Von der Loge zur Gesellschaft: Der Triumph der freimaurerischen Mentalität

Tiara und Loge


Tiara und Loge, die unvereinbaren Gegensätze.
Tiara und Loge, die unvereinbaren Gegensätze.

Am 24. Juni 1717, dem Fest des Hei­li­gen Johan­nes des Täu­fers, wur­de in Lon­don die Groß­lo­ge von Eng­land, Mut­ter aller regu­lä­ren Logen, gegrün­det. Inter­es­san­ter­wei­se wur­de, um die Gegen­kir­che schlecht­hin zu grün­den, der Jah­res­tag eines der größ­ten Hei­li­gen der katho­li­schen Kir­che gewählt. Das ist eine von vie­len Unter­wan­de­run­gen, die seit­her statt­ge­fun­den haben, indem die Frei­mau­re­rei tief in die Gesell­schaft und ihr Den­ken ein­ge­drun­gen ist.

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Die Umstül­pung und Instru­men­ta­li­sie­rung christ­li­cher Namen, Sym­bo­le und Aus­drücke haben dazu bei­getra­gen, daß die Frei­mau­re­rei zu einem jener histo­ri­schen und sozia­len Phä­no­me­ne gewor­den ist, die beson­ders kom­plex zu ana­ly­sie­ren und zu stu­die­ren sind, und zwar einer­seits durch die stren­ge Geheim­hal­tung, zu der die Frei­mau­rer ver­pflich­tet sind, eine Geheim­hal­tung, die es jenen, die nicht zu den Logen gehö­ren, erschwert, die Archi­ve der Logen frei zu benüt­zen; zum ande­ren auf das Über­maß an fal­schen und wider­sprüch­li­chen Infor­ma­tio­nen, die nicht nur im Inter­net, son­dern oft auch in der Geschichts­schrei­bung (sowohl der frei­mau­re­ri­schen als auch der nicht­frei­mau­re­ri­schen oder gar frei­mau­rer­feind­li­chen) kur­sie­ren, Infor­ma­tio­nen, die mehr von ideo­lo­gi­schen Ent­schei­dun­gen und Vor­ur­tei­len als von der objek­ti­ven Wahr­heit der Fak­ten gelei­tet sind.

Den­noch ist eine genaue Ana­ly­se so not­wen­dig wie eh und je, auch heu­te noch, denn das Ver­ständ­nis des frei­mau­re­ri­schen Kul­tur­er­bes hilft, die Moder­ne und die zeit­ge­nös­si­sche Lage bes­ser zu ver­ste­hen. Man könn­te die Zeit von 1717 bis 1945 als die Zeit des „frei­mau­re­ri­schen Tri­umphs“ bezeich­nen, eine Zeit, in der die Logen tat­säch­lich eine wich­ti­ge Rol­le bei der Gestal­tung phi­lo­so­phi­scher, poli­ti­scher, wirt­schaft­li­cher und spi­ri­tu­el­ler Denk­wei­sen gespielt haben. Heu­te könn­te man eher von einer „nach­frei­mau­re­ri­schen Peri­ode“ spre­chen, denn die frei­mau­re­ri­sche Men­ta­li­tät – die letzt­lich im gno­sti­schen Den­ken ver­wur­zelt ist – ist inzwi­schen so tief in das all­ge­mei­ne Emp­fin­den und Den­ken ein­ge­drun­gen, daß die Frei­mau­re­rei selbst kaum noch eine Daseins­be­rech­ti­gung zu haben scheint: Die mei­sten Men­schen den­ken heu­te in gno­sti­schen und nicht mehr in katho­li­schen Kate­go­rien, und das ganz ohne in die Logen ein­ge­weiht wor­den zu sein oder wer­den zu müssen.

Der Pro­zeß die­ser all­mäh­li­chen „kol­lek­ti­ven Initia­ti­on“ ver­lief im Lau­fe der Jahr­hun­der­te lang­sam, kom­plex und kom­pli­ziert, oft sehr schwer vor­her­seh­bar, und begann eigent­lich schon lan­ge vor der Grün­dung der ersten Lon­do­ner Groß­lo­ge im frü­hen 18. Jahrhundert. 

Die soge­nann­te „spe­ku­la­ti­ve“ Frei­mau­re­rei hat­te eigent­lich kei­ne eige­ne Iden­ti­tät: Sie ent­stand aus dem Bedürf­nis her­aus, ein Sam­mel­becken für all jene kul­tu­rel­len und gei­sti­gen Tra­di­tio­nen zu schaf­fen, die sich im mit­tel­al­ter­li­chen katho­li­schen Euro­pa und im bereits stark gespal­te­nen moder­nen Euro­pa im Unter­grund ver­fan­gen hat­ten. Kab­ba­lis­mus, Kathar­er­tum, Her­me­tik, Alche­mie, Rosen­kreu­zer­tum: alles ver­schie­de­ne Ablei­tun­gen des­sel­ben phi­lo­so­phisch-theo­lo­gi­schen Gedan­kens, der so alt ist wie das Chri­sten­tum selbst und sogar noch älte­re Wur­zeln hat: der Gno­sti­zis­mus, wie erwähnt.

Der Gno­sti­zis­mus wird als mög­li­che Ant­wort auf eine der grund­le­gen­den Fra­gen des Men­schen gese­hen, die die mensch­li­che See­le sicher­lich am mei­sten beschäf­tigt: Was muß man tun, um das Heil zu erlan­gen? Was kann der Mensch ange­sichts der Ver­gäng­lich­keit des Lebens, der Unwis­sen­heit und der Gren­zen des Daseins tun, um sich zu ret­ten? Der Katho­lik glaubt, daß die­se Ver­gäng­lich­keit eine Fol­ge der Erb­sün­de ist und daß das Heil aus dem Fest­hal­ten an den von Gott geof­fen­bar­ten Wahr­hei­ten (dem Glau­ben) und dem Leben in der Gna­de erwächst, das durch die Sakra­men­te und die Wer­ke der Gerech­tig­keit bekräf­tigt wird. Der Gno­sti­ker hin­ge­gen ist der Ansicht, daß die mensch­li­chen Gren­zen eine direk­te Fol­ge der Mate­rie sind, die daher als inhä­rent böse ange­se­hen wird. Der Dua­lis­mus zwi­schen Geist und Mate­rie spie­gelt den Dua­lis­mus zwi­schen Gut und Böse wider, wobei letz­te­res nicht mehr als die augu­sti­ni­sche pri­va­tio boni, son­dern als ein Abso­lu­tes zu ver­ste­hen ist. Der Gno­sti­ker glaubt daher, daß die Erlö­sung durch die Befrei­ung von der Mate­rie aus­geht. Um die­se Frei­heit zu erlan­gen, müs­se man jedoch zunächst ein gewis­ses und tie­fes Wis­sen über die Geheim­nis­se der mensch­li­chen Natur und des Kos­mos, in dem wir leben, erlan­gen (dies bedeu­tet im Alt­grie­chi­schen γνῶσις, „Wis­sen“).

Wer die Geheim­nis­se der Natur ken­ne, wer­de auch in der Lage sein, die Natur zu sei­nem eige­nen Vor­teil zu mani­pu­lie­ren. So glaubt es zumin­dest der Gno­sti­ker. Es ist daher ver­ständ­lich, war­um zu Beginn die­ses Arti­kels gesagt wur­de, daß die heu­te übli­che Men­ta­li­tät de fac­to eine gno­sti­sche Men­ta­li­tät ist. Das blin­de Ver­trau­en, das der Mensch in die exak­ten Wis­sen­schaf­ten und Natur­wis­sen­schaf­ten (die aller­dings kei­nes­wegs so exakt sind, wie ger­ne gesagt wird) und in die Tech­no­lo­gie sowie in den Staat – tech­no­kra­tisch, büro­kra­tisch, ent­per­so­na­li­siert – setzt, ist ein­fach die Wei­ter­ent­wick­lung jenes anti­ken Den­kens, das die Idee eines schöp­fe­ri­schen und tran­szen­den­ten Got­tes, des Erlö­sers und Hei­lig­ma­chers, ver­warf und statt­des­sen die mil­de­re Idee eines mecha­ni­sti­schen, in sich geschlos­se­nen Abso­lu­ten akzep­tier­te, das nicht erschafft, son­dern das Bestehen­de aus­strahlt. Und wohl­ge­merkt: Wenn die Gött­lich­keit ema­niert und nicht erschafft, dann hat alles, was exi­stiert, die­sel­be gött­li­che Natur.

Die­se Gott­heit, die nichts ande­res ist als ein ein­fa­cher gro­ßer Bau­mei­ster des Uni­ver­sums, fällt schließ­lich mit dem Uni­ver­sum selbst zusam­men, und das ist der Grund, war­um die Gno­sis oft in Pan­the­is­mus endet. Auch hier muß man nicht lan­ge suchen, um den ver­bor­ge­nen Ursprung der heu­ti­gen Umwelt­ideo­lo­gie zu ent­decken, die die Erde (die Umwelt, nicht mehr die Schöp­fung) als eine neue Göt­tin ver­göt­tert. Genau­so wenig muß man anders­wo suchen, um die tie­fe­ren kul­tu­rel­len Wur­zeln der Sexo­pho­bie zu fin­den, die heu­te unter Men­schen als Gegen­be­we­gung aufflammt.

Man muß kein Puri­ta­ner sein und im vik­to­ria­ni­schen Eng­land leben, um sexo­phob zu sein. Unge­zü­gel­ter Hedo­nis­mus, Por­no­gra­phie, Gen­der-Ideo­lo­gie und die Ver­herr­li­chung „alter­na­ti­ver“ Sexu­al­prak­ti­ken, Trans­se­xua­lis­mus, die Legi­ti­mie­rung von Abtrei­bung und Emp­fäng­nis­ver­hü­tung: All das sind Prak­ti­ken, die aus einer ech­ten Angst vor der dau­er­haf­ten Bin­dung zwi­schen einem Mann und einer Frau und der damit ver­bun­de­nen für die Zeu­gung offe­nen Sexua­li­tät erwach­sen. Es ist kein Zufall, daß eini­ge gno­sti­sche Sek­ten der ersten nach­christ­li­chen Jahr­hun­der­te (wie die Kar­po­kra­ti­ker) orgia­sti­sche Ritua­le ver­herr­lich­ten, weil sie die Sexua­li­tät ver­ach­te­ten, die auf die Fort­pflan­zung abzielt und die nur die Ket­ten der Mate­rie verlängere.

Die­ser Pro­zeß, die­se „kol­lek­ti­ve Initia­ti­on“, kann den Namen „Revo­lu­ti­on“ anneh­men. Die Frei­mau­re­rei war sicher­lich das wich­tig­ste Instru­ment in den Hän­den der Revo­lu­ti­on, deren Ziel es immer war, die alte christ­li­che Ord­nung zu unter­gra­ben, um eine neue Ord­nung gno­sti­schen Ursprungs zu errich­ten. Des­halb ist eine Unter­su­chung der Frei­mau­re­rei, die die­sen kul­tu­rel­len Hin­ter­grund berück­sich­tigt, von grund­le­gen­der Bedeu­tung für ein tie­fe­res Ver­ständ­nis der ent­christ­lich­ten Gesell­schaft, in der wir leben, und auch, zumin­dest teil­wei­se, der Gesell­schaft, auf die wir zusteuern.

Einen wert­vol­len ideen­ge­schicht­li­chen Über­blick bie­tet das neue Buch von Gaet­a­no Masciu­l­lo: „La tia­ra e la log­gia“ („Die Tia­ra und die Loge. Der frei­mau­re­ri­sche Kampf gegen die Kir­che“, mit einem Vor­wort von Msgr. Nico­la Bux, erschie­nen im Ver­lag Fede&Cultura, Vero­na 2023. Es wäre wün­schens­wert, wenn dem­nächst auch eine deut­sche Aus­ga­be erschei­nen würde.

Der wahr­schein­lich beste Ken­ner der Frei­mau­re­rei, Pater Pao­lo Maria Sia­no, gibt das nöti­ge Erken­nungs­in­stru­ment zur Hand. Man sol­le sich nicht mit der Fra­ge auf­hal­ten, danach zu suchen, wer Frei­mau­rer ist, denn das sei ein sehr schwie­ri­ges, meist unmög­li­ches Unter­fan­gen. Ent­schei­dend sei, danach zu fra­gen, wel­che Zie­le jemand ver­tritt. Dar­an erken­ne man die frei­mau­re­ri­sche Gesin­nung, ganz egal, ob mit oder ohne Freimaurerschurz.

Text: Andre­as Becker

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