
Die spanische Tageszeitung ABC veröffentlichte am 4. September eine ausführliche Reportage über die Lage der Katholiken im „sozialistischen Paradies“, das die Sandinisten von Daniel Ortega in Nicaragua errichtet haben. „Selbst der Glaube ist verboten in einem Land, das alle Arten von Freiheiten beschneidet“, so ABC. „Zur Messe zu gehen ist eine Odyssee, von der man nie weiß, ob man zurückkehrt“, wird ein junger Laienmitarbeiter zitiert. Die Reportage verfaßte Juan Diego Godoy.
„Verschwörung zur Untergrabung der nationalen Integrität und Verbreitung von Falschnachrichten durch Informations- und Kommunikationstechnologien zum Schaden der nicaraguanischen Gesellschaft und des nicaraguanischen Staates“, so lautet die übliche Anklage gegen Priester, Ordensleute und Laien, „die von der sandinistischen Diktatur im heutigen Nicaragua gefangengenommen werden, wo alles verboten ist, auch der Glaube. Die große Sünde der Katholiken in Nicaragua besteht darin, daß sie ihre Religionsfreiheit in Anspruch nehmen.“
Das zentralamerikanische Land „erlebt die dunkelste Zeit der religiösen Verfolgung in seiner Geschichte“. Allein in den vergangenen drei Jahren hat Nicaragua „mehr als ein Viertel seines katholischen Klerus verloren“ durch Verhaftungen, Exilierungen, Flucht und Ausweisungen. „Die Verkündigung des Evangeliums ist zu einem riskanten Beruf geworden“, so ABC, „und die Katholiken fühlen sich wie ‚eine gefährdete Spezies‘, wie ein junger Mann sagt, der einer der kirchlichen Laienmitarbeiter ist, die in abgelegenen Gebieten die katholische Lehre predigen. „Wir haben fast keinen Zugang zur Messe, weil alle Priester vertrieben wurden. Zur Heiligen Messe zu gehen ist eine Odyssee, von der man nicht weiß, ob man zurückkehren wird“, sagt der junge Mann, der in Nicaragua lebt und es deshalb vorzieht, anonym zu bleiben.
Ein anderes Beispiel, das ABC nennt, ist Pater Paco. Er gehört zu den Priestern, die in Nicaragua wirkten, aber nicht aus Nicaragua stammen und deshalb des Landes verwiesen wurden. Der junge Priester ist heute in einem anderen Land tätig, wo er neue Aufgaben übernommen hat: „Ich weiß nicht, ob ich nach Nicaragua zurückkehren kann. Ich möchte natürlich, aber ich darf nicht einreisen, und außerdem weiß ich, daß meine Rückkehr Gefängnis und Folter bedeutet, und daß ich hier, in dieser neuen Gemeinde, auch nützlich bin.“
Die zahlreichen in Nicaragua inhaftierten Priester leiden. Sie werden gefoltert, grausam behandelt, werden ihrer Kleider beraubt und nackt in ihre Zelle gesteckt. Sie werden künstlichem Licht ausgesetzt, um Schlafentzug zu provozieren, und in Isolationshaft gehalten, heißt es im Bericht einer Expertengruppe für Menschenrechte, die vom UN-Menschenrechtsbüro eingesetzt wurde, um Klagen über Ortegas Verfolgungsmethoden zu sammeln und zu prüfen. ABC schreibt:
„Pater Paco – der aus Sicherheitsgründen ein Pseudonym verwendet – sagt, daß er von mindestens fünf seiner Freunde, ebenfalls Priester, seit einem Jahr nichts mehr gehört hat.“ Diese Ungewißheit zehrt an den Nerven.
„In Ermangelung offizieller Zahlen, die in der nicaraguanischen Diktatur eine Utopie sind, weil es sie nicht gibt und weil die, die es gibt, nicht glaubwürdig sind, dienen Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen als zuverlässigste dokumentarische Quelle.“ Das Colectivo de Derechos Humanos Nicaragua Nunca Más, das vom Centro por la Justicia y el Derecho Internacional (Cejil) unterstützt wird, registriert Verletzungen der Religionsfreiheit in Nicaragua. Allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 wurde die Auflösung von 419 katholischen Organisationen, die Schließung von 22 katholischen Medien und 15 katholischen Kirchen sowie die Verfolgung von 22 katholischen Priestern, denen die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, 42 exilierte und 65 kriminalisierte und unter Folterbedingungen inhaftierte Kirchenvertreter registriert.
Hinzu kommen dreizehn allein im Monat August von der sandinistischen Nationalpolizei inhaftierte Priester. Die Menschenrechtsaktivistin Martha Patricia Molina listet für den Berichtzeitraum 2018 bis 2024 740 Angriffe gegen die Kirche auf, darunter 136 gegen Priester und 91 gegen Ordensfrauen. Seminaristen, drei Bischöfe, drei Diakone, der apostolische Nuntius und eine größere Zahl von Priestern wurden des Landes verwiesen oder exiliert. Molina selbst lebt in den USA im Exil. Sie sagt, daß „die katholische Kirche derzeit die schlimmste Phase der Ortega-Murillo-Repression seit April 2018 erlebt“.
Ein exilierter Priester, der es vorzieht, weder seinen Namen zu nennen noch ein Pseudonym zu verwenden, erklärte gegenüber ABC, daß „die Diktatur es nützt, daß die Aufmerksamkeit der Welt auf andere Konflikte gerichtet ist, um Katholiken in Nicaragua zu inhaftieren und die Verfolgung fortzusetzen, während mehrere Personen komplizenhaft schweigen“.
Der Vatikan hat sich noch nicht zu der Situation geäußert, obwohl Papst Franziskus bei mehreren Gelegenheiten ein Ende der Verfolgung der Kirche in Nicaragua und einen Dialog zum Abbau der Spannungen gefordert hat. Es ist bekannt, daß sich die katholische Kirche für eine „diskrete Koordination“ mit dem Regime in Managua entschieden hat, um die Freilassung von Priestern, Bischöfen und anderen Kirchenvertretern zu erwirken, die auf diese Weise aus den Gefängnissen befreit werden können, dafür aber ihre Staatsbürgerschaft verlieren und exiliert werden. Sie finden teils im Vatikan, teils in Nachbarstaaten Zuflucht.
Was aber bezweckt das sandinistische Regime mit der Verfolgung der Kirche in Nicaragua?
Für Humberto Belli, Koordinator der Oppositionsorganisation Concertación Democrática Nicaragüense, geht es einfach darum, „Andersdenkende zum Schweigen zu bringen“. Viele würden denken, es gehe dem Regime darum, durch die Unterdrückung der Katholiken, unzufriedene Teile der Gesellschaft zum Schweigen zu bringen. „Wenn das das Ziel wäre, dann gäbe es keine Erklärung für die Ausweisung von Ordensleuten, die Vereinigungen und Apostolate koordinieren, die völlig unpolitisch sind. Neben den politischen Motiven gibt es noch ein weiteres, versteckteres und unheimlicheres Motiv, nämlich den Wunsch, die Liebe und den Gehorsam der Bevölkerung gegenüber der Kirche zu unterdrücken.“
ABC zitiert Héctor Lindo-Fuentes, Historiker für Zentralamerika und emeritierter Professor für Geschichte an der Fordham University. Er teilt Bellis Theorie: „Autoritäre Regierungen, die um ihr Machtmonopol bemüht sind, haben sich schon immer über den Einfluß religiöser Führer auf die Bevölkerung geärgert. Religiöse Gruppen, die sich in irgendeiner Weise der Agenda der herrschenden Diktaturen widersetzen, zahlen einen hohen Preis für ihren Einfluß auf die Bevölkerung.“
Es gehe gar nicht darum, ob jemand seinen Einfluß tatsächlich gegen das Regime einsetzt. Die bloße Tatsache, daß es diesen Einfluß auf die Bevölkerung gibt, sehen Diktaturen als Bedrohung ihres Machtanspruchs und bekämpfen ihn.
In Mittelamerika, das seit der Unabhängigkeit von Spanien vor zweihundert Jahren eine Vielzahl autoritärer Regierungen erlebt hat, wurden katholische Kleriker und Gläubige der katholischen Kirche immer wieder verfolgt, schikaniert, vertrieben und sogar ermordet. Der Historiker führt an, daß es viele Beispiele der Unterdrückung gibt. Obwohl das Beispiel Nicaraguas das aktuellste ist, lohnt es sich, an andere Beispiele aus dem vorigen Jahrhundert zu erinnern: „Das guatemaltekische Militärregime vertrieb 1967 die Nonnen des Maryknoll-Ordens, und die Regierung von Anastasio Somoza García verfolgte in den späten 1970er Jahren die Steyler Missionare. In El Salvador gab es zwei der bezeichnendsten Fälle von Kirchenverfolgung: zum einen die Ermordung von Jesuitenpriestern und einer Gruppe amerikanischer Ordensfrauen der Universidad Centroamericana José Simeón Cañas und zum anderen die noch weit aufsehenerregendere Ermordung von Msgr. Óscar Arnulfo Romero, dem Erzbischof von San Salvador, der heute zu den Heiligen der katholischen Kirche gehört“, so Lindo-Fuentes.
Die Auswirkungen der Verfolgung seien enorm, denn „ihre Opfer sind nicht nur das kirchliche Establishment, sondern Millionen von Gläubigen, denen der Zugang zum Wort Gottes verwehrt wird, und Tausende von Kindern, gefährdeten Jugendlichen, älteren Menschen und Menschen in extremer Not, denen sehr wertvolle karitative und erzieherische Dienste vorenthalten werden“, so Belli.
Es gibt noch eine weitere Theorie, so ABC, die hinter der unerbittlichen Verfolgung der katholischen Kirche in Nicaragua gesehen wird. „Das Diktatorpaar versucht, ein neues Modell der Religiosität zu etablieren, das vom Staat ausgeht und um die Figur von Rosario Murillo herum aufgebaut ist“, so Eliseo Nuñez, ein im Exil lebender nicaraguanischer Politologe. Seine Theorie stützt sich auf die exzentrische Figur der Gattin von Diktator Daniel Ortega. Rosario Murillo, offiziell an der Seite ihres Mannes Vizepräsidentin von Nicaragua, hat katholische Priester als „geistige Terroristen“ beschuldigt und wird „von manchen offen als ‚Berufshexe‘ bezeichnet“. „Sie trägt von Kopf bis Fuß Ringe, Halsketten und Armbänder aus Lapislazuli und anderen Edelsteinen als Amulette gegen Unglück und als Garantie für das Erreichen ihrer spirituellen Ziele“, so Nuñez.
„Ortega weiß, daß Kanzeln immer mächtig sind, wenn es um den Widerstand gegen eine Diktatur geht. Dieser erzwungene Exodus und die Unruhe innerhalb des Klerus sind Teil von Ortegas Strategie, alle Dissidenten zu vertreiben, und die katholische Kirche war einer der stärksten und zahlreichsten Gegner“, so der Politikwissenschaftler.
Gabriel, der Name wurde von ABC geändert, einer der Dominikaner, die ins Exil gehen mußten und in einem anderen mittelamerikanischen Land Zuflucht gefunden haben, sieht in der katholischen Kirche „die einzige Instanz, die das Volk verteidigt und sich für das Volk in Nicaragua einsetzt“. Es gehe aber nicht darum, die mutige Rolle der Kirche zu loben, sondern auch eine „Selbstprüfung“ vorzunehmen: „Wir dürfen nicht vergessen, daß wir auch einige Fehler gemacht haben, wie zum Beispiel die Art und Weise, wie die Kirche 2018 am Dialogtisch saß, ohne das entsprechende Verhandlungsgeschick zu zeigen, was nicht zur Lösung des Konflikts beigetragen, sondern ihn nur verschlimmert hat.“
Auf welcher rechtlichen Grundlage wird die Religionsfreiheit in Nicaragua eingeschränkt?
In einer Diktatur ist der rechtliche Rahmen nur von geringer Bedeutung. Um dennoch den Anschein der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, stützt sich das Regime vor allem auf das Strafgesetzbuch. Der häufigste Vorwurf zur Kriminalisierung von Kirchenvertretern sind die Artikel 410, 412, 460 und 462 des Strafgesetzbuches. Sie betreffen die Staatssicherheit und sind besonders geeignet, von der Regierung gegen die Opposition eingesetzt zu werden, wenn es keine unabhängige Justiz gibt, die dies verhindert. Untergrabung der nationalen Integrität, Verschwörung zur Untergrabung der nationalen Integrität, Behinderung der staatlichen Autorität und Ungehorsam gegenüber der staatlichen Autorität lauten die Anklagepunkte. In jüngster Zeit werden auch Bestimmungen gegen Cyberkriminalität herangezogen, um unliebsame Meinungen in sozialen Netzwerken zu bekämpfen.
Pater Ricardo – aus Sicherheitsgründen verwendet auch er ein Pseudonym – ist über 80 Jahre alt und mußte über Nacht ins Exil gehen, um dem Gefängnis zu entgehen. Während des Telefonats mit ABC, das er von Europa aus entgegennimmt, erzählt er, so viele Freunde und Gemeindemitglieder zurückgelassen zu haben, die ihn anflehten, zu gehen. „Sie sagten mir, daß ich wegen meines Alters mich nicht gegen die Folter wehren könnte, wenn sie mich erwischen. Ich war wütend, aber ich wußte, daß sie Recht hatten. Ein befreundeter Diakon sagte zu mir: ‚Laß uns junge Priester das durchstehen, wenn Christus es will.‘ Er seufzt und scheint dann laut nachzudenken. ‚Wir haben geschwiegen, aber es ist ein Schweigen, das auch spricht; ein bußfertiges Schweigen, weil wir dein Volk leiden sehen, weil wir uns ohnmächtig fühlen, weil wir weit weg sind.‘ Seine Stimme scheint zu brechen, dann räuspert er sich. ‚Wir fühlen uns auch ein wenig einsam. Betet für uns, aber vor allem für diejenigen, die gefangen sind. Betet viel.‘“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: ABC (Screenshot)