Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, korrigiert Kardinal Gerhard Müller, der ehemalige Präfekt der römischen Kongregation für die Glaubenslehre, Aussagen seines erst kürzlich neuernannten Nachfolgers Kardinal Victor Manuel Fernández. Der Argentinier Fernández ist im Kreis der engen Papstvertrauten der engste Vertraute von Franziskus. Er steht erst seit wenigen Wochen an der Spitze der in Glaubensdikasterium umbenannten Glaubenskongregation. Der erste Widerspruch Müllers erfolgte wegen der unzulänglichen Antworten von Fernández an Kardinal Duka, den emeritierten Erzbischof von Prag, wegen dessen Dubia zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia. Der zweite Widerspruch erfolgte nun, wegen der Antworten von Fernández an den brasilianischen Bischof José Negri zur Frage, ob LGBT-Personen Tauf- und Firmpaten oder Trauzeugen sein dürfen.
In beiden Fällen übernimmt Kardinal Müller die Aufgabe des Glaubenspräfekten, die Glaubens- und Morallehre zu verteidigen und die Brüder im Glauben zu stärken. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die aktuelle Situation in der Kirche, daß ein ehemaliger Glaubenspräfekt den derzeitigen Glaubenspräfekten korrigieren und zurechtweisen muß.
Kardinal Müller sah sich zum Handeln genötigt, weil der Vatikan mit dem neuen Fernández-Dokument die Türen dafür öffnet, daß Transsexuelle und Homosexuelle Taufpaten und Trauzeugen sein dürfen. Zu kontroversen Fragen, die dem Lehramt und dem Katechismus offen widersprechen, überläßt der Vatikan die Entscheidung der freien „pastoralen“ Auslegung.
Auch das neue Fernández-Dokument, so Kritiker, trage nicht zur dringend notwendigen Klärung bei, sondern führt zu noch mehr Verwirrung und Verunsicherung. Kardinal Müller sorgt mit einem Schreiben für jene Klärung, für die eigentlich Rom zu sorgen hätte:
Erklärung zu den Antworten des Glaubensdikasteriums auf die Fragen von Bischof Negri
Von Kardinal Gerhard Müller
Die Aufgabe des römischen Lehramtes, sei es durch den Papst selbst oder durch das Dikasterium für die Glaubenslehre, ist es, die Wahrheit der göttlichen Offenbarung getreu zu bewahren. Es ist von Christus eingesetzt und wirkt im Heiligen Geist, um die katholischen Gläubigen vor allen Irrlehren, die das Heil gefährden, und vor jeder Verwirrung in Fragen der Lehre und des sittlichen Lebens zu schützen (vgl. Vaticanum II, Lumen Gentium 18,23).
Die Antworten des Dikasteriums auf mehrere Fragen eines brasilianischen Bischofs (3. November 2023) erinnern einerseits an bekannte Glaubenswahrheiten, öffnen andererseits aber auch dem Mißverständnis Tür und Tor, daß es in der Kirche Gottes Raum für die Koexistenz von Sünde und Gnade gibt.
Die Taufe ist die Tür zu einem neuen Leben in Christus.
Der Sohn Gottes, unser Erlöser und Haupt der Kirche, die sein Leib ist, hat das Sakrament der Taufe eingesetzt, damit alle Menschen durch den Glauben an Christus und ein Leben in seiner Nachfolge das ewige Leben erlangen können. Gottes bedingungslose Liebe befreit den Menschen von der tödlichen Herrschaft der Sünde, die ihn in Ungnade stürzt und von Gott, der Quelle des Lebens, trennt.
Gottes universaler Heilswille (1 Tim 2,4ff) besagt nicht, daß es ausreicht, mit den Lippen Jesus als unseren Herrn zu bekennen, um in das Reich Gottes einzugehen, während wir uns auf die menschliche Schwäche verlassen, um die Erfüllung unserer Verheißung zu verhindern. Dies muss durch den heiligen und heiligenden Willen Gottes geschehen (vgl. Mt 7,21–23).
Die einfache Metapher „die Kirche ist kein Zollhaus“, die besagen soll, daß der Charakter Christi nicht bürokratisch am Buchstaben des Gesetzes gemessen werden kann, hat ihre Grenzen, wenn es um die Gnade geht, die uns zu einem neuen Leben jenseits der Sünde und des Todes führt. Der Apostel Paulus sagt, daß wir alle, bevor wir zum Glauben an Christus kamen, „Sklaven der Sünde“ waren. Aber jetzt, durch die Taufe auf den Namen Christi, des Sohnes Gottes, und die Salbung mit dem Heiligen Geist sind wir „von Herzen der Lehre gehorsam geworden, an die ihr übergeben wurdet“. Es ist nicht so, daß wir sündigen dürfen, weil wir der Gnade unterworfen sind und nicht mehr dem Gesetz: Wir dürfen nicht mehr sündigen, weil wir der Gnade unterworfen sind. „Daher soll die Sünde euren sterblichen Leib nicht mehr beherrschen, und seinen Begierden sollt ihr nicht gehorchen (…) [als Menschen, die vom Tod zum Leben gekommen sind. Stellt eure Glieder nicht der Sünde zur Verfügung als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern stellt euch Gott zur Verfügung als Menschen, die vom Tod zum Leben gekommen sind, und stellt eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit in den Dienst Gottes. Die Sünde soll nicht über euch herrschen; denn ihr steht nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Heißt das nun, dass wir sündigen dürfen, weil wir nicht unter dem Gesetz stehen, sondern unter der Gnade? Keineswegs!]“ (Römer 6,12ff).
In der ältesten Kirchenordnung, die in Rom (um 200 n. Chr.) verfaßt wurde, sind die Kriterien für die Zulassung oder Verweigerung (oder auch nur für den Aufschub) des Katechumenats und des Empfangs der Taufe festgelegt und sie verlangen, daß auf alle zweifelhaften Berufe, ungesetzlichen Vereinigungen und unmoralischen Verhaltensweisen, die dem Gnadenleben der Taufe widersprechen, verzichtet werden muß (Traditio Apostolica 15–16).
Der heilige Thomas von Aquin, der in den Antworten des Dikasteriums lobenswerterweise zitiert wird, gibt eine nuancierte zweifache Antwort auf die Frage, ob Sünder getauft werden können:
1) Sicherlich können diejenigen Sünder getauft werden, die in der Vergangenheit persönlich gesündigt haben und unter der Macht der „Sünde Adams“ (d. h. der Erbsünde) standen. Denn die Taufe wird zur Vergebung der Sünden eingesetzt, die Christus durch seinen Tod am Kreuz für uns erworben hat.
2) Nicht getauft werden können jedoch diejenigen, „die Sünder sind, weil sie mit der Absicht zur Taufe kommen, weiter zu sündigen“ und sich damit dem heiligen Willen Gottes widersetzen. Dies gilt nicht nur wegen des inneren Widerspruchs zwischen der Gnade Gottes uns gegenüber und unserer Sünde gegen Gott, sondern auch wegen des äußeren falschen Zeugnisses, das die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung untergräbt, denn die Sakramente sind Zeichen der Gnade, die sie vermitteln (vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae III q.III Quaestio 68, Artikel 4).
In der Falle der transhumanistischen Terminologie
Es ist verwirrend und schädlich, daß sich das Lehramt auf die Terminologie einer nihilistischen und atheistischen Anthropologie einläßt und damit deren falschen Inhalten den Status einer legitimen theologischen Meinung in der Kirche zu geben scheint. „Habt ihr nicht gelesen“, sagt Jesus zu den Pharisäern, „die ihm eine Falle stellen wollen, daß der Schöpfer im Anfang Mann und Frau geschaffen hat“ (Mt 19,4).
In Wahrheit gibt es weder in der Ordnung der kreatürlichen Natur noch in der Gnade des Neuen Bundes in Christus transsexuelle oder homophile (homo-affektive oder homosexuelle) Menschen. In der Logik des Schöpfers des Menschen und der Welt reichen zwei Geschlechter aus, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern und den Kindern ein Gedeihen in der Familiengemeinschaft mit Vater und Mutter zu ermöglichen.
„Person“ ist, wie jeder Philosoph und Theologe weiß, der Mensch in seiner geistigen und sittlichen Individualität, die ihn unmittelbar zu Gott, seinem Schöpfer und Erlöser, in Beziehung setzt. Jeder Mensch existiert jedoch in seiner geistig-körperlichen Natur und spezifisch als Mann oder Frau durch den Schöpfungsakt, in dem Gott ihn oder sie (und in der gegenseitigen Beziehung in der Ehe) in seinem Gleichnis seiner ewigen dreifaltigen Güte und Liebe geschaffen hat. Und genau so, wie er erschaffen wurde, wird Gott jeden Menschen in seinem männlichen oder weiblichen Körper auferstehen lassen, ohne sich von denen irritieren zu lassen, die andere Menschen (für viel Geld) genital verstümmelt haben oder die, verwirrt durch falsche Propaganda, vorsätzlich über ihre männliche oder weibliche Identität getäuscht wurden.
Der Transhumanismus in all seinen Varianten ist eine teuflische Fiktion und eine Sünde gegen die persönliche Würde des Menschen, auch wenn er in Form des Transsexualismus mit Begriffen wie „selbstbestimmte Geschlechtsumwandlung“ überspielt wird. Für Lehre und Praxis legt die römische Kirche klar fest: „Die Prostituierte, der Hurer, der Verstümmler und jeder, der etwas tut, was nicht gesagt ist [1 Kor 6,6–20], wird [vom Katechumenat und der Taufe] ausgeschlossen“ (Traditio Apostolica 16).
Die „gesunde Lehre“ (1 Tim 4,3) ist ein gesundes pastorales Motiv
Das seelsorgerliche Motiv, Sünder, die gegen das sechste und neunte Gebot des Dekalogs verstoßen, mit möglichst viel „Sanftmut und Verständnis“ zu behandeln, ist nur dann lobenswert, wenn der Seelsorger nicht wie ein schlechter Arzt seinen Patienten über die Schwere seiner Krankheit täuscht, sondern wenn der gute Hirte „sich mehr mit dem Himmel freut über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die [wegen falscher Selbsteinschätzung] nicht umzukehren brauchen“ (Lk 15,6). Auch hier muß ein grundlegender Unterschied gemacht werden zwischen dem (einmaligen) Sakrament der Taufe, das alle früheren Sünden auslöscht und uns den dauerhaften Charakter der Eingliederung in den Leib Christi verleiht, und dem (wiederholbaren) Sakrament der Buße, durch das uns die nach der Taufe begangenen Sünden vergeben werden.
In Übereinstimmung mit der Sorge der Kirche um das Heil ist es immer richtig, daß ein Kind getauft werden kann und soll, dessen katholische Erziehung von den Verantwortlichen, insbesondere durch ein vorbildliches Leben, gewährleistet werden kann.
Die Kirche kann jedoch keinen Zweifel an dem natürlichen Recht des Kindes lassen, bei seinen leiblichen Eltern oder notfalls bei seinen Adoptiveltern aufzuwachsen, die moralisch und rechtmäßig deren Platz einnehmen. Jede Form der Leihmutterschaft oder der Produktion eines Kindes in einem Labor (als Ding) zur Befriedigung selbstsüchtiger Wünsche ist aus katholischer Sicht eine schwere Verletzung der persönlichen Würde eines Menschen, den Gott durch seine eigene Mutter und seinen eigenen Vater körperlich und geistig ins Dasein erschafft, um ihn rufen, ein Kind Gottes im ewigen Leben zu sein.
Warum Gott die Kirche nur durch den rechten Glauben baut
Im Zusammenhang mit der Synode über die Synodalität wurde oft die biblische Formulierung verwendet: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2,11). Gemeint ist im letzten Buch der Heiligen Schrift die „Treue zum Wort Gottes und zum Zeugnis von Jesus Christus“ (Offb 1,2). Der Verfasser der Traditio Apostolica von Rom der Apostel Petrus und Paulus ist davon überzeugt, daß „die Erbauung der Kirche durch die Annahme des rechten Glaubens erreicht wird“.
Er schließt sein Werk mit den bedenkenswerten Worten: „Denn wenn jeder auf die apostolische Überlieferung hört, ihr folgt und sie beachtet, wird uns kein Häretiker oder sonst jemand in die Irre führen können. Denn die vielen Häresien sind entstanden, weil die Vorsteher [Bischöfe] sich nicht nach der Lehre der Apostel belehren lassen wollten, sondern nach eigenem Gutdünken handelten und nicht, wie es zweckmäßig war. Wenn wir etwas vergessen haben, Geliebte, wird Gott es denen offenbaren, die würdig sind. Denn er leitet die Kirche, damit sie in die Zuflucht seiner Ruhe gelangt“ (Traditio Apostolica 43).
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Vatican.va (Screenshot)