Von Roberto de Mattei*
Der 25. März ist nach der kirchlichen Tradition der Tag, an dem sich das höchste Geheimnis unseres Glaubens, das der Menschwerdung, erfüllt hat. Kein historisches Datum kann mit diesem Tag mithalten, nicht einmal der Tag der Schöpfung.
In dieser Nacht hielten Himmel und Erde fast den Atem an. Ein Engel steigt schnell wie ein Blitz vom Himmel herab und verneigt sich vor einer jungen Jungfrau, die in ihrem Haus in Nazareth, einem unbedeutenden Dorf in Galiläa, im Gebet gesammelt ist. Diese junge Frau, die Maria heißt, stammt aus dem ruhmreichen Haus Davids, aber ihre Familie ist verarmt, und sie lebt in würdevoller Armut. Sie ist einem jungen Mann aus dem Geschlecht Davids namens Josef verlobt, der ebenfalls in Nazareth lebt, sie aber erst nach der Versicherung eines Engels, die er im Traum erhalten hat (Mt 1,24), in sein Haus aufnehmen wird.
Maria verbindet eine unermeßliche Liebesfähigkeit, wie sie die Geschichte nie gekannt hat, mit einer überragenden Intelligenz, die jene der Menschen aller Zeiten übertrifft. Ihr ganzes Herz, ihre ganze Intelligenz ist im Gebet auf Gott gerichtet. Dom François de Sales Pollien sagt, daß die Bewegung ihrer Seele sich niemals von Gott ablenken ließ, um auf einem anderen Geschöpf zu ruhen als Gott. Ihr Blick kehrte weder zu sich selbst noch zu einem anderen Geschöpf zurück. Er blieb immer auf Gott gerichtet. Sie ignorierte jene Rückwendung der Gedanken auf sich selbst, die die Geißel des Stolzes ist. Maria war vollkommen demütig, weil sie sich selbst völlig vergaß und nur in Gott versunken war.
Ihr Blick wandte sich nie von Gott ab, aber Maria ignorierte auch nicht das, was in der Welt geschah. Das ist der Grund für ihren stechenden Schmerz: Sie sah den traurigen Zustand der Menschheit ihrer Zeit, den grenzenlosen Ehrgeiz der Führer ihres Volkes, die Verstockung der Herzen der Priester und der Schriftgelehrten. Maria leidet für die verlorenen Seelen, aber vor allem leidet sie für die Beleidigungen, die Gott angetan werden, für die Herrlichkeit, die Ihm genommen wird. Die Ehre Gottes ist das, was für sie allein zählt. Maria kennt und wiederholt gewiß die Gebete Davids und Jesajas, die die Kirche im Advent verwendet, wenn sie sagt:
„Excita potentiam tuam, et veni, ut salvos facias nos“ (Psalm 79,3).
„Biete deine gewaltige Macht auf und komm uns zu Hilfe!“
„Ostende nobis Domine misericordiam tuam; et salutare tuum da nobis“ (Psalm 84,8).
„Erweise uns, Herr, deine Huld und gewähre uns dein Heil!“
Das Gebet Mariens ist ein Stoßgebet. Sie kennt die Heilige Schrift genau und ihre Gedanken sind auf die göttliche Verheißung des Messias für das Volk Israel gerichtet. Wenn der Heilige Geist seinen Auserwählten etwas schenken will, inspiriert er sie dazu, es zu begehren, sodaß sie mit diesem Wunsch und dem Gebet bereit sind, das Gewünschte zu empfangen. Maria lebt nur in der Sehnsucht nach dem Messias, und der Heilige Geist ist der Urheber ihrer Sehnsucht.
Ihr unermeßlicher Wunsch nach dem Kommen Gottes in die Welt wächst, je näher der Zeitpunkt der Menschwerdung rückt, den sie ignoriert. Aber Gott lügt nicht, wenn Er versichert, daß alles, was man von Ihm erbittet, gewährt wird, wenn es gut und heilig ist und wenn man es mit Eifer und Ausdauer erbittet.
„Alles, was ihr im Gebet erbittet, glaubt, daß ihr es empfangen habt, und ihr werdet es erhalten“ (Mk 11,24).
Gott erhört unfehlbar ein vollkommenes Gebet, und nie war das Gebet vollkommener als das der Muttergottes.
Die Ankündigung des Engels ist die Antwort auf ihr Gebet. Das größte Gespräch der Geschichte findet zwischen dem Himmelsboten und der demütigen Nachfahrin von König David statt. Marias Antwort auf die himmlische Bitte ist prompt und großzügig:
„Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38).
Maria antwortet dem Engel stellvertretend für die ganze Menschheit und macht mit ihrem Fiat das Leiden und die Auferstehung Jesu Christi möglich. Sie wird zur geistlichen Mutter der Kirche und aller Menschen, zur Mittlerin aller Gnaden und zur Miterlöserin. Ihre Antwort besiegelt den Frieden zwischen Himmel und Erde. Die Menschwerdung macht nicht nur die Sünde Adams, sondern auch die der Engel wieder gut und erfüllt die uralte Verheißung:
„Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs; dieser wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn an der Ferse treffen“ (Gen 3,1).
Die Verheißung, die die Geschichte der Menschheit auftut, hat in der Verkündigung ihre erste Erfüllung gefunden, aber sie wird sich erst im Laufe der Jahrhunderte mit der Errichtung des Reiches Jesu Christi verwirklichen, das das letzte Ziel der gesamten Schöpfung und aller geschichtlichen Ereignisse ist. Dies wird sich durch Maria verwirklichen. „Durch die selige Jungfrau Maria ist Jesus Christus in die Welt gekommen; ebenso muß er durch sie in der Welt herrschen“. Die Worte, mit denen die Abhandlung des heiligen Ludwig Maria Grignion de Montfort über die wahre Verehrung Mariens beginnt, enthüllen einen geheimnisvollen Horizont, den die Botschaft von Fatima der Menschheit offenbart hat. Es gibt einen göttlichen Faden, der die Verheißung der Genesis, das Fiat der Verkündigung und die Worte von Fatima „Am Ende wird mein unbeflecktes Herz triumphieren“ unauflöslich miteinander verbindet. Diese neue Verheißung erhellt unsere Zukunft und muß unsere tiefsten Sehnsüchte beflügeln. Bitten wir Gott, daß wir Menschen mit großen Sehnsüchten werden, wie der Prophet Daniel, der Vir desideriorum genannt wurde (Dtn 9,23), und wie Maria in der Nacht der Verkündigung. Die Sehnsucht ist eine Bewegung der Seele hin zu einem Gut, das noch abwesend ist und das zu erreichen möglich ist. Es ist eine heroische Tugend, den Glauben nicht zu verlieren, wenn sich die Erfüllung des versprochenen Gutes verzögert und der Wunsch nicht erfüllt wird. Aber der Engel beruhigt uns, wie er auch Maria beruhigt hat:
„Für Gott ist nichts unmöglich“ (Lk 1,38).
Beten wir für den Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens, mit demselben Geist, mit dem Maria das Kommen des Erlösers in die Welt herbeigesehnt und herbeigebetet hat. Der Triumph Mariens ist der Triumph Christi und Seiner Kirche. Das Reich Mariens muß heute die erste Anrufung der katholischen Herzen sein, und der Erzengel Gabriel ist, wie Pius XII. in seiner Enzyklika Ad Coeli reginam (11. Oktober 1954) sagt, „der erste Herold der Königswürde Mariens“.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Nahezu alle „Botschaften von unserer lieben Frau von Fatima“ stammen von Schwester Lucia dos Santos, die für mich so etwas wie die Greta Thunberg der katholischen Kirche ist.
Sie hat es geschafft, die traditionelle Marienverehrung aus der Zeit vor dem II. Vatikanischen Konzil (Marienfiguren stets mit Christuskind!) durch eine „Fatima“ zu ersetzen, die kein Christuskind mehr trägt, sondern Kommandos und Befehle erteilt, bei deren Nichtbefolgung schlimmste Katastrophen geschehen werden.
Sogar ein Priester der Piusbruderschaft sagte mir einmal, die Fatima-Statuen seien „zum Reinbeißen kitschig“.
Vielleicht sollte man sich endlich einmal wieder auf ein entspanntes, traditionelles Verhältnis zur Mutter Gottes besinnen.
Die traditionelle Mariendarstellung aus meiner Zeit in der Katholischen Jugendbewegung, in Form eines schön gerahmten Bildes, habe ich heute noch in meiner Wohnung hängen.