Die Zeugen des Konzils sollten gelesen werden, um zu verstehen

Das Konzilstagebuch von Yves Congar


Yves Congar OP, der später zum Kardinal erhoben wurde, war einer der einflußreichsten Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Sein Konzilstagebuch bietet als Ich-Geschichte interessante Einblicke.
Yves Congar OP, der später zum Kardinal erhoben wurde, war einer der einflußreichsten Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Sein Konzilstagebuch bietet als Ich-Geschichte interessante Einblicke.

Von Dani­lo Quinto*

Anzei­ge

In den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten wur­de viel über das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil gespro­chen. Sicher­lich hat die­ses histo­ri­sche Ereig­nis den Weg der Kir­che in ent­schei­den­der Wei­se geprägt, und heu­te stellt sich für die Ekkle­sio­lo­gie die grund­le­gen­de Fra­ge, wie das Kon­zil zu rezi­pie­ren und zu inter­pre­tie­ren ist. Für die einen ist es ein neu­er Früh­ling, für die ande­ren ein dunk­ler Win­ter, aber eines ist sicher: Das Kon­zil kann nicht igno­riert werden.

Neben den Abhand­lun­gen jener, die ver­su­chen, die wich­tig­sten Kno­ten­punk­te des Kon­zils zu iden­ti­fi­zie­ren, sind die per­sön­li­chen Zeug­nis­se derer von gro­ßer Bedeu­tung, die das Kon­zil – manch­mal als Prot­ago­ni­sten – erlebt haben.

Eine her­aus­ra­gen­de Rol­le unter ihnen spiel­te sicher­lich der Domi­ni­ka­ner-Theo­lo­ge Yves Con­gar (1904–1995), ein Gelehr­ter mit gro­ßem Ein­fluß, gera­de im Hin­blick auf den ekkle­sio­lo­gi­schen, lit­ur­gi­schen und öku­me­ni­schen Dis­kurs. Auch er wird er von den einen geprie­sen, von den ande­ren bekämpft.

Sicher ist, daß er nicht igno­riert wer­den kann, wes­halb es wich­tig ist, sein Kon­zils-Tage­buch zu lesen, das nun in ita­lie­ni­scher Über­set­zung her­aus­ge­ge­ben wur­de [das fran­zö­si­sche Ori­gi­nal wur­de 2002 unter dem Titel: „Mon jour­nal du Con­ci­le“ ver­öf­fent­licht; eine deut­sche Aus­ga­be exi­stiert bis­her nicht]. Der Text umfaßt mehr als 1000 Sei­ten und deckt einen Zeit­raum von 1960 bis 1966 ab. Er schließt also auch die Zeit unmit­tel­bar vor und unmit­tel­bar nach dem Kon­zil mit ein.

Unab­hän­gig davon, wie man zum Kon­zil oder zu Con­gar steht, ist dies ein lesens­wer­ter Text, denn der zukünf­ti­ge Kar­di­nal ist einer der wich­tig­sten Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis der nach­kon­zi­lia­ren Ent­wick­lun­gen in der katho­li­schen Kir­che. Ver­ges­sen wir nicht, daß er sich auch mit der Fra­ge der kirch­li­chen Tra­di­ti­on befaß­te und in der Zeit des Zer­würf­nis­ses die Kon­fron­ta­ti­on mit Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re suchte.

In der Ein­lei­tung fin­det sich eine Anmer­kung von Con­gar, die uns sei­ne Rol­le wäh­rend des Kon­zils gut ver­ste­hen läßt: „‘Sont de moi’ [„Sind von mir“]: Lumen gen­ti­um: der erste Ent­wurf vie­ler Num­mern des ersten Kapi­tels und der Num­mern 9, 13, 16, 17, sowie eini­ger spe­zi­fi­scher Pas­sa­gen. De Reve­la­tio­ne: Ich habe an Kap. II gear­bei­tet, und Nr. 21 stammt aus einem ersten Ent­wurf von mir. De oecu­me­nis­mo: Ich habe dar­an mit­ge­ar­bei­tet; das Pro­ömi­um und der Schluß sind mehr oder weni­ger von mir. Erklä­rung über die nicht­christ­li­chen Reli­gio­nen: Ich habe dar­an mit­ge­ar­bei­tet; die Ein­lei­tung und der Schluß sind von mir. Sche­ma XIII – Gau­di­um et spes: Ich habe an den Kapi­teln I und IV mit­ge­ar­bei­tet. De mis­sio­ni­bus: Das erste Kapi­tel ist von A bis Z von mir, mit Anlei­hen bei Ratz­in­ger für Nr. 8. De liber­ta­te reli­gio­sa: Ich habe an allem mit­ge­ar­bei­tet, ins­be­son­de­re an den Fra­gen des theo­lo­gi­schen Teils und dem Pro­ömi­um, das ich geschrie­ben habe. De pres­by­te­ris: Drei Vier­tel des Werks sind eine Über­ar­bei­tung von Lécuyer/​Onclin/​Congar. Ich habe das Pro­ömi­um, die Num­mern 2–3 neu ver­faßt; ich habe den ersten Ent­wurf der Num­mern 4–6 geschrieben.“

Kurz­um, man ver­steht, daß er ein Theo­lo­ge ist, den man nicht igno­rie­ren kann. Ich glau­be, daß es im Gefol­ge der Égo-Histoire [Ich-Geschich­te], als deren größ­ter Ver­tre­ter der fran­zö­si­sche Histo­ri­ker Pierre Nora (*1931) gilt, nütz­lich ist, nicht nur die Zusam­men­fas­sun­gen bestimm­ter histo­ri­scher Ereig­nis­se zu stu­die­ren, son­dern auch die Emo­tio­nen, Hoff­nun­gen und Miß­er­fol­ge der­je­ni­gen zu erfor­schen, die die­se Ereig­nis­se aus erster Hand erlebt haben.

*Dani­lo Quin­to, frei­er Publi­zist, war füh­ren­der Ver­tre­ter der kir­chen­feind­li­chen Radi­ka­len Par­tei der ehe­ma­li­gen EU-Kom­mis­sa­rin Emma Boni­no und des 2016 ver­stor­be­nen Mar­co Pan­nella, die 1955 unter ande­rem vom Papst-Freund Euge­nio Scal­fa­ri in Anleh­nung an die alte Radi­ka­le Par­tei von 1877, den poli­ti­schen Arm des frei­mau­re­ri­schen Groß­ori­ents von Ita­li­en, wie­der­ge­grün­det wur­de. Quin­to bekehr­te sich und rech­ne­te mit den Radi­ka­len in sei­nem Buch „Vom Knecht Pan­nellas zum frei­en Kind Got­tes“ ab, was ihm zahl­rei­che Angrif­fe und sozia­le Äch­tung ein­brach­te. Anschlie­ßend arbei­te­te er für die Pres­se­agen­tur SIR der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz. Sei­ne Arti­kel wur­den von der Unter­neh­mens­füh­rung nur unter Pseud­onym ver­öf­fent­licht, um die Radi­ka­len „nicht zu pro­vo­zie­ren“. Als er Kri­tik am Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus wegen des­sen Homo-Agen­da äußer­te, wur­de er 2015 ent­las­sen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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