück­tritt anbie­ten und ihr Gewand jeman­dem über­las­sen, der weiß, war­um es rot ist“.

Der Kar­di­nal trat nicht zurück und zog sich nach Chi­ca­go zurück. Man kann sich vor­stel­len, wie hart das Urteil von Pius XII. über ihn aus­fiel. Aber was hät­te Pius XII. wohl gesagt, wenn er gewußt hät­te, daß der Vati­kan heu­te offen mit den Erben der kom­mu­ni­sti­schen Ver­fol­ger von damals zusam­men­ar­bei­tet? Nach­fol­ger, die das Erbe von Mao Tse-tung und der kom­mu­ni­sti­schen Ideo­lo­gie ihres Lan­des nicht leug­nen, son­dern mit Stolz für sich beanspruchen.

In der Zwi­schen­zeit emp­feh­le ich die Lek­tü­re des Buches von Hoch­wür­den Charles Murr, einem ame­ri­ka­ni­schen Prie­ster, der sein Leben zwi­schen 1971 und 1979 in Rom ver­brach­te. Don Murr hat bereits im Jahr 2022 ein wich­ti­ges Buch ver­öf­fent­licht: „Mur­der in the 33rd Degree: The Gagnon Inve­sti­ga­ti­on into Vati­can Free­ma­son­ry“ („Mord im 33. Grad. Die Gagnon-Unter­su­chung zur vati­ka­ni­schen Frei­mau­re­rei“).

Das neue Buch ist vol­ler wei­te­rer Epi­so­den und Anek­do­ten, die uns hel­fen, die Geschich­te der Kir­che von innen zu lesen. Das Ver­dienst der bei­den Wer­ke von Don Murr besteht dar­in, daß sie mit bril­lan­tem Stil, histo­ri­scher Ernst­haf­tig­keit und vor allem mit ech­ter Lie­be zur Kir­che geschrie­ben sind.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

Bücher von Prof. Rober­to de Mat­tei in deut­scher Über­set­zung und die Bücher von Mar­tin Mose­bach kön­nen Sie bei unse­rer Part­ner­buch­hand­lung beziehen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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1 Kommentar

  1. Der Arti­kel ist sehr auf­schluss­reich und zeigt einen cha­rak­ter­star­ken Pius XII. Mehr gibt es da nicht zusagen.

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