Antworten für eine infantile Welt? Papst Franziskus und einige Invektiven

Was dem Kirchenoberhaupt zu welchen Themen einfällt, und vor allem, was nicht


Papst Franziskus gab sich im CBS-Interview zu Zeitgeist-Themen windelweich, während er gegen "konservative Katholiken" Hiebe austeilte
Papst Franziskus gab sich im CBS-Interview zu Zeitgeist-Themen windelweich, während er gegen "konservative Katholiken" Hiebe austeilte

Durch vor­ab ver­öf­fent­lich­te Aus­schnit­te waren Aus­sa­gen aus dem am Pfingst­sonn­tag aus­ge­strahl­ten CBS-Inter­view mit Papst Fran­zis­kus bereits bekannt. Vor allem sein Fron­tal­an­griff gegen „kon­ser­va­ti­ve Katho­li­ken“ in den USA, denen das Kir­chen­ober­haupt ein „selbst­mör­de­ri­sches Ver­hal­ten“ atte­stier­te. Salopp geant­wor­tet, wer­den die päpst­li­chen Invek­ti­ven aller­dings allein schon durch die erfreu­lich hohe Gebur­ten­ra­te in gläu­bi­gen katho­li­schen Fami­li­en auf aus­sa­ge­kräf­ti­ge Wei­se wider­legt. In dem Inter­view spricht Fran­zis­kus auch von „Tat­sa­chen“, aller­dings ganz ande­rer Art. Hier die Über­set­zung der offi­zi­el­len Tran­skrip­ti­on der päpst­li­chen Ant­wor­ten, wie sie von CBS ver­öf­fent­licht wur­de. Die Fra­gen stell­te die CBS-Jour­na­li­stin Norah O’Donnell, die das Gespräch mit Fran­zis­kus auf spa­nisch, des­sen Mut­ter­spra­che, führ­te. Wie bereits geschrie­ben, ist das Inter­view mit Blick auf den in den USA herr­schen­den Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf zu sehen, obwohl die­ser nie erwähnt wur­de. Die ange­spro­che­nen The­men sind ganz unter­schied­lich, ent­spre­chend unter­schied­lich sind auch die Ant­wor­ten. Zu den gesell­schafts­po­li­ti­schen und mora­lisch hoch­bri­san­ten The­men, die der woken Lin­ken in den USA wich­tig sind, scheint Fran­zis­kus infan­ti­le Ant­wor­ten für eine infan­ti­le Welt zu geben. Sie fal­len ver­kürzt und ver­zerrt aus und gehen am Wesent­li­chen vor­bei. Will Fran­zis­kus eine infan­ti­li­sier­te Sicht­wei­se för­dern? Hat ein Papst nicht zu leh­ren und auch zu beleh­ren? Man­che Ant­wor­ten wir­ken so aal­glatt, als sei­en sie eilig hin­ge­wor­fen, um Bei­fall zu erhei­schen und zum näch­sten The­ma über­zu­ge­hen. Fran­zis­kus will, das scheint offen­sicht­lich, beim Zeit­geist nicht anecken. Umso här­ter teilt er dafür gegen „kon­ser­va­ti­ve Katho­li­ken“ aus. Da wird sei­ne win­del­wei­che Spra­che mit einem Schlag bei­ßend hart. Kann man als Kir­chen­ober­haupt so falsch lie­gen? Homo­se­xua­li­tät ist für Fran­zis­kus ein­fach „eine mensch­li­che Tat­sa­che“. Punkt. Die Ant­wort auf eine mora­li­sche Fra­ge, die das Natur­recht und das gött­li­che Gesetz betref­fen, vor allem aber das See­len­heil ein­zel­ner, wird mit einer Pla­ti­tü­de abge­tan? Mord ist auch „eine mensch­li­che Tat­sa­che“. Und dann? Die Fra­ge müß­te daher wohl eher lau­ten: Darf man als Kir­chen­ober­haupt so falsch lie­gen, so ver­kür­zen, sich so dem eige­nen Lehr­auf­trag ent­zie­hen? Hier die Ant­wor­ten von Fran­zis­kus mit Themenangabe:

Ukrainekrieg

Anzei­ge

Norah O’Don­nell: Haben Sie eine Bot­schaft an Wla­di­mir Putin bezüg­lich der Ukraine?

Papst Fran­zis­kus: Bit­te… in Län­dern, die sich im Krieg befin­den, hört alle auf, Krieg zu füh­ren! Sucht die Ver­hand­lung. Sucht den Frie­den. Ein aus­ge­han­del­ter Frie­den ist immer bes­ser als ein end­lo­ser Krieg.

Nahostkonflikt

Norah O’Don­nell: Die Gescheh­nis­se in Gaza haben eine gro­ße Spal­tung und viel Schmerz in der Welt ver­ur­sacht. Ich weiß nicht, ob Sie bemerkt haben, daß es in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten vie­le Demon­stra­tio­nen an den Uni­ver­si­tä­ten und einen wach­sen­den Anti­se­mi­tis­mus gibt. Was wür­den Sie sagen, wie man das ändern könnte?

Papst Fran­zis­kus: Jede Ideo­lo­gie ist schlecht. Und Anti­se­mi­tis­mus ist eine Ideo­lo­gie, und sie ist schlecht. Das „Anti“ ist immer schlecht. Man kann die­se und jene Regie­rung kri­ti­sie­ren, die israe­li­sche Regie­rung, die palä­sti­nen­si­sche Regie­rung. Man kann kri­ti­sie­ren, was man will, aber nicht gegen die Ras­se. Weder anti­pa­lä­sti­nen­sisch noch anti­se­mi­tisch. Nein.

Norah O’Don­nell: Ich weiß, daß Sie zum Frie­den auf­ru­fen. Sie haben in vie­len Ihrer Pre­dig­ten zu einem Waf­fen­still­stand auf­ge­ru­fen. Kön­nen Sie hel­fen, Frie­den zu vermitteln?

Papst Fran­zis­kus: [seufzt] Beten. Ich bete sehr viel für den Frie­den. Und schla­ge auch vor: „Bit­te, hört auf. Verhandelt.“

Migration

Norah O’Don­nell: Mei­ne Groß­el­tern waren katho­lisch. Sie wan­der­ten in den 1930er Jah­ren auf der Suche nach einem bes­se­ren Leben aus Nord­ir­land nach Ame­ri­ka aus. Und ich weiß, daß auch Ihre Fami­lie gegan­gen ist, vor dem Faschis­mus. Sie haben über Migran­ten gespro­chen, vie­le von ihnen sind Kin­der, und Sie haben gesagt, daß Sie die Regie­run­gen auf­for­dern, Brücken zu bau­en, nicht Mauern.

Papst Fran­zis­kus: Migra­ti­on ist eine Sache, die ein Land wach­sen läßt. Man sagt, daß Ihr Iren ein­ge­wan­dert seid und den Whis­key mit­ge­bracht habt, und daß die Ita­lie­ner ein­ge­wan­dert sind und die Mafia mit­ge­bracht haben… [lacht]. Das ist ein Scherz, ver­ste­hen Sie das nicht falsch. Aber Migran­ten lei­den manch­mal sehr. Sie lei­den sehr.

Norah O’Don­nell: Ich bin in Texas auf­ge­wach­sen. Und ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben, aber der Staat Texas ver­sucht, eine katho­li­sche Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sa­ti­on an der Gren­ze zu Mexi­ko zu schlie­ßen, die huma­ni­tä­re Hil­fe für Ein­wan­de­rer ohne Aus­wei­se lei­stet. Was den­ken Sie darüber?

Papst Fran­zis­kus: Wahn­sinn, Wahn­sinn. Aber die Gren­ze zu schlie­ßen und sie dort zu las­sen … ist Wahn­sinn. Die Migran­ten müs­sen auf­ge­nom­men wer­den. Dann wer­den wir sehen, wie sie behan­delt wer­den. Viel­leicht soll­ten sie zurück­ge­schickt wer­den, ich weiß es nicht, aber jeder Fall soll­te mit Mensch­lich­keit unter­sucht wer­den… mit Menschlichkeit.

Norah O’Don­nell: Ihre erste Rei­se als Papst führ­te Sie auf die Insel Lam­pe­du­sa, wo Sie über das Leid spra­chen. Und ich war sehr beein­druckt, als Sie über die Glo­ba­li­sie­rung der Gleich­gül­tig­keit spra­chen. Was pas­siert da?

Papst Fran­zis­kus: Soll ich es auf kreo­lisch und ganz deut­lich sagen? Die Men­schen waschen ihre Hän­de in Unschuld! Es gibt so viel los­ge­las­se­nen Pon­ti­us Pila­tus… der… sieht, was pas­siert, die Krie­ge, die Unge­rech­tig­kei­ten, die Ver­bre­chen… „Das paßt schon, das paßt schon“ und wäscht sei­ne Hän­de in Unschuld. Gleich­gül­tig­keit. Wenn das Herz hart wird… und es gleich­gül­tig ist.
Bit­te, wir müs­sen das Herz wie­der sen­si­bel machen. Wir kön­nen nicht gleich­gül­tig gegen­über die­sen Dra­men der Mensch­heit sein. Die Glo­ba­li­sie­rung der Gleich­gül­tig­keit ist eine sehr häß­li­che, sehr häß­li­che Krankheit

Sexueller Mißbrauchsskandal

Norah O’Don­nell: Sie haben mehr als jeder ande­re ver­sucht, die katho­li­sche Kir­che zu refor­mie­ren und für den jah­re­lan­gen unsäg­li­chen sexu­el­len Miß­brauch von Kin­dern durch Ange­hö­ri­ge des Kle­rus Buße zu tun. Aber hat die Kir­che genug getan?

Papst Fran­zis­kus: Sie muß es wei­ter­hin tun. Lei­der ist das Dra­ma des Miß­brauchs gewal­tig. Und dazu gehört das rich­ti­ge Gewis­sen; und nicht nur nicht zuzu­las­sen, son­dern die Bedin­gun­gen dafür zu schaf­fen, daß so etwas nicht passiert.

Norah O’Don­nell: Sie sag­ten „Null Toleranz“.

Papst Fran­zis­kus: Es gibt kei­ne Tole­ranz. Wenn es in der Kir­che einen Fall von Miß­brauch durch einen geweih­ten Mann oder eine geweih­te Frau gibt, wird das gan­ze Gesetz auf sie ange­wen­det. In die­ser Hin­sicht wur­den vie­le Fort­schrit­te gemacht. […]

Norah O’Donnell: Letz­tes Jahr haben Sie katho­li­schen Prie­stern erlaubt, gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re zu seg­nen. Das ist eine gro­ße Ver­än­de­rung. Warum?

Papst Fran­zis­kus: Nein, was ich erlaubt habe, war nicht, die Ver­ei­ni­gung zu seg­nen. Das kann ich nicht. Der Herr hat es so gemacht. Aber ich seg­ne jeden Men­schen. Der Segen ist für alle. Für ALLE. Eine homo­se­xu­el­le Ver­bin­dung zu seg­nen, ist gegen das Gesetz, das Natur­ge­setz, das Gesetz der Kir­che. Aber jeden Men­schen zu seg­nen, war­um nicht? Der Segen ist für alle da. Eini­ge haben sich dar­über empört. War­um? Für alle. Für alle!

Norah O’Don­nell: Sie sag­ten: „Wer bin ich, um zu urtei­len? Homo­se­xua­li­tät ist kein Verbrechen.“

Papst Fran­zis­kus: Nein. Sie ist eine mensch­li­che Tatsache.

Norah O’Don­nell: Es gibt kon­ser­va­ti­ve Bischö­fe in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die sich Ihren neu­en Bemü­hun­gen wider­set­zen, Leh­ren und Tra­di­tio­nen zu über­den­ken. Wie reagie­ren Sie auf deren Kritik?

Papst Fran­zis­kus: Sie ver­wen­den das Adjek­tiv „kon­ser­va­tiv“, das heißt, kon­ser­va­tiv ist jemand, der sich an etwas klam­mert und nicht dar­über hin­aus­se­hen will. Das ist eine selbst­mör­de­ri­sche Hal­tung, denn es ist eine Sache, die Tra­di­ti­on zu berück­sich­ti­gen, Situa­tio­nen der Ver­gan­gen­heit zu betrach­ten, und es ist eine ganz ande­re Sache, sich in eine dog­ma­ti­sche Kiste zu sperren.

Der moderne Kinderhandel: „Leihmutterschaft“

Norah O’Don­nell: Ich ken­ne Frau­en, die Krebs über­lebt haben und kei­ne Kin­der bekom­men kön­nen, und sie wen­den sich an Leih­müt­ter. Das ist gegen die Leh­re der Kirche.

Papst Fran­zis­kus: Von Leih­mut­ter­schaft zu spre­chen, im tech­nisch­sten Sin­ne des Wor­tes, nein, das geht nicht. Manch­mal ist die Leih­mut­ter­schaft zu einem Geschäft gewor­den, und das ist sehr hart. Es ist sehr schwer.

Norah O’Don­nell: Aber manch­mal ist es für man­che Frau­en die ein­zi­ge Hoffnung.

Papst Fran­zis­kus: Viel­leicht. Die ande­re Hoff­nung ist die Adop­ti­on. Ich wür­de sagen, daß man sich in jedem Fall klar über die Situa­ti­on bera­ten muß, medi­zi­nisch und dann mora­lisch. Ich den­ke, daß es in die­sen Fäl­len ein all­ge­mei­nes Gesetz gibt, aber man muß in jedem Ein­zel­fall die Situa­ti­on sehen, solan­ge man nicht das mora­li­sche Prin­zip über­geht. Aber Sie haben Recht. Mir gefällt, das möch­te ich Ihnen sagen, Ihr Aus­druck, als Sie zu mir sag­ten: „In man­chen Fäl­len ist es die ein­zi­ge Chan­ce“. Ich kann sehen, daß Sie die­se Din­ge füh­len. Ich dan­ke Ihnen [lächelt].

Norah O’Don­nell: Ich glau­be, des­halb haben so vie­le Men­schen… Hoff­nung in Ihnen gefun­den, weil Sie offe­ner und ver­ständ­nis­vol­ler waren als viel­leicht frü­he­re Kirchenführer.

Papst Fran­zis­kus: Man muß für alles offen sein. Die Kir­che ist das: alle, alle, alle. „Was ist ein Sün­der?“ Ich bin auch ein Sün­der. Jeder! Das Evan­ge­li­um ist für ALLE. Wenn die Kir­che eine Zoll­stel­le vor ihre Tür stellt, hört sie auf, die Kir­che Chri­sti zu sein. Alle.

Norah O’Don­nell: Wenn Sie auf die Welt schau­en, was gibt Ihnen Hoffnung?

Papst Fran­zis­kus: Alles. Man sieht Tra­gö­di­en, aber man sieht auch… so vie­le schö­ne Din­ge. Man sieht hel­den­haf­te Müt­ter, hel­den­haf­te Män­ner, Män­ner, die Hoff­nung haben, Frau­en, die nach vor­ne schau­en. Das gibt mir sehr viel Hoff­nung. Die Men­schen wol­len leben. Die Men­schen bewe­gen sich vor­wärts. Und die Men­schen sind im Grun­de genom­men GUT. Wir alle sind im Grun­de genom­men gut. Es gibt also ein paar Schur­ken, Sün­der, aber das Herz ist gut.

Übersetzung/​Einleitung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: CBS (Screen­shot)

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