Von Pater Paolo M. Siano*
Von 1940 bis 1944/45 war Bino Graf Bellomo di San Cosimano (1904–?) Agent (im Rang eines Leutnants, dann eines Hauptmanns) des Militärischen Nachrichtendienstes (SIM). Dies war der italienische Militärgeheimdienst, der dem Generalstab der königlichen Armee unterstellt war und von 1925 bis 1945 existierte. Als SIM-Agent war Bellomo auch Mitarbeiter von Giuseppe Cambareri (1901–1972), alias „Entität X“, der zunächst ein Sympathisant der Faschisten war und während der faschistischen Herrschaft ein SIM-Agent wurde, aber möglicherweise schon vor dem Krieg auch ein alliierter Spion war. Nach dem 8. September 1943 stellte sich Cambareri jedenfalls offen auf die Seite von Marschall Badoglio und arbeitete als anglo-amerikanischer und antifaschistischer Spion, wobei er seinem „Credo“ als Esoteriker, Freimaurer und Rosenkreuzer stets treu blieb.1
Ich habe vier Artikel über Cambareri, den „Magier der Generäle“, geschrieben.
Hauptmann Bino Bellomo war im Krieg Mitglied der Freimaurergruppe, mit der Cambareri die Demokratische Union (1944) gründete. Cambareri distanzierte sich von den britischen Geheimdiensten (die in Italien die Fortsetzung der Monarchie der Savoyer anstrebten) und zog es stattdessen vor, für den amerikanischen Geheimdienst OSS (Vorläufer der CIA) zu arbeiten, um eine zentristische italienische Republik zu fördern, die sowohl für Faschisten als auch für Kommunisten offen war.2
Ab 1940 arbeitete Bellomo, damals noch Leutnant, in der SIM-Abteilung Auswertung der gesammelten Informationen, ab 1942 dann als Hauptmann in der SIM-Abteilung Spionageabwehr. Im März 1942 wird Bellomo nach Rom versetzt, um die „Erste Abteilung für Wirtschafts- und Industrieforschung“ und anschließend die „Verbindung X“ zu leiten. Bellomo wird zudem beauftragt, das SIM-Tagebuch über dessen Aktivitäten zusammenzustellen.3 Der SIM hatte drei Abteilungen: Spionage, Gegenspionage, Informationsauswertung.4
Nach dem Krieg lehrte Bellomo Politische Ökonomie an der Universität Bologna.5
Im Dezember 1975 gab Prof. Bino Bellomo di San Cosimano, inzwischen im Ruhestand, in einer alten Villa in Bologna dem Journalisten Marcello Coppetti (1926–2003), einem Kenner von Giuseppe Cambareri und der beiden italienischen Militärgeheimdienste SIM (1925–1945) und SIFAR (1949–1966) ein Interview.
In einem Buch von 1978 definiert der Bologneser Freimaurer Eugenio Bonvicini (Großorient von Italien und 33. Grad des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus) Bino Bellomo als „katholischen Priester“ 6. In einigen von Bellomos Schriften unterschrieb er mit Probo Bino Bellomo und wird als P. Bino Bellomo bezeichnet… Vielleicht hat Bonvicini das „P.“ als Initiale des Wortes „Pater“ mißverstanden.
1. Die Weltfreimaurerei nach Bino Bellomo (1960)
Im Jahr 1960 veröffentlichte der Mailänder Verlag Ciarrocca das Buch „La Massoneria Universale dalle origini ai nostri giorni“ („Die Weltfreimaurerei von den Ursprüngen bis heute“) von Bino Bellomo. Ich stelle verschiedene Auszüge aus Bellomos Buch vor und gliedere sie in bestimmte Themen, die ich für wichtig halte. Bellomo beginnt mit einem langen Vorwort „Freimaurerei und römischer Katholizismus“ (S. 11–48), in dem er argumentiert, daß die Kirche und die Freimaurerei keine Feinde mehr zu sein brauchen, da es wirklich keine theologischen oder lehrmäßigen Gründe für eine Unvereinbarkeit zwischen ihnen gibt… In Wirklichkeit macht Bellomo sowohl in dieser Einleitung als auch in anderen Passagen das Gegenteil deutlich, ja gibt es sogar zu: Unter den Freimaurern des 33. Grades des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (AASR) oder der „weißen“ Freimaurerei gibt es eine „palladische Freimaurerei“, die Luzifer oder Satan verehrt und daher der Kirche feindlich gesinnt ist… Aber gehen wir der Reihe nach vor. Die kursiv gedruckten Passagen, die ich zitieren werde, stammen aus dem Text.
1.1 Ziele und Methoden der Freimaurerei
Bellomo stellt fest, daß die Weltfreimaurerei durch verschiedene freimaurerische Denominationen und Riten eine vom Rationalismus und Naturalismus inspirierte Religion schaffen will. Die Freimaurerei strebt eine „Brüderlichkeit“ aller Menschen und Völker an (vgl. S. 11) und hat „ein Programm, das weltweit gilt“ (S. 11).
Die Freimaurerei präsentiert sich als politisch und religiös neutral und respektiert alle Religionen. Doch erst an der Schwelle zur „Weißen Freimaurerei“ erfahren die Adepten, daß sich die Freimaurerei sowohl als Bollwerk gegen die autokratische politische Macht als auch gegen den römischen Katholizismus etablieren will (vgl. S. 12).
Zum freimaurerischen Wirken in der Gesellschaft schreibt Bellomo: „Die Freimaurerei ist in erster Linie an Personen interessiert, die frei von Vorurteilen und vor allem von religiösen Vorstellungen sind, die über eine ausgeprägte persönliche Intelligenz verfügen, aber bereit sind, sich unter allen Umständen in die Abhängigkeit des Ordens zu begeben. Dies sind diejenigen, die die Freimaurerei nach gründlichster Prüfung in ihre höchsten Führungsbereiche zu entsenden versucht. Für sie wird die Freimaurerei über ihre zahlreichen Verbindungen alles daran setzen, daß sie möglichst Positionen in Schlüsselpositionen der öffentlichen Verwaltung und in großen wirtschaftlichen und kulturellen Komplexen erhalten. Daher schon immer das Bestreben, insbesondere in die Hochfinanz, den Journalismus, die großen Verlagshäuser, die Armee, die Justiz, den öffentlichen Unterricht, insbesondere die Universitäten, einzudringen“ (S. 13).
1.2 Kirche gegen Freimaurerei (18. Jahrhundert): nur aus „politischen Gründen“?
Wie es die Freimaurer gewöhnlich tun, so will auch Bellomo uns glauben machen, daß die ersten Verurteilungen des Heiligen Stuhls gegen die Freimaurerei (Papst Clemens XII. 1738; Papst Benedikt XIV. 1751) nur „politische Gründe“ betrafen und nicht Irrtümer des Glaubens oder der Moral… Bellomo behauptet, daß die Freimaurerei zu dieser Zeit noch keine feindliche Haltung gegenüber der katholischen Religion hatte, es sogar Logen gab, die mit den Namen von Heiligen benannt waren… Doch Bellomo weiß sehr wohl, daß die Freimaurerei des 18. Jahrhunderts die Aufklärung verkörpert (vgl. S. 16–19)!
In der Tat prangerte die antifreimaurerische Bulle In eminenti (1738) von Papst Clemens XII. einige Irrtümer des Glaubens und der Sitten der Freimaurersekte an, darunter den freimaurerischen Eid auf die Bibel unter Androhung der Todesstrafe, sollte der Eid verletzt werden oder ein Meineid sein, ebenso das Klima religiöser Gleichgültigkeit in den Logen…
Es ist merkwürdig, daß ein kultivierter Mensch wie Graf Bellomo, ausgebildet für Informationsauswertung und Spionageabwehr, diese Elemente nicht entdeckt hat.…
1.3 Kirche und Freimaurerei: politischer Kampf zwischen dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert
Zur Freimaurerei am Ende des 19. Jahrhunderts, die von Leo XIII. als Trägerin des philosophischen Naturalismus, des religiösen Indifferentismus und des moralischen Heidentums verurteilt wurde, schreibt Bellomo: „Dies war nicht mehr die Freimaurerei der Vergangenheit, die von einer tiefen bürgerlichen Leidenschaft, von der Liebe zur Wissenschaft und zur Wahrheit beseelt und angetrieben wurde: Sie begann, zumindest in Italien, aufgrund interner Reibereien und eines immer lebhafteren Personalismus zu zerfallen, so daß es bald zu lautstarken freimaurerischen Spaltungen kommen würde (die bis heute andauern)“ (S. 42).
Bellomo will uns also glauben machen, daß die Freimaurerei des 18. Jahrhunderts besser war als die des 19. Jahrhunderts, da sie von der Liebe zur Wissenschaft und zur Wahrheit angetrieben wurde… Doch Bellomo gibt selbst zu, daß die Freimaurerei des 18. Jahrhunderts Aufklärung ist! In der Tat argumentiert der ehemalige Geheimagent Bino Bellomo wie ein Freimaurer.
Dann zitiert Bellomo auch die Enzyklika Custodes fidei von Leo XIII. (8. Dezember 1892), in der die antiklerikalen und antikatholischen Aktivitäten der Freimaurerei angeprangert werden. Bellomo beharrt fälschlicherweise auf politischen Gründen als Ursache des Streits zwischen der Freimaurerei und der Kirche: „Wie wir sehen können, dokumentiert auch die letzte Enzyklika gegen die Freimaurerei die Ursache des Streits, die politisch und nicht theologisch ist. Er betrifft eher irdische Probleme, den Bereich und die Aktivitäten des Heiligen Stuhls, nicht sein Wort des Glaubens. Die Freimaurer forderten ebenso wie die Liberalen die klare Trennung von religiöser und politischer Macht, d. h. die Unabhängigkeit des Staates von der Kirche. […] Es war also kein theologisches und transzendentales Problem, das die Freimaurerei und den Vatikan in der Vergangenheit einander gegenüberstellte und verfeindete. Das Aufeinandertreffen und der Kampf entsprangen, zumindest überwiegend, Problemen einer politischen Ordnung. Das dokumentieren vor allem die Enzykliken, die sich mit dem Thema befassen“ (S. 44–45).
Was der ehemalige Geheimagent (vielleicht auch Freimaurer) Bellomo oben schreibt, ist falsch: In Wirklichkeit ist die Wurzel des Streits zwischen der Freimaurerei und der Kirche in erster Linie theologisch, lehrmäßig. Seltsamerweise (eine absichtliche Irreführung?) scheint Bellomo die lehrmäßigen Gründe für den Gegensatz zwischen Kirche und Freimaurerei zu ignorieren, Gründe, die er selbst in seinem Buch anführt…
Bellomo spricht über den Antiklerikalismus des Großmeisters des Großorients von Italien (GOI) Adriano Lemmi (1822–1906). Bellomo zitiert einen Artikel aus der „Rivista Massonica“ (eigentlich Rivista della Massoneria Italiana) aus dem Jahr 1893, S. 118, in dem Lemmi die Ziele seiner Freimaurerei angibt: den Vatikan anzugreifen, die religiöse Macht von der weltlichen zu trennen und die Gemeinden und die Bildungs- und Erziehungsinstitute zu übernehmen. In derselben Freimaurerzeitschrift von 1897, auf Seite 242, erklärt Lemmi die Notwendigkeit, unter den Armeeoffizieren brauchbare Elemente für die Freimaurerei zu rekrutieren, und erklärt auch, daß die freimaurerische Präsenz in der Armee ein Bollwerk gegen den italienischen Klerikalismus sein würde; die Priester könnten die Kinder führen, aber die Freimaurerei würde durch die Armee wissen, wie man die Jugend führt.7
Bellomo berichtet, daß die italienische Freimaurerei (der Großorient) zu Beginn des 20. Jahrhunderts intern kritisiert wurde: verschiedene Freimaurer (die später die Obödienz an der „Piazza del Gesù“ bilden sollten, benannt nach dem Ort ihres römischen Hauptsitzes) warfen ihr vor, in einem fruchtlosen Antiklerikalismus erstarrt zu sein. Bellomo wirft Lemmi vor, die Krise innerhalb der italienischen Freimaurerei verursacht zu haben (vgl. S. 260f). Ist Bellomo auch von der Richtung „Piazza del Gesù“?
1.4 Freimaurerei zwischen Krieg, Spionage und Nachkriegszeit
In bezug auf die freimaurerischen Aktivitäten vor und während des Zweiten Weltkriegs erklärt Bellomo, daß sich die Freimaurerei in die großen Staaten Italien und Deutschland infiltrierte mit dem Ziel, die faschistischen und nationalsozialistischen Diktaturen zu stürzen.8 An dieser Stelle berichtet Bellomo, daß „die amerikanischen Rosenkreuzer“ 1938 einen ihrer hohen Würdenträger nach Europa entsandten, einen jungen, unternehmungslustigen und aufgeschlossenen Mann, dem es gelingt, sich in Italien in die hohen Militärkreise einzuschleusen und sogar ein Freund von Marschall Pietro Badoglio zu werden, der 1943 die Regierung in jenem Teil Italiens übernimmt, in dem das faschistische Regime beseitigt werden kann. Dieser aus Übersee entsandte Spion italienischer Abstammung aus Kalabrien (Bellomo nennt den Namen nicht, aber es handelt sich um Giuseppe Cambareri) bedient sich ebenfalls magischer und spiritistischer Praktiken und gibt sich als Reinkarnation von Cagliostro aus (vgl. S. 256).
Über die freimaurerischen Aktivitäten während des Faschismus schreibt Bellomo: „Die Freimaurerei, die 1925 vom Faschismus überrollt wurde, hatte den Schlag eingesteckt, war geschickt untergetaucht und trug durch geheime, aber mächtige Fäden zu einem nicht geringen Teil zu den Ereignissen bei, die ihrerseits zur Vernichtung des Faschismus führten, der sich unbewußt den Abhang des Stolzes, des Hochmuts, des Despotismus und der unheilbaren, immer schwerwiegenderen Fehler hinuntergestürzt hatte“ (S. 266).
Bellomo erklärt, daß die Freimaurerei die Machtstrukturen des faschistischen Italiens sehr gut infiltrierte: „Sie schlich sich vor allem in die Hofkreise, in die Kabinette der Ministerien, in die Hochfinanz und vor allem in jene sehr heiklen Gremien wie den Generalstab und die Militärstäbe der Teilstreitkräfte ein“ (S. 267).
Im Zuge der Kriegsereignisse von 1943 erscheint die Freimaurerei wieder in verschiedene Gruppen zersplittert, was bis zu einem gewissen Grad die Zersplitterung des Territoriums widerspiegelt, obwohl es Kontakte zwischen verschiedenen freimaurerischen Gruppen gibt. Hier sind einige von ihnen: der Großorient von Italien – Palazzo Giustiniani (GOI); die Großloge von Raoul Vittorio Palermi 33°, Nachfolger von Saverio Fera 33° (Serenissima Gran Loggia Nazionale Italiana di Piazza del Gesù); die Gruppe, die sich Vereinigte Freimaurerei nennt, und eine andere mit dem Namen Zur Regentschaft. Von der Freimaurerei des Großmeisters Palermi trennten sich: 1) die Gruppe Avezzana; 2) die Gruppe der Via della Mercede; 3) die Gruppe De Franchis; 4) die Gruppe des Großmeisters Prof. Labriola, der auch den Vorsitz einer politischen Formation namens Unione Democratica (Demokratische Union) übernahm, die 1940–1943 tätig war, um den Sturz des Faschismus zu beschleunigen. Nach 1949 kam es zur Vereinigung der „Familien“ der AASR-Freimaurer De Franchis, Terzani und Avezzana (vgl. S. 267f).
Zu den Mitbegründern oder ersten Mitgliedern der von Giuseppe Cambareri ins Leben gerufenen „Demokratischen Union“ gehörte der damalige Hauptmann Bino Bellomo. Es fehlt der Beleg, doch war Bellomo wahrscheinlich selbst auch Freimaurer.
1.5 Sympathie für die Freimaurerei der „Piazza del Gesù“
Bellomo erklärt, daß es im Jahr 1908 zu einer Spaltung innerhalb des Großorients von Italien kam, weil dieser stark antiklerikal eingestellt war. Bruder Saverio Fera, ein Freimaurer des Großorients und des 33. Grades des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (AASR, Hochgradfreimaurerei), gründete einen zweiten Obersten Rat (in dem die Freimaurer des 33. Grades des AASR zusammengeschlossen sind), der vom Weltverband der Obersten Räte des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus anerkannt wurde. Bellomo sagt, daß der freimaurerische Antiklerikalismus die italienische Freimaurerei (GOI) selbst dazu veranlaßt hat, ihre rituelle Struktur zu zerstören und immer weniger initiatisch zu sein… Man könnte sagen, daß Bellomo mit Sympathie oder zumindest mit Interesse auf die Freimaurerei von Fera, bekannt als jene der „Piazza del Gesù“, blickte (vgl. S. 233–237). In der Nachkriegszeit, so Bellomo, habe die Freimaurerei der Piazza del Gesù unter der Leitung von Großmeister Raoul Vittorio Palermi „eindeutig alle antikatholischen, antiklerikalen und antivatikanischen Vorurteile überwunden“ (S. 237). Bellomo erklärt, daß Palermi als Freimaurer und versehen mit den Sakramenten starb (vgl. S. 237)… Die Freimaurerei der Piazza del Gesù, so Bellomo, wurde vom Großorient beschuldigt, sich an den Vatikan zu verkaufen… Bellomo stellt die Freimaurerei von Fera-Palermi als pro-katholisch, spiritistisch und antikommunistisch dar, und – so betont Bellomo – diese Freimaurerei (von Palermi) sei eine Strömung, die von anderen Freimaurern nicht unterschätzt werden dürfe, so daß die Jesuiten – immer laut Bellomo – hoffen, daß diese Freimaurerei im Licht des Tages agiert und dann eine Kraft an der Seite der Kirche gegen die Gefahren des Materialismus und des Weltkommunismus sein könne (vgl. S. 238f)…
Zusammen mit dem damals schon berühmten freimaurerfreundlichen Don Rosario Esposito (1921–2007), Priester der Gesellschaft vom hl. Paulus, ruft auch Bino Bellomo zur Versöhnung und Zusammenarbeit zwischen Freimaurerei und Kirche „für den sozialen Fortschritt und die Einheit der Bürger“ auf (vgl. S. 239f)… Ist ein solcher Wunsch Ausdruck von Naivität oder eines freimaurerischen Bewußtseins?
1.6 Kirche und Freimaurerei: vom Kampf zum Frieden und zur Zusammenarbeit (1960ff)?
Zu seiner Zeit (nach dem Zweiten Weltkrieg) behauptet Bellomo, daß die Spannungen und der Konflikt zwischen der Kirche und der Freimaurerei keine Existenzgrundlage mehr hätten, denn, so Bellomo: Die Kirche erhebt keinen Anspruch mehr auf eine weltliche Regierung, die katholischen Parteien regieren auf weltliche Weise, die Welt ist zwischen spirituellen und materialistischen Kräften gespalten (vgl. S. 45f). Bellomo behauptet, daß die spiritistischen Kräfte von der katholischen Kirche angeführt werden und daß auch die Freimaurerei zu den Verfechtern der geistigen Realität gehört… Kurzum, Bellomo glaubt, daß die Zeit für die endgültige Überwindung des alten Gegensatzes zwischen Freimaurerei und Kirche gekommen ist… Die Freimaurerei sollte ihre Konzepte und Vorurteile überprüfen, auf rituelle Traditionen verzichten, die keine Existenzberechtigung mehr haben, auf dunkle Einweihungen usw. (vgl. S. 46). Bellomo bezieht sich insbesondere auf die italienische Freimaurerei, die in verschiedene Gruppen unterteilt ist. In den angelsächsischen Ländern hingegen hat die Freimaurerei keine Berührungspunkte mit der Kirche und – so Bellomo – „arbeitet auf ein gleiches Ziel hin“, nämlich den „Willen, die Welt zu einen“, „und die Vereinigung der praktischen Interessen und der Lebensführung bedeutet in erster Linie die Vereinigung der geistigen Kräfte, des moralischen Willens und der Ideale, die im Klima der tausendjährigen christlichen Zivilisation gepflegt werden müssen“ (S. 47). Eine Rede, die eines Freimaurers würdig ist!
Dann bekräftigt Bellomo, daß nach 70 Jahren seit der letzten antifreimaurerischen Exkommunikation durch den Papst (Bellomo bezieht sich auf Humanum genus von 1884 und/oder auf Custodes fidei von 1892) die Kirche ihre Haltung geändert habe: Sie bestehe nicht mehr auf den alten Schemata gegen die Freimaurerei, die Kirche passe sich dem neuen Kurs der Geschichte an, und auch die Freimaurerei scheine sich den neuen Erfordernissen der Geschichte anzupassen, vor allem angesichts der Gefahren, die alle Religionen bedrohen (vgl. S. 47)…
Bellomo hofft auf gute Beziehungen zwischen Freimaurerei und Kirche zur Rettung der Zivilisation und der Menschheit vor den gemeinsamen Gefahren der Kriege und des Materialismus: „Die Voraussetzungen für ein besseres gegenseitiges Verständnis sind also gegeben. Voraussetzungen, die über die unbedeutenden politischen Geschehnisse des Augenblicks hinausgehen. Die ideale Immanenz angesichts der drohenden gemeinsamen Gefahr muß schicksalshaft alle Menschen und alle Glaubensrichtungen in einer gemeinsamen Anstrengung für die Rettung der Zivilisation zuerst, für eine bessere Zukunft des Menschengeschlechts dann vereinen“ (S. 47f).
Wie seltsam. Bei allem, was Bellomo in diesem Buch über die Freimaurerei schreibt, insbesondere über die Hochgrade, die „weiße“ Freimaurerei, innerhalb derer ja auch die „palladische“ Freimaurerei wäre, ist der Wunsch nach einer versöhnlichen Zusammenarbeit zwischen Kirche und Freimaurerei widersprüchlich, utopisch, illusorisch und ein verräterisches Zeichen zumindest für eine schleichende Sympathie und Allianz Bellomos mit der Freimaurerei oder noch realistischer für die Zugehörigkeit Bellomos zur Freimaurerei.
Indem er sich auch auf die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII. stützt, bemüht sich Bellomo (1960) zu unterstreichen, daß die Freimaurerei keine Gefahr mehr für die heutige Kirche darstellt, sondern daß die Gefahr allein vom Materialismus ausgeht, weshalb die Kirche und die Freimaurerei eine gemeinsame Front gegen ihn bilden sollten… Bellomo erklärt, daß auch die Freimaurerei die Existenz des Geistes bejaht – auch wenn sie sich in trügerischen Suggestionen, nämlich dem Okkulten, wiegt (vgl. S. 241)…
Dann behauptet Bellomo: Sollte eine Übereinkunft auf religiöser Ebene zwischen der Kirche und der Freimaurerei unmöglich sein, könnte sie stattdessen auf sozialer Ebene machbar und fruchtbar sein… Und doch macht Bellomo selbst deutlich, daß die hohen Sphären der Freimaurer den Katholizismus hassen, weshalb der Vorschlag eines solchen Bündnisses mit der Freimaurerei zumindest naiv, wenn nicht geradezu mystifizierend und irreführend erscheint. Vergessen wir nicht, daß Bellomo ein ehemaliger Offizier des militärischen Geheimdienstes ist, möglicherweise ein Freimaurer, zumindest aber mit freimaurerischen Sympathien wie Giuseppe Cambareri…
Bellomo schreibt: „Wenn also auf religiöser Ebene eine Verständigung zwischen der Freimaurerei und der Kirche unmöglich ist (was auf der Hand liegt, da die katholische Kirche per definitionem den absoluten Vorrang der göttlichen Wahrheit besitzt und ihn offensichtlich nicht abtreten oder mit anderen teilen kann), so gibt es auf politischer und sozialer Ebene durchaus Möglichkeiten der Koexistenz und sogar der Einigung, vorausgesetzt natürlich, daß die Freimaurerei zunächst auf jenes ‚Geheimnis‘ verzichtet, das sie verdächtig und undurchsichtig macht. Nach diesem Verzicht gibt es für sie viele Gründe, zu leben und zu gedeihen. Gegenseitige Hilfe, Wohltätigkeit, Kultur, die Verbreitung universalistischer Ideen. In diesem letzten Bereich kann die Freimaurerei in der Tat auf gute Traditionen zurückblicken; man spricht heute salopp von den ‚Vereinigten Staaten von Europa‘, aber man darf nicht übersehen, daß die Freimaurer im vergangenen Jahrhundert zu den Hauptbefürwortern dieser kontinentalen Föderation gehörten (E. R. 227). Und im gegenwärtigen Jahrhundert, fügen wir hinzu, war einer der berühmtesten Führer der Christdemokraten, Alcide de Gasperi, ein aufrichtiger und aktiver Befürworter eines solchen Zusammenschlusses; und mit ihm viele andere bedeutende Männer von hoher Kultur und religiösem Glauben, die heute wichtige Positionen im politischen Leben einnehmen“ (S. 242f).
[Das von Bellomo als E.R. 227 zitierte Werk ist das Buch von Don Rosario Esposito, „La Massoneria e l’Italia dal 1800 ai nostri giorni“, Rom 1956 (vgl. Bellomo, a. a. O., S. 337)].
(Fortsetzung folgt.)
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. Durch seine Veröffentlichungen bringt er den Nachweis, daß die Freimaurerei von Anfang an bis heute esoterische und gnostische Elemente enthielt, die ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
1 vgl. Gianni Ferraro: Enciclopedia dello spionaggio nella Seconda guerra mondiale (Enzyklopädie der Spionage im Zweiten Weltkrieg), Sandro Teti Editore, Roma 2010, art. Cambareri Giuseppe, S. 122 (121–123)
2 vgl. Ferraro, op. cit., S. 122
3 vgl. ebd., Bellomo Bino, S. 75
4 ebd., Art. SIM, S. 633
5 vgl. Mario Isnenghi: Le guerre degli Italiani: parole, immagini e ricordi 1848–1945 (Die Kriege der Italiener: Worte, Bilder und Erinnerungen 1848–1945), Arnaldo Mondadori Editore, (Mailand) 1999, S. 285
6 E. Bonvicini: L’esoterismo massonico (Die freimaurerische Esoterik), im Sammelband: La Libera Muratoria (Die Freimaurerei), herausgegeben von Claudio Castellacci, Vorwort von Giordano Gamberini, SugarCo Edizioni, Mailand 1978, S. 205–206 (203–243)
7 vgl. Bellomo, op. cit., S. 259
8 vgl. Bellomo, a.a.O., S. 256