
Vor wenigen Tagen eröffnete Papst Franziskus die zweite Sitzungsperiode der von ihm und seinem progressiven Umfeld gewollten Synodalitätssynode. Zur Vorbereitung legte er bei einer Bußvigil am 1. Oktober ein plakatives „Sündenbekenntnis“ ab, bei denen er Gott und die Welt für die teils imaginären Sünden anderer um Vergebung bat (die Sünde der Doktrin, die als Stein des Anstoßes benutzt wird; die Sünde gegen die Synodalität), aber auch die Sünde des Mißbrauchs. Dieses Verhalten provozierte überraschend die kritische Wortmeldung eines Mannes, der lange ein Gefährte und Unterstützer des argentinischen Pontifikats war. Ganz überraschend erfolgte die Kritik aber nicht, denn Luis Badilla sah sich bereits im vergangenen Jahr vor einer Wegscheide und traf seine Entscheidung – gegen Franziskus.
Der Chilene Luis Badilla veröffentlichte von 2006 bis 2023 die kirchliche Presseschau Il Sismografo. Eine Publikation mit einem nicht näher definierten Naheverhältnis zum vatikanischen Staatssekretariat. Der Christdemokrat und einstige Weggefährte von Salvador Allende stand dabei Santa Marta durchaus nahe. Im vergangenen Jahr kam dann die Wende. Badilla stellte kurz vor Weihnachten die Herausgabe des Mediums ein. Die Begründung, die er in seinem Abschiedsbrief anführte, hat mit seiner nunmehrigen Kritik zu tun, nicht mit dem konkreten Fall, jedoch mit der willkürlichen Art und Weise, wie Papst Franziskus die Kirche regiert.
Als Badilla am vergangenen Samstag das Mea culpa von Franziskus hörte, bei dem das Kirchenoberhaupt um Vergebung bat, dabei aber heftig an die Brust anderer klopfte, denen er imaginäre, teils halluzinierte „Sünden“ vorwarf, drängte es ihn zur Feder zu greifen, um nachzufragen, wie es denn um die Sünden von Franziskus bestellt sei. Konkret fragt Badilla nach dem päpstlichen Umgang mit dem Fall Rupnik. Dieser ehemalige Mitbruder im Jesuitenorden und weltweit vom Heiligen Stuhl geförderte Künstlerpriester wurde wegen Mißbrauchs der Beichte exkommuniziert, doch die Exkommunikation verschwand auf mysteriöse Art und Weise. Nun muß er sich seit elf Monaten in einem zweiten kanonischen Prozeß wegen sexueller Übergriffe verantworten, die bis Herbst 2023 als verjährt galten. Zuständig war und ist die Diözese Rom. Hier Badillas Fragen und Anmerkungen:
Papst Franziskus und die Pädophilie im Klerus. Gut! Wie steht es aber mit dem Rupnik-Skandal?
Von Luis Badilla
Wann erfahren wir die Wahrheit über die gegen Rupnik verhängte Exkommunikation und die anschließende Aufhebung durch Papst Bergoglio?
In einer Meldung der Presseagentur ANSA heißt es, daß der Papst am 28. September in Belgien „bei der Messe im Brüsseler Stadion einige Worte sprach, um den sexuellen Mißbrauch in der Kirche zu verurteilen. Er tut dies mit unmißverständlichen Worten, die von den Gläubigen mit tosendem Beifall aufgenommen werden. ‚Ich habe das Leid der mißbrauchten Menschen gespürt, die ich vorgestern getroffen habe‘, sagte Bergoglio und erinnerte an sein Treffen mit 17 Mißbrauchsopfern. ‚In der Kirche gibt es Platz für alle, es gibt keinen Platz für die Vertuschung von Mißbrauch. Bischöfe, vertuscht keinen Mißbrauch! Verurteilt die Mißbrauchstäter und helft ihnen, von der Krankheit des Mißbrauchs zu genesen. Das Böse muß an die Öffentlichkeit gebracht werden. Der Mißbraucher muß verurteilt werden.‘“
Hier der Wortlaut der Ansprache von Franziskus vom 27. September 2015 im St. Charles Borromeo Seminary in Philadelphia (USA) bei seinem Treffen mit sexuellen Mißbrauchsopfern und deren Angehörigen, die über den offiziellen Text hinausging:
„Mit meinem Geist und meinem Herzen kehre ich zu den Geschichten einiger dieser ‚Kleinen‘ zurück, die ich vorgestern getroffen habe. Ich habe sie gehört, ich habe ihr Leid als Mißbrauchsopfer gespürt, und ich wiederhole es hier: In der Kirche ist Platz für alle, für jeden, aber jeder wird verurteilt werden, und es gibt keinen Platz für Mißbrauch, keinen Platz für die Vertuschung von Mißbrauch. Ich bitte alle: Vertuscht keinen Mißbrauch! Ich bitte die Bischöfe: Vertuscht den Mißbrauch nicht! Verurteilt die Mißbrauchstäter und helft ihnen, sich von dieser Krankheit des Mißbrauchs zu erholen. Das Böse kann nicht versteckt werden: Das Böse muß an die Öffentlichkeit gebracht werden, es muß bekannt werden, wie es einige Mißbraucher getan haben, und zwar mit Mut. Es soll bekannt werden. Und der Mißbraucher muß verurteilt werden. Der Mißbraucher soll verurteilt werden, ob Laie, Priester oder Bischof: Er soll verurteilt werden.“
Der Mißbraucher ist ein kranker Mensch, dem man helfen muß, zu heilen, und man muß die Sünde vom Sünder unterscheiden. Mit diesen Worten betont der Papst – und das hat er in den mehr als 11 Jahren seines Pontifikats schon einige Male getan – die Notwendigkeit, die „Sünde“ vom „Sünder“ zu unterscheiden (Katechese vom 20. April 2016), und verweist dann auf die Notwendigkeit, Mißbrauchstätern zu helfen, von ihrer „Krankheit des Mißbrauchs“ zu genesen.
Dann betont Franziskus: „Die Mißhandelten sind eine Klage, die zum Himmel aufsteigt, die die Seele berührt, die uns beschämt und uns zur Umkehr aufruft. Wir dürfen ihre prophetische Stimme nicht behindern, indem wir sie durch unsere Gleichgültigkeit zum Schweigen bringen“. (Vollständige Predigt)
Heiliger Vater, was ist mit dem ehemaligen Jesuiten Marko Ivan Rupnik?
Aus den offiziellen Berichten der Gesellschaft Jesu geht nicht hervor, daß der ehemalige Jesuit aus Slowenien, ein berühmter Mosaizist und ein sehr mächtiger Mann im Vatikan, jemals in Pädophilie verwickelt war. In seinem Fall gibt es Anschuldigungen von Dutzenden von Frauen und sogar einem Mann (einigen Versionen zufolge), alle erwachsen, und es handelt sich um Verbrechen, die über viele Jahre hinweg begangen wurden, etwa dreißig. Es handelt sich in erster Linie um abscheuliche Gewissensbisse, die in Autoritätsmißbrauch und schließlich in sexuellen Mißbrauch übergingen. Nach allem, was man weiß, befinden sich die Opfer in der komplexen und heiklen Situation von schutzbedürftigen Personen.
Rupnik wurde kanonisch verurteilt, weil er einen Komplizen in der Beichte freigesprochen hatte. Seit elf Monaten läuft nun ein zweites kanonisches Verfahren gegen ihn wegen dieser sexuellen Übergriffe, die bis Oktober 2023 als verjährt gelten. Unter internem und externem Druck hat der Papst diese Verjährung aufgehoben und damit den Weg für den zweiten kanonischen Prozess geebnet, der noch läuft und über den nichts bekannt ist.
In dieser Sache war der Papst Opfer seiner eigenen Verfehlungen, insbesondere in der Geschichte der verhängten und nach einigen Tagen wieder aufgehobenen Exkommunikation.
Nach dem ersten kanonischen Prozeß wurde der (inzwischen ehemalige) Jesuit Mitte Mai 2020 latae sententiae exkommuniziert, aber noch vor Ende des Monats wurde diese sehr schwere Strafe aufgehoben. Die Wahrheit über diese Exkommunikation wird höchstwahrscheinlich nie bekannt werden.
Was die Verantwortung für dieses Verhalten betrifft, für das man öffentlich um Vergebung bitten sollte, wurde wieder einmal die Politik der Vertuschung gewählt, wie es bei Rupnik seit Beginn der Affäre immer der Fall war.
Nicht wir sagen das.
Wir folgen dem Lehramt von Papst Bergoglio, der in Brüssel unmißverständlich und glasklar gesagt hat: „Wir müssen uns um die Personen, die mißbraucht worden sind, kümmern und die Täter bestrafen, sie bestrafen, denn Mißbrauch ist keine Sünde von heute, die es morgen vielleicht nicht mehr gibt; es ist eine Neigung, es ist eine psychiatrische Krankheit und deshalb müssen wir sie in Behandlung schicken und sie auf diese Weise kontrollieren. Man darf einen Mißbrauchstäter nicht einfach so im normalen Leben frei herumlaufen lassen, mit Verantwortung in Pfarreien und Schulen. Einige Bischöfe haben Priestern, die so etwas getan haben, nach dem Prozeß und der Verurteilung beispielsweise Stellen in der Bibliothek gegeben, aber ohne Kontakt zu Kindern in Schulen, in Pfarreien. Und damit müssen wir weitermachen. Ich habe den belgischen Bischöfen gesagt, daß sie keine Angst haben und weitergehen sollen, weiter. Die Schande ist, so etwas zu vertuschen, zu vertuschen, ja, das ist die Schande“. (Papst Franziskus auf seinem Rückflug nach Rom, am 29. September 2024).
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: vatican.va (Screenshot)