Die Ernennung von Msgr. Victor Manuel Fernández zum neuen Präfekten des römischen Glaubensdikasteriums, die große Besorgnis und Empörung auslöste, wird von einer Medienstrategie begleitet, um der Kritik entgegenzuwirken. Fernández räumt dabei den sozialen Netzwerken den Vorrang ein, flankiert diese aber auch durch Interviews mit wohlgesonnenen Medien ‒ derzeit nur auf spanisch. Zu den wohlgesinnten Medien gehören, wie sich bisher zeigt, auch der Großteil des Mainstreams, der reflexartig einem als „liberal“ identifizierten Prälaten unterstützend unter die Arme greift. Papst Franziskus besitze eine besondere „Magie“ der Kommunikation. In Zuschriften von Freunden nach seiner Ernennung werde er vor allem gebeten, „nie aufzuhören, ich selbst zu sein“. Vor allem wolle er die „Inquisition“ beenden, damit nie mehr „gefoltert und hingerichtet“ werde.
Von den wohlwollenden Medien im kirchlichen Bereich wie National Catholic Reporter, America, Religion News Service hat der künftige Glaubenspräfekt keine kritischen Fragen zu befürchten. Heute veröffentlichte die spanische Tageszeitung ABC ein solches Interview, das Einblick in das Denken des Papst-Protegés bietet, weshalb es vollinhaltlich und unkommentiert wiedergegeben wird.
Frage: Einige Kritiker haben Ihre Bücher durchforstet, aber keine Häresie gefunden. Dennoch weisen sie auf die „Gefahr“ hin, daß Sie die Lehre ändern. Was ist Ihr Vorhaben?
Msgr. Fernández: Es ist wichtig klarzustellen, daß sich die christliche Lehre nicht ändert, denn sie ist die Fülle Gottes, aus der alles hervorgeht, und das kann nicht besser sein. Aber wir sind sehr begrenzt und unendlich weit davon entfernt, alles zu verstehen. Die Kirche wächst und reift also in ihrem Verständnis dieser Lehre und bringt sie daher auf neue Weise zum Ausdruck. Der heilige Thomas sagte, daß der Wille Gottes „umso verworrener wird, je mehr man in die Einzelheiten hineingeht“. In den Einzelheiten, wo das Leben der Menschen auf dem Spiel steht, ist es schwierig, Lehren wie Betonklötze aufzuzwingen. Diese meine Überzeugung wird dem Dikasterium wahrscheinlich eine andere Farbe geben, aber das ist unvermeidlich, wenn man bedenkt, daß ich der erste Lateinamerikaner in dieser Position bin.
Frage: Der Papst hat Ihre Ernennung mit einem Brief begleitet, in dem er Sie auffordert, sich von den „unmoralischen Methoden anderer Epochen“ zu lösen. Worauf könnte er sich beziehen, abgesehen von der Folterung von Personen, gegen die ermittelt wurde, und der Verbrennung von Menschen bei lebendigem Leib auf öffentlichen Plätzen?
Msgr. Fernández: Der Brief des Papstes ist ein Schatz. Viele Menschen haben mir gesagt, daß er einen Wendepunkt darstellt, auch jüdische und protestantische Freunde. Die Wirkung, die er hatte, ist beeindruckend, für mich ist er mehr als ein Brief, er ist ein Licht für die Kirche. Aber in diesem Punkt, nach dem Sie mich fragen, gibt es keine große Neuigkeit. Erinnern wir uns daran, daß der heilige Johannes Paul II. um Vergebung für die Exzesse der Inquisition gebeten hat, obwohl er wußte, daß andere Tribunale in der Gesellschaft und in anderen christlichen Konfessionen noch viel grausamer gewesen waren. Was passiert, das ist, daß Franziskus die Magie besitzt, Dinge so zu sagen, daß sie klingen, als wären sie neu. Aber er sagt dies nicht als Historiker, sondern um vor „analogen“ Formen der Wahrheitsfindung in der heutigen Welt zu warnen. Heute foltert und tötet das Dikasterium nicht, aber anstatt zum Nachdenken, zum Dialog, zur Suche nach Synthesen und Berührungspunkten anzuregen, kann es einen Menschen frustrieren, ihn respektlos behandeln, ihn mißhandeln. Das ist ein Weckruf für mich.
Frage: Aber wenn der Präfekt jetzt nicht verurteilt oder korrigiert, was werden Sie dann in Rom tun? Wie werden Sie jetzt mit möglichen „Lehrfehlern“ umgehen, die in der Vergangenheit durch Prozesse geahndet wurden?
Msgr. Fernández: Man könnte sagen, daß ich versuchen sollte, nicht zu verurteilen oder zu bestrafen. Mein Vorgänger, Kardinal Ladaria, hat das auch nicht getan. Aber ich kann zu einem Gespräch aufrufen, auf etwas aufmerksam machen, um Klärung bitten, einem Prozeß der Vertiefung von etwas, das nicht klar ist, folgen. Obwohl mir der Papst in seinem Brief klargemacht hat, daß nicht nur das allein meine Aufgabe ist. Er wies mich darauf hin, daß das Dikasterium dazu da ist, „die Intelligenz“ des Glaubens zu erhöhen, „in der Auslegung des Wortes und im Verständnis der Wahrheit zu wachsen“, und er weihte mich in ein Geheimnis ein: daß der beste Weg, sich um die Lehre zu kümmern, darin besteht, in ihrem Verständnis zu wachsen, anstatt Kontrollmechanismen anzuwenden. All dies erfordert Überlegungen zur Konkretisierung, zur Festlegung der geeigneten Kanäle, aber ich muß das mit dem Dikasterium besprechen.
Frage: Was wird mit den Mißbrauchsfällen geschehen?
Msgr. Fernández: Im Brief des Papstes und auch in mehreren privaten Gesprächen, die wir geführt haben, habe ich festgestellt, daß er sich darüber im klaren ist, daß ich kein Kanonist oder Spezialist in diesen Fragen bin und daß ich, wenn ich mich diesen Fragen widme, niemals in der Lage sein werde, das zu erfüllen, was er von mir verlangt. Deshalb sind wir übereingekommen, daß ich auf die Arbeit der Disziplinarabteilung vertrauen sollte, die über sehr gute Fachleute verfügt, die ihre Sache gut machen, und daß ich sie autonom arbeiten lassen sollte, ähnlich wie es mit der Kommission für den Schutz von Minderjährigen geschieht, die Kardinal O’Malley untersteht und in die der Präfekt nur wenig eingreift.
Frage: Der Papst fordert größere Anstrengungen, um sicherzustellen, daß die von Ihnen behandelten Themen den Fragen entsprechen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist. Welche Fragen stellt die Gesellschaft Ihrer Meinung nach an die Kirche?
Msgr. Fernández: Es sind unzählige, und sie erfordern einen guten Dialog mit allen Wissenschaften. Aber ich habe zwei Punkt zu meinen Gunsten: Zum einen war ich Rektor einer Universität, an der ich diesen Dialog führen und Wirtschaft, Pädagogik, Biologie usw. lernen konnte. Zum anderen war ich Mitglied des Kulturrates im Vatikan, wo unter der Leitung von Kardinal Ravasi Themen wie Künstliche Intelligenz, Robotik und viele andere, die uns zunehmend herausfordern, auf sehr hohem Niveau diskutiert wurden. Aber als Lateinamerikaner kann ich es nicht vermeiden, die sozialen Fragen einzubeziehen, die das Leben der Ausgestoßenen der Gesellschaft am meisten betreffen.
Frage: Der Papst wollte, daß Ihre lange Zeit als Pfarrer in Ihrem Lebenslauf erscheint.
Msgr. Fernández: Ich habe mich gefreut, daß Franziskus dieses Detail erwähnt hat, das nicht unwichtig ist. Auf den ersten Blick scheint es im Lebenslauf eines Präfekten für die Glaubenslehre irrelevant zu sein, aber das ist es nicht. Meine Theologie hat sich dank meiner Zeit in dieser Gemeinde an den Rändern verändert, vertieft und sehr bereichert.
Frage: Warum sind Sie Priester geworden?
Msgr. Fernández: Sehen Sie, als Jugendlicher wollte ich Dichter werden und als Lehrer auf dem Land Gutes tun, dort, wo niemand hingehen will, um bei den Vergessenen der Welt zu sein. Aber ich habe entdeckt, daß man im Priesteramt beides miteinander verbinden kann. Lesen Sie die eucharistischen Gedichte von Ernestina de Champourcin oder José María Pemán und sagen Sie mir, ob das nicht eine sehr hohe Poesie ist. Schauen Sie sich an, wie der Pfarrer eines Armenviertels seine Leute versteht, und Sie werden sehen, daß er auf seine Weise der Landschullehrer ist, von dem ich geträumt habe.
Frage: Was reizt Sie am meisten am christlichen Ansatz?
Msgr. Fernández: Daß er seinen lebendigen Mittelpunkt in der Liebe hat: der unendlichen Liebe Gottes und der brüderlichen Liebe, die das einzige ist, was uns wirklich heilig macht.
Frage: Welcher Ratschlag, den Sie in diesen Tagen für Ihre neue Etappe erhalten haben, hat Ihnen am meisten geholfen?
Msgr. Fernández: Wenn Sie auf meine Facebook-Seite gehen und die Nachrichten lesen, die mir die Leute schreiben, werden Sie sehen, daß die große Mehrheit mich bittet, nie aufzuhören, ich selbst zu sein, das Gute, das sie in mir erkannt haben, nicht zu verlieren, daß ich trotz allem, was andere sagen, meinen Kopf erheben und dem treu bleiben soll, was Gott mir gegeben hat.
Frage: Haben Sie mit Ihren Vorgängern gesprochen?
Msgr. Fernández: Ich habe vor einigen Tagen in Rom mit Kardinal Ladaria gesprochen, der mich über verschiedene Details des Dikasteriums informiert hat. Später werde ich auch Kardinal Müller bitten, ein Gespräch mit mir zu führen.
Frage: Was schätzen Sie an Ihrem Vorgänger Joseph Ratzinger besonders?
Msgr. Fernández: Seine feine Güte und die Schönheit seiner theologischen Darlegungen. Franziskus hat andere Fähigkeiten in der Darstellung, die wir ebenfalls schätzen. Es ist ein Geniestreich des Heiligen Geistes, daß er uns beide gegeben hat.
Frage: Die meiste Kritik an Ihrer Ernennung kommt aus konservativen Kreisen. Betrachten Sie sich selbst als konservativ oder liberal?
Msgr. Fernández: Sehen Sie, ich bin keines von beiden, obwohl ich auch kein „Extremist der Mitte“ sein möchte. Ich bin zum Beispiel strikt gegen Abtreibung, ich war auf der Titelseite der Zeitungen Clarín und La Nación, weil ich dem argentinischen Präsidenten vorgeworfen habe, das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch zu unterstützen, und ich glaube nicht, daß jemand in Lateinamerika mehr Artikel zu diesem Thema geschrieben hat als ich. Andererseits bin ich mit einem ausgeprägten sozialen Sinn aufgewachsen, ich liebe es, mich in die Soziallehre der Kirche zu vertiefen, und gleichzeitig nehme ich die väterliche Aufforderung des Papstes an, sehr aufmerksam auf die Konditionierung der Menschen zu achten und sie nicht mit unseren lapidaren Urteilen leiden zu lassen.
Frage: Eine Mischung aus beidem.
Msgr. Fernández: Wie würden Sie diese Mischung nennen? Ohne Eitelkeit nenne ich sie ‚evangelische Kohärenz‘, denn sie ist Liebe zum Menschen, sie ist Verteidigung des Lebens unter allen Umständen, sowohl des ungeborenen Kindes als auch derjenigen, die im Elend und in der Verlassenheit der Gesellschaft aufwachsen. Und gleichzeitig ist es die Zärtlichkeit eines Bruders zu verstehen, daß im konkreten Drama eines Menschen manchmal alle Schemata brechen. Aber das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich sowohl von rechts als auch von links angegriffen werde.
Frage: Glauben Sie, daß es in der Kirche viele gibt, die der Versuchung erliegen, den Glauben zu polarisieren, ihn zu ideologisieren und ihn in einen Parteikampf zu verwandeln?
Msgr. Fernández: Das ist eine zunehmende Versuchung. In Wirklichkeit ist es eine naive Ansteckung mit der Polarisierung, die in der Gesellschaft herrscht. Christus hat uns gesagt, daß wir in der Welt sein müssen ‒ in der Tiefe ‒, aber ohne von der Welt zu sein, das heißt, ohne in die Zerbrechlichkeit, den Fanatismus und die Gewalt der Welt zu verfallen. Wir müssen mehr „sein“ und etwas anderes zeigen, aber wir infizieren uns und verlieren die Frische des Evangeliums, wir zeigen nicht etwas wirklich Überwindendes. Der Glaube ist polarisiert gleich wie die Gesellschaft.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: ABC (Screenshot)
Ich fürchte mich schon vor seinem reiferen Verständnis der Lehre und habe Angst davor, daß die andere Farbe des Dikasteriums und die erhöhte Intelligenz des Glaubens (was bitte ist das?) zur Leere führt.
Es gibt noch mehr Veränderungen in Rom, bitte beachten, was Kardinal Czech gerade zu seinem Thema macht.
Entschuldigung, es muss Kardinal Czerny heißen